Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerpflicht der Entschädigung für die Aufgabe des Amtes als Testamentsvollstrecker
Leitsatz (amtlich)
Der Verzicht auf die Ausübung des Amtes als Testamentsvollstrecker gegen "Entschädigung bzw. Schadensersatz" kann eine sonstige Leistung i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993 sein.
Normenkette
UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1; EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde mit Testament des Erblassers auf Lebenszeit zu dessen Testamentsvollstrecker bestimmt. Alleinerbe war ein Verein (D).
Wegen unüberbrückbarer Spannungen zwischen dem Vorstand des Erben und dem Kläger betreffend die Art und Weise der Verwaltung des Nachlasses und die Bemessung der Testamentsvollstreckervergütung kam es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, durch den die Testamentsvollstreckung im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. Dezember 1994 beendet wurde und der Kläger "als Entschädigung bzw. Schadenersatz für den Verlust aufgrund vorzeitiger Beendigung der Testamentsvollstreckung und den Entgang der ab 01. 01. 1995 auf die Dauer der Testamentsvollstreckung entfallenden Honorare" vorhandene Guthaben auf bestimmten Konten erhielt.
Im Rahmen einer Außenprüfung erlangte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) Kenntnis davon, dass der Kläger im Streitjahr 1995 für die Aufgabe seiner Tätigkeit als Testamentsvollstrecker eine Zahlung in Höhe von 2 317 893 DM erhalten hatte und unterwarf die Zahlung mit Bescheid vom 7. Dezember 1999 der Umsatzsteuer.
Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Februar 2001 Untätigkeitsklage erhoben hatte, wies das FA den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid mit Einspruchsentscheidung vom 28. März 2001 als unbegründet zurück. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte einen Leistungsaustausch. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1557 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Es führt u.a. aus, aufgrund der gerichtlich vereinbarten Beendigung der Tätigkeit des Testamentsvollstreckers ergebe sich ein Bündel von wirtschaftlich messbaren Vorteilen, die D zugute kämen. So könne dieser in Zukunft ohne die bisher auferlegten Beschränkungen frei über die Erbmasse verfügen und das Vermögen durch die Freigabe voll nutzen und verwerten. Ein weiterer finanzieller Vorteil liege in dem Wegfall der nicht unerheblichen lebenslänglichen Vergütung, die den als Abfindung gezahlten Betrag in späteren Jahren deutlich überschritten hätte. Zudem trete der Erbe in die vom ehemaligen Testamentsvollstrecker abgeschlossenen Verträge ein und erwerbe damit gesicherte Rechtspositionen mit entsprechenden wirtschaftlichen und finanziellen Vorteilen. Es handele sich auch um eine einem konkreten Empfänger gegenüber erbrachte Leistung. Gegenseitigkeit liege vor, denn der Kläger hätte sein Amt ohne eine entsprechende Zahlung nicht aufgegeben. Daher sei ein Leistungsaustausch in Erwartung der Gegenleistung erfolgt. Ein schuldrechtlicher Vertrag sei hierzu nicht erforderlich. Echter Schadensersatz könne schon deshalb nicht vorliegen, weil eine bewusste Leistung aufgrund eines Leistungswillens gegeben sei, nicht hingegen ein Schaden infolge eines durch den Geschädigten nicht beeinflussbaren Ereignisses.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
U.a. führt er aus, im Streitfall fehle es schon deshalb an einem Leistungsaustausch, weil zwischen ihm, dem Kläger, und D kein Rechtsverhältnis bestanden habe. Erst durch sein Tätigwerden sei ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet worden. Ein Testamentsvollstrecker erbringe auch keine Leistungen gegenüber dem Erben, sondern verwalte vielmehr das Erbe entsprechend den Weisungen des Erblassers. Daher stelle der Verzicht auf das Amt keine umsatzsteuerbare Leistung dar. Dies gelte erst recht, wenn man berücksichtige, dass das Amt des Testamentsvollstreckers nur höchstpersönlich ausgeübt werden dürfe und daher kein verkehrsfähiges Rechtsgut des Wirtschaftsverkehrs sei.
Er, der Kläger, habe auch nicht freiwillig gehandelt. Mit dem Abschluss des Vergleichs sei er lediglich dem bereits schriftsätzlich angekündigten Abberufungsverfahren des Erben zuvorgekommen.
Zudem habe er sein Amt nicht niedergelegt, um die Ausgleichszahlung zu erhalten, sondern er habe es aufgrund von unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten niederlegen müssen; als Kompensation habe er in Form von echtem Schadensersatz eine Entschädigung erhalten. Es fehle daher der notwendige unmittelbare Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung.
Ferner habe der Verzicht auf das Amt dem Erben auch keinen Vorteil verschafft, der einen Kostenfaktor in dessen Tätigkeit bilde. Vielmehr sei die Abberufung für den Erben nachteilig gewesen, weil dieser gezwungen gewesen sei, sachkundige Dritte mit der Durchführung derjenigen Verwaltungsaufgaben zu betrauen, die bis dahin er, der Kläger, wahrgenommen habe. Die durch die Einschaltung Dritter angefallenen Kosten seien zusammen mit dem Abfindungsbetrag sicherlich höher als der Betrag, der angefallen wäre, wenn es nicht zur Amtsaufgabe gekommen wäre.
Zudem könne die Erklärung eines Rechtsverzichts auch nicht unter den Begriff der Dienstleistung subsumiert werden.
Schließlich habe D auch keinen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinne des Mehrwertsteuerrechts geführt habe. Denn der Erbe erwerbe durch den Verzicht auf das Amt des Testamentsvollstreckers keine Gegenstände und empfange auch keine Dienstleistung zur eigenen Verwendung.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das FG hat zu Unrecht eine Leistung gegen Entgelt verneint.
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Besteuerung einer Lieferung oder sonstigen Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993 setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und dem empfangenen Gegenwert voraus; der Leistungsempfänger muss identifizierbar sein; er muss einen Vorteil erhalten, der zu einem Verbrauch im Sinn des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteile vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95, Fillibeck, Slg. 1997, I-5577, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 1997, 430; vom 29. Februar 1996 Rs. C-215/94, Mohr, Slg. 1996, I-959; vom 18. Dezember 1997 Rs. C-384/95, Landboden, Slg. 1997, I-7387, UVR 1998, 51, und Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 11. April 2002 V R 65/00, BFHE 198, 233, BStBl II 2002, 782).
Eine sonstige Leistung ist gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 9 UStG 1993 auch der Verzicht, ganz oder teilweise eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit auszuüben (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. November 2003 V R 59/02, BFHE 203, 540).
2. Der Kläger hat mit dem Verzicht, sein Amt als Testamentsvollstrecker weiter auszuüben, eine derartige Leistung an D erbracht.
a) Entgegen der Auffassung des FG scheitert die Beurteilung als umsatzsteuerbare Leistung des Klägers an D nicht daran, dass zwischen dem Erben und dem Testamentsvollstrecker kein Vertrag oder ein vertragsähnliches Verhältnis, sondern ein gesetzliches Schuldverhältnis besteht. Ein Umsatz kann auch im Rahmen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses erfolgen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG 1993).
D hat durch die Leistung des Klägers auch einen Vorteil erlangt, da D durch den Verzicht über den Nachlass ohne die Beschränkungen durch die Testamentsvollstreckung verfügen konnte (zu den Verfügungsbeschränkungen des Erben durch die Testamentsvollstreckung vgl. § 2211 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ―BGB―, und Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 2. Oktober 1957 IV ZR 217/57, BGHZ 25, 275). Darauf, ob dem D durch den Wegfall der Testamentsvollstreckung andere Aufwendungen für die Verwaltung des Nachlasses erwuchsen, kommt es nicht an. Dem D war jedenfalls die Befreiung von den Fesseln der Testamentsvollstreckung die in dem Vergleich mit dem Kläger vereinbarte "Entschädigung" bzw. der "Schadensersatz" wert.
b) Entgegen der Annahme des FG entspricht diese Auslegung dem Gemeinschaftsrecht. Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (im Folgenden: Richtlinie 77/388/EWG) bestimmt:
"Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Art. 5 ist.
Diese Leistung kann unter anderem bestehen
…
- in der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;
…"
Der Annahme einer Dienstleistung i.S. von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG kann nicht entgegengehalten werden, dass der Leistungsempfänger keinen Vorteil zur eigenen Verwendung erhalten habe (vgl. EuGH-Urteile in Slg. 1996, I-959 Randnr. 19 bis 22, und in Slg. 1997, I-7387 Randnr. 12, 13). Denn im Streitfall hatte die Beendigung der Testamentsvollstreckung ―wie bereits erwähnt― zur Folge, dass die Beschränkung der Rechtsstellung des Erben weggefallen ist.
3. Die Leistung ist auch gegen Entgelt erfolgt.
Zwischen dem Verzicht des Klägers, sein Amt als Testamentsvollstrecker weiter auszuüben, und der vereinbarten "Entschädigung" besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.
Nach Ziffer III. des Vergleichs hat der Kläger "als Entschädigung bzw. Schadensersatz für den Verlust aufgrund vorzeitiger Beendigung der Testamentsvollstreckung und den Entgang der ab 1.1.1995 auf die Dauer der Testamentsvollstreckung entfallenden Honorare" den Bestand bestimmter zur Erbmasse gehöriger Depots und Girokonten erhalten. Nach Ziffer IV. sollten damit "alle Ansprüche zwischen den Parteien, gleich ob bekannt oder unbekannt und unabhängig von der Bewertung des Nachlasses abgegolten" sein.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann hieraus nicht geschlossen werden, dass es sich bei der streitigen Zahlung um sog. "echten", d.h. nicht steuerbaren Schadensersatz handelt. Denn entscheidend für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ist nicht die von den Beteiligten verwendete Bezeichnung. Ob die angeführten Voraussetzungen für einen Leistungsaustausch vorliegen, ist vielmehr allein nach umsatzsteuerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen (vgl. BFH-Urteile vom 7. August 1969 V 177/65, BFHE 96, 441, BStBl II 1969, 696, und vom 10. Juli 1997 V R 94/96, BFHE 183, 288, BStBl II 1997, 707, Umsatzsteuer-Rundschau 1997, 473).
Danach liegt eine Leistung gegen Entgelt vor, da D sich zu den Geldzuwendungen an den Kläger verpflichtet hat, um dessen Verzicht auf die weitere Ausübung seines Testamentsvollstreckeramts zu erreichen, und D hierfür die vereinbarten Geldwerte erhalten hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1178577 |
BFH/NV 2004, 1352 |
BStBl II 2004, 854 |
BFHE 2004, 535 |
BFHE 205, 535 |
BB 2004, 1726 |
DStRE 2004, 1039 |
HFR 2004, 1008 |
UR 2004, 470 |