Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuerfreiheit, Nacherhebung von Grunderwerbsteuer, Verjährung
Leitsatz (NV)
Das Risiko, den steuerbegünstigten Zweck wegen eines schon im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs (1971) bestehenden, aber erst 1975 erkannten Hindernisses nicht in der ursprünglich angestrebten und für möglich gehaltenen Weise verwirklichen zu können, trägt der Erwerber.
Normenkette
GrEStG He § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG He § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a; GrEStG He § 4 Abs. 3 Nr. 1 S. 1; GrEStG He § 4 Abs. 11; GrEStG He § 4 Abs. 12; EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1 S. 2; AO § 145 Abs. 1, § 144 Abs. 1 S. 2, § 148 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie kauften am 29. Juni 1971 das in A (Hessen) liegende Grundstück G je zur ideellen Hälfte für 205 000 DM. Auf dem Grundstück stand ein Gebäude aus dem Jahre 1850, in dessen Erdgeschoß eine Gaststätte betrieben wurde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah durch die den Klägern bekanntgegebene Verfügung vom 8. Juli 1971 vorläufig von einer Steuerfestsetzung ab, weil die Kläger erklärt hatten, sie wollten innerhalb von fünf Jahren nach Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung das Gebäude abreißen und ein grundsteuerbegünstigtes Wohngebäude errichten. Er erteilte am 7. Juli 1971 die Unbedenklichkeitsbescheinigung.
Im Jahre 1972 wurden die Häuser der Straße, an der das Grundstück G lag, durch Satzung der Stadt A in die Liste B der schutzwürdigen Bau- und Kulturdenkmäler aufgenommen, und zwar in die Schutzstufe 2 mit der Folge, daß Änderungen oder Ersatzbauten sich den vorhandenen Bauten anzupassen hatten. Im Jahre 1975 stellte sich im Zusammenhang mit Planungsarbeiten zur Umgestaltung der Gaststätte heraus, daß dieses Gebäude in seiner Holzfachwerkkonstruktion so mit dem Nachbargebäude verbunden war, daß sein Abriß die Standsicherheit des Nachbargebäudes gefährdet hätte. Im Jahre 1976 beantragten und erhielten die Kläger die Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung der Gaststätte.
Im Jahre 1979 stellte das FA fest, daß die Kläger das Gebäude nicht abgerissen und keine grundsteuerbegünstigten Wohnungen errichtet hatten. Es setzte daraufhin durch Bescheide vom 14. September 1979 die Grunderwerbsteuer für jeden der Kläger auf 7 175 DM fest; die Einsprüche wies es zurück.
Mit ihren Klagen haben die Kläger begehrt, die Grunderwerbsteuerbescheide aufzuheben. Die Nachveranlagung der Grunderwerbsteuer sei rechtswidrig. Sie hätte nicht vorgenommen werden dürfen, weil von vornherein der steuerbegünstigte Zweck ,,wegen bestehender Denkmalschutzbestimmungen" und baulicher Verbindung mit dem Nachbargebäude nicht habe erfüllt werden können. Die nachträgliche Erhebung der ursprünglich geschuldeten Grunderwerbsteuer sei unzulässig, weil der 1971 entstandene Steueranspruch mit Ablauf des 31. Dezember 1976 durch Verjährung erloschen sei.
Das Finanzgericht (FG) hat die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen abgewiesen. Sie seien unbegründet.
Es könne dahingestellt bleiben, ob den Klägern eine Abbruchgenehmigung wegen Gefährdung des Nachbargebäudes verweigert worden sei, denn die Schaffung steuerbegünstigten Wohnraums sei nicht vom Abriß des aufstehenden Gebäudes abhängig gewesen. So wie die Kläger gewerblichen Raum hätten schaffen können, hätten sie auch Wohnraum schaffen können, nicht durch Abriß, sondern durch Umbau. Dem habe nicht entgegengestanden, daß das Gebäude G in die Satzung der Stadt A als schutzwürdiges Baudenkmal aufgenommen worden sei. Denn dies habe lediglich zur Folge gehabt, daß Änderungen oder Ersatzbauten sich dem vorhandenen Baubestand anzupassen hatten.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 4 Abs. 3 Nr. 1 des damals geltenden Grunderwerbsteuergesetzes Hessen (GrEStG He). Sie beantragen,das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Grunderwerbsteuer in Änderung der Steuerbescheide vom 14. September 1979 auf null DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FG hat die angefochtenen Steuerbescheide im Ergebnis zutreffend für rechtmäßig erachtet.
Der Kaufvertrag vom 29. Juni 1971 unterlag der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG He). Die Entstehung der beiden Steueransprüche war zunächst hinausgeschoben, weil die Kläger Befreiung von der Grunderwerbsteuer gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a GrEStG He beantragt und eine entsprechende Versicherung abgegeben hatten (§ 4 Abs. 12 GrEStG He). Die Steueransprüche entstanden nachträglich mit Ablauf des 7. Juli 1976, da die Kläger innerhalb von fünf Jahren nach Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung grundsteuerbegünstigte Wohnungen nicht errichtet hatten (§ 4 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 GrEStG He). Diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis waren, als das FA sie durch Bescheide vom 14. September 1979 festsetzte, noch nicht verjährt. Denn die Verjährung hatte begonnen mit Ablauf des 31. Dezember 1976 (Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -, § 145 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) und war - da die Verjährungsfrist fünf Jahre dauerte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 AO) - am 14. September 1979 noch nicht vollendet (§ 148 AO).
Die Kläger stützen sich für ihre abweichende Ansicht auf das rechtskräftige Urteil des FG Köln vom 23. Juni 1981 XI 418/79 GE (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 642 Nr. 654). Das FG hat dort die Ansicht vertreten, das FA dürfe Grunderwerbsteuer nur dann nacherheben, wenn der Erwerb zuvor ,,zu Recht" materiell vorläufig von der Besteuerung freigestellt worden sei. Sei das nicht der Fall, komme nicht die Erhebung einer Nachsteuer, sondern allenfalls die spätere Erhebung der ursprünglich geschuldeten Steuer in Betracht, falls dem nicht die Vorschriften über die Verjährung und über die Aufhebung und Berichtigung von Steuerbescheiden entgegenstünden.
In ihrem Fall, so meinen die Kläger, habe das FA zu Unrecht durch Verfügung vom 8. Juli 1971 vorläufig von einer Steuerfestsetzung abgesehen. Denn es sei ihnen, den Klägern, wegen der nicht zu erhaltenden Genehmigung zum Abriß des Gebäudes ,,von Anfang an objektiv unmöglich" gewesen, das Gebäude abzureißen und grundsteuerbegünstigte Wohnungen zu errichten. Das FA hätte infolgedessen schon 1971 ,,die ursprüngliche Steuer festsetzen und erheben können". Im Jahre 1979, als die Steuerbescheide ergingen, seien die Steueransprüche durch Verjährung erloschen gewesen.
Diese Ansicht teilt der erkennende Senat nicht. Selbst wenn jener Freistellungsbescheid fehlerhaft gewesen wäre, hätte er die Entstehung der Steueransprüche zunächst hinausgeschoben und hätte das FA erst im sog. Nacherhebungsverfahren endgültig zu prüfen gehabt, ob die Kläger die Voraussetzungen für die beantragte Steuerbefreiung erfüllten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Februar 1985 II R 74/82, BFHE 143, 163, 165, 166, BStBl II 1985, 374, ergangen zu § 6 Abs. 1 Nr. 9 des damals in Berlin geltenden GrEStG). Das Risiko, den steuerbegünstigten Zweck wegen eines von Anfang an bestehenden, aber erst 1975 erkannten Hindernisses, nicht in der ursprünglich angestrebten und für möglich gehaltenen Weise verwirklichen zu können, haben nach der aus § 4 Abs. 3 und Abs. 11 GrEStG He erkennbaren Risikoverteilung die Kläger zu tragen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1984 II R 137/82, BFHE 142, 177, 180, BStBl II 1985, 103, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 414236 |
BFH/NV 1986, 370 |