Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer/Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Der erkennende Senat tritt der Auffassung des I. Senats im Urteil I 246/54 U vom 13. September 1955 (Slg. Bd. 61 S. 314, BStBl 1955 III S. 320) bei, wonach beim Ausscheiden von Produktionsmitteln (Anlagegütern) aus dem Betriebsvermögen, sofern keine Sonderverhältnisse gegeben sind, regelmäßig eine Gewinnverwirklichung angenommen werden muß, wenn ein Erlös erzielt wird, der über dem Buchansatz liegt.
Es kommt dabei grundsätzlich nicht darauf an, ob der Unterschiedsbetrag auf zu hohen Abschreibungen, auf zwingenden Höchstbetragsvorschriften des DMBG (z. B. § 16) oder auf änderungen im Preisgefüge beruht.
Im Falle der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ist der Veräußerungsgewinn dadurch zu erfassen, daß der Veräußerungserlös des Wirtschaftsguts, soweit er über den fiktiven Bilanzwert hinausgeht, als Betriebseinnahme angesetzt wird.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 3, § 6/1/1; DMBG § 16; DMBG § 74/1
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) betreibt eine Gastwirtschaft. Er ermittelt den Gewinn durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben unter Berücksichtigung der Anfangs- und Endbestände an Waren und Schulden. Im Streitjahr hat der Bg. seinen Betrieb von dem Grundstück A-Straße in das Grundstück B-Straße verlegt. Im Zuge dieser Geschäftsverlegung hat er das erstgenannte Anwesen, das er im Jahre 1936 um 16 000 RM gekauft hatte, um 50 000 DM verkauft und um den gleichen Preis das Haus B-Straße erworben. Beide Häuser sind gemischtgenutzte Grundstücke mit überwiegend eigengewerblicher Nutzung. Die Einheitswerte betragen für das Grundstück A-Straße 13.900 RM/DM, für das Grundstück B-Straße 14 600 RM/DM. Den Absetzungen für Abnutzung (AfA) für das erstgenannte Grundstück hat der Bg. den Einheitswert zugrunde gelegt.
Das Finanzamt hat bei der Veranlagung des Bg. zur Einkommensteuer 1953 den von diesem mit 37 424 DM errechneten Gewinn aus der Veräußerung des Anwesens A-Straße zur Besteuerung herangezogen.
Mit dem Einspruch hat der Bg. geltend gemacht, der Veräußerungsgewinn betrage nach richtiger Berechnung nur 17 988 DM, da der Grund und Boden sowie der privat genutzte Teil des Anwesens auszuscheiden seien. Ferner hat er sich unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 4/52 U vom 17. Mai 1952 (Slg. Bd. 56 S. 536, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 III S. 208) gegen die Besteuerung des Veräußerungsgewinns überhaupt gewendet. Beim Kauf des Anwesens A-Straße sei ihm von der Stadt zugesagt worden, daß er den daneben liegenden freien Platz entweder ausbauen oder wirtschaftlich im Rahmen seines Betriebs, z. B. durch eine Gartenwirtschaft, ausnutzen könne. Später sei die Zusage widerrufen worden. Er sei deshalb zum Erwerb eines anderen Anwesens gezwungen gewesen, um für seinen Betrieb eine gesicherte Grundlage zu schaffen. Bei der nach dem genannten Urteil des Bundesfinanzhofs maßgebenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise komme eine Gewinnverwirklichung beim Verkauf des zu den Anlagegütern (Produktionsmitteln) gehörigen Grundstücks nicht in Betracht.
Der Steuerausschuß hat dem Einspruch stattgegeben und die Einkommensteuer auf 0 DM festgesetzt, da nach Abzug des Veräußerungsgewinns ein gewerblicher Verlust geblieben ist. Gegen diese nach seiner Auffassung ungesetzliche Entscheidung hat der Vorsteher des Finanzamts Berufung eingelegt. Die Auflösung der im Wertansatz einzelner Wirtschaftsgüter enthaltenen stillen Rücklagen führe nur dann nicht zu einem steuerpflichtigen Gewinn, wenn das Wirtschaftsgut infolge höherer Gewalt oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheide und ein Ersatzwirtschaftsgut angeschafft werde. Das vom Bg. geschilderte Verhalten der Stadt stelle keinen solchen behördlichen Eingriff dar. Auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 4/52 U vom 17. Mai 1952 könne sich der Bg. nicht stützen, weil in dem späteren Urteil I 246/54 U vom 13. September 1955 (Slg. Bd. 61 S. 314, BStBl 1955 III S. 320) ausgeführt sei, daß beim Ausscheiden von Produktionsmitteln, sofern keine Sonderverhältnisse vorlägen, stets eine Gewinnverwirklichung angenommen werden müsse. Auch die Tatsache, daß die Einheitswerte noch aus der Zeit vor dem 21. Juni 1948 stammten und mit den heutigen Grundstückspreisen nicht mehr in Einklang stünden, rechtfertige keine andere Entscheidung. Niedrigere Einheitswerte wirkten sich bei der Veräußerung nicht anders aus als zu hohe Abschreibungen.
Das Finanzgericht hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen und im wesentlichen folgendes ausgeführt: Wirtschaftlich gesehen könne der vom Finanzamt zur Besteuerung herangezogene Vorgang einem Tausch gleichgestellt werden. Vom Standpunkt des Steuerpflichtigen aus betrachtet sollten keine im Grundstück liegenden stillen Rücklagen verwirklicht, es sollte vielmehr nur erreicht werden, in dem neuen Grundstück künftig einen höheren Gewinn zu erzielen. Ein beim Verkauf eines Wirtschaftsgutes erscheinender Buchgewinn decke die durch Abschreibung oder Wertsteigerung gewonnenen Rücklagen auf. Im vorliegenden Fall sei von dem auf den 21. Juni 1948 festgestellten Einheitswert des Gebäudes A-Straße auszugehen (ß 16 des D-Markbilanzgesetzes - DMBG -, § 13 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -). Dieser liege außerhalb der Grundlinien des § 6 des Einkommensteuergesetzes - EStG -. Durch Abschreibung gebildete Rücklagen hätten bei der Veräußerung nicht verwirklicht werden können, weil der auf den Verhältnissen des Jahres 1935 beruhende Ausgangswert schon für den Beginn der DM-Zeit unter den üblichen Grundstückswerten gelegen habe. Habe im Jahre 1936 der Erwerbspreis mit 16 600 RM mit dem Einheitswert von 13 900 RM noch einigermaßen im Einklang gestanden, so könne dies seit der Bildung eines neuen Preisniveaus mit Einführung der DM nicht mehr gesagt werden. Der im Urteil des Bundesfinanzhofs I 246/54 U vom 13. September 1955 angeführte innere Grund, daß bei Verneinung einer Gewinnrealisierung das neu angeschaffte Wirtschaftsgut - infolge hoher Abschreibungen auf das alte Wirtschaftsgut - mit einem Betrag in der Bilanz erscheinen würde, der seinem inneren Wert, namentlich den tatsächlichen Anschaffungskosten, nicht entsprechen würde, sei gerade für den vorliegenden Fall nicht zutreffend. Der niedrige Buchwert sei nicht auf Abschreibungen, sondern auf die zwingend vorgeschriebenen Bewertungsbestimmungen zurückzuführen. Es entspreche deshalb durchaus der wirklichen Sachlage, wenn statt des neuen Anschaffungspreises der Buchwert, das ist der Einheitswert des alten Gebäudes, fortgeführt werde.
Gegen die Vorentscheidung hat der Vorsteher des Finanzamts Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt und diese im wesentlichen wie folgt begründet: Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 246/ 54 U vom 13. September 1955 könne die Absicht auf Realisierung der stillen Reserven nur verneint werden, wenn Sonderverhältnisse gegeben seien. Solche lägen hier nicht vor. Hierunter seien die in den Einkommensteuer-Richtlinien laufend behandelten Fälle wie höhere Gewalt (z. B. Brand, Diebstahl usw.) und behördliche Eingriffe (z. B. drohende Enteignung, Inanspruchnahme für Verteidigungszwecke usw.) zu verstehen. Der Bg. habe im Berufungsverfahren ausdrücklich betont, daß beim Verkauf solche Umstände nicht vorgelegen hätten.
Die übertragung der stillen Rücklagen auf das erworbene Grundstück würde eine Durchbrechung des Einkommensteuerrechts darstellen. Auch bei der nach Urteil I 4/52 U vom 17. Mai 1952 maßgebenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise könne das erworbene Grundstück nicht mit dem verkauften gleichgestellt werden. Der Verkauf des bisherigen und der Erwerb des neuen Grundstücks stellten zwei getrennte wirtschaftliche Vorgänge dar. Die geringe Abweichung der beiden Einheitswerte voneinander spreche nicht für einen tauschähnlichen Vorgang. Für den Bg. sei das erworbene Grundstück wesentlich wertvoller als das bisherige, wie sich aus der erheblichen Steigerung seiner Umsätze nach der Verlegung des Betriebs ergebe.
Abwegig erscheine schließlich die Auffassung des Finanzgerichts, eine Gewinnverwirklichung könne allein aus der Bewertungsbestimmung des § 16 DMBG (Ansatz des auf den Wertverhältnissen von 1935 beruhenden Einheitswerts als Höchstwert) nicht entstehen. Die nach dieser Bestimmung angesetzten Werte stellten nach § 74 DMBG die Ausgangswerte für die Steuern vom Einkommen und Ertrag dar und seien nach der Koppelungsvorschrift des § 75 DMBG auch für die Steuern vom Vermögen einschließlich des Lastenausgleichs maßgebend. In den Einkommensteuer-Richtlinien (1950 Abschn. 47 bzw. 1953 Abschn. 28) werde ausdrücklich hervorgehoben, daß auch solche stillen Rücklagen bei ihrer Auflösung steuerpflichtig seien, die bei der Bewertung in der DM-Eröffnungsbilanz gemäß § 74 DMBG entstanden seien. Es hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung bedurft, um diese den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts entsprechende Folgerung auszuschließen. Sie sei auch nicht unbillig, da die Steuerpflichtigen aus der Fortführung der niedrigen Einheitswerte auch erhebliche Vorteile, insbesondere auf dem Gebiet der Vermögensteuer und des Lastenausgleichs, hätten.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
Werden zum Betriebsvermögen gehörige Wirtschaftsgüter veräußert und wird hierbei ein über dem Buchwert liegender Erlös erzielt, so stellt der Unterschiedsbetrag grundsätzlich einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn dar. Dieser Grundsatz gilt, wie durch das vom Finanzamt angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs I 246/54 U vom 13. September 1955 klargestellt wird, für die durch Verkauf wie für die durch Tausch vorgenommenen Veräußerungen, ferner für Wirtschaftsgüter des Umlaufsvermögens wie für solche des Anlagevermögens.
Sonderverhältnisse, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, hält das Finanzamt im vorliegenden Fall mit Recht nicht für gegeben. Das Grundstück A-Straße ist nicht gegen den Willen des Bg. durch höhere Gewalt oder behördlichen Eingriff (vgl. hierzu das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 11/44 vom 3. Mai 1944, Reichssteuerblatt - RStBl - 1944 S. 619) aus seinem Betriebsvermögen ausgeschieden. Der Widerruf der von der Stadt früher gegebenen Zusage mag zwar der Anlaß für die Veräußerung gewesen sein; sie beruhte jedoch auf dem freien Willensentschluß des Bg. und sollte der Sicherung und Erweiterung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Betriebs dienen. Daß etwa im Hinblick auf die nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 4/52 U vom 17. Mai 1952 maßgebende wirtschaftliche Betrachtungsweise eine übertragung der stillen Rücklagen auf das erworbene Grundstück gerechtfertigt wäre, hat das Finanzamt unter Hinweis auf den erheblich höheren Wert, den dieses Grundstück für den Bg. gehabt hat, ebenfalls zutreffend verneint. Wie der Reichsfinanzhof in dem Urteil VI 754/39 vom 10. April 1940 (RStBl 1940 S. 595) ausgesprochen hat, ist in solchen Fällen grundsätzlich eine Gewinnverwirklichung anzunehmen.
Beizutreten ist auch den Ausführungen der Rb., mit denen sie sich gegen die Auffassung des Finanzgerichts wendet, eine Gewinnverwirklichung könne allein aus der Bewertungsbestimmung des § 16 DMBG nicht entstehen. Mit Recht weist insbesondere das Finanzamt darauf hin, daß diese Folge nur durch eine gesetzliche Bestimmung hätte ausgeschlossen werden können. Im übrigen wären im vorliegenden Fall auch ohne die Bewertungsvorschrift des DMBG stille Rücklagen gebildet worden, da der tatsächliche Anschaffungspreis des Grundstücks nur unwesentlich über dem Einheitswert liegt.
Das Finanzgericht legt schließlich die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in den Urteilen I 4/52 und I 246/54 U zu eng aus, wenn es meint, daß nur zu hohe Abschreibungen, nicht aber eine änderung des Preisgefüges zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn führen könnten. Daß eine solche Einschränkung nicht beabsichtigt war, ergibt sich aus der in den beiden Urteilen enthaltenen Bezugnahme auf die Ausführungen von Schmalenbach, Dynamische Bilanz, 8. Aufl., S. 157. Dort wird die Auffassung vertreten, daß es bei Preisänderungen von Anlagegütern wirtschaftlich nicht gerechtfertigt wäre, das niedrige Preisniveau des alten Wirtschaftsgutes auf das Ersatzgut durch Schaffung von Rückstellungen zu übertragen.
Im Streitfall besteht die Besonderheit, daß der Bg. seinen Gewinn durch einen auf Waren und Schulden beschränkten Vermögensvergleich (ß 4 Abs. 1 EStG), im übrigen aber durch Einnahme-Ausgabe-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Diese vereinfachte Art der Gewinnermittlung führt aber nicht zur Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns. Dieser ist vielmehr dadurch zu erfassen, daß der Veräußerungserlös des Wirtschaftsgutes (hier des Grundstücks unter Ausscheidung des Grund und Bodens und des privat genutzten Teiles), soweit er über den fiktiven Bilanzwert hinausgeht, als Betriebseinnahme angesetzt wird (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 5. Aufl., Tz. 371 zu §§ 4, 5, und Sambale, Deutsche Steuer-Zeitung 1955, S. 189; vgl. auch § 7a EStDV 1953).
Hiernach waren die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung wegen Rechtsirrtums aufzuheben. über die Höhe des vom Bg. mit 17 988 DM errechneten, der Besteuerung zu unterwerfenden Veräußerungsgewinns und des von ihm ausgewiesenen laufenden Verlustes für 1953 von 587 DM besteht kein Streit.
Fundstellen
Haufe-Index 408746 |
BStBl III 1957, 195 |
BFHE 1957, 521 |
BFHE 64, 521 |
BB 1957, 536 |
DB 1957, 496 |