Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkretisierung des Begriffs der sog. einheitlichen großräumigen Arbeitsstätte
Leitsatz (NV)
Ein Stadtgebiet einschließlich der umliegenden Gemeinden mit einem Durchmesser von ca. 24 km kann nicht als sog. einheitliche großräumige Arbeitsstätte angesehen werden (Bestätigung der Rechtsprechung in dem Urteil vom 5. Mai 1994 -- VI R 6/92, BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Monteur beim städtischen Wasserwerk von X beschäftigt. Der Arbeitseinsatz erfolgt an wechselnden Arbeitsstellen innerhalb des Stadtgebiets.
Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1990 machte der Kläger wegen mehr als sechsstündiger Einsatzwechseltätigkeit an 230 Tagen Verpflegungsmehraufwendungen von 8 DM pro Tag als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) versagte den Abzug mit der Begründung, daß es sich bei dem Stadtgebiet um ein weiträumiges Arbeitsgelände handele, so daß keine Einsatzwechseltätigkeit vorliege.
Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, eine Einsatzwechseltätigkeit liege dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines abgegrenzten, in sich geschlossenen, nicht weit auseinandergezogenen überschaubaren Gebiets, also innerhalb eines üblichen Einzugsbereichs, tätig werde. Das sei hier der Fall. Der Tätigkeitsbereich des Klägers, nämlich das Stadtgebiet X einschließlich der umliegenden Gemeinden in einer Entfernung von zehn bis zwölf Kilometern vom Stadtzentrum sei hinreichend überschaubar. Der Kläger könne preisgünstige Gelegenheiten zum Essen wahrnehmen.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, eine Einsatzwechseltätigkeit könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Tätigkeit werde in einem überschaubaren Einsatzgebiet ausgeübt. Ein Stadtgebiet könne entgegen der Auffassung des FG nicht als umgrenzte Betriebsstätte angesehen werden. Auch in Abschn. 37 Nr. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) werde ausdrücklich klargestellt, daß ein weiträumig zusammenhängendes Arbeitsgelände nicht schon deshalb vorliege, weil ein Arbeitnehmer ständig in einem Gemeindegebiet oder im Bereich einer Großstadt tätig sei.
Das FA macht geltend, der Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Februar 1994 VI R 109/89 (BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422) und vom 5. Mai 1994 VI R 6/92 (BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534) rechtfertige keine Abhilfe im Streitfall, weil X kleiner sei als O.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Entgegen der Auffassung des FG und des FA sind Verpflegungsmehraufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. den einschlägigen Regelungen der LStR 1990 als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der Kläger war nicht an einer sogenannten einheitlichen großräumigen Arbeitsstätte, sondern an wechselnden Einsatzstellen tätig.
1. Gemäß Abschn. 39 Abs. 7 Satz 2 LStR 1990 stehen einem Arbeitnehmer, der eine Einsatzwechseltätigkeit ausübt, ohne Einzelnachweis der tatsächlichen Aufwendungen Verpflegungsmehraufwendungen mit einem Pauschbetrag von 8 DM für jeden Kalendertag zu, an dem der Arbeitnehmer ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als sechs Stunden von seiner Wohnung abwesend ist. Nach Abschn. 37 Abs. 6 LStR 1990 liegt eine Einsatzwechseltätigkeit bei Arbeitnehmern vor, die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten eingesetzt werden, wie z. B. Bau- oder Montagearbeiter.
Der Kläger hat eine Einsatzwechseltätigkeit i. S. dieser Regelung ausgeübt. Der Bereich, in dem nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Einsatzorte des Klägers gelegen waren, nämlich das Stadtgebiet von X einschließlich der umliegenden Gemeinden in einer Entfernung von zehn bis zwölf Kilometern vom Stadtzentrum, kann nicht mehr als eine sogenannte einheitliche großräumige Arbeitsstätte mit der Rechtsfolge angesehen werden, daß ein Verpflegungsmehraufwand nicht als Werbungskosten anzuerkennen wäre.
Der Senat hat in dem Urteil in BFHE 173, 179, BStBl II 1994, 422 den Begriff der sogenannten großräumigen Arbeitsstätte konkretisiert und festgestellt, ein Stadtbereich sei nicht mehr als großräumige Arbeitsstätte zu beurteilen. Soweit aus dem Urteil vom 2. November 1984 VI R 38/83 (BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139) abgeleitet worden sein sollte, der Senat habe den Hamburger Hafen als großräumige Arbeitsstätte angesehen, hat er daran ausdrücklich nicht mehr festgehalten. Er hat in dem Urteil in BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534 nochmals entschieden, der Raum um den Betriebsort oder um die Wohnung im Radius des üblichen Einzugsbereichs könne nicht als sogenannte großräumige Arbeitsstätte angesehen werden. Da der Kläger im Streitfall sowohl im Stadtgebiet als auch in den umliegenden Gemeinden in einer Entfernung von 12 Kilometern vom Stadtzentrum entfernt tätig gewesen ist, hat sich sein Tätigkeitsfeld auf einen Durchmesser von 24 Kilometern erstreckt. Ein derart weiträumiges Gebiet kann nicht mehr als einheitliche großräumige Arbeitsstätte beurteilt werden.
Soweit das FA geltend macht, der Kläger nehme nach der Lebenserfahrung seine Hauptmahlzeit am Ende des Arbeitstages ein, so daß im Vergleich zu Arbeitnehmern mit einer festen und dauerhaften Arbeitsstätte überhaupt kein Verpflegungsmehraufwand entstehe, ist dies keine Besonderheit der Einsatzwechseltätigkeit innerhalb eines üblichen Einzugsbereichs, sondern ein Problem, das sich grundsätzlich bei jeder Auswärtstätigkeit stellt und das bei der erforderlichen Neubestimmung des Verpflegungsmehraufwands durch den Richtliniengeber oder Gesetzgeber (vgl. dazu das Senatsurteil vom 26. Januar 1994 VI R 118/89 -- Schachtmeisterfall --, BFHE 173, 174, BStBl II 1994, 529) zu berücksichtigen sein wird.
2. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FA hat in dem angefochtenen Jahresausgleichsbescheid bei den Werbungskosten des Klägers den Arbeitnehmerpauschbetrag gemäß § 9 a Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 2 000 DM berücksichtigt, da die weiteren vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten die Summe von 2 000 DM nicht erreicht haben. Da bei Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen der Arbeitnehmerpauschbetrag überschritten wird, werden nunmehr Feststellungen zu den weiteren vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten sowie der Anzahl der Tage, an denen die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwandes vorgelegen haben, getroffen werden müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 420152 |
BFH/NV 1995, 27 |