Leitsatz (amtlich)
Das Aufrechterhalten einer doppelten Haushaltsführung ist auch bei in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Gastarbeitern in der Regel privat veranlaßt, wenn sie vorwiegend wegen wirtschaftlicher Erwägungen und wegen Schwierigkeiten beim Umschulen der Kinder sowie beim Vermieten des eigenen, von der Familie bewohnten Hauses von einem Umzug der Familie an den Arbeitsort Abstand nehmen.
Normenkette
EStG 1975 § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisonskläger (Kläger) ist als türkischer Gastarbeiter seit dem Jahr 1970 in B tätig, wo er eine mit eigenem Mobiliar eingerichtete Zweizimmerwohnung mit Küche und Innentoilette innehat. Nach seinen Angaben wohnt seine Familie (Ehefrau und sechs Kinder) mit seiner Mutter in einem ihm gehörenden, aus drei Zimmern bestehenden Haus in einem etwa 14 km von Ankara entfernt liegenden kleinen Dorf.
Der Kläger machte im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1975 Ausgaben wegen doppelter Haushaltsführung von 6 191 DM als Werbungskosten geltend (Kosten für eine Familienheimfahrt mit dem Flugzeug 425 DM, Miete am Arbeitsort 1 476 DM und Mehraufwand für Verpflegung von 13 DM x 330 Tage = 4 290 DM). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) ließ diese Aufwendungen nicht zum Abzug zu, da die Familie nicht aus beruflichen Gründen an zwei Orten wohne. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Haushalt seiner Ehefrau in der Türkei im Jahr 1975 "geführt" habe, da es zweifelhaft sei, wie lange er in diesem Jahr seine Familie in der Türkei besucht habe.
Die Klage könne jedenfalls schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Kläger in B einen eigenen Hausstand unterhalten habe, also nicht "außerhalb des Ortes, in dem er seinen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt" gewesen sei (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG). Es sei nicht maßgebend, ob der Hausstand des Klägers in B für die Unterbringung seiner gesamten Familie ausgereicht hätte. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG stelle nur auf die Unterhaltung eines eigenen Hausstands ab, nicht aber auf die Anzahl seiner ständigen Benutzer.
Sollte eine doppelte Haushaltsführung doch gegeben sein, so wäre sie im Streitjahr 1975 nicht mehr beruflich bedingt gewesen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über die doppelte Haushaltsführung liege darin, den Arbeitnehmer in zeitlich begrenzten Ausnahmesituationen zu entlasten. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht die Ausgaben für Essen, Trinken, Wohnen und Reisen gewissermaßen als "Dauerzustand" steuermindernd behandeln wollen. Er habe nur die "notwendigen" Mehraufwendungen dieser grundsätzlich dem Privatbereich zugewiesenen Kosten der Lebensführung zum Abzug zugelassen. Das Wort "notwendig" enthalte eine zeitliche Begrenzung für die Abzugsfähigkeit dieser Aufwendungen. Bei dem seit 1970 in B tätigen und im Zeitpunkt der Urteilsfindung im siebten Jahr in B wohnenden Kläger sei dieser Übergangszeitraum längst abgelaufen. Berufliche Gründe für eine weitere Trennung der Familie seien nicht ersichtlich. Das Gericht sei aufgrund des Vorbringens des Klägers davon überzeugt, daß private Gründe, wie der Schulbesuch der Kinder in der Türkei, insbesondere aber wirtschaftliche Erwägungen, für die weitere Familientrennung maßgebend gewesen seien. Es sei allgemein bekannt, daß ausländische Arbeitnehmer in Deutschland oft sehr sparsam lebten, um sich nach Rückkehr in der Heimat eine neue Existenzgrundlage zu schaffen. Das treffe auch für den Kläger zu. Bei der Suche nach einer angemessenen Fünfzimmerwohnung in B für sich und seine Familie dürfte dem Kläger klargeworden sein, daß die in B geforderten Kosten-, Markt- oder Sozialmieten weit über den Aufwendungen lägen, die er für das getrennte Wohnen seiner Familie zu tragen habe. Da solche Mietwohnungen nicht sehr leicht zu finden seien und möglicherweise auch das Haus des Klägers in einem kleinen Dorf in der Türkei schwer zu vermieten sei, habe er sich dahin entschieden, das getrennte Wohnen der Familie noch einige Zeit hinzunehmen.
Der Kläger habe im übrigen durch das Unterhalten von zwei Wohnungen - in der Türkei und in B - keine Mehraufwendungen i. S. des § 9 EStG gehabt. Bei der Berechnung sei von den nach § 12 EStG nichtabzugsfähigen Normalaufwendungen auszugehen, d. h. von den Aufwendungen, die der Kläger und seine Familie gehabt hätten, wenn sie im Jahr 1975 gemeinsam am Arbeitsort B gewohnt und gelebt hätten. Ein anderer Ausgangspunkt würde zu einer im Einkommensteuergesetz nicht beabsichtigten Benachteiligung vergleichbarer Arbeitnehmer mit Wohnsitz am Beschäftigungsort führen, weil ihre im einheitlichen Währungs- und Wirtschaftsgebiet der Deutschen Mark entstehenden Haushaltsaufwendungen regelmäßig viel höher seien, sich jedoch infolge des § 12 EStG nicht steuermindernd auswirken könnten. Den Kosten einer Familienheimfahrt ständen im Streitfall erhebliche Einsparungen gegenüber, weil das Wohnen, Essen, Trinken und Bekleiden, kurzum der Lebensunterhalt der Familie, in B teuerer als das getrennte Wohnen der Familie gewesen wären. Nach Auffassung des Gerichts habe der Kläger eine solche Mehrbedarfsrechnung längst angestellt und sich ausgerechnet, daß das Getrenntleben der Familie einen wirtschaftlichen Gewinn für ihn bringe. Sollte er jedoch behaupten wollen, daß er in B genau so billig lebe wie in der Türkei, so würde die Anwendung des auf einen Normalbetrag für Verpflegung aufgestockten Satzes für Verpflegungsmehraufwand von 13 DM täglich zu einer unzutreffenden Besteuerung führen.
Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung des § 9 EStG. Er bringt vor, ein Abzug von 13 DM täglich Verpflegungsmehraufwand führe bei ihm zu keiner unzutreffenden Besteuerung, da ihm bei einem Nettogehalt von ca. 18 000 DM unter Berücksichtigung von Mehrbelastungen für die doppelte Haushaltsführung von 6 191 DM und Unterhaltsaufwendungen für seine Familie in der Türkei von 6 000 DM jährlich noch weitere 6 000 DM für seine sonstigen Lebensbedürfnisse verblieben. Dieser Betrag sei ausreichend. Eine doppelte Haushaltsführung sei auch dann gegeben, wenn er am Beschäftigungsort eine Wohnung miete, anstatt in ein Arbeiterwohnheim zu ziehen oder ein Untermietverhältnis einzugehen. Die Abzugsfähigkeit der streitigen Aufwendungen sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil er schon seit 1970 in B tätig sei. Nach dem Urteil des FG Münster vom 24. Oktober 1974 VI 1478/74 E (EFG 1975, 111) sei ein Zeitraum von zehn Jahren als Obergrenze anzusehen. Sie habe er noch nicht erreicht.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheids des FA vom 8. April 1976 und der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 1976 sowie des Urteils des FG die Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung zum Abzug zuzulassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Wie der Senat in dem Urteil vom 2. September 1977 VI R 114/76 (BStBl II 1978, 26) ausgeführt hat, müssen die Entstehung und Aufrechterhaltung einer doppelten Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG 1975 sowohl bei inländischen Arbeitnehmern als auch bei in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Gastarbeitern beruflich bedingt sein, wobei nach allgemeiner Lebenserfahrung bei einer aus beruflichen Gründen entstandenen doppelten Haushaltsführung eine widerlegbare Vermutung dafür spricht, daß die Aufrechterhaltung dieser Haushaltsführung in den ersten zwei Jahren weiterhin beruflich veranlaßt sein wird. Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen...
Das FG hat die Klage u. a. wegen fehlender beruflicher Veranlassung zu Recht abgewiesen. Es ist im Streitfall offensichtlich davon ausgegangen, daß der Kläger die doppelte Haushaltsführung zwar aus beruflichem Anlaß begründet hat. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden; denn die ausländischen Gastarbeiter kommen in der Regel deshalb in die Bundesrepublik Deutschland, um hier Arbeit zu finden. Das FG konnte ohne Rechtsverstoß jedoch die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung im Streitjahr 1975 nicht mehr als beruflich bedingt ansehen. Der Kläger lebte seit 1970 als Gastarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland. Er konnte sich im ersten Jahr seines hiesigen Aufenthaltes um eine Wohnung für seine Familie bemühen und nach Ablauf des ersten Jahres eine Aufenthaltsgenehmigung für seine Familienangehörigen beantragen (vgl. Urteil des BFH VI R 114/76). Ebenso wie bei inländischen Arbeitnehmern bestand auch für ihn nach zwei Jahren doppelter Haushaltsführung keine auf Lebenserfahrung beruhende Vermutung mehr, daß die Aufrechterhaltung dieses Zustandes weiterhin beruflich bedingt ist. Er hätte daher die weitere berufliche Veranlassung dem FA und FG nachweisen oder glaubhaft machen müssen. Das ist ihm nicht gelungen. Das FG konnte im Streitfall ohne Rechtsverstoß davon ausgehen, daß für die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung im sechsten Jahr der Familientrennung überwiegend private Gründe maßgebend waren, wie der Schulbesuch der Kinder und die wirtschaftliche Erwägung, daß ein Getrenntleben für den Kläger finanziell vorteilhafter ist als ein Zusammenleben mit der Familie in B. Der Senat ist an diese Sachverhaltsfeststellung gebunden, da der Kläger hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 118 Abs. 2 FGO). Die vom FG festgestellte Tatsache, daß es für den Kläger nicht leicht war, in B eine Fünfzimmerwohnung für seine Familie zu bekommen sowie eventuelle Schwierigkeiten beim Vermieten des eigenen Hauses in einem kleinen türkischen Dorf sind ebenfalls private Gründe für das Aufrechterhalten der doppelten Haushaltsführung.
Da das FG aufgrund dieser Erwägungen die Klage zu Recht abgewiesen hat, braucht der Senat auf die anderen, vom FG angeführten Gründe für die Klageabweisung nicht einzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 72592 |
BStBl II 1978, 31 |
BFHE 1978, 457 |