Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung von Formmängeln durch die Einspruchsentscheidung
Leitsatz (NV)
Auch wenn der Steuerpflichtige vor Erlass der Einspruchsentscheidung Untätigkeitsklage erhoben hat, können Formmängel i.S. von § 126 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AO 1977 noch durch diese geheilt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 5, 126, 152
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2001, 1584) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im Streitjahr 1992 zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann, dessen Gesamtrechtsnachfolgerin sie ist, zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Ehegatten reichten die unter Mithilfe ihres Prozessbevollmächtigten gefertigte Steuererklärung ―trotz bestandskräftiger Ablehnung eines über den 28. Februar 1995 hinausgehenden Fristverlängerungsbegehrens― erst nach Erlass des Schätzungsbescheides vom 20. November 1996 am 12. Dezember 1996 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) ein. Die Steuererklärung trägt das Datum 20. Juni 1994, die eingereichte Bilanz das Datum 14. Juni 1994.
Durch Bescheid vom 8. Januar 1997 setzte das FA die Einkommensteuer in Höhe von 7 844 DM sowie Zinsen zur Einkommensteuer gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) in Höhe von 1 209 DM fest. Die Umsatzsteuer-Erstattung 1992 sowie die Erstattungszinsen zur Umsatzsteuer 1992 in Höhe von 783 DM bzw. 116 DM wurden mit der Abschlusszahlung in Höhe von 7 844 DM verrechnet. Der im Schätzungsbescheid festgesetzte und mit Einspruch angefochtene Verspätungszuschlag wurde im Bescheid vom 8. Januar 1997 auf 780 DM herabgesetzt.
Im Einspruch gegen den Verspätungszuschlag wurde geltend gemacht, dass die Festsetzung unter einer Vielzahl von Formmängeln leide. Mit der am 4. Dezember 1998 nur vom Ehemann der Klägerin erhobenen Untätigkeitsklage wurde zudem vorgetragen, der Verspätungszuschlag sei zu hoch festgesetzt. Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige zwischenzeitlich behindert sowie erwerbsunfähig sei und sein Einkommen voraussichtlich nicht ausreiche, das Existenzminimum zu bestreiten, sei nicht berücksichtigt worden. Eine Ermessensabwägung sei nicht erfolgt. Der Zinsvorteil könne nicht über den Verspätungszuschlag abgeschöpft werden, da Nachzahlungszinsen erhoben würden. Durch Fehlleistungen des FA seien die Steuerkanzleien seit Jahren gehindert, die Rückstände abzuarbeiten.
In der Einspruchsentscheidung vom 2. März 1999 verminderte das FA den Verspätungszuschlag auf 500 DM. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus: Die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1992 sei ―trotz großzügig bemessener Fristverlängerung, die weit über die gesetzliche Abgabefrist hinausgereicht habe― um 21,5 Monate überschritten worden. Die Verspätung sei auch verschuldet, weil die Erklärung bereits mehr als acht Monate vor Ablauf der vom FA gewährten Frist erstellt worden sei. Zudem seien auch die Erklärungen für die Vor- und Folgejahre größtenteils nicht fristgerecht abgegeben worden. Der Einwand der Arbeitsüberlastung, die auf Personalmangel beruhe, vermöge nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) das Versäumnis nicht zu entschuldigen. Da spätestens ab Februar 1996 die Veranlagungsarbeiten des Jahres 1995 im Gange gewesen seien, habe die verspätete Abgabe den allgemeinen Geschäftsbetrieb des FA erheblich gestört. Die zu leistende Abschlusszahlung von 7 844 DM entspreche der Summe der festgesetzten Einkommensteuer und sei als sehr hoch einzustufen. Der Zinsvorteil sei wegen der Festsetzung von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO 1977 bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags nicht berücksichtigt worden. Eine Mitverantwortung des FA an der Fristversäumnis sei nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die etwas unter dem Durchschnitt liegende Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen sei der Verspätungszuschlag auf 6,37 v.H. der festgesetzten Steuer zurückgenommen worden.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 2. November 1999 4 K 92/98 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 607) u.a. aus, die Verfahrensverstöße seien im Einspruchsverfahren geheilt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass Untätigkeitsklage erhoben worden sei. Des Weiteren kam das FG ―unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung― zu dem Ergebnis, das FA habe von dem bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags eingeräumten Ermessen keinen fehlerhaften Gebrauch gemacht. Dessen Höhe bewege sich in dem gesetzlich zulässigen Rahmen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen seien vom FA ausreichend gewürdigt worden. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das ihnen nach § 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 zuzurechnen sei, liege darin, dass die bereits fertiggestellte Erklärung nicht fristgerecht abgegeben worden sei.
Das Urteil des FG ist veröffentlicht in EFG 2001, 1584.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 152 Abs. 1 AO 1977. Sie trägt vor: Nach Erhebung einer Untätigkeitsklage könne das FA keine Ermessensentscheidung mehr treffen. Zudem sei die Ermessensentscheidung nicht sachgerecht. Es sei nicht erkennbar, in welchem Verhältnis der festgesetzte Verspätungszuschlag zu dem Einkommen stehe. Das geringe aktuelle Einkommen der Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung sei nicht berücksichtigt worden. Dadurch sei das Existenzminimum in unzumutbarer Weise beschnitten worden. Auch müsse auf die Dauer der Verspätung abgestellt und die persönliche Situation ―z.B. Be- oder Verhinderung durch Krankheit― berücksichtigt werden. Die angefochtene Festsetzung widerspräche dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da in anderen Bundesländern wesentlich niedrigere Verspätungszuschläge erhoben würden. Auch könne ohne weitere Ermittlungen aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung kein Verschulden abgeleitet werden. Die Entscheidung des FG verstoße gegen die im Grundgesetz festgeschriebene Unschuldsvermutung. Die Ursache der verspäteten Abgabe der Steuererklärung liege ausschließlich beim FA. Schließlich sei die Steuererklärung im Juni 1994 noch nicht fertiggestellt gewesen, da die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung noch nicht ermittelt gewesen seien.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil sowie den festgesetzten Verspätungszuschlag zur Einkommensteuer 1992 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das FG die Festsetzung eines Verspätungszuschlags von 500 DM wegen verspäteter Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1992 als rechtmäßig angesehen. Seine Entscheidung, die Klägerin sei bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags in ihrem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (§ 5, § 152 Abs. 1 und Abs. 2 AO 1977) nicht verletzt worden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Etwaige anfängliche Formmängel sind geheilt worden.
1. Voraussetzung für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist, dass der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgerecht nachgekommen ist (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) und seine oder die von ihm zu vertretende Versäumnis eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen nicht entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 Sätze 2, 3 AO 1977). Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Er hat insoweit zugleich repressiven und präventiven Charakter (Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung, BTDrucks VI/1982, S. 129 zu § 97). Der Steuerpflichtige hat zur Vermeidung eines Verspätungszuschlags die nicht aus den Akten ersichtlichen Gründe darzulegen, aus denen sich ergibt, dass das Versäumnis entschuldbar erscheint.
Die Finanzbehörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Verspätungszuschlag festgesetzt wird (§ 152 Abs. 1 AO 1977; sog. Entschließungsermessen) und in welcher Höhe dies geschehen soll (§ 152 Abs. 2 AO 1977). Sie muss ihr Ermessen dem Zweck des § 152 Abs. 1 und 2 AO 1977 entsprechend ausüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten (§ 5 AO 1977). Die Steuergerichte können die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
2. Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Festsetzung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) Die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann haben die vom FA eingeräumte Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1992 nicht eingehalten. Die von den Angehörigen der steuerberatenden Berufe für den Veranlagungszeitraum 1992 grundsätzlich einzuhaltende Frist war bereits am 30. September 1993 abgelaufen (vgl. gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder über Steuererklärungsfristen vom 4. Januar 1993, BStBl I 1993, 42).
Obwohl das FA die Abgabefrist über den 30. September 1993 und sogar über den in den gleichlautenden Erlassen der Finanzbehörden für zwingende Ausnahmefälle genannten Zeitpunkt (28. Februar 1994 bzw. 31. Mai 1994) hinaus bis 28. Februar 1995 verlängert hatte, haben die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann auch diese Frist nicht gewahrt. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags sind somit erfüllt. Gründe, welche die Versäumnis, die bereits am 20. Juni 1994 fertiggestellte Steuererklärung und Bilanz rechtzeitig abzugeben, entschuldbar erscheinen lassen, sind weder vom FG festgestellt worden noch sonst ersichtlich. Somit kommt die Möglichkeit, nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abzusehen, nicht in Betracht (vgl. Senats-Urteil vom 19. Juni 2001 X R 83/98, BFHE 195, 558, BStBl II 2001, 618; zuletzt BFH-Urteil vom 26. September 2001 IV R 29/00, BFHE 196, 392, BStBl II 2002, 120, m.w.N.), zumal auch die Einkommensteuererklärungen für die Vorjahre und die Folgejahre großenteils ebenfalls verspätet eingereicht worden waren. Eventuell erforderliche Rückfragen des Beraters bei den Steuerpflichtigen, die im Streitfall jedenfalls nicht zu einer Änderung der vorbereiteten Erklärung geführt haben, könnten die Versäumung der Abgabefrist nicht rechtfertigen oder entschuldigen (BFH-Urteil in BFHE 196, 392, BStBl II 2002, 120, m.w.N.). Ein mögliches Verschulden ihres steuerlichen Beraters müsste sich die Klägerin zudem zurechnen lassen (BFH-Urteil in BFHE 196, 392, BStBl II 2002, 120). Auf die Frage, ob Personalmangel in der Kanzlei des Beraters oder das Verhalten des FA ursächlich für die Fristversäumnis sein können, kommt es nicht entscheidend an, da die Erklärung vom Prozessbevollmächtigten bereits im Juni 1994 vorbereitet war und das FA Fristverlängerung bis 28. Februar 1995 gewährt hatte.
b) Das FA hat auch hinsichtlich der Höhe des festgesetzten Verspätungszuschlags sowohl den Zweck der Ermächtigung zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen als auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet. Die Kriterien, die hierfür entscheidend waren, sind in der Einspruchsentscheidung dargelegt worden.
aa) Das FA hat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Erklärung bereits im Juni 1994 und somit vor Ablauf der bis zum 28. Februar 1995 gewährten Fristverlängerung fertig vorbereitet war und der Nachzahlungsbetrag 100 v.H. der festgesetzten Steuer betrug. Zutreffend hat es auch die Dauer der Fristüberschreitung (653 Tage) in die Ermessensentscheidung einbezogen (vgl. § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977), da nur so der Steuerpflichtige zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung in der Zukunft angehalten werden kann (Präventiveffekt). Schließlich hat das FA auch die Grenze des § 152 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 beachtet. Der Verspätungszuschlag beläuft sich auf 6,37 v.H. der festgesetzten Steuer und schöpft somit den möglichen Rahmen nicht aus. Angesichts der Dauer der Fristüberschreitung, der überaus großzügigen Verlängerung der Abgabefrist über den sonst nur in "zwingenden Ausnahmefällen" geltenden Zeitrahmen hinaus um mehr als 21 Monate, der Höhe der Abschlusszahlung und der Tatsache, dass die Einkommensteuererklärungen der Vorjahre ―hier wurde kein Verspätungszuschlag festgesetzt― und der Folgejahre großenteils ebenfalls erheblich verspätet eingereicht wurden, war die Festsetzung eines Verspätungszuschlags im oberen Bereich angemessen.
bb) Das FA hat bei der Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlags auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes berücksichtigt. Es hat sich mit dem Gewinn der zuletzt durchgeführten Veranlagung für das Jahr 1995 sowie den Umsätzen der Jahre 1995 bis 1997 ausweislich der ihm vorliegenden Umsatzsteuervoranmeldungen auseinandergesetzt und daraus eine ―gegenüber dem Streitjahr― verminderte, etwas unter dem Durchschnitt liegende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgeleitet. Es handelte somit nicht ermessensfehlerhaft, zumal den Steuerpflichtigen ein Teil des Zinsvorteils verblieb. Nach § 233a AO 1977 fallen Nachzahlungszinsen in Höhe von 0,5 v.H. pro Monat an und die Sollzinsen für Kontokorrentkredite lagen in den Jahren 1993 bis 1997 nicht unter 9 v.H. pro Jahr (vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1998, unter Nr. 14.12 zu Krediten von 200 000 DM bis zu 1 Mio. DM). Hinzu kommt, dass der Zinslauf für die Nachzahlungszinsen grundsätzlich erst 15 Monate nach Entstehung der Steuer einsetzt ―im Streitfall also erst mit Ablauf des Monats März 1994― und somit die Nachzahlungszinsen den möglichen Zinsvorteil ohnehin nicht voll abschöpfen.
cc) Der Hinweis der Klägerin, dass die Festsetzungspraxis bei Verspätungszuschlägen in Baden-Württemberg ungleich strenger sei als in anderen Bundesländern, ist unbeachtlich. Verspätungszuschläge werden durch die Landesfinanzbehörden festgesetzt (Art. 108 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes ―GG―); der Gleichheitssatz verlangt lediglich die Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen durch den zuständigen, nicht aber auch ihre Gleichbehandlung durch mehrere, voneinander unabhängige Verwaltungsträger (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. November 1988 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127, m.w.N.).
3. Zwar hat das FA seine Ermessensentscheidung erst in der nach Klageerhebung (4. Dezember 1998) ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2. März 1999 begründet. Dieser Formmangel ist jedoch nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 unbeachtlich. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, dass nach Erhebung der Untätigkeitsklage die Begründung des festgesetzten Verspätungszuschlags nicht mehr nachgeholt werden konnte. Nach § 126 Abs. 2 AO 1977 ist die Heilung von Verfahrens- und Formmängeln i.S. von § 126 Abs. 1 AO 1977 auch nach Erhebung der Untätigkeitsklage bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens zulässig, da diese die Fortführung des Vorverfahrens nicht ausschließt (BFH-Urteil in BFHE 196, 392, BStBl II 2002, 120).
Fundstellen
BFH/NV 2002, 1419 |
HFR 2002, 966 |