Leitsatz (amtlich)
1. Die in dem Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen 203 114 vom 22. Dezember 1949, Niedersächs. Amtsbl. 1950 S. 3, veröffentlichten Richtlinien für die Behandlung der Anträge auf Erlaß fälliger Leistungen aus Umstellungsgrundschulden enthalten lediglich Verwaltungsanweisungen.
2. Der Schuldner hat auf Grund des § 5 Absatz 4 a. a. O. einen Rechtsanspruch auf Erlaß oder Ermäßigung fälliger Leistungen, soweit diese bei Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen aus den Erträgnissen des Grundstücks nicht aufgebracht werden können. Die Fassung "können erlassen werden" steht dem nicht entgegen.
Normenkette
Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948 - WiGBl. S. 88 (§ 5 Abs. 4); Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948 - WiGBl. S. 88 (§ 14)
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) hat beantragt, die von ihm auf Grund des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich in der Fassung des Gesetzes vom 10. August 1949, Gesetz- und Verordnungsblatt der Verwaltung des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (WiGBl.) S. 232, für 1949 zu bewirkenden Leistungen zu erlassen, weil der Ertrag des Grundstücks keinen ausreichenden Überschuß ergebe. Der Bf. hat eine Aufstellung eingereicht, nach der die Aufwendungen für Unterhaltung und Instandsetzung im Jahr 1949 8395,13 DM betragen. Das Finanzamt hat dem Antrag nicht stattgegeben unter Berufung darauf, daß nach den Richtlinien für die Behandlung der Anträge auf Erlaß fälliger Leistungen auf Umstellungsgrundschulden, die der Niedersächsische Minister der Finanzen in dem Erlaß vom 22. Dezember 1949, Niedersächs. Amtsbl. 1950 S. 3, veröffentlicht hat, Aufwendungen nur in Höhe von 25 % der Mietserträge berücksichtigt werden dürfen. Bei Zugrundelegung dieser Richtlinien verbliebe ein ausreichender Überschuß. Der Bf. greift die Richtlinien des Niedersächsischen Finanzministers als nicht rechtswirksam an und bezeichnet sie als einen internen Verwaltungserlaß, der Rechte, die in § 5 Absatz 4 der Ersten Durchführungsverordnung (1.DVO) vom 7. September 1948 (WiGBl. S. 88) gewährt seien, nicht verkürzen dürfe. Der Oberfinanzpräsident hat die Beschwerde zurückgewiesen, das Finanzgericht ist seiner Auffassung beigetreten. Gegen diese Entscheidung hat der Bf. Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Bundesminister der Finanzen, der für das Jahr 1950 in dem Erlaß vom 8. März 1951 L A 8230 I 50/51, Bundessteuerblatt (BStBl.) I S. 255, entsprechende Richtlinien aufgestellt hat, ist dem Verfahren beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen. I. Der Streit geht um die Frage, ob dem Schuldner durch § 5 Absatz 4 der 1. DVO ein Rechtsanspruch eingeräumt worden oder die Gewährung der dort vorgesehenen Vergünstigungen bzw. der Umfang derselben in das Ermessen der Verwaltungen gestellt ist, und ob die Richtlinien des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 22. Dezember 1949 die Grenzen des Ermessens überschreiten.
Die Auffassung des Bundesministers der Finanzen geht dahin,
daß der Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 22. Dezember 1949 der richterlichen Nachprüfung nur insoweit unterliegt, als zu untersuchen ist, ob nicht bei seiner Formulierung oder bei seiner Anwendung die Verwaltung unsachlich oder willkürlich die vom Gesetz gezogenen Ermessungsgrenzen überschritten hat,
daß der Erlaß einen solchen Fehler nicht enthält,
daß auch keine Tatsachen vorgebracht sind, wonach bei Anwendung des Erlasses im konkreten Beschwerdefall ein derartiger Ermessensmißbrauch vorgekommen wäre,
daß die richterliche Nachprüfung sich nicht darauf erstreckt, ob im Erlaß "die Kosten für die notwendige Unterhaltung und Instandsetzung" eines Grundstücks oder anderer Aufwendungen in größerem oder geringerem Umfange berücksichtigt worden sind, weil der Gesetzgeber diese Entscheidung dem pflichtgemäßen, aber freien Ermessen der Verwaltung übertragen wollte,
daß aber auch die rechtlich unbeachtliche, weil nur im Ermessensbereich der Verwaltung zu stellende Frage, ob gemäß Ziffer 5 des Erlasses (im Zusammenhang mit Ziffer 6) "die Kosten notwendiger Unterhaltung und Instandsetzung des Grundstücks" ausreichend berücksichtigt sind, zu bejahen wäre.
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Die Erste Durchführungsverordnung hat in § 14 den Landesregierungen die Ermächtigung erteilt, mit Zustimmung des Direktors der Verwaltung für Finanzen die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften sowie Richtlinien für die Verwaltung der Grundschulden, soweit es sich um Rechte an Grundstücken in ihrem Land handelt, zu erlassen. Die Ermächtigung beschränkt sich, soweit steuerliche Belange in Frage kommen, auf "allgemeine Verwaltungsvorschriften". Auf Grund dieser Ermächtigung hat das Niedersächsische Staatsministerium am 23. September 1948 eine Anordnung erlassen (Niedersächs. Amtsbl. 1948 S. 272). Die Anordnung enthält lediglich eine für die steuerliche Behandlung in Frage kommende Bestimmung, die vorsieht, daß die Entscheidung über Anträge von Schuldnern auf Erlaß fälliger Leistungen gemäß § 5 Absatz 4 1. DVO dem Belegenheitsfinanzamt übertragen wird (§ 4 Absatz 2 a. a. O.).
Diese Anordnung hält sich im Rahmen der Ermächtigung, die im § 14 1. DVO den Landesregierungen erteilt ist. In ihr wird sodann der Erlaß der zur Durchführung der Anordnung erforderlichen Verwaltungsvorschriften dem Niedersächsischen Minister der Finanzen übertragen.
Der strittige Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 22. Dezember 1949 nimmt in seinen Eingangsworten auf § 6 der "Anordnung" vom 23. September 1948 Bezug. Die in dem Erlaß enthaltenen Richtlinien für die Behandlung der Anträge gehen jedoch über die in § 6 gegebene Ermächtigung, die sich nur auf die Zuständigkeitsregelung des § 4 Absatz 2 beziehen kann, hinaus. Hatte schon § 14 1. DVO den Landesregierungen keine Ermächtigung erteilt, Richtlinien materiellen Inhalts aufzustellen, und hat sich das Niedersächsische Staatsministerium in der Anordnung vom 23. September 1948 richtig auf die Bestimmung des zuständigen Finanzamts zur Bearbeitung der gestellten Anträge beschränkt, so folgt daraus, daß der Erlaß des Niedersächsischen Ministers der Finanzen durch keine Ermächtigung gedeckt ist.
Soweit der Erlaß Milderungsvorschriften enthält, sind diese nach den allgemeinen Grundsätzen über Milderungserlasse zu behandeln. Im übrigen sind die Richtlinien lediglich Verwaltungsanordnungen für den internen Dienstbetrieb der Finanzämter und vermögen die Steuergerichte nicht zu binden.
III. Für die Entscheidung der strittigen Frage kommt es lediglich darauf an, wie § 5 Absatz 4 der Durchführungsverordnung auszulegen ist.
§ 5 Absatz 4 gewährt zwei Vergünstigungen. Die erste Vergünstigung geht von der wirtschaftlichen Lage des Grundstücks, dem Ertrag desselben, aus. Die zweite Vergünstigung nimmt auf die individuellen Verhältnisse des Eigentümers Bezug. Beide Vergünstigungen sind in einem Satz zusammengefaßt. Nach dem Wortlaut können sie auf Antrag des Schuldners gewährt werden.
Die Fassung des § 5 Absatz 4 läßt den Eindruck entstehen, daß es sich bei beiden Vergünstigungen um solche handelt, deren Umfang in das Ermessen der Verwaltung gestellt ist. Bei dem Erlaß von Leistungen auf Grund der individuellen wirtschaftlichen Lage des Schuldners trifft dies zu. Die Zusammenfassung beider Vergünstigungen in einem Satz zwingt aber nicht dazu anzunehmen, daß die Voraussetzungen für beide die gleichen sein müssen.
Der Bf. ist der Meinung, daß ihm ein Rechtsanspruch eingeräumt sei, der erfüllt werden müsse, wenn die in § 5 Absatz 4 normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Andererseits hat der Bundesminister der Finanzen darauf verwiesen, daß bei der Schaffung der Bestimmungen der Ersten Durchführungsverordnung die Auffassung aller beteiligten Faktoren dahin gegangen sei, keinen Rechtsanspruch zu gewähren, sondern den Umfang der Vergünstigungen nach dem Ermessen der Verwaltungen zu bestimmen.
Der Bundesminister der Finanzen hat, da er in den Gesetzesmaterialien eine Auskunft hinsichtlich der Auslegung des § 5 Absatz 4 vermißt, eine Äußerung des mit der Formulierung betraut gewesenen Referenten des Rechtsamts der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes veranlaßt. Dieser hat den bei den Beratungen hinsichtlich der zu gewährenden Vergünstigungen gewonnenen Eindruck dahin zusammengefaßt, es habe Übereinstimmung bestanden, die Entscheidung, in welchem Umfange eine Ermäßigung eintreten solle, dem Ermessen der Verwaltung zu überlassen. Es kann aber nur darauf ankommen, welchen Inhalt die gesetzgebenden Faktoren der Vergünstigungsbestimmung schließlich gegeben haben.
Zuzugeben ist, daß die Bezeichnung der Vorschrift als "Kann-Vorschrift" zu Mißdeutungen Anlaß geben kann. Die Fassung ist möglicherweise daraus zu erklären, daß die Formulierung zweier Vergünstigungen, die auf ganz verschiedenen Ebenen vorgesehen sind und von denen die eine unzweifelhaft dem Umfange nach in das Ermessen der Verwaltung gestellt ist, in einem Satz zusammengefaßt ist. Doch kann dies dahingestellt bleiben. Die Ausdrucksweise ist nicht entscheidend. So hat auch der Oberste Finanzgerichtshof in dem Urteil III 62/49 S vom 29. Oktober 1949, abgedruckt im Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1949 S. 429, ausgesprochen, daß die Anwendung eines eine Vergünstigung gewährenden Ministerialerlasses der Nachprüfung durch die Steuergerichte unterliegt, obwohl sich der Erlaß seiner Ausdrucksweise nach mit der Regelung nur "einverstanden erklärt".
Entscheidend ist, daß § 5 Absatz 4 1. DVO, einer Rechtsverordnung, im ersten Teil eindeutig ausspricht, unter welchen bestimmt normierten Voraussetzungen und in welchem Umfange die Vergünstigung gewährt werden soll. Der Senat gelangt daher zu dem Ergebnis, daß die Kann - Vorschrift des § 5 Absatz 4 dem Schuldner einen Rechtsanspruch gewährt, wenn die Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind. Ein Ermessensmaßstab ist nicht vorgesehen. Für Entschließungen der Verwaltung, die den Umfang der Vergünstigung begrenzen, ist daher kein Raum.
Diese Auslegung wird gestützt durch die im Öffentlichen Anzeiger Nr. 8 vom 24. September 1948 auf S. 3 abgedruckte Begründung zur "Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948 (Steuerdurchführungsverordnung)". Die Begründung enthält positive Hinweise, mit welcher Einstellung die gesetzgebenden Faktoren an die Regelung herangegangen sind. In ihr heißt es:
"§ 5 regelt praktische Fragen der Verwaltung der Grundschuld. Die Grundschuld soll weder ein Hemmschuh für eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung oder Verwaltung des belasteten Grundstücks sein, noch soll sie bei Ruinengrundstücken zu unbilligen Härten für den Schuldner führen, wenn die Reinerträge des Grundstücks für einen geordneten Zinsendienst nicht ausreichen oder ein sonstiger unverschuldeter Notstand vorliegt."
Die Begründung fährt dann zu § 5 Absatz 4 fort:
"Nach Absatz 4 können Leistungen erlassen werden, entweder weil der Reinertrag des Grundstücks nicht ausreicht oder weil die Einziehung aus sonstigen Gründen zu offenbaren Härten führen würde. Der erste Fall wird insbesondere für den bombengeschädigten Schuldner zutreffen. Soweit Grundstücke, z. B. durch Kriegseinwirkungen, notleidend geworden sind, soll die fehlende Rentabilität des Grundstücks für die Leistungen aus der Grundschuld entsprechende Berücksichtigung finden. Fällige Leistungen, die aus dem Reinertrag des Grundstücks nicht aufgebracht werden können, können erlassen werden. Auch andere Fälle mangelnder Rentabilität des Grundstücks fallen unter die Vorschrift. Das sonstige Vermögen des Schuldners bleibt dabei außer Betracht."
Die Begründung bestätigt die Auffassung, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß die Erträgnisse des Grundstücks für die zu bewirkenden Leistungen ausreichen sollen. Dem wird die Bestimmung des § 5 Absatz 4 1. DVO gerecht, indem sie ausspricht, daß ein Erlaß möglich ist, insoweit die Leistungen "aus den Erträgnissen des Grundstücks unter Berücksichtigung der öffentlichen Lasten, der Kosten für die notwendige Unterhaltung und Instandsetzung und der Verpflichtungen aus vorgehenden Rechten Dritter nicht aufgebracht werden können".
Es ist dem Bundesminister der Finanzen auch zuzugeben, daß bei dieser Auslegung die Vergünstigung gerade dem wirtschaftlich stärkeren Schuldner zugute kommt, der in der Lage ist, die Mittel für größere Aufwendungen aufzubringen. Dieses Ergebnis tritt aber zwangsläufig überall dort ein, wo der Gesetzgeber steuerliche Folgen an Aufwendungen knüpft. In den Fällen der §§ 7 a ff. des Einkommensteuergesetzes liegt die Sache nicht anders.
Danach ist die Rechtsauffassung des Bf. zutreffend. Bei der Entscheidung über einen auf § 5 Absatz 4 gestützten Erlaßantrag ist allein zu prüfen, ob die dort normierten Voraussetzungen erfüllt sind, im vorliegenden Falle, ob die Erträgnisse des Grundstücks unter Berücksichtigung der Kosten für die notwendige Unterhaltung und Instandsetzung ausreichen. Die Bestimmung des Umfanges der Vergünstigung ist dem Ermessen der Verwaltung entzogen.
Das Finanzamt hatte daher die von dem Bf. vorgelegte Hausabrechnung dahin zu untersuchen, ob sie nicht Aufwendungen enthält, die bei Anlegung eines strengen Maßstabes nicht als "notwendig" bezeichnet werden müssen.
Die Sache geht an das Finanzamt zurück, damit diese Prüfung nachgeholt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 407350 |
BStBl III 1952, 53 |
BFHE 1953, 127 |