Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Leistungsempfängers; Leistungsempfänger als Steuerschuldner
Leitsatz (amtlich)
Der Empfänger einer im Erhebungsgebiet (jetzt: Inland) steuerpflichtigen Werklieferung eines nicht im Erhebungsgebiet (jetzt: Ausland) ansässigen Unternehmers hatte nach § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.V.m. §§ 51 Abs. 2, 54 UStDV 1980 die Umsatzsteuer auch dann einzubehalten und an das zuständige FA abzuführen, wenn er die Werklieferung nicht für sein Unternehmen, sondern für seinen nichtunternehmerischen Bereich bezogen hatte.
Normenkette
UStG 1980 § 18 Abs. 8; UStG 1999 § 13b Abs. 2 S. 3; UStDV 1980 §§ 51, 54-55; EWGRL 388/77 Art. 21 Nr. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist eine Haftung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) nach § 18 Abs. 8 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) i.V.m. § 55 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) in der im Streitjahr 1990 gültigen Fassung.
Der Kläger war im Streitjahr 1990 durch (steuerpflichtige) Vermietung eines Wohnobjektes sowie durch "Erstellung von wissenschaftlichen Studien für die Bundespost" (mit Umsätzen in Höhe von 211 193 DM) unternehmerisch tätig.
Er erwarb im Streitjahr ein Einfamilienhaus zur privaten Nutzung, an dem er umfangreiche Umbauten und Renovierungen vornehmen ließ. Für die Durchführung dieser Arbeiten erhielt er unter anderem zwei Rechnungen vom 20. und 25. Oktober 1990 der Firma B+S, Niederlande, in denen Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 20 496 DM offen ausgewiesen war.
Das seinerzeit für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt ging davon aus, der Kläger sei als Unternehmer und Empfänger einer umsatzsteuerpflichtigen Leistung eines nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers nach § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV 1980 verpflichtet gewesen, die Umsatzsteuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Die Pflicht zur Einbehaltung erstrecke sich gemäß Abschn. 233 Abs. 2 Satz 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1990 auch auf den nicht unternehmerischen Bereich des Klägers. Das Finanzamt erließ daher einen auf § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.V.m. § 55 UStDV 1980 gestützten Haftungsbescheid über 20 496 DM gegen den Kläger. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid vom 30. März 1992 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 1997 auf; es war der Auffassung, die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme nach § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.V.m. §§ 51, 54, 55 UStDV 1980 lägen nicht vor, weil der Kläger die Bauleistungen nicht für sein Unternehmen, sondern für sein privates Wohnhaus bezogen habe. Ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung ―wie sie nunmehr in der Nachfolgeregelung des Abzugsverfahrens nach § 18 Abs. 8 UStG 1980, §§ 51 ff. UStDV 1980 in § 13b Abs. 1 und 2 (insbesondere Satz 3) UStG ab 1. Januar 2002 enthalten sei― habe ein Unternehmer davon ausgehen können, dass im Rahmen des Umsatzsteuergesetzes umsatzsteuerliche Verpflichtungen nur insoweit bestünden, als er im Rahmen seines Unternehmens tätig werde.
Hiergegen wendet sich die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ―FA―). Das FA beantragt, das Urteil des FG vom 15. Mai 2002 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Der Gesetzgeber habe in § 51 Abs. 2 UStDV 1980 nicht hinreichend deutlich gemacht, dass ein Unternehmer auch bei Empfang von Leistungen für seinen nichtunternehmerischen Bereich einbehaltungs- und abführungspflichtig sei; auf eine derart unbestimmte Norm könne ein Eingriff nicht gestützt werden. Außerdem stehe das Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.V.m. §§ 51 ff. UStDV 1980 nicht in Einklang mit der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ―Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage― 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FA hat die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuer aus den Werklieferungen des nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmens (Firma B+S) zu Recht auf § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.V.m. §§ 51, 54, 55 UStDV 1980 gestützt.
1. Nach § 18 Abs. 8 UStG 1980 kann der Bundesminister der Finanzen zur Sicherung des Steueranspruchs mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, dass die Steuer für die Umsätze eines nicht im Erhebungsgebiet (jetzt: Ausland) ansässigen Unternehmers im Abzugsverfahren durch den Leistungsempfänger zu entrichten ist. Auf dieser gesetzlichen Ermächtigung beruhte das in §§ 51 ff. UStDV 1980 geregelte Abzugsverfahren. Die Anmeldungs- und Abführungspflicht nach § 54 UStDV 1980 richtet sich wiederum nach § 51 Abs. 1 UStDV 1980: Danach hat der Leistungsempfänger einer steuerpflichtigen Werklieferung oder sonstigen Leistung, die von einem nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmer ausgeführt wird, die Umsatzsteuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist der Leistungsempfänger nur dann zur Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer verpflichtet, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Nach § 55 UStDV 1980 haftet der Leistungsempfänger für die nach § 54 UStDV 1980 anzumeldende und abzuführende Umsatzsteuer.
a) Nach den mit Verfahrensrügen nicht angefochtenen tatsächlichen Feststellungen des FG ―an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist― hat der Kläger Bauleistungen von dem nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmen B+S bezogen; insofern liegen Werklieferungen i.S. des § 3 Abs. 4 UStG 1980 vor, die nach § 3 Abs. 6 UStG 1980 dort ausgeführt wurden, wo sich der Gegenstand ―hier das Wohnhaus des Klägers― zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befand. Da sich das Wohnhaus im Erhebungsgebiet (jetzt: Inland) befindet, liegt eine im Inland steuerpflichtige Werklieferung vor. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 UStDV 1980 sind damit erfüllt.
b) Nach § 51 Abs. 2 UStDV 1980 ist der Leistungsempfänger nur dann zur Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer verpflichtet, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Mit seiner selbständigen gutachterlichen Tätigkeit ist der Kläger ebenso Unternehmer wie mit seiner Vermietungstätigkeit, weil er i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980 eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt und dabei nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig wird. Damit sind auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 UStDV 1980 erfüllt. Für eine Einschränkung dahin gehend, dass die Leistung für das Unternehmen erbracht wird, besteht ―entgegen der Auffassung des FG― nach der Bestimmung kein Anhaltspunkt.
aa) Nach der Begründung für das UStG 1980 und die UStDV 1980 sollte das Abzugsverfahren Steuerausfälle verhindern, "die dadurch eintreten, daß bestimmte Leistungen von Unternehmern, die nicht im Erhebungsgebiet oder einem Zollfreigebiet ansässig sind, entweder gar nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten im üblichen Besteuerungsverfahren erfaßt werden können. Bei Lieferungen dieser Unternehmer ist die steuerliche Erfassung durch die bei der Einfuhr erhobene Einfuhrumsatzsteuer weitgehend gesichert. Eine vergleichbare Sicherung fehlt jedoch bei den von diesen Unternehmern im Erhebungsgebiet ausgeführten Werkleistungen und sonstigen Leistungen. Es handelt sich hierbei insbesondere um die
- Werklieferungen nicht im Erhebungsgebiet ansässiger Bau-
unternehmer und Montageunternehmer und um die …
…
Aufgrund der vorgesehenen Regelungen soll der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer des nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers von dem zu entrichtenden Rechnungsbetrag einbehalten und an das für den Leistungsempfänger zuständige Finanzamt abführen." (BRDrucks 576/79, S. 82 f.).
Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Regelung nicht davon leiten lassen, ob die Leistung "für das Unternehmen" des Leistungsempfängers erbracht wurde. Er hat die Auswahl des Kreises der Verpflichteten in § 51 Abs. 2 UStDV 1980 lediglich danach getroffen, dass es einerseits Unternehmern (generell) und andererseits juristischen Personen des öffentlichen Rechts (generell) zumutbar ist, die Umsatzsteuer aus Werklieferungen von nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmern vom Rechnungsbetrag einzubehalten und abzuführen. Vor dem Hintergrund, dass "juristische Personen des öffentlichen Rechts in der Regel nicht der Umsatzsteuer unterliegen" (BRDrucks 576/79, S. 83 unten), wurde diesen eine umsatzsteuerliche Pflicht für ihren nichtunternehmerischen Bereich auferlegt. Nichts anderes kann für den übrigen Regelungsbereich des § 51 Abs. 2 UStDV 1980 gelten.
Aus der ab 1. Januar 2002 geltenden Neuregelung des Abzugsverfahrens in § 13b Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 UStG ―die ausdrücklich anordnet, dass auch Leistungen für den nichtunternehmerischen Bereich von Unternehmern umfasst sind― kann nichts Gegenteiliges geschlossen werden. Der Gesetzgeber führte in der Begründung zu dieser Neuregelung vielmehr aus, dass sie "inhaltlich der bisherigen Regelung des Abzugsverfahrens" entspricht (BTDrucks 14/6877, S. 36 zu § 13b Abs. 2).
bb) Entgegen der Auffassung des FG ist auch die Ermächtigungsgrundlage für §§ 51 ff. UStDV 1980 in § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.S. von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt. § 18 Abs. 8 Satz 1 UStG 1980 regelt ausdrücklich und ohne Einschränkung, dass durch Rechtsverordnung bestimmt werden kann, "daß die Steuer für die Umsätze eines nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers im Abzugsverfahren durch den Leistungsempfänger zu entrichten ist". Insbesondere können nach § 18 Abs. 8 Nr. 3 UStG 1980 geregelt werden, "die Haftung des Leistungsempfängers …". Damit ist die Ermächtigung an den Verordnungsgeber und Inhalt und Ausmaß hinreichend bestimmt.
2. Das Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 UStG 1980 i.V.m. §§ 51, 54, 55 UStDV 1980 entsprach auch der Richtlinie 77/388/EWG. Art. 21 Nr. 1 Buchst. a Sätze 1 bis 4 der Richtlinie 77/388/EWG in der für das Streitjahr 1990 geltenden Fassung hatten folgenden Wortlaut: "Die Mehrwertsteuer schuldet
1. im inneren Anwendungsbereich
a) der Steuerpflichtige, der einen steuerpflichtigen Umsatz bewirkt, mit Ausnahme der in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) genannten Umsätze, die von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht werden. Wird der steuerpflichtige Umsatz durch einen im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht, so können die Mitgliedstaaten Regelungen treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person als dem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen geschuldet wird. Als solche kann unter anderem ein Vertreter oder diejenige Person bezeichnet werden, für die der steuerpflichtige Umsatz bewirkt wurde. Die Mitgliedstaaten können außerdem bestimmen, daß eine andere Person als der Steuerpflichtige die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat, …"
Jedenfalls in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung des Art. 21 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG bestand damit kein Regel-Ausnahme-Verhältnis bezüglich der Frage der Steuerschuldnerschaft aus steuerpflichtigen Umsätzen, die durch einen im Ausland ansässigen Unternehmer erbracht wurden. Die Mitgliedstaaten konnten nach Satz 1 der Bestimmung sowohl den im Ausland ansässigen, leistenden Unternehmer als Steuerschuldner bestimmen, weil keine "Katalogleistung" nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG vorlag, als auch den Leistungsempfänger als (haftenden) Gesamtschuldner (Satz 4). Darüber hinaus sieht die Richtlinie insoweit keinerlei Beschränkung der Steuerschuldnerschaft oder der Gesamtschuldnerschaft auf Unternehmer vor und auch nicht auf den unternehmerischen Bereich von Unternehmern, wie auch das FG zutreffend erkannt hatte (FG-Urteil S. 10 Mitte).
3. Die Inanspruchnahme des Klägers durch Haftungsbescheid ist im Übrigen nicht zu beanstanden; insbesondere kann es nicht darauf ankommen, ob dem Kläger die Haftungsnorm bekannt war. Für die Ausübung des Entschließungsermessens des FA ist der Haftungszweck ―Vermeidung von Steuerausfällen― entscheidend; bei Uneinbringlichkeit der Steuer beim Steuerschuldner muss daher die Haftungsinanspruchnahme die Regel sein (BFH-Urteile vom 29. September 1987 VII R 54/84, BStBl II 1988, 176; vom 29. Mai 1990 VII R 81/89, BFH/NV 1992, 283).
Fundstellen
Haufe-Index 1483040 |
BFH/NV 2006, 889 |
BStBl II 2006, 477 |
BFHE 2007, 156 |
BFHE 212, 156 |
BB 2006, 594 |
DB 2006, 653 |
DStR 2006, 464 |
DStRE 2006, 443 |
DStZ 2006, 214 |
HFR 2006, 389 |
UR 2006, 296 |