Entscheidungsstichwort (Thema)
TIR-Verfahren, Zuwiderhandlung, Zuständigkeit des Abgangsmitgliedstaats für die Erhebung der Einfuhrabgaben
Leitsatz (NV)
Haben die Behörden des Abgangsmitgliedstaats im TIR-Verfahren eine Zuwiderhandlung festgestellt, ohne dass feststeht, wo sie begangen worden ist, so ist der von diesen erlassene Abgabenbescheid nicht aufzuheben, wenn später nachgewiesen wird, dass der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat liegt. In diesem Fall findet ein interner Ausgleich zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten statt, wobei dem Zollschuldner nur ein etwaiger Mehrbetrag erstattet wird.
Normenkette
ZKDV Art. 454 Abs. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein in Polen ansässiges Speditionsunternehmen. Sie erhielt von einer polnischen Firma den Auftrag Milchpulver nach B in Spanien zu befördern. Nach dem Frachtbrief, den die Klägerin in Kopie vorgelegt hat, war eine in B ansässige Firma als Empfängerin der Sendung angegeben. Am 9. Dezember 1994 ließ die Klägerin die Ware bei der deutschen Eingangszollstelle zum externen Versandverfahren mit dem Carnet TIR Nr. 12966144 abfertigen. Die Frist für die Wiedergestellung der Ware bei der Bestimmungszollstelle B wurde bis zum 15. Dezember 1994 festgesetzt. Nach der Bescheinigung über Veterinärkontrollen von aus Drittländern in die Gemeinschaft verbrachten Erzeugnissen war Bestimmungsort Saragossa.
Der Beklagte und Revisionskläger (Hauptzollamt ―HZA―) teilte der Klägerin durch Schreiben vom 8. März 1995 mit, dass die Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt worden sei; der Ort der Zuwiderhandlung habe nicht ermittelt werden können. Die Zuwiderhandlung gelte deshalb als in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) begangen, sofern nicht innerhalb von drei Monaten die ordnungsgemäße Erledigung des Versandverfahrens oder der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung nachgewiesen werde. Auf eine Suchanzeige des HZA teilte das Zollamt B am 2. Juni 1995 mit, dass die Sendung dort nicht gestellt worden sei. Auf Anfrage des HZA legte der bürgende Verband mit Schreiben vom 1. Juni 1995 eine Kopie des Stammblatts vor. Er hielt es auf Grund der darauf angebrachten Stempel für eindeutig, dass die Sendung der Bestimmungszollstelle gestellt worden sei. Auf dem daraufhin dem Zollamt in B vom HZA übermittelten Formschreiben (TC 21) vom 7. Juni 1995 kreuzte das Zollamt das Antwortkästchen "der Dienststempelabdruck scheint falsch oder verfälscht zu sein" an. Außerdem ist mit Schreibmaschine hinzugefügt: "El sello es falso" (Der Stempel ist falsch).
Auf das Schreiben des HZA vom 8. März 1995 antwortete die Klägerin mit Schreiben vom 9. Juni 1995, das am 12. Juni 1995 beim HZA einging. Zum Nachweis dafür, dass die Ware tatsächlich nach Spanien gelangt sei, legte sie u.a. Tankstellenrechnungen und eine Kopie des Frachtscheins CMR vor. Aus dem Frachtschein, der auch im Original vorgelegt worden ist, ergibt sich nach Auffassung der Klägerin, dass die Sendung bei der Empfängerin in Spanien angelangt ist. Außerdem sei nachweisbar, dass der Fahrer am 13. Dezember 1994 in N eine Rückfracht nach Polen übernommen habe.
Das HZA vertrat die Auffassung, dass die Klägerin wegen Nichtgestellung der Sendung bei der Bestimmungszollstelle Schuldnerin der Abgaben geworden und es für die Erhebung der Abgaben zuständig sei, weil der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen worden sei. Mit Steuerbescheid vom 22. November 1995 setzte es daher die Einfuhrabgaben (Abschöpfung-EURO, Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe eines Betrages von insgesamt … DM fest. Der dagegen gerichtete Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 1996). Das Finanzgericht (FG) hob die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen auf, weil das HZA für die Abgabenerhebung nicht zuständig gewesen sei.
Mit seiner Revision rügt das HZA die Verletzung von Bundesrecht. Es meint u.a., das FG habe zwar eventuell die Rechtswidrigkeit des Steuerbescheides feststellen können, sei aber an dessen Aufhebung gehindert gewesen, weil hierfür gemäß Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung ―ZKDVO―) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 253/1) ein besonders geregeltes Erstattungsverfahren vorgesehen sei. Die nach dieser Vorschrift erforderlichen Voraussetzungen für eine Erstattung der in Deutschland buchmäßig erfassten Abgaben seien im Streitfall nicht gegeben. Das HZA hat ein Schreiben der spanischen Zollverwaltung vom 6. November 1997 vorgelegt, nach dem diese ebenfalls die Inanspruchnahme der Klägerin beabsichtigt, weil sie die Zuwiderhandlung als in Spanien begangen ansieht.
Das HZA beantragt sinngemäß, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils anzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie führt im Einzelnen aus, dass das FG rechtsfehlerfrei die Zuständigkeit des HZA verneint und den angefochtenen Steuerbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufgehoben habe. Aus dem Schreiben der spanischen Zollverwaltung vom 6. November 1997 ergebe sich, dass das HZA nicht für den Erlass des Steuerbescheids zuständig gewesen sei. Bisher sei allerdings kein Steuerbescheid der spanischen Zollverwaltung gegen die Klägerin ergangen. Der Erlass eines solchen sei allerdings auch nicht mehr möglich, weil der Anspruch verjährt sei. Es gebe daher keinen Raum mehr für die Anwendung der Erstattungsvorschriften. Schließlich legt die Klägerin im Einzelnen ihre Bedenken gegen das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 23. März 2000 in den verbundenen Rechtssachen C-310/98 und C-406/98 (Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern ―ZfZ― 2000, 196) dar.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage, weil der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.
1. Wie der Senat bereits in seinem in einem Parallelverfahren ergangenen Beschluss vom 7. Juli 1998 VII R 108/97 (BFH/NV 1998, 1540) näher ausgeführt hat und worauf er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ist die Klägerin als Carnet-Inhaberin zumindest nach Art. 204 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex ―ZK―) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) Zollschuldnerin für die nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK entstandenen Einfuhrabgaben geworden, wenn sie nicht bereits durch eine Entziehung der Sendung aus der zollamtlichen Überwachung nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4 ZK Abgabenschuldnerin für die dann nach Art. 203 Abs. 1 ZK entstandene Zollschuld geworden sein sollte, weil die Sendung der Bestimmungszollstelle nicht gestellt worden ist. Das gilt auch für die Einfuhrumsatzsteuer, weil nach § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 insoweit die Vorschriften für Zölle sinngemäß anzuwenden sind.
2. Trotz eines möglichen Wechsels in der Zuständigkeit zwischen den nach dem hier maßgebenden Gemeinschaftsrecht für die Abgabenerhebung in Betracht kommenden Mitgliedstaaten verbleibt es bei dem im Streitfall durch das HZA für den Mitgliedstaat, dessen Behörden die Zuwiderhandlung festgestellt haben ―hier Deutschland―, erlassenen Steuerbescheid, weil das HZA für dessen Erlass zuständig war und die Voraussetzungen für einen Ausgleich nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 ZKDVO nicht vorliegen.
a) Für die Erhebung der Abgaben war zunächst Deutschland als der Mitgliedstaat zuständig, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt worden ist. Dies folgt aus Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZKDVO. Diese Vorschrift ist nach Auffassung des EuGH (Urteil vom 23. März 2000 in den verbunden Rechtssachen C-310/98 und C-406/98, ZfZ 2000, 196 Rz. 37), der sich der Senat auch im Streitfall anschließt (vgl. schon Senatsurteile vom 18. Juli 2000 VII R 14/98 und 108/97, BFH/NV 1998, 1540), dahin zu verstehen, dass bis auf weiteres der Mitgliedstaat als zuständig gilt, dessen Behörden die Zuwiderhandlung festgestellt haben, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Zuwiderhandlung begangen worden ist ―wie im Streitfall― zunächst nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann. Diese Zuständigkeitsvermutung gilt unabhängig davon, ob sich später auf Grund der in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZKDVO auch enthaltenen Nachweisregelung ("es sei denn …") die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ergibt. Die Zuständigkeit des zuerst genannten Mitgliedstaats hängt weiter nicht davon ab, ob dem Carnet-Inhaber zuvor eine Frist für den Nachweis nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZKDVO gesetzt wird. Da die deutschen Zollbehörden die Zuwiderhandlung (Nichterledigung des Versandverfahrens) festgestellt haben, war demnach Deutschland zunächst für die Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig, die durch das HZA als zuständige deutsche Zollstelle erfolgt ist.
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Zuständigkeit im Streitfall wieder entfallen ist, weil möglicherweise ein in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 Alternative 2 ZKDVO geregelter Ausnahmefall ("es sei denn …") vorliegt, wonach die Klägerin innerhalb des vorgeschriebenen Zeitrahmens nach den Feststellungen des FG glaubhaft nachgewiesen hat, dass der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in Spanien liegt. Auf diese Feststellungen kommt es nämlich nicht an. Denn nach der genannten Vorabentscheidung des EuGH greift der in Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 3 ZKDVO geregelte Ausgleichsmechanismus immer ein, wenn die Abgaben zunächst von dem Mitgliedstaat erhoben wurden, dessen Behörden die Zuwiderhandlung festgestellt haben, sich später aber ergibt, dass der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung in einem anderen Mitgliedstaat liegt. Das führt dazu, dass in einem solchen Fall der zunächst ergangene Steuerbescheid nicht deswegen aufzuheben ist, weil die Behörde, die ihn erlassen hat, dafür unzuständig gewesen wäre, sondern ein interner Ausgleich zwischen dem zunächst für die Abgabenerhebung zuständig gewesenen Mitgliedstaat und dem infolge des glaubhaften Nachweises über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung anspruchsberechtigten Mitgliedstaat stattzufinden hat, wobei dem Zollschuldner, der die Abgaben gezahlt hat, nur ein etwaiger Mehrbetrag erstattet wird. Dieser Mehrbetrag ergibt sich, wenn die im ersten Mitgliedstaat erhobenen nationalen Eingangsabgaben höher sind als diejenigen nationalen Eingangsabgaben, die in dem anspruchsberechtigten anderen Mitgliedstaat zu erheben gewesen wären. Da die Klägerin einen solchen Mehrbetrag nicht geltend gemacht und nicht belegt hat, dass er angefordert oder erhoben wurde, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob sich ein solcher im Vergleich zwischen den in Deutschland und den in Spanien zu erhebenden nationalen Abgaben ergeben würde, um den der angeforderte Betrag zu ermäßigen oder der Klägerin zu erstatten wäre, wenn die Abgaben bereits gezahlt worden sein sollten.
Fundstellen
Haufe-Index 510350 |
BFH/NV 2001, 498 |
HFR 2001, 322 |