Leitsatz (amtlich)
Unter den Begriff des Gebäudes im Sinne des II. Baden-Württembergischen GrEStWG fällt auch der Anbau unter Erweiterung des bisherigen Wohnraums.
Normenkette
II. Baden-Württembergisches GrEStWG 1962 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1-2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihre Stiefeltern waren Miteigentümer eines Grundstücks, auf dem ein Wohnhaus mit zwei übereinanderliegenden Wohnungen stand. Im Jahre 1965 erwarben sie ein unbebautes Nachbargrundstücks, das dem Hausgrundstück zugeschrieben wurde. Das Wohnhaus wurde entsprechend der Absicht beim Grundstückserwerb umgebaut und jede Wohnung um zwei Räume erweitert, wobei ein Teil des neuerworbenen Grundstücks in Anspruch genommen wurde. In gleicher Weise wurde die vorhandene Garage erweitert. Für die erweiterten Wohnräume wurde auf Grund Anerkennungsbescheids Grundsteuervergünstigung gewährt.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) setzte für den Hinzuerwerb des Grundstücks Grunderwerbsteuer fest. Er ging davon aus, daß nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des inzwischen aufgehobenen Zweiten Baden-Württembergischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (II. GrEStWG) vom 20. Juli 1962 (GVBl, 74; vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes 1966/1970) nur die Errichtung eines Gebäudes, nicht aber die Erweiterung in Form von An-, Aus- oder Umbauten steuerbegünstigt sei.
Das FG hob den Steuerbescheid auf, da der Grundstückserwerb als Erwerb zur Errichtung eines steuerbegünstigten Gebäudes von der Besteuerung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des II. GrEStWG ausgenommen sei.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und des § 3 Abs. 1 des II. GrEStWG.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 des II. GrEStWG war u. a. der Erwerb eines Miteigentumsanteils an einem unbebauten Grundstück zur Errichtung eines steuerbegünstigten Gebäudes von der Grunderwerbsteuer ausgenommen. Ein steuerbegünstigtes Gebäude war nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des II. GrEStWG ein Gebäude, dessen anrechenbare Grundfläche zu mehr als 66 2/3 % auf steuerbegünstigten Wohnraum entfiel. Steuerbegünstigt war nach § 3 Abs. 1 Satz 4 des II. GrEStWG Wohnraum der in § 2 Abs. 2 II. WoBauG vom 27. Juni 1956 (BGBl I, 523) genannten Art, für den dem Berechtigten Grundsteuervergünstigung nach den jeweils geltenden bundesrechtlichen Vorschriften der Wohnungsbaugesetzgebung gewährt wurde. Da es sich hier bei dem Anbau ausschließlich um Wohnräume im Sinne von § 2 Abs. 2 Buchst. h des II. WoBauG handelte, für die nach den Feststellungen des FG Grundsteuervergünstigung gewährt wurde (vgl. § 92 Abs. 2, § 93, § 99 Abs. 2 des II. WoBauG), hängt die Grunderwerbsteuerbefreiung davon ab, ob der errichtete Anbau als ein "Gebäude" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des II. GrEStWG anzusehen war. Dies ist zu bejahen: Weder das Zweite Baden-Württembergische Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau noch ein anderes Gesetz bestimmten den Begriff des Gebäudes; er wurde vielmehr jeweils als engere oder weitere Spezialisierung eines allgemeinen Begriffs verstanden (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 des II. GrEStWG, § 86 Abs. 2 BBauG, § 94 Abs. 1 und 2 BGB, § 68 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965, § 7b Abs. 2 EStG 1971). Die von der Rechtsprechung im Grunderwerbsteuerrecht entwickelte Definition des Gebäudes als eines Bauwerkes, das durch räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet, mit dem Boden fest verbunden, von einiger Beständigkeit und standfest ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1973 II R 140/67, BFHE 109, 156, BStBl II 1973, 507) war für das Zweite Baden-Württembergische Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau ebenfalls zu allgemein.
Da der Begriff des Gebäudes im Sinne des Zweiten Baden-Württembergischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau sonach nicht eindeutig feststand, war er unter sinnvoller Würdigung des mit dem Gesetz verfolgten Zweckes auszulegen. Dies führt hier zu einer Einbeziehung auch eines unselbständigen Anbaues. Das I. WoBauG vom 24. April 1950 (BGBl, 83) war auf die Förderung von Wohnungen abgestellt (§ 7 Abs. 2 des I. WoBauG). Dementsprechend war nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Ersten Baden-Württembergischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau vom 21. September 1953 (GVBl, 147) der Erwerb eines unbebauten Grundstücks "zur Errichtung von steuerbegünstigten Wohnungen" von der Grunderwerbsteuer frei. Das II. WoBauG hat den Begriff des begünstigten Wohnungsbaues in seinem § 2 wesentlich erweitert. Das Zweite Baden-Württembergische Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau wollte dieser Erweiterung Rechnung tragen (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf des II. GrEStWG zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 in "Landtag von Baden-Württemberg, 3. Wahlperiode 1961 bis 1964, Verzeichnis der Beilagen zu den Sitzungsprotokollen Bd. IV S. 3253, Beilage 1765: "... Die Änderung erscheint erforderlich, weil sich die Förderung nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz nicht nur auf die Schaffung von Wohnungen, sondern auch auf die Schaffung von sonstigem Wohnraum erstreckt."). Der Hinweis auf Wohnheime unter I Abs. 2 der Begründung zum Regierungsentwurf ist nur beispielhaft zu verstehen. Denn Gesetz und Begründung lassen keinen Grund erkennen, weshalb etwa die Errichtung einzelner Wohnräume nach § 2 Abs. 2 Buchst. h des II. WoBauG ausgenommen sein sollte. § 3 Abs. 1 Satz 4 des II. GrEStWG wies im Gegenteil bei der Begriffsbestimmung des steuerbegünstigten Wohnraums ausdrücklich auf die in § 2 Abs. 2 des II. WoBauG aufgezählten Wohnraumarten hin. Ebenso war § 1 Abs. 1 Nr. 2 des II. GrEStWG ausdrücklich auf Wohnraum abgestellt. Daß nicht nur der Erwerb zur Errichtung eines selbständigen Gebäudes grunderwerbsteuerfrei sein sollte, zeigte auch § 1 Abs. 1 Nr. 16 des II. GrEStWG; dort wurde unter bestimmten Voraussetzungen sogar der bloße Grundstückshinzuerwerb ohne jede Bauabsicht befreit. Wenn der Gesetzgeber nicht so weit gegangen war, auch den Erwerb eines bebauten Grundstücks - wenigstens teilweise - von der Grunderwerbsteuer freizustellen, sofern dort zusätzlich zum bestehenden Gebäude steuerbegünstigter Wohnraum im Sinne des § 2 Abs. 2 des II. WoBauG geschaffen werden sollte, so zwingt dies nicht zu dem vom FA gezogenen Umkehrschluß, daß dann auch der Erwerb eines unbebauten Grundstücks zur Errichtung eines Anbaues an ein Gebäude des Nachbargrundstücks nicht befreit sein sollte. Denn dem Gesetzgeber ging es beim Zweiten Baden-Württembergischen Gesetz über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau insoweit nur darum, die bestehenden Befreiungstatbestände den Erweiterungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes anzupassen.
Fundstellen
Haufe-Index 70599 |
BStBl II 1973, 828 |