Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird ein gemäß § 100 AO vorläufig ergangener Einkommensteuerbescheid für endgültig erklärt oder nach § 225 AO berichtigt, so handelt es sich dabei nicht um eine erstmals durchgeführte Veranlagung im Sinne des § 26 Abs. 2 Ziffer 1 EStG 1957.
Eine Berichtungsveranlagung gemäß § 218 Abs. 4 AO rechtfertigt eine getrennte Veranlagung im Sinne des § 26 Abs. 2 Ziffer 2 EStG 1957 nur dann, wenn sie auf einem nach § 222 Abs. 1 - Ziffern 1 und 2 - AO berichtigten Grundlagenbescheid beruht. Ist der Grundlagenbescheid nach § 225 AO berichtigt worden, so kommt eine getrennte Veranlagung nach der genannten Vorschrift des EStG 1957 nicht in Betracht.
Zu den am 30. Juni 1957 noch nicht rechtskräftigen Bescheiden im Sinne des § 26 Abs. 2 Ziffer 3 EStG 1957 gehören auch solche Veranlagungsbescheide, die am 30. Juni 1957 in vollem Umfange oder hinsichtlich der Ehegattenbesteuerung vorläufig waren.
Normenkette
EStG § 26 Abs. 2 Ziff. 1, § 26 Abs. 2 Ziff. 2, § 26 Abs. 2 Ziff. 3, § 26/5; AO § 215 Abs. 2, § 213 Abs. 1, § 218 Abs. 4, § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 222/1/2, § 225
Tatbestand
Die beschwerdeführenden Eheleute sind als Gesellschafter einer KG am Gewinn dieser Gesellschaft mit insgesamt 85 v. H. des Gewinns beteiligt. Davon entfallen 65 v. H. auf den Bf. und 20 v. H. auf die Bfin. Bis zu dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957, durch den § 26 EStG alter Fassung für nichtig erklärt wurde, wurde im Hinblick auf die nach dieser Vorschrift bis dahin durchzuführende Zusammenveranlagung der Bf. auch der auf die Bfin. entfallende Gewinnanteil als Gewinn des Bf. erklärt und vom Finanzamt in dem die KG betreffenden, nach § 215 Abs. 2 AO durchzuführenden Feststellungsverfahren für den Bf. ein Gewinnanteil von insgesamt 85 v. H. festgestellt. Für 1954 wurde im Feststellungsverfahren nach § 215 Abs. 2 AO durch einen nach § 100 Abs. 2 AO in vollem Umfange für vorläufig erklärten Bescheid für den Bf. ein Gewinn von 36.382 DM festgestellt. Auf dieser Grundlage wurden die Bf. für 1954 gemäß § 26 EStG alter Fassung durch einheitlichen (ß 210 Abs. 2 AO) und endgültigen Bescheid, der am 24. Februar 1956 zur Post gegeben wurde, zu einer Einkommensteuer von 8.644 DM wie folgt zusammen veranlagt:
Einkünfte aus Gewerbebetrieb ------------ 36.382 DM Einkünfte aus Kapitalvermögen -------------- 301 DM Gesamtbetrag der Einkünfte -------------- 36.683 DM Sonderausgaben: Bausparkassen- und Ver- sicherungsbeiträge -------- 6.702 DM Vermögensabgabe ------------ 260 DM Kirchensteuer ------------- 1.283 DM Vermögensteuer ------------ 1.500 DM ---- 9.745 DM Einkommen ------------------------------ 26.938 DM Freibetrag für besondere Fälle --------------------------- 720 DM zu versteuern -------------------------- 26.218 DM.Eine im Jahre 1958 durchgeführte Betriebsprüfung führte zu einer anderweitigen - höheren - Feststellung des von der KG für 1954 erzielten Gewinns von 44.426 DM um 250 DM auf nunmehr 44.676 DM. Die Erhöhung beruht darauf, daß der Prüfer bei den Posten Maschinen und Neonbeleuchtung die Absetzung für Abnutzung (AfA) um 138 DM bzw. um 112 DM geringer ansetzte. Demgemäß ergab sich für beide Bf. ein Gewinn von nunmehr insgesamt 36.595 DM statt bisher 36.382 DM (Unterschied: 213 DM). Das Finanzamt berichtigte den die KG betreffenden ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheid "gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO; und erklärte ihn gleichzeitig "nach § 225 AO" für endgültig. In diesem Bescheid wurden nunmehr auch die Gewinnanteile der Bf. getrennt wie folgt festgestellt:
Bf. ---------- 26.220 DM Bfin. -------- 10.375 DM -------------- 36.595 DM.Die Bf. sind der Auffassung: Da der ursprüngliche, die KG betreffende Gewinnfeststellungsbescheid in vollem Umfange vorläufig gewesen sei, müsse das gleiche auch für den vom Gewinnfeststellungsbescheid abhängigen Einkommensteuerbescheid gelten. Sie beantragen deshalb ihre getrennte Veranlagung mit voller steuerlicher Auswirkung.
Das Finanzamt hat diesen Antrag unter Hinweis auf § 26 Abs. 2 Ziff. 2 letzter Satz EStG 1957 abgelehnt, weil nach dieser Vorschrift im Streitfalle eine Unterschreitung der ursprünglich festgesetzten Einkommensteuer von 8.644 DM unzulässig sei.
Das Finanzgericht hat die Berufungen der Bf. mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, daß - unter Aufhebung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids vom 24. Februar 1956 - die Einkommensteuer 1954 wie folgt getrennt festzusetzen ist:
a) für den Bf. auf ---------- 5.759 DM b) für die Bfin. auf -------- 2.885 DM ----------------------------- 8.644 DM.Es begründet seine Entscheidung, auf die im übrigen Bezug genommen wird, im wesentlichen wie folgt:
Der für 1954 gegen die Bf. einheitlich ergangene und auf der Zusammenveranlagung nach § 26 EStG alter Fassung beruhende Einkommensteuerbescheid vom 24. Februar 1956 sei als endgültiger Bescheid ergangen und bereits im Jahre 1956 - also vor dem 21. Februar 1957 (ß 26 Abs. 5 EStG 1957) - unanfechtbar geworden. Wenn überhaupt, dann könne er - "was aber die Kammer nicht annehme" - allenfalls nur hinsichtlich des gewerblichen Gewinns als "vorläufig" angesehen werden. Die im berichtigten Gewinnfeststellungsbescheid erfolgte besondere Feststellung eines Gewinnanteils für die Bfin. beruhe im übrigen nicht auf einer neuen tatsächlichen Feststellung - da deren Gewinnbeteiligung dem Finanzamt seit jeher bekannt gewesen sei -, sondern auf der infolge der Nichtigkeit des § 26 EStG alter Fassung geänderten Rechtslage. Lediglich die Gewinnerhöhung von insgesamt 250 DM bzw. von 213 DM (für beide Eheleute) beruhe auf neuen Tatsachen. Da sich hiernach bei einer Berichtigung der ursprünglichen Zusammenveranlagung (gemäß § 218 Abs. 4 AO) nur eine höhere Steuer (von 8.729 DM ./. 8.644 DM = 85 DM) ergebe, könne die ursprünglich festgesetzte Einkommensteuer von 8.644 DM im Hinblick auf § 26 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 3 EStG 1957 auch im Falle getrennter Veranlagung nicht unterschritten werden. Unter Begrenzung auf den Betrag von insgesamt 8.644 DM seien aber die Bf. nach § 26 Abs. 2 EStG 1957 getrennt zu veranlagen, da diese Vorschrift auch bei einer nach § 218 Abs. 4 AO durchzuführenden Berichtigungsveranlagung gelte.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rben. ergibt, daß eine getrennte Veranlagung der beschwerdeführenden Eheleute nicht in Betracht kommt, daß vielmehr der von der Vorinstanz aufgehobene Einkommensteuerbescheid vom 24. Februar 1956 wiederherzustellen ist, da einer änderung dieses Bescheides nach § 218 Abs. 4 AO und der sich daraus ergebenden Mehrsteuer von 85 DM die Nichtigkeit des § 26 EStG alter Fassung entgegensteht, weil bei getrennter Veranlagung die ursprüngliche Steuer von 8.644 DM unterschritten würde. Demgemäß sind die Rben. der beschwerdeführenden Eheleute mit dieser Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, und zwar aus folgenden Gründen:
Eine getrennte Veranlagung nach § 26 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1957 scheidet aus, da hiernach nur solche Veranlagungen in Betracht kommen, die nach dem 30. Juni 1957 erstmals für einen Veranlagungszeitraum durchgeführt werden. Selbst wenn man mit den Bf. davon ausgeht, daß der Einkommensteuerbescheid vom 24. Februar 1956 für die Beurteilung der Streitfrage in vollem Umfange als vorläufiger Bescheid zu behandeln ist, können die Voraussetzungen der Bestimmung nicht als gegeben anerkannt werden, da ein im Anschluß an einen vorläufigen Steuerbescheid unverändert endgültig ergehender - d. h. den vorläufigen Bescheid bestätigender - Bescheid oder ein nach § 225 AO berichtigter Bescheid kein "erstmals" ergehender Bescheid im Sinne dieser Vorschrift ist. Der von Böttcher-Grass vertretenen gegenteiligen Auffassung vermag der Senat nicht beizupflichten (vgl. Böttcher-Grass, Die Ehegattenbesteuerung, S. 44).
Dagegen könnten die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung nach § 26 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1957 in Betracht kommen. Diese Vorschrift bezieht sich auf Bescheide, die "am 30. Juni 1957 noch nicht rechtskräftig waren". Darunter sind nicht nur solche Bescheide zu verstehen, die in diesem Zeitpunkt noch anfechtbar waren oder gegen die in diesem Zeitpunkt bereits ein Rechtsmittel schwebte, sondern - in übereinstimmung mit Abschnitt 174 a EStR 1955 in der Fassung der Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1956/1957 - auch solche Bescheide, die in vollem Umfange oder hinsichtlich der Ehegattenbesteuerung als vorläufig ergangen sind. Diese Vorläufigkeit läßt den Beteiligten in materieller wie in formeller Hinsicht zur Frage der Ehegattenbesteuerung freie Hand (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs IV 10/57 U vom 12. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 154, 156, Slg. Bd. 66 S. 401).
Die Vorinstanz hat indessen mit Recht eine Vorläufigkeit des Einkommensteuerbescheids vom 24. Februar 1956 verneint. über die Voraussetzungen der Zusammenveranlagung nach § 26 EStG alter Fassung ist im Veranlagungsverfahren zu entscheiden. Das ist hier "endgültig" in dem 1956 unanfechtbar gewordenen Einkommensteuerbescheid geschehen. Die Rechtslage wird hinreichend deutlich, wenn man sich den Fall einer lediglich aus Eheleuten bestehenden Gesellschaft vergegenwärtigt, deren Zusammenveranlagung ohne einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung erfolgte. Eine in diesem Falle auf die gewerblichen Einkünfte beschränkte Vorläufigkeit würde die materielle Rechtskraft der Veranlagung im übrigen nicht berühren. So aber liegt die Sache im Ergebnis auch hier. Die nachträglich getrennte Feststellung der Gewinnanteile der Ehegatten wäre für sich auch dann kein die getrennte Veranlagung der Bf. rechtfertigender Umstand, wenn sie auf - insoweit - neuen tatsächlichen Feststellungen beruhte; denn für die Zusammenveranlagung nach § 26 EStG alter Fassung war die Frage, welche Einkünfte von einem Ehegatten erzielt sind, ohne Bedeutung (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 27/58 U vom 11. März 1958, BStBl 1958 III S. 212, 213, Slg. Bd. 66 S. 556).
Schließlich sind - im Gegensatz zur Vorinstanz - auch nicht die Voraussetzungen für eine getrennte Veranlagung im Sinne der Ziff. 2 des § 26 Abs. 2 EStG 1957 gegeben.
Das Finanzamt hat die Berichtigung der ursprünglichen Gewinnfeststellung auch auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gestützt. Diese Vorschrift setzt jedoch einen materiell rechtskräftigen Bescheid voraus. Der ursprüngliche Feststellungsbescheid war aber - weil in vollem Umfange vorläufig - nicht materiell rechtskräftig geworden, wie dargelegt. Die Berichtigung dieses Bescheides findet ihre ausschließliche Rechtsgrundlage in § 225 AO. änderungsbescheide nach § 218 Abs. 4 AO, die durch Berichtigungsbescheide im Sinne des § 225 AO bedingt sind, gehören aber nicht zu den in § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 genannten "Berichtigungsveranlagungen nach § 218 Abs. 4 AO". Dazu gehören nur solche änderungsbescheide, die durch Berichtigungsveranlagungen bzw. Berichtigungsfeststellungen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO bedingt sind. Das Gesetz stellt in § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 die nach § 218 Abs. 4 AO erfolgenden änderungen für die Frage der getrennten Veranlagung und deren steuerliche Auswirkung den nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO erfolgenden Berichtigungsveranlagungen gleich, soweit die nach § 218 Abs. 4 AO ergehenden änderungsbescheide auf einer Berichtigung der zugrunde liegenden gesonderten Feststellungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO, d. h. also im Sinne dieser Vorschrift auf einer Aufrollung der ursprünglichen Feststellungen beruhen. Daß nur derartige änderungsbescheide nach § 218 Abs. 4 AO gemeint sind, ergibt sich eindeutig auch aus Satz 2 des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957. Es wäre in diesen Fällen nicht gerechtfertigt gewesen, Steuerpflichtige von den Vorteilen der getrennten Veranlagung nur deshalb auszuschließen, weil die in Betracht kommenden Besteuerungsgrundlagen entgegen der Regel des § 213 Abs. 1 AO nicht im Veranlagungsverfahren, sondern im Falle der Mitunternehmergemeinschaft einheitlich und gesondert nach § 215 Abs. 2 AO und im Falle des Einzelunternehmens gesondert nach § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 (RGBl 1944 I S. 11, RStBl 1944 S. 17) festzustellen sind, was sich mit besonderer Deutlichkeit gerade im letztgenannten Falle des Einzelunternehmers erweist (vgl. auch Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., S. 1369; Hartmann-Böttcher, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 26 EStG 1957, Anm. 5 b und 5 e).
Da mithin eine getrennte Veranlagung der Bf. nicht erfolgen kann, einer steuererhöhenden Berichtigung der Zusammenveranlagung gemäß § 218 Abs. 4 AO im vorliegenden Falle aber die Nichtigkeit des § 26 EStG alter Fassung entgegensteht, muß es bei dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid vom 24. Februar 1956 sein Bewenden behalten.
Die Voraussetzungen des § 307 Abs. 4 AO sind nicht gegeben. Die beschwerdeführenden Eheleute sind getrennt kostenpflichtig auf der Grundlage des von ihnen erstrebten Erfolges in Höhe von 981 DM bzw. 491 DM. Demgemäß sind unter änderung der Vorentscheidung diese Beträge auch für die Berufung als Streitwerte festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 410179 |
BStBl III 1961, 511 |
BFHE 1962, 674 |
BFHE 73, 674 |