Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer steuerbegünstigten Praxisveräußerung durch einen Freiberufler
Leitsatz (NV)
1. Eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung liegt nicht vor, wenn ein Steuerberater ca. 20 v. H. seiner Mandanten auch weiterhin vom Ort seiner bisherigen Tätigkeit aus betreut.
2. Das Entgelt für die Übertragung eines Teils der Mandantschaft ist auch dann keine Entschädigung für entgehende Einnahmen, wenn eine Erkrankung Grund für die Einschränkung der Praxis war.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 4, § 18 Abs. 3, § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1-2; AO § 176
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für den Gewinn aus der Veräußerung eines Teils seiner Steuerbevollmächtigtenpraxis den Freibetrag nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG in Anspruch nehmen kann.
Mit Vertrag vom 16. März 1974 veräußerte der (1909 geborene) Kläger aus gesundheitlichen Gründen den größeren Teil seiner Steuerbevollmächtigtenpraxis mit etwa 80 v. H. der Mandanten an einen anderen Steuerbevollmächtigten. Dabei entstand ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 61 939 DM. Die verbleibenden Mandanten betreut der Kläger weiter. Daraus erzielte er Einkünfte in Höhe von 24 373 DM in 1975, 20 809 DM in 1976 und 17 301 DM in 1977.
Bei der zunächst gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) durch Bescheid vom 16. August 1976 vorläufig durchgeführten Veranlagung gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) antragsgemäß die Steuervergünstigungen gemäß § 16 Abs. 4, § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und 2 EStG für die Veräußerung einer Teilpraxis.
Nach einer Betriebsprüfung stellte das FA sich auf den Standpunkt, der Gewinn von 61 939 DM sei kein begünstigter Veräußerungsgewinn, sondern Teil des laufenden Gewinns, weil der Kläger die bei ihm verbliebenen Mandanten am gleichen Ort und ohne zeitliche Unterbrechung weiterbetreut habe. Mit Änderungsbescheid vom 14. Mai 1979 setzte das FA die Steuer entsprechend fest.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Mit der Revision macht der Kläger weiter geltend, der Veräußerungsgewinn sei nach § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 4 und § 34 Abs. 2 EStG begünstigt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat die Annahme einer tarifbegünstigten Teilbetriebsveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 EStG i.V.m. § 34 Abs. 1 und 2 EStG im Ergebnis zutreffend verneint. Gemäß § 18 Abs. 3 EStG i.V.m. § 16 Abs. 2 bis 5 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG entsteht ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn, wenn ein freiberuflich Tätiger einen selbständigen Teil des der Berufsausübung dienenden Vermögens (Teilpraxis) veräußert. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, setzt die Annahme der Veräußerung oder Aufgabe einer Praxis oder Teilpraxis voraus, daß der Veräußerer die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellt (Urteile vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566; BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661; vom 27. April 1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562; vom 7. November 1985 IV R 44/83, BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335, und Beschluß vom 6. Februar 1986 IV S 14/85, BFH/NV 1986, 336). Wie der Senat im Urteil in BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335 dargelegt hat, folgt dies daraus, daß die Steuerbegünstigung des § 18 Abs. 3 und des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG nur eingreift, wenn alle wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit auf den Praxiserwerber übertragen oder in das Privatvermögen überführt werden. Zu den vermögensmäßigen Grundlagen einer freiberuflichen Praxis gehören aber insbesondere immaterielle Wirtschaftsgüter wie die Beziehungen des Praxisinhabers zu seinen bisherigen Mandanten und das durch den Praxisnamen bestimmte Wirkungsfeld (BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661, und BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335).
Die Vorinstanz ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Das FG hat festgestellt, daß der Kläger am Ort seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit auch weiterhin als Steuerbevollmächtigter freiberuflich tätig gewesen ist und dabei etwa 20 v. H. seiner bisherigen Mandantschaft weiter betreut hat. Die Zurückbehaltung von 20 v. H. des bisherigen Mandantenstamms ist auch nicht von so untergeordneter Bedeutung, daß aus diesem Grunde eine Veräußerung der Praxis insgesamt angenommen werden könnte. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Kläger in den Folgejahren aus der Betreuung dieser Mandanten Einkünfte in nicht unerheblicher Höhe erzielt hat (vgl. hierzu auch BFH/NV 1986, 336).
Der vom Kläger vertretenen Auffassung, für die Anwendung der §§ 16, 18 Abs. 3 und 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG genüge bereits die Veräußerung eines Teils der Mandantschaft, der geeignet sei, beim Erwerber die Grundlage einer eigenen Praxis zu sein, während die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungsbereich nicht erforderlich sei, kann der Senat nicht folgen. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil in BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335.
2. Auch die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Tarifs nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sind nicht erfüllt. Nach diesen Vorschriften kommen als außerordentliche und deshalb nach § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigte Einkünfte Entschädigungen in Betracht, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen geleistet werden. Es trifft zwar zu, daß nach der neueren Rechtsprechung des BFH (vgl. die Urteile des Senats vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9, und vom 27. Juli 1978 IV R 153/77, BFHE 126, 165, BStBl II 1979, 69) eine Entschädigung auch vorliegen kann, wenn der Steuerpflichtige bei dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis, z. B. der Aufgabe einer ihm günstigen Rechtsposition, mitgewirkt hat. Wie der Senat schon im Urteil in BFHE 126, 165, BStBl II 1979, 69 ausgeführt hat, setzt im betrieblichen Bereich die Annahme einer Entschädigung u. a. voraus, daß der Steuerpflichtige von einem Außenstehenden an der Verwirklichung seines Gewinnstrebens gehindert worden ist und dafür eine Entschädigung erhält. Eine für entgangene oder entgehende Erträge erlangte Ersatzleistung ist somit dann eine Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, wenn ein außerordentliches Schadensereignis in dem Sinne vorliegt, daß infolge des von einem anderen ausgeübten, nicht unerheblichen tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Drucks dem Steuerpflichtigen die Grundlage zum Abschluß einer unbestimmten Vielzahl von Geschäften dergestalt verloren geht, daß dem Unternehmen zumindest teilweise die Ertragsgrundlage entzogen wird.
Die Vorinstanz ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat festgestellt, daß der streitige Betrag dem Kläger von seinem Vertragspartner als Gegenleistung für die Übertragung des überwiegenden Teils seiner Mandantschaft gezahlt worden ist. Rechtsfehlerfrei ist die Vorinstanz davon ausgegangen, daß deshalb eine tarifbegünstigte Entschädigung nicht vorliegt. Denn es ist kein rechtlicher oder wirtschaftlicher Druck von einem Außenstehenden auf den Kläger ausgeübt worden, seine Praxis wesentlich einzuschränken. Unerheblich ist, daß der Kläger, wie er vorträgt, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, seine Praxis im bisherigen Umfang weiter auszuüben. Die Erkrankung des Klägers ist lediglich auslösendes Moment für seinen Entschluß gewesen, seine berufliche Tätigkeit einzuschränken, ändert aber nichts daran, daß es sich im Verhältnis zwischen dem Kläger und seinem Vertragspartner um einen gegenseitigen Vertrag handelte, bei dem Leistung und Gegenleistung ausgetauscht wurden.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch § 176 AO 1977 nicht verletzt. Nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 darf aus Gründen des Vertrauensschutzes bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, daß sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift wäre somit, daß vor Erlaß des ursprünglichen Steuerbescheids vom 26. August 1976 eine höchstrichterliche Rechtsprechung des Inhalts vorgelegen hätte, daß in Fällen der hier vorliegenden Art eine Teilpraxisveräußerung vorlag und daß sich diese Rechtsprechung danach zu Ungunsten des Klägers geändert hätte. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Kläger trägt selbst vor, daß auch nach der bei Erlaß des gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufigen Steuerbescheids bereits vorliegenden und bekannten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Voraussetzungen für die Annahme einer tarifbegünstigten Teilpraxisveräußerung nicht erfüllt waren.
Fundstellen
Haufe-Index 414982 |
BFH/NV 1987, 571 |