Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des begrenzten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen; Versagung des Haushaltsfreibetrages
Leitsatz (NV)
- Die Begrenzung der steuerlich abziehbaren Vorsorgeaufwendungen und die Kürzung des Vorwegabzugs bei zusammenveranlagten Eheleuten sind auch dann verfassungsgemäß, wenn bereits die tatsächlichen Aufwendungen für die Krankheitsvorsorge die abziehbaren Höchstbeträge überschreiten.
- Die verfassungswidrige Versagung des Haushaltsfreibetrages für Eheleute ist von diesen bis zum 31. Dezember 2001 hinzunehmen. Das gilt auch, wenn Einkommensteuerbescheide bis einschließlich 2001 noch nicht bestandskräftig sind.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 3, § 32 Abs. 7; AO 1977 §§ 163, 227
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben ein gemeinsames, im Jahre 1973 geborenes Kind, das sich in den Streitjahren 1996 und 1997 noch in Berufsausbildung befand. Die Kläger heirateten im Jahr 1993.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus selbständiger (63 402 DM und 46 882 DM) und aus nicht sozialversicherungspflichtiger nichtselbständiger Arbeit (je 24 000 DM) sowie aus Vermietung und Verpachtung (./. 9 156 DM und ./. 9 681 DM), die Klägerin Einkünfte aus sozialversicherungspflichtiger nichtselbständiger Arbeit (61 063 DM und 61 485 DM). Für die Streitjahre machten die Kläger Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 44 828 DM und 45 804 DM geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Kläger antragsgemäß zusammen. Dabei ließ er
nach Kürzung des Vorwegabzugs um 16 v.H. der Einnahmen der Klägerin nur 10 060 DM und 9 993 DM der Vorsorgeaufwendungen zum Abzug zu. Die abgezogenen Höchstbeträge lagen ―bei einem geschätzten Arbeitnehmeranteil zur Krankenversicherung der Klägerin von 6,5 v.H.― im Jahr 1996 um 4 217 DM und im Jahr 1997 um 5 083 DM unter den Aufwendungen der Kläger für Kranken- und Pflegeversicherung.
Die Kläger legten Einsprüche mit der Begründung ein, nicht nur durch die Versagung des Haushaltsfreibetrages nach § 32 Abs. 7 EStG, sondern auch aufgrund der Kürzung des Vorwegabzugs würden sie seit ihrer Eheschließung höher besteuert als vorher. Dies gelte auch bei einer getrennten Veranlagung. Das FA wies die Einsprüche als unbegründet zurück.
Die Klagen hatten nur insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) dem Hilfsantrag der Kläger auf getrennte Veranlagung nach § 26a EStG stattgab. Im Übrigen hielt es die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Ein Haushaltsfreibetrag stehe Ehegatten gemäß § 32 Abs. 7 EStG nicht zu. Das Gesetz sei insoweit zwar verfassungswidrig, gelte aber bis zum 31. Dezember 2001 fort. Die Kürzung des Vorwegabzugs bei Ehegatten sei verfassungsgemäß. Soweit die Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. November 1998 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97 (BStBl II 1999, 194) im Steuerfestsetzungsverfahren eine Billigkeitsregelung begehrten, könne dem nicht stattgegeben werden, weil das BVerfG hinsichtlich der Haushaltsfreibetragsregelung keine entsprechende Anordnung getroffen habe.
Mit ihrer Revision verweisen die Kläger auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 23. Januar 2001 XI R 17/00 (BFHE 194, 416, BStBl II 2001, 346) und rügen darüber hinaus Verletzung des Art. 6 des Grundgesetzes (GG), weil sie allein aufgrund ihrer Eheschließung 3 208 DM und 3 077 DM mehr Einkommensteuer zahlen müssten als in nichtehelicher Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Selbst bei getrennter Veranlagung ergebe sich noch eine Differenz zu ihren Lasten in Höhe von 1 826 DM und 1 833 DM. Die ursprünglich zugunsten der Ehegatten eingeführte Verdoppelung der Höchstbeträge wirke sich aufgrund zahlreicher Gesetzesänderungen nunmehr infolge der Kürzung des dem Kläger als nicht Sozialversicherungspflichtigem zustehenden Vorwegabzugs zum Nachteil der seit 1993 verheirateten Kläger aus. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des BVerfG sei mittlerweile überholt, zumindest gelte sie nicht in solchen Fällen, in denen selbst bei getrennter Veranlagung verheiratete Steuerpflichtige schlechter gestellt würden als unverheiratete Partner. Dasselbe gelte für die Rechtsprechung des BVerfG zum Haushaltsfreibetrag. Zwar sei danach bis zum 31. Dezember 2001 die verfassungswidrige Versagung des Haushaltsfreibetrags von Eheleuten hinzunehmen. Diese Schlechterstellung verheirateter Steuerpflichtiger müsse aber dort ihre Grenze finden, wo die Versagung des Haushaltsfreibetrages nicht einmal durch eine getrennte Veranlagung aufgefangen werden könne. In jedem Fall müsse nach der Entscheidung des BVerfG bereits im Steuerfestsetzungsverfahren die Möglichkeit einer Billigkeitsmaßnahme geprüft werden.
Die Kläger beantragen, die Urteile des FG aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für 1996 und 1997 dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuerbelastung unter Berücksichtigung von Art. 6 GG, hilfsweise durch Anwendung von § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) mindestens so weit herabgesetzt wird, dass die Steuerbelastung der Ehegatten nicht höher ist als die der in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Paare bei gleichen Einkommens- und Kindschaftsverhältnissen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Kläger ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Recht hat das FG die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 nicht entsprechend den Hauptanträgen der Kläger geändert.
1. Die Begrenzung der steuerlich abziehbaren Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 EStG ist verfassungsgemäß. Mit Urteil vom 11. Dezember 2002 XI R 17/00 hat der erkennende Senat auch für den Fall, dass bereits die tatsächlichen Aufwendungen für die Krankheitsvorsorge die abziehbaren Höchstbeträge überschreiten, die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bejaht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das in Kopie beigefügte Urteil Bezug genommen. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung gilt auch seit Einführung der Pflegepflichtversicherung nichts anderes.
2. Die Kürzung des Vorwegabzugs bei zusammenveranlagten Eheleuten nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG ist verfassungsgemäß. Der Beschluss des BVerfG vom 16. Januar 1991 2 BvR 1400/90 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1991, 672) ist nicht überholt. Auch ist zu berücksichtigen, dass ein selbständig tätiger Steuerpflichtiger, dessen Ehepartner auf Grund seiner nichtselbständigen Arbeit gesetzlich sozialversichert ist, nach dem Prinzip der "Familienversicherung" ―anders als der Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft― in den Genuss von Leistungen der Sozialversicherung gelangen kann (vgl. z.B. § 34 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Im Übrigen kann nach § 26a EStG der nicht sozialversicherungspflichtige Ehepartner ―allerdings unter Verlust eines möglichen Splittingvorteils― eine getrennte Veranlagung beantragen und damit den Abzug von Vorsorgeaufwendungen ohne Kürzung des Vorwegabzugs erreichen. Der Wegfall des sog. Splittingvorteils wirkt sich bei geringer Differenz zwischen den Einkünften von Ehegatten ―wie im Streitfall― allenfalls geringfügig aus.
3. Die Schlechterstellung der Kläger im Vergleich zu Partnern einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft folgt aus der Versagung des Haushaltsfreibetrages nach § 32 Abs. 7 EStG. Sie verletzt Art. 6 GG, ist aber nach der Rechtsprechung des 2. Senats des BVerfG in den Streitjahren 1996 und 1997 hinzunehmen. Eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 scheidet aus.
a) Mit Beschluss vom 10. November 1998 hat der 2. Senat des BVerfG entschieden, dass § 32 Abs. 7 EStG mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar ist, soweit er die in ehelicher Gemeinschaft lebenden unbeschränkt steuerpflichtigen Eltern von der Gewährung des Haushaltsfreibetrages ausschließt (2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182). Er hat jedoch die Fortgeltung der gesetzlichen Regelung bis zum 31. Dezember 2001 angeordnet (in BStBl II 1999, 182, unter D. I. 2.). Danach ist der mit der Verfassung nicht in Einklang stehende Rechtszustand grundsätzlich von allen Steuerpflichtigen bis zu dem angeführten Zeitpunkt hinzunehmen (Ausnahme siehe BFH-Urteil vom 3. Juli 2002 VI R 87/99, BFH/NV 2002, 1526). Dies gilt auch, wenn Einkommensteuerbescheide bis einschließlich 2001 noch nicht bestandskräftig sind (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1998 X R 48/97, BFH/NV 1999, 1192; vom 22. Februar 2001 VI R 115/96, BFH/NV 2001, 1110; vom 15. Juli 1999 III R 51/98, BFHE 190, 94, BStBl II 1999, 823, m.w.N.).
b) Die Einkommensteuer für 1996 und 1997 kann auch nicht aus Billigkeitsgründen niedriger festgesetzt werden.
Streitgegenstand sind die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre. Billigkeitsmaßnahmen können aufgrund der in § 163 Satz 3 AO 1977 verankerten Zweigleisigkeit grundsätzlich nicht im Steuerfestsetzungsverfahren ausgesprochen werden (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 163 Rdnr. 2). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass ―anders als im Beschluss vom 10. November 1998 2 BvL 42/93 (BStBl II 1999, 174)― das BVerfG in dem die Verfassungswidrigkeit des § 32 Abs. 7 EStG betreffenden Beschluss die Prüfung einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 163, 227 AO 1977 nur für die Beschwerdeführer dieses konkreten verfassungsgerichtlichen Verfahrens angeordnet hat. Dies ergibt sich daraus, dass es in diesem Verfahren auf die Formulierung "in allen bei ihm anhängigen Parallelverfahren" (so BStBl II 1999, 174, unter C. III.) verzichtet hat (vgl. BFH in BFH/NV 1999, 1192; BFH/NV 2001, 1110, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 959760 |
BFH/NV 2003, 1160 |