Leitsatz (amtlich)
I. Zur richterlichen Entscheidung über einen nach § 5 Abs. 4 der Ersten VO zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich zu gewährenden Erlaß von Zinsen oder eine Aussetzung von Tilgungsleistungen auf Umstellungsgrundschulden sind die Steuer gerichte zuständig. II. Werden auf Grund des § 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof bei anderen Gerichten anhängige Klagen oder Rechtsmittel an den Bundesfinanzhof abgegeben, so hat der Bundesfinanzhof über die Sache wie bei einer Rechtsbeschwerde zu entscheiden; dabei unterliegt es seinem Ermessen, ob er endgültig entscheiden oder eine nicht spruchreife Sache an eine untere Instanz zurückverweisen will. III. Notwendig im Sinne des § 5 Abs. 4 der Ersten VO zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich sind die Aufwendungen, die -- unter Ausschaltung der nicht durch die Umstände bedingten Schönheitsreparaturen -- im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks der Instandhaltung und Instandsetzung dienen, dem Verfall der Gebäude steuern und durch Beseitigung von Kriegsschäden die Raumnot lindern.
Normenkette
1. VO zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948, WiGBl. S. 88 § 5 Abs. 4; Gesetz über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950, BGBl. S. 257 § 5 Abs. 2
Tatbestand
Auf den Bescheid vom 2. Mai 1952 hat der Vorsteher des Finanzamts mündliche Verhandlung beantragt.
Der Senat hat das mündliche Vorbringen der Beteiligten, insbesondere auch des Vertreters des Bundesministers der Finanzen und des Finanzamts München-Süd eingehend gewürdigt. Er sieht jedoch keine Veranlassung, von der Entscheidung vom 2. Mai 1952 abzugehen.
Die Vorentscheidung des Verwaltungsgerichts und der Oberfinanzdirektion unterliegen der Aufhebung. Die Sache geht an das Finanzamt zurück, das weitere Ermittlungen im Sinne der Ausführungen des Bescheids vom 2. Mai 1952 anzustellen haben wird.
Der Beschwerdeführer (Bf.) und seine Ehefrau sind als Eigentümer des Grundstücks Schuldner von Zins- und Tilgungsleistungen auf Umstellungsgrundschulden. Sie haben gemäß § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich (Erste DVO) vom 7. September 1948 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets -- WiGBl. -- S. 88) wegen nicht ausreichender Erträgnisse des Grundstücks den Antrag gestellt, von den für das zweite Halbjahr 1948 fälligen Zinsen 352,47 DM zu erlassen und die Einziehung von Tilgungsleistungen in Höhe von 434,61 DM auszusetzen. Sie haben eine Hausabrechnung vorgelegt, die Aufwendungen für Unterhaltung und Instandsetzung in Höhe von 1 556,26 DM für den in Frage kommenden Zeitraum ausweist.
Das Finanzamt hat dem Antrag nur teilweise stattgegeben, indem es die Einziehung von 62,82 DM Tilgungsleistungen aussetzte. Auf die Beschwerde der Schuldner hat die Oberfinanzdirektion die Entscheidung des Finanzamts bestätigt unter Berufung auf die Erlaßrichtlinien des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen (Bayer. Staatsanzeiger 1949 Nr. 9), nach denen bei der Errechnung der Vergünstigung des § 5 Abs. 4 a. a. O. Aufwendungen für Unterhaltung und Instandsetzung nur bis zur Höhe von 25 % der Mieterträgnisse berücksichtigt werden dürfen.
Gegen die Entscheidung der Oberfinanzdirektion haben die Schuldner Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Dieses sah seine Zuständigkeit als gegeben an und hob die Vorentscheidungen auf. Zur Begründung führte es aus:
Dem Schuldner von Zins- und Tilgungsleistungen auf Umstellungsgrundschulden sei durch die Vorschrift des § 5 Abs. 4 a. a. O. ein Rechtsanspruch nicht eingeräumt. Die Entscheidung sei in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Finanzamt und Oberfinanzdirektion hätten jedoch von dem ihnen eingeräumten Ermessen keinen dem Gesetz entsprechenden Gebrauch gemacht. Aufgabe des Finanzamts sei es, nunmehr zu prüfen, welche Aufwendungen als notwendig anerkannt werden müssen. Bei der Prüfung sei ein strenger Maßstab anzulegen, keinesfalls dürfe die Entscheidung schematisch auf 25 % der Mieterträge begrenzt werden.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat der Staatsanwalt als Vertreter der öffentlichen Interessen Berufung an den Verwaltungsgerichtshof eingelegt. Dieser hat den Streitfall zur Entscheidung an den Bundesfinanzhof abgegeben. Der Bundesminister der Finanzen ist gemäß § 287 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) dem Verfahren beigetreten. Er hat mündliche Verhandlung beantragt. Es erscheint dem Senat angezeigt, gemäß § 294 Abs. 2 AO einen Bescheid zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Es braucht in diesem Verfahren nicht geprüft zu werden, ob die Verpflichtungen auf Grund des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 2. September 1948 in der Fassung vom 10. August 1949 (WiGBl. S. 232) bürgerlich- oder öffentlich-rechtlicher Natur sind. Im vorliegenden Falle handelt es sich um die Frage, ob einem Schuldner nach § 5 Abs. 4 DVO eine Vergünstigung zu gewähren ist, und diese Entscheidung ist durch ausdrückliche Vorschrift den Finanzämtern und den oberen Finanzbehörden (den Oberfinanzdirektionen) übertragen mit der Maßgabe, daß die Vorschriften der Reichsabgabenordnung über das Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden sind. Trotz der Beschränkung des Rechtsmittelzuges in § 5 Abs. 4 a. a. O. auf das Beschwerdeverfahren steht dem Schuldner auf Grund des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) der erweiterte gerichtliche Rechtsschutz zur Verfügung (Gutachten des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr.Sen. D 1/51 S vom 17. April 1951, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1951 III S. 107), wobei in letzter Instanz die Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs gegeben ist. § 5 Abs. 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (Bundesgesetzblatt -- BGBl. -- S. 257), der sich mit der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs beschäftigt, schreibt die Abgabe der zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes bei anderen Gerichten anhängigen Klagen oder Rechtsmittel, für die ein letztinstanzliches Rechtsmittel an den Bundesfinanzhof gegeben ist, an den Bundesfinanzhof vor.
Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (23. Mai 1949) ist nach dem Gutachten des Großen Senats auch in den Fällen, in denen infolge besonderer Bestimmungen einzelner Länder früher die Verwaltungsgerichte zuständig waren, die ausschließliche Zuständigkeit der Steuergerichte eingetreten. Die bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Bundesfinanzhof bei anderen Gerichten anhängigen oder später anhängig gewordenen Klagen und Rechtsmittel sind an den Bundesfinanzhof abzugeben (§ 5 Abs. 2 des Gesetzes vom 29. Juni 1950). Der Wortlaut des § 5 Abs. 2 läßt nicht erkennen, ob der Bundesfinanzhof in allen an ihn abgegebenen Streitsachen zur Entscheidung berufen oder gegebenenfalls zur Weiterleitung an eine untere Instanz berechtigt oder verpflichtet ist. Der Senat legt die Vorschrift dahin aus, daß ihm mit der Abgabe an ihn auch in einem der Rechtsbeschwerde ähnlichen Verfahren die Entscheidung ohne Rücksicht darauf übertragen ist, in welchem Stadium des Verfahrens sich die Sache im Zeitpunkt der Abgabe befand. Darüber, ob er endgültig entscheiden oder eine nicht spruchreife Sache mit Weisungen an eine untere Instanz zurückverweisen bzw. verweisen will, hat er nach pflichtmäßigem Ermessen zu befinden.
Das vom Verwaltungsgericht gefällte Urteil vom 20. September 1950 unterliegt wegen Unzuständigkeit des Gerichts der Aufhebung. Die Sache ist nicht spruchreif.
Der erkennende Senat hat in dem Verfahren III 132/51, dem der Bundesminister der Finanzen beigetreten ist, zu dem hier streitigen Problem, ob dem Schuldner von Zins- und Tilgungsleistungen auf Umstellungsgrundschulden aus § 5 Abs. 4 Erste DVO ein Rechtsanspruch zusteht oder ob die Entscheidung in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt ist, Stellung genommen. Er hat dahin entschieden, daß dem Schuldner trotz der Fassung als Kann-Vorschrift ein Rechtsanspruch zusteht, wenn und soweit die in § 5 Abs. 4 genannten Leistungen bei Vorliegen der dort einzeln aufgeführten Voraussetzungen aus den Erträgnissen des Grundstücks nicht aufgebracht werden können, und daß für eine Entscheidung nach dem Ermessen der Verwaltungsbehörden kein Raum ist. Zur Begründung hat der Bundesfinanzhof in dem Urteil III 132/51 S vom 31. Januar 1952, BStBl. Teil III S. 53, ausgeführt:
"Zugegeben ist, daß die Bezeichnung der Vorschrift als Kann-Vorschrift zu Mißdeutungen Anlaß geben kann. Die Fassung ist möglicherweise daraus zu erklären, daß die Formulierung zweier Vergünstigungen, die auf ganz verschiedenen Ebenen vorgesehen sind und von denen die eine unzweifelhaft dem Umfange nach in das Ermessen der Verwaltung gestellt ist, in einem Satz zusammengefaßt ist. Doch kann dies dahingestellt bleiben. Die Ausdrucksweise ist nicht entscheidend So hat auch der Oberste Finanzgerichtshof in dem Urteil III 62/49 S vom 29. Oktober 1949 (abgedruckt im Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen -- Bay.FMBl. -- 1949 S. 429) ausgesprochen, daß die Anwendung eines eine Vergünstigung gewährenden Ministerialerlasses der Nachprüfung durch die Steuergerichte unterliegt, obwohl sich der Erlaß seiner Ausdrucksweise nach mit der Erhebung nur "einverstanden" erklärt. Entscheidend ist, daß § 5 Abs. 4 Erste DVO, eine Rechtsverordnung, im ersten Teil eindeutig ausspricht, unter welchen bestimmt normierten Voraussetzungen und in welchem Umfange die Vergünstigung gewährt werden soll. Der Senat gelangt daher zu dem Ergebnis, daß die Kann-Vorschrift des § 5 Abs. 4 a. a. O. dem Schuldner einen Rechtsanspruch gewährt, wenn die Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind. Ein Ermessensmaßstab ist nicht vorgesehen. Für Entschließungen der Verwaltung, die den Umfang der Vergünstigung begrenzen, ist daher kein Raum."
Die Sache geht an das Finanzamt zurück, das auf Grund der Entscheidung des Senats III 132/51 S vom 31. Januar 1952 zu untersuchen haben wird, welche Kosten der Hausabrechnung als notwendig im Sinne des § 5 Abs. 4 a. a. O. anerkannt werden müssen. In der Entscheidung III 132/51 S hat der Senat ausgesprochen, daß bei der Prüfung der Aufwendungen ein strenger Maßstab anzulegen ist. Notwendig im Sinne des § 5 Abs. 4 a. a. O. sind die Aufwendungen, die -- unter Ausschaltung der nicht durch die Umstände bedingten Schönheitsreparaturen -- im Rahmen einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks der Instandhaltung und Instandsetzung dienen, dem Verfall der Gebäude steuern und durch Beseitigung von Kriegsschäden die Raumnot lindern.
Fundstellen
Haufe-Index 407457 |
BStBl III 1952, 207 |
BFHE 1953, 532 |