Leitsatz (amtlich)
1. Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG liegen nicht vor, wenn ihnen als Gegenleistung ein Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht gegenübersteht.
2. Die rechtliche Verknüpfung eines Erbverzichtsvertrags mit einem Abfindungsvertrag kann als Auslegung des objektiven Gehalts von Willenserklärungen im Rahmen eines zusammengesetzten Rechtsgeschäfts vom Revisionsgericht nachgeprüft werden.
Normenkette
EStG § 12 Nr. 2; FGO § 118 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuerveranlagungen 1962 und 1963, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) Pachtzahlungen zu versteuern hat, die der Pächter aufgrund eines mit den Töchtern (Nutzungsberechtigte) des Klägers geschlossenen Pachtvertrages unmittelbar an diese geleistet hat.
Der Kläger, ein Landwirt, überließ seinen Töchtern am 4. Oktober 1962 ein Grundstück zur Ausbeutung der gesamten, auf diesem befindlichen Kiesvorkommen. Dieses Recht wurde im Grundbuch nicht eingetragen. Im gleichen Vertrag übertrugen die Töchter das Recht zur Kiesentnahme - bis zur Erschöpfung der Kiesvorkommen - gegen Entgelt auf die Firma L.
Am 29. November 1962 schloß der Kläger mit seinem Sohn einen notariellen Hofübergabevertrag, in dem er ihm mit Wirkung vom 1. Oktober 1962 seinen Hof überließ. Zur Kiesentnahme verpachtete Grundstücke sollten dem Kläger weiterhin zur ausschließlichen Verfügung verbleiben. Auch dieses Recht wurde nicht im Grundbuch eingetragen. Der Vertrag enthielt den Hinweis, daß die Töchter mit dem Recht zur Nutzung und Kiesausbeutung des Grundstücks durch eine anderweitige Vereinbarung abgefunden worden seien. In einer ebenfalls am 29. November 1962 notariell beurkundeten Erklärung verzichteten diese - unter Hinweis auf den Vertrag vom 4. Oktober 1962 - zugunsten ihres Bruders auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht sowie auf eventuelle Ansprüche aus § 13 der Höfeordnung.
Die Firma L. zahlte für entnommenen Kies im Jahre 1962 6 000 DM, im Jahre 1963 21 000 DM an die Töchter.
Aufgrund dieses - ihm durch eine Betriebsprüfung bekanntgewordenen - Sachverhalts erhöhte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung entsprechend, änderte den bereits rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid 1962 und berücksichtigte die Feststellungen des Betriebsprüfers bei der Veranlagung 1963. Es ging dabei davon aus, daß die Zahlungen dem Kläger zuzurechnen seien.
Die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 1962 und 1963, mit denen sich der Kläger gegen diese Zurechnung wandte, wies das FA - unter anderem wegen Berücksichtigung von Absetzung für Substanzverringerung bis zum 30. September 1962 nur teilweise - zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Die Töchter hätten keinen Nießbrauch erworben. Es fehle auch an der erforderlichen Verwaltungsbefugnis, weil der - unkündbare - Kiesausbeutevertrag mit der Firma L. im Rahmen des Vertrages vom 4. Oktober 1962 abgeschlossen worden sei. Daran zeige sich, daß der Vertrag zwischen dem Vater und den Töchtern wirtschaftlich nicht die Übertragung eines Ausbeuterechts, sondern lediglich die Übertragung der hieraus erzielten Einnahmen zum Inhalt haben sollte. Die Verträge vom 4. Oktober 1962 und vom 29. November 1962 stünden in keinem "direkten Zusammenhang".
Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben. Er rügt Verletzung materiellen Rechts (§ 12 Nr. 2 EStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Die von der Firma L. geleisteten Zahlungen für den Abbau der Kiesvorkommen unterliegen beim Kläger nicht der Einkommensteuer. Ob sie ihm als Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (vgl. dazu zuletzt Urteil des BFH vom 5. Oktober 1973 VIII R 78/70, BFHE 111, 43, BStBl II 1974, 130, mit weiteren Nachweisen: Überlassung eines Grundstücks zur Kiesausbeute als Pachtvertrag auch dann, wenn die Kiesvorkommen bis zur Erschöpfung genutzt werden dürfen) zuzurechnen sind - was im Hinblick auf die Unerheblichkeit von besonderen Vereinbarungen als Rechtsgrundlage für Zuwendungen an unterhaltsberechtigte Personen im Rahmen des § 12 Nr. 2 EStG zweifelhaft sein könnte -, kann im Streitfall dahinstehen. Sie sind jedenfalls keine Zuwendungen im Sinne dieser Vorschrift. Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen, die als Gegenleistung für die Überlassung von Vermögensgegenständen oder als Entgelt für Leistungen gewährt werden, sind nicht durch § 12 Nr. 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen (Entscheidung des BVerfG vom 22. Juli 1970 1 BvR 285/66 u. a. , BVerfGE 29, 104, BStBl II 1970, 652 [656]; BFH-Urteil vom 8. Februar 1957 VI 27/56 U, BFHE 64, 550, BStBl III 1957, 207, und - für die Fälle einer vorweggenommenen Erbfolge - z. B. Urteile vom 16. September 1965 IV 67/61 S, BFHE 83, 568, BStBl III 1965, 706 und vom 30. November 1967 IV 137/63, BFHE 91, 84, BStBl II 1968, 264, mit weiteren Nachweisen). Ihr Rechtsgrund liegt nicht in den engen persönlichen Beziehungen der Beteiligten, sondern in der Entgeltlichkeit des Rechtsgeschäfts. Eine solche einschränkende Auslegung des Zuwendungsbegriffs in § 12 Nr. 2 EStG hat die Rechtsprechung auch für den Fall vertreten, daß der Zuwendungsempfänger für seine - späteren - Erb- und Pflichtteilsansprüche abgefunden werden soll (BFH-Urteil vom 10. April 1953 IV 384/52 U, BFHE 57, 400, BStBl III 1953, 157, im Anschluß an die Rechtsprechung des RFH; das BFH-Urteil vom 28. August 1964 VI 247/63, HFR 1965, 22, ließ die Frage für den Fall eines Erbverzichts dahingestellt).
Der Senat schließt sich dieser Ansicht an.
a) Sie entspricht der bürgerlich-rechtlichen Beurteilung eines Erbverzichts gegen Abfindung. Der Erbverzicht als solcher ist zwar - ebenso wie die Übereignung der zur Abfindung dienenden Gegenstände - ein abstraktes Rechtsgeschäft; das schließt aber eine rechtliche Verknüpfung dieser Geschäfte mit einem durch sie erstrebten weiteren Erfolg nicht aus (Urteil des BGH vom 4. Juli 1962 V ZR 14/61, BGHZ 37, 319 [327], mit weiteren Nachweisen). Diese Verknüpfung kann in der Weise erfolgen, daß die Vertragsparteien den Erbverzicht durch Nichtvollzug der Abfindung und die Abfindung durch die Nichterklärung des Erbverzichts auflösend bedingen. Sind die Leistungen der Vertragsparteien in dieser Weise aufeinander bezogen, so ist der Erbverzicht nach bürgerlichem Recht als entgeltlicher anzusehen (allgemeine Meinung vgl. insbesondere Lange in Festschrift für Nottarp, 1961, S. 119 ff.; Ferid in Staudinger, Kommentar zum BGB, § 2325 Anm. 6 im Anschluß an die Motive zum BGB; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Coing, NJW 1967, 1777 [1778 ff.], und Speckmann, NJW 1970, 117 ff.). Das ergibt sich - auch wenn die tatsächliche Anwartschaft des Verzichtenden auf die Erbschaft nicht als gegenwärtiges Vermögensrecht anzuerkennen wäre (so z. B. von Lübtow, Erbrecht, 1. Halbband, 1971, S. 524 mit weiteren Nachweisen) - schon daraus, daß der Verzicht dem Erblasser die Möglichkeit zur freien - auch entgeltlichen - Verfügung durch Testament oder Erbvertrag zurückgibt und wertmindernde Aufteilungen der Erbmasse verhindert werden. Darüber hinaus hat schon der RFH im Urteil vom 30. März 1938 VI 197/38 (Steuer und Wirtschaft Teil II 1938 Nr. 233) darauf hingewiesen, daß der Gegenwert für die vom Verzichtsempfänger geleistete Rente auch einem Dritten - wie im Streitfall dem Bruder - zukommen könne.
b) Der Erbverzicht als Entgelt in diesem Sinne schließt die Anwendung des § 12 Nr. 2 EStG, wenn er im Rahmen einer endgültigen vorweggenommenen Erbfolge ausgesprochen wird, aus. Mit der Abfindung erhält der Verzichtende nur das, was ihm später als Vermögenswert anfallen würde, bereits zu Lebzeiten des Erblassers.
Diesem Ergebnis steht das BFH-Urteil vom 4. September 1959 VI 176/58 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 12 Nr. 2, Rechtsspruch 22) nicht entgegen. Um einen Erbverzicht im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge handelte es sich in diesem Falle gerade nicht; auch sollten die Förderzinsen nur auf den späteren Erbteil angerechnet werden (vgl. auch Urteil VI 247/63, das sich für diesen Fall der Entscheidung VI 176/58 anschließt). Sollte das Urteil darüber hinaus auch Abfindungen in der Form von dauernden Lasten als im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähig ansehen (wie z. B. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 16. Aufl., § 12 EStG, Anm. 10 b), so könnte dem der Senat nicht folgen.
c) Die Einräumung des Rechts auf Kiesausbeutung steht auch in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang mit der Erklärung des Erbverzichts. Die zwischen Vater, Sohn und Töchter geschlossenen Verträge sind aufeinander bezogen. Der am 29. November 1962 beurkundete - rückwirkend auf den 1. Oktober 1962 abgeschlossene - Hofübergabe- und der Erbverzichtsvertrag schließen ausdrücklich an den Abfindungsvertrag vom 4. Oktober 1962 an. Daß dieser seinerseits keinen Hinweis auf den späteren Erbverzichtsvertrag enthält, hat keine Bedeutung. Eine Verknüpfung von Erbverzichtsvertrag und Abfindungsvertrag ist - auch wenn die Parteien einen solchen Willen nicht ausdrücklich erklärt haben - regelmäßig anzunehmen (vgl. Ferid in Staudinger, a. a. O., Vorbemerkung zu § 2346 Rdnr. 79 und 80 mit weiteren Nachweisen). Davon ist im Streitfall auszugehen. Aus dem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Gesamtregelung ergibt sich, daß die Verträge - ungeachtet ihrer äußerlichen Trennung - eine vertragliche Einheit bilden sollten, mindestens aber der Abfindungsvertrag die Erwartung begründete, daß ihm ein Erbverzicht nachfolgen werde. In einem solchen Fall liegt ein einheitlich zu beurteilendes zusammengesetztes Rechtsgeschäft vor (vgl. dazu Urteil des RG vom 29. November 1919 V 260/19, RGZ 97, 219 [220]). Müssen sich die Töchter - zumindest über die Ausfüllung einer Vertragslükke (vgl. dazu näher v. Lübtow, a. a. O., S. 539, 540) - die Erwartung des Klägers auf Abgabe einer Verzichtserklärung nach bürgerlichem Recht redlicherweise entgegenhalten lassen, so ist diese Beurteilung auch für das Steuerrecht verbindlich.
Wenn das FG einen "direkten Zusammenhang" von Erbverzicht und Kiesausbeutevertrag verneinte, so verkannte es diese rechtliche Verbindung der Verträge. Der Senat ist an eine solche - rechtliche - Feststellung nicht gebunden. Die Auslegung des objektiven Gehalts von Willenserklärungen im Rahmen eines zusammengesetzten Rechtsgeschäfts ist Rechtsanwendung und als solche im vollen Umfang der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterworfen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. April 1972 II R 188/71, BFHE 106, 236).
Fundstellen
Haufe-Index 71396 |
BStBl II 1975, 529 |
BFHE 1975, 539 |