Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Anschaffungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG ist nicht ohne weiteres gegeben, wenn das Geschäft in Form eines Kaufvertrags geschlossen ist. Ein unverhältnismäßig niedriger "Kaufpreis" kann darauf schließen lassen, daß eine vorweggenommene Erbfolgeregelung vorliegt.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1
Tatbestand
Der Vater des Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen - Stpfl. -) mußte sein Grundstück, auf dem er eine Bäckerei und Gastwirtschaft betrieb, im Jahre 1932 wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten an seinen Bruder veräußern. In dem Veräußerungsvertrag ist vorgesehen, daß der Bruder oder seine Ehefrau - jeweils der Längerlebende - das Grundstück nebst Inventar auf einen der Söhne des Veräußerers, der sich zum Beruf als Bäcker und Wirt eignet, zurücküberträgt, weil der Bruder keine Kinder hatte und die Besitzung der Familie erhalten bleiben sollte. Die übertragung sollte "zu annehmbaren, den dann bestehenden Zeitverhältnissen entsprechenden Bedingungen" geschehen.
Im Jahre 1953 hatte die Tante, die Ehefrau des verstorbenen Onkels, dem Stpfl. die Bäckerei und Gastwirtschaft pachtweise überlassen. Im Jahre 1958 erwirkte die Mutter des Stpfl. eine einstweilige Verfügung gegen die Tante auf Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Rücküberlassung des Grundstücks. Für eine Klage auf Rückübertragung wurde ihr das Armenrecht verweigert, weil die Tante zur Rückübertragung nur "zur gegebenen Zeit" verpflichtet sei. Die Wahl des Zeitpunkts überließ das Gericht dem vernünftigen Ermessen der jetzt 63 Jahre alten Tante, die sich zur Rückübertragung mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres bereit erklärte. Das Gericht hielt diese Wahl für vernünftig, da mit 65 Jahren die meisten die Arbeit aufgeben und sich in den Ruhestand zurückziehen. Als im Jahre 1960 die Tante 65 Jahre alt wurde und kurz zuvor die Besitzung langfristig verpachten wollte, erwirkte die Mutter des Stpfl. eine einstweilige Verfügung, durch die der Tante untersagt wurde, die Besitzung an Dritte zu überlassen. Den Rechtsstreit beendeten die Mutter und die Tante des Stpfl. am 19. November 1960 durch einen gerichtlichen Vergleich, nach welchem der Stpfl. das Grundstück mit Wirkung vom 1. September 1960 übernahm und sich zur Zahlung einer lebenslänglichen Unterhaltsrente von monatlich 500 DM an die Tante verpflichtete.
Am 5. Dezember 1961 machte der Stpfl. einem Interessenten ein notarielles Kaufangebot für einen Teil des Grundstücks, das dieser am 11. September 1962 annahm. Bei der Veranlagung des Stpfl. zur Einkommensteuer für das Jahr 1962 setzte das Finanzamt (FA) wegen des Verkaufs des Grundstücks einen Spekulationsgewinn an, wobei es zur Berechnung der Frist des § 23 Abs. 1 EStG den Tag des Vergleichsabschlusses als Tag der Anschaffung ansetzte.
Die Sprungberufung hatte Erfolg. Mit dem Stpfl. ist das Finanzgericht (FG) der Auffassung, Anschaffungstag sei nicht der Tag des Vergleichsabschlusses, sondern ein so weit zurückliegender Zeitpunkt, daß bis zum Verkauf des Grundstücks am 11. September 1962 jedenfalls mehr als zwei Jahre vergangen seien. Der Stpfl. könne seinen Anspruch über seine Mutter schon aus dem notariellen Vertrag vom 21. März 1932 herleiten. Nach § 8 dieses Vertrages sei die Tante in dem dort abgesteckten Rahmen zur Abgabe eines Angebots verpflichtet gewesen. Es komme nicht darauf an, ob ein Vorvertrag mit einer beiderseitigen Verpflichtung zum Vertragsabschluß gegeben sei oder ob der Stpfl. in der Annahme des Angebots freibleiben solle, es sich also um einen einseitig verpflichtenden Vorvertrag handele. Ausschlaggebend sei, daß dem Stpfl. ein Anspruch auf Abschluß eines Vertrages zustehe. Nach den Urteilen des RFH VI A 72/32 vom 21. Dezember 1932 (RStBl 1933, 477) und VI A 338/34 vom 28. August 1935 (RStBl 1936, 213) komme es auf den Zeitpunkt des formellen Vertragsabschlusses nicht an, wenn zuvor von den Parteien Voraussetzungen geschaffen seien, die aus wirtschaftlichen überlegungen den späteren Vertragsabschluß mit Sicherheit erwarten ließen. Im vorliegenden Fall hätten die Beteiligten Voraussetzungen geschaffen, die eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung zum Vertragsabschluß begründeten, wie auch die erlassenen einstweiligen Verfügungen zeigten. Die Rechtspflicht zum Vertragsabschluß falle für die Fristberechnung nicht weniger ins Gewicht als nur wirtschaftlich begründete Erwartungen. Man könne auch nicht einwenden, das Kaufangebot lasse die Annahme offen; denn im Streitfall gehe die Initiative gerade von dem Stpfl. aus, der seine Bereitschaft gezeigt habe, ein in den Rahmen des § 8 des Vertrags 1932 fallendes Angebot der Tante anzunehmen, und der seinen Anspruch mit Hilfe seiner Mutter in Prozessen durchzusetzen versuchte. Unter diesen Umständen sei der Abschluß eines Vertrages als sicher bevorstehend anzusehen. Durch die einstweiligen Verfügungen sei der Stpfl. so gesichert gewesen, daß die Tante nicht mehr die Möglichkeit gehabt habe, über das Grundstück mit Wirkung gegen den Stpfl. anderweitig zu verfügen oder den Besitz weiterzugeben. Selbst wenn man aber nicht den Vertrag von 1932, sondern erst den Zeitpunkt der Durchsetzung des Anspruchs für maßgebend halte, sei die Spekulationsfrist überschritten. Der angemessene Zeitpunkt zur übertragung des Grundstücks sei nach der Erklärung der Tante die Vollendung ihres 65. Lebensjahres am 6. September 1960 gewesen. Zu dieser Zeit habe auch festgestanden, daß der Stpfl. der in Frage kommende Erwerber sei. Bis zum Verkauf des Grundstücks am 11. September 1962 seien - gerechnet ab 6. September 1960 - ebenfalls mehr als zwei Jahre vergangen gewesen. Das notarielle Verkaufsangebot vom 5. Dezember 1961 sei wirtschaftlich dem Abschluß eines Veräußerungsvertrages nicht gleichzustellen. Zwar sei der Stpfl. an dieses Angebot bis zum 20. September 1962 gebunden gewesen. Es sei dadurch aber noch keine Lage geschaffen worden, die einer Veräußerung des Grundstücks wirtschaftlich gleichkomme. Der spätere Käufer habe das Angebot annehmen können oder nicht.
Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Der von dem Vater des Stpfl. geschlossene Vertrag, so führt das FA aus, habe zwar das "Versprechen" enthalten, das Grundstück später wieder auf einen seiner Söhne zurückzuübertragen. Selbst wenn man hierin bereits eine Verpflichtung sehe, sei doch so viel offengeblieben, daß von einer Anschaffung im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG keine Rede sein könne. Selbst die Eintragung eines Verkaufsrechts sei noch keine Anschaffung. Wenn dem FG auch zuzugeben sei, daß es nicht unbedingt auf den formellen Kaufabschluß ankomme, so könne doch aus den hier zwischen der Mutter und der Tante des Stpfl. geführten Prozessen nichts hergeleitet werden, was für eine Anschaffung durch den Stpfl. spreche. Der Tante sei zwar aufgegeben worden, sich der Verfügung über das Grundstück, soweit Dritte in Betracht kämen, zu enthalten. Trotzdem sei sie bis zum Abschluß des Vergleichs rechtlich und wirtschaftlich Eigentümerin des Grundstücks geblieben.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sprungklage gegen den Einkommensteuerbescheid als unbegründet zurückzuweisen.
Der Stpfl. beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision muß zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen.
Wie das FG nicht verkannt hat, kommt es für die Annahme eines Spekulationsgeschäftes auf die Frist von zwei Jahren sowie die Auslegung der Begriffe "Anschaffung" und "Veräußerung" an.
Dem FG ist aber darin nicht beizutreten, daß der Stpfl. das Grundstück bereits vor dem Abschluß des Vergleichs "angeschafft" habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH ist "Anschaffung" im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG nicht lediglich das dingliche Rechtsgeschäft (Urteil des Senats VI 120/62 vom 22. November 1963. Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964 S. 157). Wie das FG zutreffend ausführt, kann der Zeitpunkt der Anschaffung schon vor dem Zeitpunkt des eigentlichen (formalen) Vertragsabschlusses liegen, wenn der wesentliche Vertragsinhalt - wirtschaftlich gesehen - schon vorher zwischen den Beteiligten festgelegt worden ist. Nach dem Urteil des Senats VI 189/64 vom 23. April 1965 (Der Betrieb 1965 S. 1309) kann darum, z. B. unter besonderen Umständen, bereits ein Vorvertrag als Anschaffungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG angesehen werden.
Mit dem FG ist der Senat der Auffassung, daß der Vertrag vom 21. März 1932 kein Anschaffungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG war. Wie immer auch die "Ansprüche" auf die "zur gegebenen Zeit" vorzunehmenden und dem "vernünftigen Ermessen" von Onkel und Tante überlassenen Handlungen rechtlich zu beurteilen sein mögen, so hat doch jedenfalls der Stpfl. aus jenem Vertrage noch keinen Anspruch erworben, der ihn wirtschaftlich einem Käufer des Grundstücks gleichgestellt hätte. Letztlich liefe die Auffassung des Stpfl. darauf hinaus, daß der Vertrag vom 21. März 1932 - von Onkel und Tante aus gesehen - zugleich einen Kauf und Verkauf enthielte. Selbst wenn man mit dem Stpfl. eine erbvertragsähnliche Regelung annimmt, würde seine Stellung nicht anders zu beurteilen sein; denn auch ein Erbvertrag mit seiner auf den Todesfall bezogenen Wirkung (§ 1941 BGB) reicht nicht aus, ein in den Nachlaß fallendes Wirtschaftsgut als bereits zur Zeit des Vertragsabschlusses durch den - künftigen - Erben "angeschafft" anzusehen.
Wenn das FG, weil die Tante sich zu einer übertragung des Grundstücks nach Vollendung ihres 65. Lebensjahres bereit erklärt und die Mutter zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende einstweilige Verfügung erwirkt hat, den 6. September 1960 als Zeitpunkt der Anschaffung durch den Stpfl. ansieht, war allerdings zu dieser Zeit mit einer übertragung des Grundstücks einigermaßen sicher zu rechnen. Immerhin war aber, wie die Notwendigkeit eines Prozesses zeigt, nicht ausgeschlossen, daß die Tante sich lediglich nur zu einer Verpachtung oder zu einer erst auf einen späteren Termin anzusetzenden Veräußerung bereitfand. Der Senat folgt dem FG jedenfalls nicht darin, daß hier mehr als nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit auf Eigentumsübertragung bestand. Um bereits auf diesen Zeitpunkt eine "Anschaffung" des Stpfl. anzunehmen, fehlt es an der ausreichenden Konkretisierung der Bedingungen der übertragung. Es ist auch nicht gerechtfertigt, die Festlegung durch den erst am 19. November 1960 geschlossenen Vergleich auf jenen Zeitpunkt zurückzubeziehen. Mit dem FA ist der Senat vielmehr der Auffassung, daß erst der Vergleich selbst die "Anschaffung" bedeutete.
Ist aber die Anschaffung erst am 19. November 1960 erfolgt, dann ist die Zweijahresfrist des § 23 Abs. 1 EStG nicht überschritten. Ob man, wie das FG meint, erst den 11. September 1962 als Tag der Veräußerung anzusehen hat oder bereits den 5. Dezember 1961, kann dahingestellt bleiben, weil beide Termine in die Frist fallen.
Das angefochtene Urteil war danach wegen unrichtiger Auslegung des § 23 Abs. 1 EStG aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif und war daher zur nochmaligen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, das bei der erneuten Beurteilung des Streitfalles das Folgende zu beachten hat:
Wenn auch die Frist von zwei Jahren nicht überschritten ist, so können sich doch gegen die Annahme eines Spekulationsgeschäfts im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG andere Bedenken erheben. Die bisherigen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um den Vergleich vom 19. November 1960, durch den der Stpfl. in eine konkrete Beziehung zu dem teilweise wieder verkauften Grundstück trat, als Anschaffungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG und nicht nur als vorweggenommene Erbregelung anzusehen. Ein Erwerb im Wege der Erbfolge ist keine Anschaffung im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG (Urteil des Senats VI 300/63 U vom 18. September 1964, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 80 S. 479 - BFH 80, 479 -, BStBl III 1964, 647). Das FG hat in dieser Richtung wegen des außerordentlich niedrigen Kaufpreises, den der Stpfl. an die Tante zu zahlen hatte, selbst Bedenken gehabt. Es hat dann aber doch ein entgeltliches Geschäft und damit ein Anschaffungsgeschäft angenommen, weil auch ein geringes Entgelt ein Entgelt sei, die Entgeltlichkeit des Geschäfts also nicht in Frage gestellt sei. Sicher liegt ein Anschaffungsgeschäft im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG auch vor, wenn es dem Käufer gelungen ist, einen besonders niedrigen Kaufpreis auszuhandeln. Bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist aber nicht auszuschließen, daß sich hinter einem formellen Anschaffungsgeschäft (entgeltlichem Geschäft) ein nicht auf Gegenseitigkeit beruhendes Geschäft verbirgt. Der außerordentlich hohe "Spekulationsgewinn" legt die Annahme nahe, daß der von dem Stpfl. an die Tante gezahlte "Kaufpreis" außer Verhältnis zu dem Wert des ihm übertragenen Grundstücks stand und hier nicht Wert gegen Wert eingetauscht werden sollte, sondern daß der vereinbarte "Kaufpreis" der Tante nur eine ausreichende Altersversorgung verschaffen sollte. Dann aber ist zu prüfen, ob hier ein unentgeltliches oder nur teilweise entgeltliches Geschäft zustande gekommen ist (vgl. Urteil des Senats VI 81/62 U vom 23. August 1963, BFH 77, 450, BStBl III 1963, 484). Die Folge wäre, daß die spätere Veräußerung im erstgenannten Falle überhaupt nicht zu einem Spekulationsgewinn und im zweiten Falle nur der entgeltlich angeschaffte Teil zu einem Spekulationsgewinn führen könnte. Das FG muß zu diesen Fragen Feststellungen treffen. Dabei hört es zweckmäßig auch die Tante, welche überlegungen für die Bemessung des "Kaufpreises" maßgebend waren.
Fundstellen
Haufe-Index 412297 |
BStBl III 1967, 74 |
BFHE 1967, 146 |
BFHE 87, 146 |