Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
übernimmt eine inländische rechtlich nicht selbständige Zweigniederlassung durch Verwendung ihres Gewinns den Verlust einer anderen inländischen rechtlich nicht selbständigen Zweigniederlassung derselben ausländischen Kapitalgesellschaft, so liegt darin keine Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital durch die ausländische Kapitalgesellschaft selbst.
Normenkette
KVStG § 2 Ziff. 5, § 2/1/6
Tatbestand
Es ist streitig, ob in der übernahme eines Verlustes einer inländischen rechtlich nicht selbständigen Zweigniederlassung durch eine andere inländische rechtlich nicht selbständige Zweigniederlassung derselben ausländischen Kapitalgesellschaft eine Zuwendung von Anlage- oder Betriebskapital durch die ausländische Kapitalgesellschaft an ihre inländische Niederlassung gemäß § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 erblickt werden kann, wenn Gewinne und Verluste dieser Niederlassungen saldiert werden.
I. - Die Bfin., eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts, unterhält seit Jahrzehnten mehrere rechtlich nicht selbständige Zweigniederlassungen in Deutschland, so u. a. in A. und seit 1950 in B. Jede Zweigniederlassung erstellt eine Abteilungsbilanz. Die verschiedenen Abteilungsbilanzen werden unter Saldierung der Gewinne und Verluste der einzelnen Zweigniederlassungen bei der Zweigniederlassung A. in einer konsolidierten Gesamtbilanz zusammengefaßt. Die Zweigniederlassung A. hat den in der Bilanz zum 31. Dezember 1953 ausgewiesenen Verlust und die Verlustvorträge der Zweigniederlassung B. in Höhe von ..... DM übernommen.
Das Finanzamt hat diese Verlusttilgung durch die Zweigniederlassung als gleichbedeutend mit einer solchen durch die ausländische Kapitalgesellschaft und deshalb als Zuführung von Betriebskapital durch die letztere gemäß § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 der Gesellschaftsteuer unterworfen.
Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Die Bfin. hatte ihre Rechtsmittel im wesentlichen wie folgt begründet: Das ausländische Hauptunternehmen bilde mit allen nicht selbständigen Zweigniederlassungen eine rechtliche Einheit; die einzelnen Zweigniederlassungen seien nur Glieder dieser Einheit. Im Verhältnis der Glieder untereinander sei weder eine Gewinnrealisierung noch eine gesellschaftsteuerpflichtige Zuwendung von Betriebsmitteln durch die ausländische Kapitalgesellschaft möglich, die nur bei Ausstattungen über die Grenze hinweg stattfinde. Die Gewinn- und Verlustverrechnung zwischen den gleichberechtigten nicht selbständigen inländischen Zweigniederlassungen stelle aber nur einen rein inländischen Ausgleich dar, in dem weder rechtlich noch wirtschaftlich eine Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital gesehen werden könne.
Demgegenüber stützten die Vorinstanzen die Gesellschaftsteuerpflicht im wesentlichen auf die folgenden Erwägungen: § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 erfasse innerbetriebliche Vorgänge, wobei nach dem Wesen der Gesellschaftsteuer als Einzelrechtsverkehrsteuer jeder Verkehrsakt für sich zu werten sei. Die übernahme des Verlustes einer inländischen Zweigniederlassung durch Verwendung des Gewinns einer anderen inländischen Zweigniederlassung derselben Kapitalgesellschaft müsse, gerade wenn man der Auffassung der Bfin. von der Einheit des Hauptunternehmens und der Niederlassungen folge, als Verlustübernahme durch das Hauptunternehmen selbst angesehen werden. Eine solche Verlustübernahme sei aber eine steuerpflichtige Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital an die inländische Niederlassung, da es nicht erforderlich sei, daß das Kapital "buchstäblich" aus dem Ausland in das Inland transferiert werde. Eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Schlechterstellung der ausländischen gegenüber inländischen Kapitalgesellschaften könne hierin nicht erblickt werden, da auch die übernahme eines Verlustes einer Tochtergesellschaft durch ihre inländische Muttergesellschaft gesellschaftsteuerpflichtig sei.
Mit der Rb. macht die Bfin. in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens im wesentlichen noch geltend: Die Vorentscheidung gehe rechtsirrtümlich von der Annahme (Fiktion) aus, daß die einzelnen inländischen Niederlassungen untereinander wie rechtlich selbständige Unternehmen anzusehen seien, während sie wirtschaftlich und rechtlich dem ausländischen Hauptunternehmen nur als Einheit gegenüberstünden. Maßgebend für alle Verrechnungen mit dem Hauptunternehmen sei deshalb das Gesamtergebnis aller inländischen Niederlassungen, das allenfalls durch Kapitalumschichtung innerhalb des Inlands, niemals aber durch neue Kapitalausschüttung (Kapitalwidmung) durch die ausländische Kapitalgesellschaft zustande komme. Schließlich verstoße eine Besteuerung des streitigen Vorgangs gegen den in Art. 1 des Vertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, betreffend Regelung von Rechtsverhältnissen der beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiete des anderen vertragschließenden Teiles, vom 31. Oktober 1910 (Reichsgesetzblatt 1911 S. 892) vereinbarten Grundsatz der Gleichbehandlung.
Entscheidungsgründe
II. Die Rb. hat Erfolg.
Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß im Stehenlassen des von der inländischen Niederlassung erwirtschafteten Gewinns unter gewissen Voraussetzungen eine Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital durch die ausländische Kapitalgesellschaft im Sinne des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 erblickt werden kann (vgl. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs II 162/54 S vom 5. April 1955, BStBl 1955 III S. 153/254, Slg. Bd. 60 S. 399, Slg. Bd. 61 S. 142; II 48/58 U vom 29. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 424, Slg. Bd. 69 S. 435), ebenso in der übernahme eines Verlustes einer inländischen Niederlassung durch die ausländische Kapitalgesellschaft (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs II A 600/30 vom 13. Januar 1931, Mrozek-Kartei, Kapitalverkehrsteuergesetz, § 6 e alter Fassung, Rechtsspruch 5, Steuer und Wirtschaft 1931 Bd. II Urt. Nr. 319 Sp. 537). Der weiteren Auffassung der Vorinstanz, daß auch die übernahme des Verlustes der einen durch eine andere inländische Niederlassung derselben ausländischen Kapitalgesellschaft unter Verrechnung mit dem Gewinn der letzteren Niederlassung einer gesellschaftsteuerpflichtigen Kapitalzuführung durch das ausländische Hauptunternehmen selbst gleichzustellen sei, kann sich der Senat jedoch jedenfalls für den Fall nicht anschließen, daß es sich - wie in der Streitsache - um unstreitig rechtlich nicht selbständige Zweigniederlassungen im Sinne des Handelsrechts handelt.
Zwar gilt der Grundsatz, daß nach dem Wesen der Gesellschaftsteuer als einer Einzelverkehrsteuer jeder einzelne Rechtsvorgang für sich zu werten ist, auch für § 2 Ziff. 5 KVStG 1934, obwohl nach der Besonderheit dieses gesetzlichen Tatbestands nur innerbetriebliche Vorgänge besteuert werden. Dieser Grundsatz in Verbindung mit dem von der Vorinstanz und der Bfin. vertretenen, zu billigenden Grundsatz der Einheit des Hauptunternehmens und aller Niederlassungen zwingt aber aus den folgenden Erwägungen (gerade) nicht dazu, die Saldierung von Gewinn und Verlust zwischen den rechtlich nicht selbständigen inländischen Zweigniederlassungen der Bfin. in zwei Rechtsvorgänge, nämlich in eine Gewinnabführung der Zweigniederlassung A. an die Bfin. und in eine Verlustübernahme durch Kapitalzuwendung der Bfin. an die Zweigniederlassung B. aufzuspalten.
Diese Entscheidung hängt letztlich davon ab, ob bei mehreren rechtlich nicht selbständigen inländischen Niederlassungen im Geschäftsverkehr zwischen ausländischem Hauptunternehmen und inländischen Niederlassungen gesellschaftsteuerrechtlich jede Niederlassung getrennt für sich zu betrachten ist oder ob alle Niederlassungen als Einheit gelten müssen. Der Wortlaut des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 läßt bei seiner sehr weiten Fassung einen eindeutigen Schluß nicht zu, auch nicht durch die Verwendung des Begriffs "ihre inländische Niederlassung" in der Einzahl, da dies nur eine Anpassung an die Verwendung des Begriffs "eine ausländische Kapitalgesellschaft" ebenfalls in der Einzahl bedeutet. Der deshalb zur Auslegung heranzuziehende Zweck des Gesetzes aber ist ein wirtschaftlicher: Die Kapitalzuwendung durch eine ausländische Kapitalgesellschaft an ihre inländische Niederlassung wird deshalb besteuert, weil durch eine solche Zuwendung ausländisches Kapital unter Folgen für die inländische Wirtschaft auch im Inland mit einem wirtschaftlichen Ergebnis gebunden wird, das der Errichtung oder Kapitalerhöhung einer inländischen Kapitalgesellschaft entspricht (Begründung zum KVStG 1934, Reichssteuerblatt - RStBl - 1934 S. 1462 linke Spalte, Abs. 4). Nach dieser bei Anwendung des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist der Begriff der Niederlassung als ein dem Gesellschaftsteuerrecht eigener und besonderer Begriff wirtschaftlich auszulegen, wie auch der Begriff der Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital (betriebs-) wirtschaftlich anzuwenden ist. Wenn in diesem Zusammenhang in dem Urteil des erkennenden Senats II 48/58 U a. a. O. als Niederlassung im Sinne des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 die Zweigniederlassung im Sinne des Handelsrechts bezeichnet wird, so gilt dies allerdings mit der gesellschaftsteuerrechtlichen Besonderheit, daß es auf die rechtliche Unselbständigkeit oder Selbständigkeit der Niederlassung nicht ankommt, also hierunter auch eine Personengesellschaft oder eine rechtlich selbständige Kapitalgesellschaft zu verstehen ist, sofern diese Gesellschaften wirtschaftlich im übrigen die Voraussetzungen der Zweigniederlassung erfüllen (vgl. hierzu auch bereits das Urteil des erkennenden Senats II 162/54 S a. a. O.).
Da aber das ausländische Hauptunternehmen und alle seine inländischen Niederlassungen in ihrer Gesamtheit nur eine Kapitalgesellschaft bilden, müssen bei dieser wirtschaftlichen Betrachtung jedenfalls auch die mehreren inländischen rechtlich nicht selbständigen Zweigniederlassungen der Bfin. als Glieder nur einer Kapitalgesellschaft, also in ihrer Gesamtheit als die eine Niederlassung im Sinne des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 angesehen werden. Für die Beurteilung der Gesellschaftsteuerpflicht stehen sich also das Hauptunternehmen (ausländischer Teil) und die geschlossene Einheit der inländischen Zweigniederlassungen (inländischer Teil) fiktiv wie zwei rechtlich selbständige Gebilde gegenüber (siehe auch Urteil des Reichsfinanzhofs II A 616/26 vom 7. Januar 1927, RStBl 1927 S. 87). Eine weitere Aufspaltung der ausländischen Kapitalgesellschaft in dem Sinne, daß auch noch die in einer inländischen Niederlassung zusammengefaßten rechtlich nicht selbständigen inländischen Zweigniederlassungen in ihrem Geschäftsverkehr untereinander und im Verhältnis zum Hauptunternehmen getrennt wie mehrere Kapitalgesellschaften zu behandeln wären, erscheint nicht geboten. Bereits hieraus ergibt sich, daß die Frage, ob eine Kapitalzuwendung im Sinne des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 vorliegt, nur anhand der zusammengefaßten Gesamtinlandsergebnisse aller rechtlich nicht selbständigen inländischen Zweigniederlassungen entschieden werden kann. Die von den einzelnen Zweigniederlassungen erzielten Erträge (Gewinne oder Verluste) sind nur Zwischenergebnisse. Nur ein nach Ausgleich mit den Verlusten verbleibender Gesamtinlandsgewinn aller Zweigniederlassungen, der auf allgemeine oder besondere Weisung der Kapitalgesellschaft auf eine gewisse Dauer zur Investierung in Anlage- oder Umlaufvermögen im Inland verbleibt, löst die Gesellschaftsteuerpflicht aus, ebenso die übernahme eines Gesamtinlandsverlustes durch die ausländische Kapitalgesellschaft selbst. Da im Streitfall aber der in der Abteilungs- (Zwischen-) Bilanz der Zweigniederlassung B ausgewiesene Verlust einschließlich der Verlustvorträge mit den in den Abteilungsbilanzen anderer inländischer Zweigniederlassungen ausgewiesenen (Zwischen-) Gewinnen verrechnet und von der Zweigniederlassung A. in der zusammengefaßten Bilanz übernommen worden ist, kann in dieser (Zwischen-) Verlustübernahme im Verrechnungswege innerhalb der Einheit der inländischen Zweigniederlassungen eine Kapitalzuführung durch die ausländische Kapitalgesellschaft nicht gesehen werden.
Dieses Ergebnis entspricht auch der - wie bereits erwähnt - gebotenen (betriebs-) wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei Auslegung des Begriffs der Zuwendung von Anlage- oder Betriebskapital (siehe auch Entscheidung des Bundesfinanzhofs II 162/54 S a. a. O.). Wie bei inländischen Kapitalgesellschaften im Grundsätzlichen (durch den Haupttatbestand) das durch Errichtung oder Kapitalerhöhung gebundene Kapital durch die Gesellschaftsteuer erfaßt wird, so ist die Voraussetzung der Zuführung von Anlage- oder Betriebskapital schon, aber auch nur dann erfüllt, wenn das ausländische Hauptunternehmen seiner inländischen Niederlassung - gegebenenfalls der Gesamtheit seiner mehreren rechtlich nicht selbständigen Zweigniederlassungen - Kapital (Vermögenswerte jeder Art) von außen zuführt oder auch ausdrücklich oder stillschweigend gestattet, wirtschaftlich dem Hauptunternehmen zustehenden Guthaben (z. B. aus Gewinnen) nicht an das Hauptunternehmen abzuführen, sondern im Betrieb der Niederlassung zu verwenden. Tatsächliche überführung aus dem Ausland ist also nicht erforderlich. In jedem Falle muß es sich aber um eine (echte) Vermehrung des Anlage- oder Betriebskapitals, um eine Wertverschiebung zwischen Hauptunternehmen und Niederlassung handeln, so daß die von der Niederlassung erwirtschafteten laufenden Roheinnahmen und deren Verwendung zur Deckung des laufenden Betriebsaufwands noch keine Zuführung im Sinne des § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 ist. Gleichermassen muß dies gelten für die Saldierung von Gewinnen und Verlusten mehrerer zeitlich nicht selbständiger inländischer Zweigniederlassungen derselben ausländischen Kapitalgesellschaft.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird erhärtet bei einem Vergleich mit der gesellschaftsteuerrechtlichen Behandlung einer inländischen Kapitalgesellschaft, der gegenüber eine ausländische Kapitalgesellschaft nach dem Willen des Gesetzgebers zwar nicht günstiger, im Grundsätzlichen jedoch auch nicht schlechter gestellt werden sollte (vgl. Begründung zum KVStG 1922, Verhandlungen des Reichstags I. Wahlperiode 1920 Bd. 369 Drucksache Nr. 2865 S. 29 oben; Begründung zum KVStG 1934, RStBl 1934 S. 1460, 1462 linke Spalte, 4. Abs. am Ende). Bei der inländischen Kapitalgesellschaft unterliegen aber Zuwendungen des inländischen Hauptunternehmens an seine inländischen rechtlich nicht selbständigen Zweigniederlassungen ebenfalls nicht der Gesellschaftsteuer.
Die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn die ausländische Kapitalgesellschaft ihre inländischen Niederlassungen nicht als rechtlich nicht selbständige Zweigniederlassungen, sondern in der Form von Kapitalgesellschaften errichtet hat, war im Streitfall weder zur Rechtslage nach § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 zu erörtern noch zu derjenigen nach der Neufassung des § 2 Nr. 6 KVStG 1959, durch die für Niederlassungen in Form einer Kapitalgesellschaft nicht die mit § 2 Ziff. 5 KVStG 1934 übereinstimmende Vorschrift des § 2 Nr. 6 erster Halbsatz KVStG 1959 gilt, sondern die allgemeinen Vorschriften der § 2 Nr. 1 bis 5 und § 3 KVStG 1959 für inländische Kapitalgesellschaften anzuwenden sind (ß 2 Nr. 6 zweiter Halbsatz KVStG 1959).
Die Vorentscheidungen, die von anderen Grundsätzen ausgehen, waren aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Bfin. war von der Gesellschaftsteuer freizustellen, ohne daß es noch weiterer Erörterungen zur Frage der Anwendbarkeit des deutsch-schweizerischen Vertrages vom 31. Oktober 1910 bedurft hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 411007 |
BStBl III 1964, 14 |
BFHE 1964, 38 |
BFHE 78, 38 |