Leitsatz (amtlich)
1. Ein Fehler i. S. von § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO ist nur aufgedeckt, wenn und soweit die Aufsichtsbehörde eine - tatsächliche oder rechtliche - Grundlage der Steuerfestsetzung mit zutreffender Begründung als falsch bezeichnet. Eine durchgreifende Rüge setzt zwar nicht voraus, daß die Aufsichtsbehörde in allen Einzelheiten den richtigen Standpunkt vertritt; sie muß aber den "Fehler"- als eine bestimmt geartete Abweichung von der richtigen Behandlung - zutreffend erkannt haben.
2. Bei einer Schenkung unter Auflage ist auch hinsichtlich der Bewertung der Auflage für die Schenkungsteuerfestsetzung auf den Zeitpunkt der Bewirkung der unentgeltlichen Leistung, nicht auf den Zeitpunkt der Erfüllung der Auflage abzustellen, so daß für ihren Wertansatz maßgebend ist, was der durch die Auflage Begünstigte rechtens zu beanspruchen hat und erlangen kann.
2. Ein auf Lebenszeit eingeräumtes Nießbrauchsrecht an einem Gesellschaftsanteil ist nicht schon deshalb mit Null zu bewerten, weil die Gesellschaft mehrere Jahre keine Gewinne ausgeschüttet hat.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 3; BewG 1934 § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 3; BGB § 525 Abs. 1; ErbStG 1951 § 22
Tatbestand
Der Kläger schloß am 15. März 1966 einen notariell beurkundeten Vertrag über den Kauf eines 1964 bezugsfertig gewordenen Einfamilienhauses. Er beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer als Ersterwerber gemäß Art. 1 Nr. 4 Buchst. a des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG). Das beklagte Finanzamt übersandte dem Kläger am 3. Mai 1966 eine Freistellungsmitteilung, nachdem dieser zuvor auf eine entsprechende Anfrage mitgeteilt hatte, daß er das Haus selbst nutzen werde, und nachdem sich das Finanzamt vergewissert hatte, daß das Haus grundsteuerbegünstigt war.
Am 17. Mai 1966 teilte das Finanzamt dem Kläger mit, bei der Überprüfung habe sich ergeben, daß er nicht Ersterwerber des Einfamilienhauses, sondern dessen zweiter Erwerber sei. Ersterwerberin sei bereits seine Rechtsvorgängerin gewesen. Der Erwerb des Grundstücks durch ihn sei deshalb nicht steuerfrei. Da der Kläger die Zustimmung zu einer entsprechenden Nachforderung der Steuer verweigerte, erließ das Finanzamt am 13. Oktober 1966 einen auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO a. F.) gestützten Berichtigungsbescheid über 12 600 DM.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage führte zur Aufhebung des Berichtigungsbescheides durch das Finanzgericht, dessen Urteil vom 12. September 1968 rechtskräftig wurde. Das Finanzgericht nahm an, daß die Tatsachen, auf die sich der Berichtigungsbescheid gestützt habe, nicht neu im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. gewesen seien. Bei einwandfreier Bearbeitung des Vorganges hätten diese Tatsachen dem Finanzamt bereits vor Erlaß des Freistellungsbescheides bekannt sein können. Ob sie vor diesem Zeitpunkt dem Finanzamt bereits bekannt gewesen seien, könne dahingestellt bleiben. Auf die materielle Rechtsfrage ging das Finanzgericht nicht ein.
Im Rahmen einer allgemeinen Geschäftsprüfung der Oberfinanzdirektion München beim beklagten Finanzamt in der Zeit vom 25. bis zum 29. November 1968 griff die Oberfinanzdirektion den Erwerbsvorgang auf und wies das Finanzamt an, die ihrer Auffassung nach fehlerhafte Freistellung von der Grunderwerbsteuer gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. zu berichtigen. Das Finanzamt kam dieser Weisung durch den Erlaß des angefochtenen Berichtigungsbescheides vom 3. Juli 1969 über eine Grunderwerbsteuer in Höhe von 12 600 DM nach. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ist vom Finanzgericht abgewiesen worden.
Mit seiner Revision hat der Kläger (nur noch) geltend gemacht, daß ein Fehler im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. nicht vorgelegen habe, und sich im übrigen auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. April 1972 III R 83/70 (BFHE 106, 173, BStBl II 1972, 740) berufen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entgegen der Ansicht des Klägers lag allerdings ein Fehler im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. vor. Fehler im Sinne dieser Vorschrift war jede objektive Unrichtigkeit des zu berichtigenden Bescheides, mochte die Unrichtigkeit auch darauf zurückzuführen sein, daß dem Finanzamt nicht der volle Sachverhalt bekannt war (vgl. das Senats-Urteil vom 3. November 1976 II R 65/67, BFHE 121, 86, 88, BStBl II 1977, 397). Daß die Freistellungsmitteilung objektiv unrichtig war, hat das Finanzgericht zu Recht bejaht. Damit lag im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. ein Fehler vor, der die Grundlage für eine Fehlerberichtigung nach dieser Vorschrift hätte sein können.
Es steht damit jedoch noch nicht fest, daß das Finanzamt (auf Weisung der Oberfinanzdirektion) zu Recht einen Berichtigungsbescheid gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. erlassen hat.
Einer Fehlerberichtigung stand zwar nicht die Rechtskraft des Urteils des Finanzgerichts vom 12. September 1968 IV 281/66 entgegen. Die Rechtskraft des Urteils reichte nur so weit, als das Finanzgericht über den Rechtsstreit entschieden hatte, nämlich dahin, daß die Voraussetzungen für die Berichtigung wegen neuer Tatsachen und Beweismittel nicht vorgelegen hatten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im Einzelfall könnte aber eine Fehlerberichtigung nach Treu und Glauben ausgeschlossen gewesen sein.
Bei Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben muß beachtet werden, daß ein Steuerpflichtiger, vor allem ein nicht rechtskundiger oder nicht rechtskundig vertretener Steuerpflichtiger, nach der rechtskräftigen Aufhebung eines auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. gestützten Berichtigungsbescheides nicht mehr ohne weiteres mit einer erneuten Berichtigung rechnet. Es muß aber auch gewürdigt werden, daß durch § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. die Bestandskraft unanfechtbarer Bescheide in erheblichem Maße eingeschränkt worden war. Der Gesetzgeber hatte sich dafür entschieden, der Aufsichtsbehörde weitgehende Eingriffe in die Bestandskraft unanfechtbarer Bescheide bei bestimmten Steuern zu ermöglichen, soweit nicht bereits ein Gericht zur materiellen Rechtsfrage selbst rechtskräftig erkannt hatte (vgl. das Senats-Urteil vom 12. Oktober 1966 II 36/62, BFHE 87, 43, 47, BStBl III 1967, 34).
Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß die Aufsichtsbehörde zwar nicht generell gehindert war, eine Fehleraufdeckung vorzunehmen und eine Fehlerberichtigung zu verfügen. Es könnten jedoch besondere Umstände vorgelegen haben, die das Recht der Aufsichtsbehörde zur Fehleraufdeckung und zur Veranlassung der Fehlerberichtigung beeinträchtigten. Dies könnte z. B. dann der Fall sein, wenn die Aufsichtsbehörde über die Prozeßlage und damit über die Zweifel an dem Vorliegen neuer Tatsachen unterrichtet war und nichts tat, um eine spätere Überraschung des Steuerpflichtigen mit einem auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO a. F. gestützten Steuerbescheid zu verhindern.
Diese Gesichtspunkte waren es nach Meinung des erkennenden Senats vor allem, die dem von dem Kläger angeführten Urteil des III. Senats vom 21. April 1972 III R 83/70 (BFHE 106, 173, BStBl II 1972, 740) seine Rechtfertigung gaben. Dort war die Oberfinanzdirektion als Aufsichtsbehörde vom Finanzamt bereits in das Verfahren eingeschaltet worden, als der Steuerpflichtige Einspruch gegen den auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. gestützten Berichtigungsbescheid eingelegt hatte, der später vom Finanzgericht rechtskräftig aufgehoben wurde. Der III. Senat hat allerdings die Begründung des Urteils vom 21. April 1972 nicht auf diese Besonderheiten des damaligen Falles abgestellt, sondern sich in erster Linie auf die Rechtskraft des im vorangegangenen Berichtigungsverfahren ergangenen Urteils des Finanzgerichts gestützt. Der erkennende Senat ist demgegenüber, wie er bereits ausgeführt hat, der Auffassung, daß das vom III. Senat gefundene Ergebnis nicht durch die Rechtskraft des vorangegangenen Urteils des Finanzgerichts, sondern allein durch den Grundsatz von Treu und Glauben gerechtfertigt werden kann.
Auf Anfrage hat der III. Senat erklärt, daß er zwar an dem in der Sache III R 83/70 gefundenen Ergebnis festhalte, daß er jedoch in der Begründung seine damalige Rechtsauffassung modifiziere. Er sei nicht mehr der Meinung, daß das von ihm weiterhin gebilligte Ergebnis ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falles aus der Rechtskraft des in dem vorangegangenen Berichtigungsverfahren ergangenen Urteils folge. Unter diesen Umständen bedarf es wegen der Abweichung von der damals vom III. Senat vertretenen Rechtsauffassung keiner Anrufung des Großen Senats.
Das Finanzgericht hatte im vorliegenden Fall nach dem damaligen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Veranlassung. die Frage zu prüfen, ob der Grundsatz von Treu und Glauben einer anschließenden Fehleraufdeckung und Fehlerberichtigung entgegenstand. Unter diesen Umständen mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen werden, damit dieses die Frage prüfen kann, ob einer Fehlerberichtigung im vorliegenden Fall die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben entgegensteht.
Fundstellen
Haufe-Index 72274 |
BStBl II 1977, 397 |
BFHE 1977, 86 |