Leitsatz (amtlich)
1. Strukturwandel vom landwirtschaftlichen zum gewerblichen Betrieb infolge hoher langfristiger Investitionen.
2. Zur Abgrenzung von Landwirtschaft und Gewerbe bei Hähnchenmast.
Normenkette
EStG § 13 Abs. 1 Nr. 1; GewStDV § 1 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrages 1966, ob der Hähnchenmastbetrieb des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ein gewerbliches Unternehmen ist.
Der Kläger betreibt auf seinem landwirtschaftlichen Anwesen - das er im Dezember 1965 von seiner Mutter übernommen hatte - eine Junghähnchenmast. Im Zeitpunkt der Übernahme waren eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 25,32 ha und ein Hähnchenmaststall mit einer Kapazität von 10 000 Hähnchen pro Durchgang vorhanden. Im Wirtschaftsjahr 1965/66 wurden 55 780 Hähnchen verkauft.
Der Kläger errichtete nach der Übernahme des Anwesens mit einem Kostenaufwand von ca. 120 000 DM einen weiteren Hähnchenmaststall mit einer Kapazität von 20 000 Hähnchen pro Durchgang. Die landwirtschaftliche Nutzfläche betrug in diesem und in den folgenden Jahren 26,45 ha. Im Wirtschaftsjahr 1966/67 wurden insgesamt 157 269 und im Wirtschaftsjahr 1967/68 insgesamt 171 074 Hähnchen verkauft. Im ersten Halbjahr 1968 ließ der Kläger für ca. 230 000 DM einen dritten Hähnchenmaststall mit einer Kapazität von 50 000 Hähnchen pro Durchgang herstellen. Er verpachtete diesen zusammen mit dem von seiner Mutter übernommenen Stall am 1. Juli 1968 an eine gleichzeitig gegründete Familienpersonengesellschaft, deren Gesellschafter der Kläger und seine Mutter sind. Aus der mit dem zurückbehaltenen Stall weiterbetriebenen Hähnchenmästerei verkaufte er in den Wirtschaftsjahren
1968/69 insgesamt 109 029
1969/70 insgesamt 97 811
1970/71 insgesamt 84 073
1971/72 insgesamt 103 111 Hähnchen.
Das FA A, dessen Aufgaben nach der Verordnung zur Bestimmung der Bezirke und Sitze der Finanzämter in Bayern und zur Übertragung von Zuständigkeiten vom 11. April 1973 (BStBl I 1973, 470) auf den Beklagten und Revisionsbeklagten (das FA B) übertragen wurden, hatte zunächst den Gewinn aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr 1966 geschätzt und - nachdem der Kläger gegen den vorläufigen Gewerbesteuermeßbescheid Einspruch eingelegt hatte - durch Einspruchsentscheidung einen einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag in Höhe von 363 DM festgesetzt. Während des Klageverfahrens änderte es diesen Bescheid entsprechend dem in der nachträglich eingereichten Bilanz ausgewiesenen Gewinn und setzte den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 0 DM herab. Der Kläger beantragte, den geänderten Gewerbesteuermeßbescheid gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Er legte einen berichtigten Gewerbesteuerbescheid der Gemeinde vor, mit dem diese den Betrieb zu einer Mindeststeuer von 12 DM heranzog. Streitig ist nur noch, ob der Hähnchenmastbetrieb dem Grunde nach gewerbesteuerpflichtig ist.
Das FG wies die Klage ab. Der Kläger habe den Betrieb, nachdem er ihn von seiner Mutter übernommen habe, neu und größer aufgebaut. Er habe bereits im Wirtschaftsjahr 1966/67 mit großem Kapitaleinsatz neue Ställe gebaut, die Bewirtschaftung intensiviert und die Produktion vervierfacht. Es handle sich um einen Betrieb in der Aufbauphase.
Mit der - vom FG zugelassenen - Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung und den Gewerbesteuermeßbescheid 1966 aufzuheben. Er rügt Verletzung materiellen Rechts (§ 1 GewStDV, § 13 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Die Klage war zulässig. Sie richtete sich gegen den richtigen Beklagten (vgl. z. B. Urteile des BFH vom 15. Dezember 1971 I R 5/69, BFHE 104, 524, BStBl II 1972, 438, und vom 19. November 1974 VIII R 192/72, BFHE 114, 390, BStBl II 1975, 210).
2. Die vom Kläger betriebene Hähnchenmästerei unterliegt als Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG, § 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV).
a) Die vom Kläger gehaltenen Tierbestände überschreiten die in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG i. V. m. § 51 BewG 1965 bestimmten Grenzen.
Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Betriebes des Klägers betrug im Wirtschaftsjahr 1966/67 insgesamt 26,45 ha. Diese Fläche wird nur dann landwirtschaftlich genutzt, wenn auf ihr nicht mehr als (50 + 40 + 60 + 19,35 =) 169,35 Vieheinheiten gehalten werden. Das entspricht - gemäß dem in der Anlage 1 zum Bewertungsgesetz 1965 (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, § 51 BewG 1965) festgelegten Umrechnungsschlüssel nach dem Futterbedarf für Jungmasthühner (0,0017) - einen zulässigen Bestand von 99 617 Hähnchen. Tatsächlich hat der Kläger - wie sich aus der Zahl der verkauften Hähnchen ergibt - im Wirtschaftsjahr 1966/67 mindestens 157 269 Junghähnchen (= 267,35 Vieheinheiten) gemästet. Er hat deshalb die gesetzlich festgelegten Grenzen im Streitjahr um (267,35 - 169,35 =) 98 Vieheinheiten und in den folgenden beiden Jahren um (290,08 - 169,35 =) 120,73 Vieheinheiten und (185,35 - 169,35 =) 16 Vieheinheiten überschritten.
b) Die Tierbestände übersteigen diese Grenzen nachhaltig.
aa) Ein Gewerbebetrieb liegt nur dann vor, wenn eine Tätigkeit nachhaltig ausgeübt wird (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GewStDV). Das gilt nicht nur für die - auf Gewinnerzielung gerichtete - Tätigkeit als solche, sondern ist auch bei der Abgrenzung der gewerblichen von den übrigen in § 1 GewStDV genannten Gewinneinkünften zu beachten. Eine gewerbliche Tätigkeit liegt danach nur vor, wenn sich eine Tätigkeit, die bisher als Ausübung der Landwirtschaft anzusehen war, nachhaltig im Sinne einer gewerblichen Tätigkeit - als einer selbständigen Erwerbsquelle (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 1957 IV 447/55 U. BFHE 64, 441, BStBl III 1957, 165) - verändert hat.
bb) Nachhaltig im Sinne des § 1 Abs. 1 GewStDV ist eine Tätigkeit, die auf Wiederholung angelegt ist (vgl. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1971 I R 49/70, BFHE 104, 178, BStBl II 1972, 291). Nachhaltigkeit ist insbesondere auch dann gegeben, wenn die Tätigkeit auf einem einmaligen Entschluß beruht, die Durchführung aber mehrere Handlungen erfordert (vgl. auch BFH-Urteil vom 17. Januar 1973 I R 191/72, BFHE 108, 190, BStBl II 1973, 260). Dasselbe gilt, wenn die Handlung der Schaffung eines auf die Erzielung von Einnahmen gerichteten Dauerzustandes dient (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 V R 41/68, BFHE 104, 262, BStBl II 1972, 238). Im Gegensatz dazu steht eine Handlung, die keinen Dauerzustand begründen soll.
cc) Die Frage, ob sich die Struktur eines Betriebes verändert hat und wann der Beginn einer solchen Entwicklung eingeleitet wurde, ist nach den gleichen Kriterien zu beurteilen. Danach hat der Kläger den Rahmen der bisher ausgeübten landwirtschaftlichen Tätigkeit nicht nur vorübergehend verlassen. Die Strukturänderung eines Betriebes kann sich in zwei Formen vollziehen: In der Regel stellen sich Handlungen, die eine solche Änderung zur Folge haben, als ein Bündel von Einzelmaßnahmen dar, deren erste vor und deren letzte nach der Wandlung des Betriebes liegen können (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168), und die erst in ihrem Zusammenhang erkennen lassen, ob und von welchem Zeitpunkt ab sie zu einer neuen selbständigen Erwerbsquelle führen. Im Falle eines solchen allmählichen Strukturwandels läßt sich bei Beginn der Entwicklung noch nicht erkennen, ob diese zu einer nachhaltigen Änderung des Betriebs führen wird. Von diesen Fällen sind jene zu unterscheiden, bei denen der Übergang zum Gewerbebetrieb auf einem Entschluß des Steuerpflichtigen beruht und die getroffenen Einzelmaßnahmen der Durchführung dieses Entschlusses dienen. Hier ergibt sich der notwendige klare Zusammenhang mit der neuen Erwerbsquelle regelmäßig aus Art und Umfang dieser Maßnahmen. Die Rechtsprechung des BFH, die für die Beurteilung der Nachhaltigkeit des Übergangs von einer landwirtschaftlichen zu einer gewerblichen Betätigung die Verhältnisse von 3 bis 4 Jahren zugrunde legt (vgl. z. B. Urteile vom 15. November 1956 IV 430/55 U, BFHE 64, 95, BStBl III 1957, 37; IV 447/55 U; zuletzt vom 5. November 1974 VIII R 254/71, BFHE 113, 522, BStBl II 1975, 118; vgl. auch - für die Abgrenzung einer gewerblichen von einer freiberuflichen Tätigkeit - BFH-Urteil vom 24. Juli 1969 IV R 92/67, BFHE 97, 159, BStBl II 1970, 86), betrifft die erste Fallgruppe. Der Streitfall ist der zweiten Fallgruppe zuzuordnen.
Der Entschluß des Klägers, seinen Betrieb auf Dauer in einem Umfang zu erweitern, der über eine landwirtschaftliche Nutzung seiner landwirtschaftlichen Flächen hinausgeht, ergibt sich aus den vorliegenden - einzeln und in ihrer Gesamtheit zu würdigenden - Beweisanzeichen. Gegen die vom FG vorgenommene Würdigung bestehen keine Bedenken. Sie entspricht dem - einfachen - Erfahrungssatz, daß derjenige, der mit einem erheblichen Kostenaufwand langfristige Investition für die Zukunft vornimmt, die erheblich über den Rahmen seines bisherigen Betriebes hinausgehen, diesen für einen längeren Zeitraum erweitern will. Von diesem Erfahrungssatz ist auch im Streitfall auszugehen. Der Kläger hat im Streitjahr ein Stallgebäude errichten lassen, das die bisherige Kapazität seines Betriebes um rd. 2/3 erhöht, obwohl bereits eine Erweiterung um das Doppelte den für die Annahme eines landwirtschaftlichen Betriebs höchstzulässigen Bestand an Hähnchen überschritten hätte. Er hat hierfür rd. 120 000 DM aufgewandt. Die Investitionen reichen über einen Zeitraum von 3 bis 4 Jahren hinaus. Der Kläger hat die geschaffenen Kapazitäten in den Folgejahren voll ausgenützt. Bei diesem Sachverhalt konnte das FG - da Tatsachen nicht ersichtlich sind, die diesen Schluß ernstlich in Frage stellen könnten - zu dem Ergebnis kommen, daß der Kläger den Hähnchenmastbetrieb neu und größer aufbauen wollte.
dd) Da die von der Rechtsprechung für den schrittweisen Strukturwandel eines Betriebes entwickelten Grundsätze im Streitfall nicht anwendbar sind, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Rechtsprechung diesen Zeitraum unmittelbar dem Begriff "Nachhaltigkeit" entnommen hat und dieser damit - wie der Kläger meint - objektiv bestimmt werden sollte, oder ob die Rechtsprechung nur auf einen - einfachen - Erfahrungssatz hinweisen wollte, der bei der Feststellung der Wiederholungsabsicht im Regelfall zu beachten ist (zur objektiven Beurteilung vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 14. November 1963 IV 6/60 U, BFHE 78, 358, BStBl III 1964, 139, mit weiteren Nachweisen). Aus demselben Grunde ist es für die Entscheidung im Streitfall ohne Bedeutung, ob eine zu einer Änderung der bisherigen Struktur des landwirtschaftlichen Betriebes führende Tätigkeit erst nach Ablauf eines Zeitraumes von 3 bis 4 Jahren (so zuletzt BFH-Urteil VIII R 254/71) vorliegt oder - aufgrund einer zusammenfassenden Beurteilung mehrerer Jahre (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 7. September 1965 I 69/63 U, BFHE 83, 495, BStBl III 1965, 677) - bereits zu einem früheren Zeitpunkt als gewerbliche anzusehen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 71842 |
BStBl II 1976, 423 |
BFHE 1976, 205 |