Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenhändige Unterschrift ist Voraussetzung einer zulässigen Revisionsbegründung
Leitsatz (NV)
1. Die Kopie der im Original unterschriebenen Revisionsbegründungsschrift entspricht nicht dem Formerfordernis des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO. Zu den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in diesen Fällen.
2. Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Revisionsbegründung durch Bezugnahme auf die Begründung in einer anderen Revisionssache.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
An den Kläger waren für 1968 und 1969 endgültige Umsatzsteuerbescheide gemäß § 225 RAO ergangen. Für die folgenden Jahre lagen gemäß § 100 Abs. 2 RAO für vorläufig erklärte Steuerbescheide vor. Am . . . hat das Finanzamt einen endgültigen Sammelberichtigungsbescheid für 1968 bis 1972 erlassen. Den dagegen erhobenen Einspruch des Klägers hat es mit Entscheidung vom . . . im wesentlichen zurückgewiesen.
Das Finanzgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsschrift hat er im Original unterschrieben, aber innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nur in Fotokopie eingereicht. Zur Begründung der Revision verweist die Revisionsbegründungsschrift auf die im Verfahren I R 130/83 abgegebene Revisionsbegründung, die ihrerseits auf die in Kopie vorliegende Revisionsbegründung im Verfahren I R 231/83 Bezug nimmt.
Auf diese Mängel ist der Prozeßbevollmächtigte am 21. November 1983 hingewiesen worden. Er hat am 5. Dezember 1983 namens des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revisionsbegründung mit eigenhändiger Unterschrift nachgereicht. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags macht er geltend: Für zwölf beim Bundesfinanzhof anhängige zusammenhängende Verfahren seien insgesamt achtzig Seiten kopiert worden. Bei der Qualität der Kopien sei es manchmal nicht leicht, zwischen Original und Kopie zu unterscheiden. Die Zusammenstellung der Unterlagen und der Anlagen zu den zwölf Verfahren sei einer erfahrenen Bürokraft übertragen worden, die als zuverlässig und korrekt gelte. Sie sei mit allen in einer Steuerkanzlei anfallenden Arbeiten bestens vertraut, führe z. B. seit Jahren beanstandungsfrei das Fristenkontrollbuch und kenne die Bedeutung formeller Kriterien. Es sei ihr auch bekannt gewesen, daß die Originalbegründungen beim Bundesfinanzhof einzureichen seien. Trotzdem sei ihr die Verwechslung unterlaufen. Das könne nur mit der großen Zahl der Fälle und der Fülle der Anlagen erklärt werden.
Die Revisionsbegründung im Verfahren V R 128/83 sei durch Verweisung auf die Begründung zu dem nach Sachverhalt und Rechtsproblematik gleichgelagerten Verfahren V R 130/83 ersetzt worden. Zu diesem Vorgehen habe sich der Prozeßbevollmächtigte aus Vereinfachungsgründen berechtigt gefühlt, weil auch das Finanzgericht das angefochtene Urteil V (II) 208/75 nicht mit ausführlichen Entscheidungsgründen versehen, sondern auf die Entscheidungsgründe der Urteile V 273/75 (Einkommensteuer 1974) und V (II) 212/75 (Umsatzsteuer 1974) verwiesen habe. Dem angefochtenen Urteil habe auch keine Kopie der Urteile beigelegen, auf die Bezug genommen worden sei. Eine getrennte Auseinandersetzung mit den (fehlenden) Entscheidungsgründen des FG-Urteils V (II) 208/75 sei deshalb nicht möglich gewesen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen worden ist.
Das Finanzamt hält die Revision für unzulässig.
Es hält die Schriftform für die Revisionsbegründung nicht für gewahrt, weil die eingereichte Revisionsbegründung nur eine Kopie sei. Der Kläger habe keinen bestimmten Antrag gestellt. Schließlich sei die Revision auch deshalb unzulässig, weil die Revisionsbegründungsschrift keine eigenständige Begründung der Revision enthalte, sondern auf die im Verfahren V R 130/83 abgegebene Revisionsbegründung Bezug nehme.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, da dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren war (§ 56 FGO) und die Revision nicht aus anderen Gründen unzulässig ist.
Die Revision ist schriftlich zu begründen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Eine schriftlich vorzunehmende Prozeßhandlung liegt grundsätzlich nur vor, wenn sie von ihrem Urheber eigenhändig unterschrieben worden ist (Beschluß vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). An dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift ist festzuhalten. Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, soweit wie möglich jedem Zweifel darüber vorzubeugen, ob eine für den Gang des Verfahrens wesentliche Prozeßerklärung von der nach dem Gesetz befugten Person auch tatsächlich abgegeben worden ist und der Erklärende dafür die Verantwortung trägt (BGH-Beschluß vom 5. Juli 1984 I ZR 102/83, Versicherungsrecht 1984, 1068; BGH-Urteil vom 29. Mai 1962 I ZR 137/61 - DPA -, NJW 1962, 1505; BGH-Urteil vom 24. Mai 1962 II ZR 173/60, BGHZ 37, 156; a. A. Vollkammer, Formstrenge und prozessuale Billigkeit, 1973, S. 126 ff., 260 ff.).
Da die Revisionsbegründungsschrift, die dem Gericht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist eingereicht worden ist, nicht von dem Prozeßbevollmächtigten des Revisionsklägers unterschrieben ist, war die Revision unzulässig. Auf seinen form- und fristgerecht gemäß § 56 FGO gestellten Antrag war dem Kläger jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Senat ist aufgrund der glaubhaften Versicherung des Prozeßbevollmächtigten davon überzeugt, daß dieser die Revisionsbegründungsschrift im Original eigenhändig unterschrieben hat und daß dieses Original zur Absendung an das Gericht bestimmt war und ferner, daß der Zugang einer Kopie der Revisionsbegründungsschrift auf einer Verwechslung der sonst fehlerfrei und zuverlässig arbeitenden Büroangestellten des Prozeßbevollmächtigten beruht. Insoweit trifft den Prozeßbevollmächtigten kein - dem Kläger zuzurechnendes - Verschulden an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Ein solches Verschulden sieht der Senat nicht darin, daß der Prozeßbevollmächtigte es trotz der großen Zahl und des Umfangs der Rechtssachen unterließ, vor der Absendung zu kontrollieren, ob die für den jeweiligen Adressaten bestimmten Schriftstücke richtig kuvertiert worden waren; denn beim Sortieren der abzusendenden Schriftstücke durfte sich der Prozeßbevollmächtigte auf die entsprechend unterwiesene und sonst zuverlässig arbeitende Bürokraft verlassen. Sonach sind die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt.
Der Kläger hat einen bestimmten Antrag gestellt, wie ihn § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO vorschreibt. Der im ursprünglichen Revisionsbegründungsschriftsatz vom 10. November 1983 gestellte Antrag nimmt Bezug auf die im Klageverfahren gestellten Anträge. Das Finanzgericht hat den im Verhandlungstermin vom 1. Dezember 1982 gestellten Antrag (in einer bestimmten Weise) ausgelegt . . . Diesen Antrag verfolgt der Kläger im Revisionsverfahren weiter. Er läßt unzweideutig die Höhe der erstrebten Steuerherabsetzung erkennen und ist daher bestimmt im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Die Revision ist nicht deshalb unzulässig, weil der Kläger zu deren Begründung auf die im Verfahren V R 130/83 eingereichte Begründung Bezug genommen hat, die ihrerseits auf die Revisionsbegründung im Verfahren I R 231/83 verweist, die der Kläger mit den Revisionsbegründungsschriften in Sachen V R 128, 129, 130/83 in Kopie übersandt hat. Die Bezugnahme auf die Begründung in einer anderen - parallel liegenden - Revisionssache genügt dem Erfordernis der Begründung der Revision jedenfalls dann, wenn dieser Schriftsatz abschriftlich eingereicht und zum Gegenstand des Vortrags gemacht wird (vgl. Gräber, Kommentar zur FGO, § 120 Anm. 11d, Seite 399). Der vorliegende Fall weist überdies die Besonderheit auf, daß schon das angefochtene Urteil auf die Urteile des Finanzgerichts V 273/75 (Einkommensteuer 1974) und V (II) 212/75 (Umsatzsteuer 1974) Bezug nimmt, so daß offenkundig auch im Tatsächlichen parallel gelagerte Streitsachen vorliegen.
Der Senat hat es für angemessen erachtet, über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 4, § 155 FGO, § 238 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO) und über die Zulässigkeit der Revision durch Zwischenvorbescheid zu entscheiden (§§ 121, 97, § 90 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Fundstellen