Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Besteuerung von Mehrentnahmen, wenn die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns für mehrere aufeinanderfolgende Veranlagungszeiträume in Anspruch genommen worden ist.

 

Normenkette

EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 3, § 10a; EStDV § 31 Abs. 5

 

Tatbestand

Streitig ist, ob in dem Veranlagungszeitraum 1951 in den Vorjahren begünstigte nicht entnommene Gewinne nachzuversteuern sind.

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist Alleininhaberin eines Gewerbebetriebs. Für II / 1948 bis 1950 ergaben sich folgende Merkmale:

Veranlagung für II/1948 --- 1949 --- 1950 --- 1951 ----------------- DM ------- DM ----- DM ----- DM Gewinn: ------- 23.810 ---- 47.622 - 47.034 - 19.685 Entnahmen: ---- 12.254 ---- 24.510 - 26.493 - 26.649 Nicht entnom- mener Gewinn: - 11.556 ---- 23.112 - 20.541 ------ 0 Mehrentnahmen ------ 0 --------- 0 ------ 0 - 6.964 Steuerbegünstigt a) nach § 10 Abs. 1 Ziff. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1948/1949 --------------- 2.381 ----- 7.143 b) nach § 10 a EStG 1950: -------------------- 0 --------- 0 -- 7.055 DM Das Finanzamt rechnete zum Zweck der Nachversteuerung die Mehrentnahmen 1951 (6.964 DM) dem Einkommen zu. Die Bfin. hielt die Nachversteuerung für unzulässig. Die Mehrentnahme müsse zunächst mit den nicht begünstigten nicht entnommenen Gewinnen der Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1950, die die Bfin. als Nichtentnahme-Reserven bezeichnet, verrechnet werden. Nach Auffassung der Bfin. ist eine Nachversteuerung erst möglich, wenn die Mehrentnahmen in einem Jahr die Summe der Nichtentnahme-Reserven aus den vorangegangenen Jahren überschreiten. Nach Auffassung der Bfin. muß es ihr darüber hinaus freistehen, die Mehrentnahmen 1951 zunächst mit den Minderentnahmen für II/1948 und 1949 zu verrechnen. Sie macht folgende Berechnung auf:

Nicht entnommener Gewinn II/1948 ------------------ 11.556 DM - Mehrentnahmen 1951 ------------------------------- 6.964 DM ---------------------------------------------------- 4.592 DM + 1/3 der Soforthilfeabgabe II/1948 und 1949 ---------- 88 DM bleibt nicht entnommener Gewinn: ------------------- 4.680 DM Begünstigt sind bei der Veranlagung 10 % des Gewinns = 2.381 DM, die einem nicht entnommenen Gewinn von ----------------------------------------- 4.762 DM entsprechen. Den überschießenden Betrag von ----------------------- 82 DM will die Bfin. nicht für II / 1948 nachversteuert, sondern auf die nicht ausgenutzten Minderentnahmen 1949 verrechnet wissen.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte aus:

Bei der Nachversteuerung für das Vergünstigungsjahr 1950 sei es unerheblich, ob und in welcher Höhe Nichtentnahmereserven aus der Veranlagung 1950 oder früherer Jahre vorlägen; die Mehrentnahme 1951 könne nicht mit der Minderentnahme eines vorangegangenen Zeitraums verrechnet werden, sondern müsse nach dem Wortlaut des § 10 a Abs. 2 EStG 1950 dem Einkommen des Jahres 1951 zum Zweck der Nachversteuerung zugerechnet werden.

Die Nachversteuerung für 1950 gehe der Nachversteuerung für II / 1948 und 1949 vor (ß 58 b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - 1951; § 31 Abs. 5 EStDV 1950; Abschn. 240 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1951). Da im Streitfall die Mehrentnahme 1951 voll mit dem für 1950 begünstigten Betrag verrechnet werden müsse, sei eine Nachversteuerung für II / 1948 und 1949 nicht möglich. § 31 Abs. 5 EStDV 1950 sei rechtsgültig. Die Regelung sei durch die Ermächtigungsvorschrift des Art. II Ziff. 2 Buchst. a des Gesetzes zur änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes vom 29. April 1950 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - S. 95 ff.; Steuerblatt des Landes Nordrhein-Westfalen 1950 S. 157) gedeckt. § 31 Abs. 5 EStDV 1950 verschlechtere auch nicht unzulässigerweise rückwirkend eine Rechtsposition, die die Steuerpflichtigen durch die Inanspruchnahme der Vergünstigungen des § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1948 und 1949 erworben hätten. Die aus § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1948 und 1949 für den Fall späterer Mehrentnahmen eingeräumten Chancen bestünden vielmehr grundsätzlich weiter; sie würden nur eingeschränkt, weil der Steuerpflichtige eine neue Steuerbegünstigung in Anspruch genommen habe, nämlich die aus § 10 a Abs. 1 EStG 1950. Ob der Steuerpflichtige diese neue Steuerbegünstigung beanspruchen wollte, habe ihm freigestanden; er habe seine besonderen Verhältnisse auf die ihm bekannten neuen Rechtsvorschriften abstellen können. übrigens sei auch bereits nach § 31 Abs. 1 Satz 3 EStDV 1949 die Nachversteuerung für das Jahr vorgegangen, für welches die Steuerbegünstigung zuletzt in Anspruch genommen worden sei.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht die Bfin. weiterhin geltend, die Nachversteuerung sei unzulässig, weil Nichtentnahme-Reserven aus den Vorjahren vorhanden seien.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat dem Bundesminister der Finanzen die Möglichkeit der Stellungnahme gegeben. Er hat sich wie folgt geäussert:

"Die Steuerpflichtige hat in den Veranlagungszeiträumen (VZ) II / 1948, 1949 und 1950 jeweils von der Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns Gebrauch gemacht. Im VZ 1951 liegen Mehrentnahmen vor, für die eine Nachversteuerung durchzuführen ist. Streitig ist, auf welchen der Veranlagungszeiträume in denen die Begünstigung in Anspruch genommen worden ist (II / 1948, 1949, 1950), die Nachversteuerung bezogen werden muß. Die folgenden Möglichkeiten sind denkbar:

Wird die Nachversteuerung auf die VZ II / 1948 oder 1949 bezogen, so ergibt sich keine Nachsteuer, da in diesem Fall die Mehrentnahmen 1951 den Entnahmen II / 1948 bzw. 1949 zugerechnet werden, die Zurechnung jedoch nicht zu einer Minderung des begünstigten nicht entnommenen Gewinns für II / 1948 bzw. 1949 führt. Die Nachversteuerungsverpflichtung aus der Inanspruchnahme des steuerbegünstigten nicht entnommenen Gewinns für 1950 bleibt bestehen. Diese Nachversteuerungsverpflichtung kann, sofern in den VZ 1952 u. f. keine Mehrentnahmen vorliegen, bei der Veranlagung 1953 bzw. 1955 mit 10 v. H. des nachversteuerungspflichtigen Betrags abgelöst werden.

Wird die Nachversteuerung auf den VZ 1950 bezogen, so sind die Mehrentnahmen 1951 dem Einkommen des VZ 1951 hinzuzurechnen. Es ergibt sich in diesem Fall für den VZ 1951 eine Nachsteuer, die erheblich höher ist als der nach Ziff. 1 in Betracht kommende Ablösungsbetrag.

Die Nachversteuerung nach Ziff. 2 ist danach für den Steuerpflichtigen ungünstiger als die Nachversteuerung nach Ziff. 1.

Es ist deshalb zu entscheiden, in welcher Weise die Nachversteuerung von Mehrentnahmen vorzunehmen ist, wenn die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns für mehrere aufeinanderfolgende Veranlagungszeiträume in Anspruch genommen worden ist.

Im Gesetz ist diese Frage nicht ausdrücklich geregelt. Das Gesetz sieht für II / 1948, 1949 und 1950 - mit redaktionell unterschiedlichem Wortlaut - vor, daß eine Nachversteuerung vorzunehmen ist, wenn in einem der auf die Inanspruchnahme der Begünstigung folgenden VZ (für II / 1948 begrenzt auf die folgenden drei VZ, für 1949 auf die folgenden fünf VZ, für 1950 unbegrenzt) die Entnahmen den Gewinn übersteigen. Danach käme die Nachversteuerung in der Reihenfolge II / 1948, 1949 und 1950 in Betracht. Im § 31 Abs. 5 EStDV 1950 wird jedoch die umgekehrte Reihenfolge vorgeschrieben, d. h., es soll zunächst der steuerbegünstigte nicht entnommene Gewinn aus 1950 nachversteuert und dann erst auf 1949 und II / 1948 zurückgegriffen werden. Diese Vorschrift sollte eine Vergünstigung für den Steuerpflichtigen bedeuten. Sie führte in der Regel dazu, daß die nur dreijährige Nachversteuerungsverpflichtung aus II / 1948 sowie die durch das Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung vom 24. Juni 1953 auf zwei Jahre verkürzte Nachversteuerungsverpflichtung aus 1949 durch Zeitablauf verfielen.

Daß die Vorschrift des § 31 Abs. 5 EStDV 1950 nur eine Begünstigung bezweckte und nur wegen der unterschiedlichen Nachversteuerungsfrist für II / 1948, 1949 und 1950 erlassen worden ist, ergibt sich daraus, daß diese Vorschrift nach der Wiedereinführung des § 10 a EStG durch das Gesetz vom 19. Mai 1953 in die EStDV 1953 nicht übernommen worden ist, obwohl der neue § 10 a EStG auch wiederum für mehrere aufeinanderfolgende VZ in Anspruch genommen werden kann. Die Nachversteuerungsverpflichtung ist jedoch jetzt für jede Inanspruchnahme der Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns unbegrenzt. Die Reihenfolge der Nachversteuerung ist aus dem Gesetz herzuleiten. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann die Nachversteuerung nur der Jahresfolge nach verlaufen. Das bedeutet, daß bei Mehrentnahmen, z. B. im VZ 1955 zunächst der nicht entnommene Gewinn für 1952, dann für 1953 und dann für 1954 nachzuversteuern ist.

Da die Vorschrift des § 31 Abs. 5 EStDV 1950 eine Begünstigung bezweckt, kann sie m. E. nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen angewendet werden, da sie sonst die dem Steuerpflichtigen nach dem Gesetz gegebene Rechtslage verschlechtern würde. Ich habe deshalb in dem vorliegenden Fall keine Bedenken, daß die Nachversteuerung im Sinn der obigen Ziff. 1 vorgenommen wird."

Der Senat tritt der Rechtsauffassung des Bundesministers der Finanzen bei. Die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung müssen deshalb aufgehoben werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408290

BStBl III 1955, 351

BFHE 1956, 393

BFHE 61, 393

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