Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Eine nach § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und 2 EStG steuerbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Teilpraxis mit gleichartiger Tätigkeit liegt vor, wenn die Gesamttätigkeit in mehreren örtlich abgegrenzten Bereichen von getrennten Büros aus ausgeübt und in einem dieser Bereiche infolge übertragung der Teilpraxis einschließlich der Beziehungen zur Kundschaft eingestellt wird.
Der bei der Veräußerung einer freiberuflichen Teilpraxis erzielte Gewinn ist nur steuerpflichtig, wenn er den entsprechenden Teil von 10.000 DM übersteigt (§ 16 Abs. 4 in Verbindung mit § 18 Abs. 3 EStG).
Normenkette
EStG § 16 Abs. 4, § 18 Abs. 3, § 34/1, § 34/2
Tatbestand
Streitig ist die einkommensteuerliche Behandlung des bei Veräußerung einer freiberuflichen Praxis (Teilpraxis) im Kalenderjahr 1959 erzielten Gewinns.
Der Bf. übte seine Steuerpraxis ursprünglich von der Stadt N. aus. Seine Klienten befanden sich zum Teil auf dem Festland, zum anderen Teil auf dem Festland vorgelagerten Inseln. 1956 richtete er auch auf der Insel X. ein Büro ein und verlegte seinen Hauptwohnsitz dorthin. Durch Vertrag vom 1. Mai 1959 übertrug er dem Diplomvolkswirt H. die Praxis in N. Für die Abgabe der auf dem Festland ansässigen Klientel wurden ein Preis von 3.000 DM, für die Veräußerung des Inventars ein Kaufpreis von 694 DM vereinbart. H. trat in den über die Praxisräume in N. bestehenden Mietvertrag ein und übernahm auch die dort beschäftigte Angestellte. Da H. noch nicht die Steuerhelfer-Prüfung abgelegt hatte, trat er zunächst noch mit Hilfe von Blankounterschriften des Bf. in dessen Namen auf. Im August 1959 erwarb H. die Praxis eines anderen Steuerhelfers hinzu. Daraufhin ließ sich der Bf. die restlichen Blankounterschriften zurückgeben.
Der Bf. wurde nach seiner Erklärung für 1959 mit den Einkünften aus der freiberuflichen Tätigkeit ohne Tarifvergünstigung veranlagt. Mit dem Einspruch machte er geltend, daß der aus der Veräußerung der Praxis in N. erzielte Gewinn einen Veräußerungsgewinn im Sinne von § 18 Abs. 3 EStG 1958 (EStG) darstelle, der steuerfrei sei, da er die Freigrenze von 10.000 DM nicht übersteige.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht ließ dahingestellt, ob § 18 Abs. 3 EStG entgegen dem Wortlaut auch die Veräußerung oder Aufgabe einer freiberuflichen Teilpraxis begünstige, da im Streitfall weder die Veräußerung einer Teilpraxis noch die teilweise Aufgabe der Tätigkeit vorlägen. Ein Veräußerungsvertrag sei schon deshalb nicht anzunehmen, weil der Praxiserwerber H. formell noch für den Bf. tätig gewesen sei. Im übrigen könne von einer Teilpraxis nur gesprochen werden, wenn der abgegebene Teil der früheren Gesamtpraxis nach der Trennung noch einen lebensfähigen Organismus darstelle (Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 987/31 vom 13. Mai 1931, RStBl 1931 S. 490). Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Die übergebene Klientel habe aus nur 25 Mandanten bestanden. Es sei kein höherer Jahresumsatz als 4.500 DM zu erzielen gewesen. Auch aus der Tatsache, daß der Erwerber H. kurz nach dem Vertragsschluss eine weitere Steuerpraxis hinzuerworben habe, gehe hervor, daß der vom Bf. übernommene Klientenstamm als Existenzgrundlage nicht ausreichend gewesen sei.
Mit der Rb. rügt der Bf. mangelnde Sachaufklärung und unrichtige Rechtsanwendung. Das Finanzgericht habe nicht berücksichtigt, daß H. in acht Monaten aus der von ihm übernommenen Praxis in N. 5.808 DM eingenommen habe. Das ergebe auf ein Jahr umgerechnet einen Umsatz von 8.700 DM. Der Bf. bezieht sich auf Abschnitt 147 Abs. 2 EStR 1958, wonach ein Veräußerungsgewinn aus selbständiger Arbeit auch dann steuerbegünstigt sei, wenn der Veräußerer seine Tätigkeit nur einschränke.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
In der Entscheidung des erkennenden Senats IV 198/62 S vom 10. Oktober 1963 (BStBl 1964 III S. 120), auf deren Gründe im einzelnen Bezug genommen wird, ist ausgeführt, daß bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn (§ 18 Abs. 3 EStG) nur vorliegt, wenn entweder die Tätigkeit schlechthin aufgegeben oder durch die Veräußerung der Praxis die Tätigkeit in einem bisherigen örtlich abgrenzbaren Wirkungskreis beendet wird. Dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 EStG ist nicht zu entnehmen, daß die Steuerbegünstigung der Gewinne aus der Veräußerung einer freiberuflichen Teilpraxis ausgeschlossen sein soll. Der Gesetzgeber ist offenbar davon ausgegangen, daß im Rahmen einer sachlich-einheitlichen Praxis organisch selbständige Praxisteile entsprechend den Teilbetrieben im Sinn der §§ 14, 16 EStG im allgemeinen nicht in Betracht kämen und deshalb ein Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung nicht bestehe. Das Schließt aber nicht aus, daß die für Teilbetriebe geltenden Vorschriften im Rahmen des § 18 EStG angewendet werden, wenn es sich um Fälle handelt, die wirtschaftlich den Veräußerungen von Teilbetrieben gleichstehen. Denn es ist kein Grund ersichtlich, weshalb in dieser Beziehung freiberuflich Tätige steuerlich ungünstiger behandelt werden sollten als Gewerbetreibende oder Land- und Forstwirte. Der bei der Veräußerung einer freiberuflichen Teilpraxis erzielte Gewinn ist deshalb nur dann steuerpflichtig, wenn er den entsprechenden Teil von 10.000 DM (§ 18 Abs. 3 in Verbindung mit § 16 Abs. 4 EStG) übersteigt. In diesem Fall unterliegt er dem begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG.
Durch die Veräußerung einer Teilpraxis wird die Tätigkeit in einem örtlich abgrenzbaren Bereich beendet, wenn eine sachlich- einheitliche Praxis in mehreren örtlich abgegrenzten Tätigkeitsbereichen mit verschiedenen getrennten Kundenkreisen und in eigenen Büros mit zugehörigem Personal und Ausstattung betrieben wird. Es handelt sich dann um mit gewisser Selbständigkeit ausgestattete, organisch geschlossene Teile der Gesamtpraxis. Diese Merkmale entsprechen dem von der Rechtsprechung entwickelten Begriff des Teilbetriebs bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb und aus Land- und Forstwirtschaft (vgl. Entscheidung IV 198/62 S und die dort angeführten Urteile des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs). Wie in der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 987/31 ausgeführt ist, muß der Betriebsteil einen selbständigen lebensfähigen Organismus darstellen, um als Teilbetrieb im Sinn des EStG anerkannt zu werden. Dagegen ist nicht Voraussetzung, daß der Teilbetrieb für den Erwerber eine ausreichende wirtschaftliche Existenzgrundlage bilden müsse. Dieses Begriffsmerkmal ist auch nicht für das Vorliegen einer freiberuflichen Teilpraxis zu fordern. Es würde zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu einer ungleichmäßigen Besteuerung führen, da der anzulegende Maßstab von den Umständen des Einzelfalles und von persönlichen Wertungen abhängen würde. Für die Steuerbegünstigung des Gewinns aus der Veräußerung einer Teilpraxis ist erforderlich und ausreichend, daß der veräußerte Praxisteil einen in sich geschlossenen Funktionszusammenhang aufweist.
Der Senat kann der Vorentscheidung nicht darin folgen, daß eine Praxisveräußerung auch deshalb nicht vorliege, weil der Praxiserwerber nach außen hin im Streitjahr noch für den Bf. tätig gewesen sei. Abgesehen davon, daß es sich nur um eine Vereinbarung für eine übergangszeit handelte, die noch während des Streitjahres widerrufen wurde, hatte der Bf. auf Grund des Veräußerungsvertrages seine Tätigkeit auf dem Festland tatsächlich eingestellt.
Die Vorentscheidungen, die von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgingen, werden aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen. Das Finanzamt hat festzustellen, ob der durch die Veräußerung der Teilpraxis erzielte Gewinn den anteiligen Betrag von 10.000 DM übersteigt. Dabei ist zweckmäßigerweise das Verhältnis der in den beiden Praxisteilen erzielten Umsätze zugrunde zu legen.
Fundstellen
Haufe-Index 411058 |
BStBl III 1964, 135 |
BFHE 1964, 346 |
BFHE 78, 346 |