Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
In den Fällen der Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO steht § 234 AO einer Ermäßigung unter den ursprünglichen Steuerbetrag nicht entgegen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 2, §§ 234, 232/1
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (BG.) gründete im Jahre 1945 zusammen mit dem Kaufmann A. die Firma B., Großhandel mit Weinen und Spirituosen. Nach Trennung von A. Ende März 1948 setzte der Bg. den Großhandel unter der Firma C. fort. Angeblich gab er ihn am 1. Juni 1949 auf und begann unter der gleichen Firma mit der Herstellung von Spirituosen. Auch diesen Betrieb will er Anfang 1950 stillgelegt haben.
Für 1949 hatte der Bg. keine Einkommensteuererklärung abgegeben. Das Finanzamt schätzte deshalb seinen Gewinn auf 10.000 DM und veranlagte den Bg. demgemäß durch Bescheid vom 1. April 1952, der dem Bg. am 30. Mai 1952 persönlich ausgehändigt wurde. Dieser Bescheid wurde rechtskräftig.
Im Juni 1952 fand im Zusammenhang mit einer Prüfung durch die Zollbehörde eine Fahndungsprüfung bei dem Bg. statt. Dabei wurde festgestellt, daß er keine ordnungsmäßige Geschäftsbücher geführt und Ende 1949 ein großes Spritgeschäft durchgeführt hatte. Es handelte sich um 20.000 Liter 96%igen Alkohol aus der Ostzone, der in den Büchern nicht eingetragen war. Die Prüfer und ihnen folgend das Finanzamt nahmen an, daß dieses Geschäft allein einen Gewinn von 30.000 DM erbracht hatte, zumal der Bg., der angeblich im Jahre 1950 zehn Monate lang arbeitsunfähig gewesen war, in dieser Zeit verschiedene erhebliche Ausgaben geleistet hatte. So habe der Bg. im Februar 1950 an X. in Berlin ein Darlehen von 10.000 DM und Anfang 1951 an seinen Bruder ein Darlehen von 21.000 DM gegeben, im Juni 1950 einen Kraftwagen für 3.000 DM angeschafft und an seine Ehefrau Ende 1951 ein Darlehen von 17.000 DM ausgezahlt.
Das Finanzamt erließ deshalb einen nach § 222 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigten Bescheid vom 30. August 1952 unter Zugrundelegung eines Gewinnes aus Gewerbebetrieb von 40.000 DM.
Der dagegen vom Bg. eingelegte Einspruch, mit dem eingewandt wurde, daß das große Spritgeschäft von Ende 1949 keinen Gewinn, sondern einen großen Verlust gebracht habe, blieb ohne Erfolg. Mangels ordnungsmäßiger Buchführung sei Schätzung nach § 217 AO geboten. Die vom Bg. eingereichte Bilanz zum 31. Dezember 1949 sei unbeachtlich, weil sie keinerlei Zusammenhang mit der Buchführung habe. Der Gewinn sei nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes zu ermitteln, was eine Rückstellung für Zollschulden, die der Bg. begehre, ausschließe. Da überdies anzunehmen sei, daß der Bg. außer dem einen großen Spritgeschäft von Ende 1949 noch weitere Geschäfte getätigt habe, müsse der geschätzte Gewinn von 40.000 DM erzielt worden sein.
Auf die Berufung des Bg. kam das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß der Bg. bei dem Spritgeschäft von Ende 1949 einen Verlust von 41.637 DM erlitten habe und daß sich im Gesamtergebnis für 1949 ein Verlust von 17.637 DM ergebe, so daß eine Einkommensteuer nicht zu erheben sei.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts, mit der gerügt wird, daß das Finanzgericht die Vorschrift des § 234 AO unbeachtet gelassen habe. Da der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid für 1949 vom 1. April 1952 rechtskräftig gewesen sei, hätte das Finanzgericht die Einkommensteuer für 1949 auf keinen geringeren Betrag als den dort festgesetzten von 2.799 DM bemessen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Es steht unbestritten fest, daß der Bg. durch Bescheid vom 1. April 1952 - ihm zugestellt durch persönliche übergabe am 30. Mai 1952 - unter Zugrundelegung eines gewerblichen Gewinnes von 10.000 DM zu einer Einkommensteuer von 2.799 DM veranlagt war, und daß dieser Bescheid, der vom Bg. innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht angegriffen wurde, mit Ablauf des 30. Juni 1952 rechtskräftig wurde. Auf Grund der Feststellung bei der Mitte 1952 durchgeführten Prüfung wurde dann wegen der neu festgestellten Tatsache des großen Spritgeschäftes von Ende 1949 ein nach § 222 AO berichtigter Bescheid erlassen, der einen Gewinn von 40.000 DM zugrunde legte.
Der § 234 AO sieht vor, daß solche frühere rechtskräftige Steuerbescheide ändernde Bescheid selbständig anfechtbar sind, soweit die änderung reicht. Das bedeutet aber nicht, daß der Steuerpflichtige in allen Fällen der änderung der Möglichkeit beraubt wäre, eine Ermäßigung unter den ursprünglichen Steuerbetrag zu erreichen. Wie der Reichsfinanzhof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat (Urteile VI A 1325/32 vom 6. September 1932, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1932 S. 849; I A 183/33 vom 27. September 1933, RStBl. 1933 S. 1158; III A 94/34 vom 10. Oktober 1935, RStBl. 1935 S. 1411; III e 53/39 vom 30. Januar 1941, RStBl. 1941 S. 122), kann § 234 AO die Abänderung des ersten rechtskräftigen Bescheides zugunsten des Steuerpflichtigen nicht hindern, wenn die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO gegeben sind, d. h. wenn durch eine Prüfung neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt geworden sind, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen. Dem ist auch der Oberste Finanzgerichtshof beigetreten (Entscheidung IV 37/50 vom 13. Juni 1950, Steuerrechtsprechung in Karteiform § 222 AO Rechtsspruch 2) und es besteht kein Anlaß, davon abzuweichen. Im gegebenen Falle war durch die Betriebsprüfung seitens des Fahndungsdienstes Mitte 1952 die neue Tatsache des großen Spritgeschäftes von 1949 ermittelt. Die Fahndungsprüfer und ihnen folgend das Finanzamt hielten diese Tatsache für eine solche, die eine höhere Veranlagung rechtfertigte und demgemäß wurde ein zusätzlicher Gewinn von 30.000 DM hinzugeschätzt. Das Finanzgericht ist im Rahmen des ihm zustehenden Rechtes der freien Tatsachen- und Beweiswürdigung zu der tatsächlichen Feststellung gelangt - und daran ist der Bundesfinanzhof bei der beschränkten Rechtsnatur der Rb. mangels Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten, die Denkgesetze oder die Erfahrungen des Lebens und weil ein Rechtsirrtum nicht erkennbar ist, gebunden -, daß das Spritgeschäft von Ende 1949 für den Bg. einen Verlust von über 40.000 DM erbracht hat. Somit hat sich die durch die Prüfung festgestellte neue Tatsache als eine solche herausgestellt, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigt (ß 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO). Demgemäß war das Finanzgericht durch § 234 AO nicht gehindert, zu einer unter dem ursprünglichen Steuerbetrag des Bescheides vom 1. April 1952 gelegenen Steuerfestsetzung zu gelangen und den Bg. für 1949 von der Einkommensteuer freizustellen.
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts kann deshalb nicht durchdringen.
Fundstellen
Haufe-Index 408288 |
BStBl III 1955, 356 |
BFHE 1956, 410 |
BFHE 61, 410 |