Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Ausstellung eines Kontrollexemplars

 

Leitsatz (NV)

Ist ein Kontrollexemplar nach den Gemeinschaftsvorschriften für das gemeinschaftliche Versandverfahren vor der Ausfuhr einer Ware aus Gründen nicht ausgestellt worden, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, so hat er einen Anspruch auf nachträgliche Ausstellung dieses Dokuments, sofern er die Belege, die für die Ausstellung erforderlich sind, beibringen kann (Anschluß an das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982 Rs. 302/81, EuGHE 1982, 3443).

 

Normenkette

EWGV 223/77

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gestellte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) - durch die Spedition K - am 24. September 1979 eine Warensendung zur Ausfuhrversandabfertigung, die nach den Angaben der Ausfuhrerklärung aus 377 gefrorenen Schweinehälften mit einem Gesamtgewicht von 14 895 kg bestand und nach Argentinien ausgeführt werden sollte. Das HZA fertigte die Sendung ohne Beschau zur Ausfuhr in den Freihafen X ab. Am 25. September 1979 stellte die Klägerin - ebenfalls durch die Spedition K - beim HZA den Antrag, ihr nachträglich ein Kontrollexemplar zu erteilen. Dabei machte sie geltend, die Vorlage des Kontrollexemplars bei der zollamtlichen Behandlung der Sendung sei unterblieben, weil der für ihren zuständigen Sachbearbeiter tätige Vertreter nach einer fernmündlichen Information von seiten der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM) irrtümlich gemeint habe, für die Ausfuhrsendung werde weder Ausfuhrerstattung noch Währungsausgleich gewährt. Das HZA lehnte den Antrag ab. Beschwerde und Klage mit dem Antrag, die Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das HZA zu verpflichten, ihr - der Klägerin - das Kontrollexemplar zu erteilen, hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führt zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen folgendes aus:

Die Klägerin benötige das Kontrollexemplar nach ihrem eigenen Vortrag nur noch als Nachweispapier für die Gewährung einer Ausfuhrerstattung. Davon ausgehend sei das HZA zur nachträglichen Ausstellung des Kontrollexemplars nicht verpflichtet, weil die Ausfuhr aus einem anderen Grunde erstattungsrechtlich ohne Bedeutung sei. Die Gewährung der Ausfuhrerstattung sei nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 192/75 (VO Nr. 192/75) der Kommission vom 17. Januar 1975 über Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 25/1 vom 31. Januar 1975) i.V.m. Art. 2 dieser Verordnung davon abhängig, daß der Zollstelle gegenüber eine Willenserklärung mit dem Inhalt abgegeben werde, die Ware unter Inanspruchnahme einer Ausfuhrerstattung auszuführen. Diese Erklärung müsse durch die Zollstelle angenommen werden. Eine Willenserklärung des genannten Inhalts habe die Klägerin nicht abgegeben. Dazu habe sie auch keinen Anlaß gehabt, weil der tätig gewordene Sachbearbeiter der Klägerin der Meinung gewesen sei, eine Ausfuhrerstattung werde nicht gewährt.Die Klägerin begründet ihre Revision gegen das Urteil des FG im wesentlichen wie folgt:

Sie habe nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 6. Oktober 1982 Rs. 302/81 (EuGHE 1982, 3443) aufgrund des Gemeinschaftsrechts einen Anspruch auf eine nachträgliche Erteilung des Kontrollexemplars. Dieser sei nur davon abhängig, daß die Ausfuhrsendung das geographische Gebiet der Gemeinschaft verlassen habe. Das sei im Streitfall unstreitig und auch belegt. In der Revisionsinstanz sei davon auszugehen, daß sie - die Klägerin - die Nichtausstellung des Kontrollexemplars nicht zu vertreten habe. Das FG habe sich damit nicht auseinandergesetzt.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das HZA zu verpflichten, ihr das beantragte Kontrollexemplar zu erteilen.

Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es verweist auf das Urteil in EuGHE 1982, 3443 und führt aus, in diesem Urteil werde die deutsche Verfahrenspraxis bei der nachträglichen Ausstellung von Kontrollexemplaren rechtlich gestützt. Aus der Entscheidung des EuGH folge, daß in den Fällen, in denen ein Kontrollexemplar nachträglich auszustellen sei, die an sich notwendige, durch das Kontrollexemplar verkörperte Willenserklärung, eine Ware unter Inanspruchnahme einer Ausfuhrvergünstigung ausführen zu wollen, und die Annahme dieser Willenserklärung durch die Zollstelle entbehrlich sei. Dagegen sei nach der Rechtsansicht des FG eine nachträgliche Ausstellung von Kontrollexemplaren in keinem Fall denkbar. Diese Ansicht widerspreche also der genannten Entscheidung des EuGH und könne somit nicht aufrechterhalten werden.

Allerdings sei die Vorentscheidung im Ergebnis richtig, da die Klägerin sich die unterbliebene Beantragung des Kontrollexemplars durch ihren Sachbearbeiter zurechnen lassen müsse. Sie habe den Formmangel, der dem Zahlungsanspruch entgegenstehe, zu vertreten. Das FG habe festgestellt, wie es dazu gekommen sei, daß eine Willenserklärung i. S. des Art. 2 Abs. 2 der VO Nr. 192/75 (Beantragung eines Kontrollexemplars) nicht abgegeben worden sei und nach dem Willen der Klägerin auch nicht habe abgegeben werden sollen. Das FG verweise dazu insbesondere auf die Ausführungen der Klägerin in dem Schreiben vom 9. Oktober 1979, nach dem ihr Sachbearbeiter der Meinung gewesen sei, eine Ausfuhrerstattung für die Schweinehälften werde nicht gewährt. Das FG habe sodann entschieden, daß die Verwaltung unter diesen Umständen nicht verpflichtet sei, nachträglich ein Kontrollexemplar auszustellen, und daß nicht entschieden zu werden brauche, ob unter anderen Umständen eine solche Verpflichtung bestehen würde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Vorentscheidung beruht auf der Auffassung, die Klägerin könne die nachträgliche Erteilung eines Kontrollexemplars zumindest deshalb nicht fordern, weil sie nicht die Willenserklärung i. S. des Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 192/75 abgegeben habe, die streitbefangenen Waren unter Inanspruchnahme einer Erstattung auszuführen, und weil sie aus diesem Grunde eine Ausfuhrerstattung auch dann nicht verlangen könne, wenn ihr das Kontrollexemplar nachträglich erteilt werde. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Das FG hat die Voraussetzungen für die Erteilung eines Kontrollexemplars verkannt.

a) Von welchen Voraussetzungen die Erteilung des beantragten Kontrollexemplars abhängig ist, ergibt sich für den Streitfall aus Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 223/77 (VO Nr. 223/77) der Kommission über Durchführungsbestimmungen und Vereinfachungsmaßnahmen des gemeinschaftlichen Versandverfahrens vom 22. Dezember 1976 (ABlEG L 38/20 vom 9. Februar 1977, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - Z 3251). Dieser Vorschrift kann nicht entnommen werden, daß Voraussetzung für die Erteilung eines Kontrollexemplars die Abgabe der Willenserklärung i. S. des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 192/75 ist.

Damit entfällt die Grundlage für die Schlußfolgerung des FG, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die nachträgliche Erteilung eines Kontrollexemplars. Dieses Ergebnis entspricht auch der Auffassung des HZA.

b) Der Senat folgt der vom HZA aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH, nach der der Betroffene Anspruch auf nachträgliche Ausstellung eines Kontrollexemplars hat, wenn das Dokument vor der Ausfuhr aus Gründen nicht ausgestellt worden ist, ist der Betroffene nicht zu vertreten hat, sofern er die Belege, die für die Ausstellung erforderlich sind, beibringen kann (EuGHE 1982, 3443, 3452). Der EuGH hat diese Entscheidung auf einen von ihm herausgestellten allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts gestützt, nach dem Verfahrensmängel sich für denjenigen, der aufgrund einer Ausfuhr Zahlungen verlangen kann, nicht nachteilig auswirken dürfen, wenn er die Verfahrensmängel nicht zu vertreten hat. Dieser Grundsatz ist, wie das HZA einräumt, auch im Streitfall anwendbar.

Bedenken dagegen ergeben sich nicht daraus, daß nach den Ausführungen des FG möglicherweise zwar nicht im Streitfall, wohl aber in vielen anderen Fällen Schwierigkeiten bestehen können, nach der Ausfuhr die für die Gewährung der Ausfuhrerstattung bedeutsamen Feststellungen insbesondere hinsichtlich der Beschaffenheit der Ware zu treffen. Bestehen derartige Schwierigkeiten, so mag das die Versagung der Ausfuhrerstattung oder auch die Versagung des beantragten Kontrollexemplars rechtfertigen, weil etwa nicht festgestellt werden kann, daß die Angaben über die ausgeführten Waren richtig sind. Es ist aber nicht erkennbar, weshalb solche Schwierigkeiten dazu zwingen sollten, die Abgabe der Willenserklärung i. S. des Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 192/75 und deren Annahme durch die Verwaltung als unabdingbare Voraussetzung für eine Erteilung des Kontrollexemplars zu fordern.

2. Eine Zurückverweisung der Streitsache an das FG ist schon deshalb geboten, weil das FG, da es von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob die Klägerin das Versäumnis einer rechtzeitigen Erteilung eines Kontrollexemplars zu vertreten hat.

Der Auffassung des HZA, in dem Urteil des FG seien ausreichende Feststellungen zur Entscheidung über die Frage enthalten, kann nicht gefolgt werden. In den vom HZA bezeichneten Ausführungen des FG im Tatbestand des angefochtenen Urteils werden nur die Darlegungen der Klägerin zur Begründung ihres Antrags auf nachträgliche Erteilung eines Kontrollexemplars an die Verwaltung wiedergegeben. Den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils, die einen Hinweis auf das Schreiben vom 9. Oktober 1979 enthalten, kann lediglich die Feststellung entnommen werden, der Sachbearbeiter der Klägerin sei der Meinung gewesen, eine Ausfuhrerstattung werde nicht gewährt. Die Ausführungen enthalten aber keine Anhaltspunkte darüber, wie der Sachbearbeiter zu dieser Auffassung gelangt ist. Gerade das kann aber für die Beurteilung der Frage bedeutsam sein, ob die Klägerin das Versäumnis einer rechtzeitigen Erteilung eines Kontrollexemplars zu vertreten hat. Die weiteren vom HZA bezeichneten Ausführungen des FG am Ende der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, es bedürfe keiner Entscheidung, ob die Verwaltung unter anderen Umständen zur nachträglichen Erteilung eines Kontrollexemplars verpflichtet sei, beziehen sich erkennbar auf die unmittelbar vorhergehenden Ausführungen des FG, ein Kontrollexemplar sei nicht zu erteilen, weil die Willenserklärung über die Ausfuhr der Ware unter Inanspruchnahme der Ausfuhrerstattung nicht abgegeben worden sei. Auch diesen Ausführungen können demnach keine Feststellungen darüber entnommen werden, ob die Klägerin die Erteilung eines Kontrollexemplars aus Gründen versäumt hat, die sie selbst zu vertreten hat.

3. Das FG wird vor allem zu prüfen haben, ob die Klägerin es zu vertreten hat, daß ein Kontrollexemplar nicht schon vor der Ausfuhr erteilt worden ist. Diese Entscheidung ist zwar nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen zu treffen. Es wird aber davon ausgegangen werden können, daß auch nach diesen Grundsätzen vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten zu vertreten ist - vgl. dazu auch Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABlEG L 175/1 vom 12. Juli 1979) -.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414396

BFH/NV 1986, 774

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