Entscheidungsstichwort (Thema)
Eidesstattliche Versicherung, Erzwingungshaft
Leitsatz (NV)
Das FA kann als Vollstreckungsbehörde die Anordnung der Erzwingungshaft beantragen, wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung zu dem anberaumten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht erschienen ist oder er die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Grund verweigert. Die Einlegung der Beschwerde nach dem angeordneten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung rechtfertigt die Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht.
Normenkette
AO 1977 § 284 Abs. 5 vor Änderung durch das StMBG
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) vollstreckte seit längerem wegen erheblicher Steuerschulden gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin). Am 21. September 1992 ordnete das FA die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses sowie die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung an und setzte den Termin dazu auf den 6. Oktober 1992 fest. Die Aufforderung zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses und der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, die keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, wurde dem Geschäftsführer der Klägerin nach seinen Angaben erst am 6. Oktober 1992 gegen 11.00 Uhr ausgehändigt, weil er vorher auf Geschäftsreise gewesen sei. Am 7. Oktober 1992 ersuchte das FA das Amts gericht um Erlaß einer Haftanordnung, weil der Geschäftsführer der Klägerin den Termin am 6. Oktober 1992 nicht wahrgenommen hatte. Eine Durchschrift des Ersuchens wurde der Klägerin bekanntgegeben. Am 12. Oktober 1992 legte die Klägerin Beschwerde gegen die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ein. Die Einwendungen wurden mit Verfügung vom 27. Oktober 1992 zurückgewiesen. Als Rechtsbehelfsbelehrung enthielt die Verfügung den Hinweis auf die Beschwerde. Das Amtsgericht ordnete die Haft gemäß § 284 Abs. 7 der Abgabenordnung (AO 1977) an.
Die Beschwerde der Klägerin vom 7. Dezember 1992 gegen den Haftantrag und die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hatte keinen Erfolg.
Am 15. Juni 1993 gab der Geschäftsführer der Klägerin unter Protest die eidesstattliche Versicherung ab.
Das Finanzgericht (FG) stellte auf die Klage der Klägerin hin fest, daß das Ersuchen des FA um Haftanordnung vom 7. Oktober 1992 rechtswidrig war und wies die Klage gegen die Anordnung des FA zur Vorlage des Ver mögensverzeichnisses sowie zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ab. Es hielt die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für zulässig, aber nur hinsichtlich des Antrags, das Ersuchen auf Erlaß eines Haftbefehls für rechtswidrig zu erklären, für begründet.
Das Ersuchen um Anordnung der Erzwingungshaft hätte als Maßnahme zur Durchsetzung der Anordnung auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 erst nach unanfechtbarer Entscheidung über die Beschwerde der Klägerin vom 12. Oktober 1992 ergehen dürfen. Die Klägerin habe die Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. September 1992 rechtzeitig innerhalb der Rechtsbehelfsfrist eingelegt, die gemäß § 356 Abs. 2 AO 1977 erst ein Jahr nach Bekanntgabe der Verfügung abgelaufen gewesen sei. Durch die Einlegung der Beschwerde vom 12. Oktober 1992 sei der Suspensiveffekt des § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 eingetreten. Dadurch sei das Ersuchen des FA um Anordnung der Erzwingungshaft (vom 7. Oktober 1992) unzulässig geworden.
Mit der Revision macht das FA im wesentlichen geltend, daß FG habe § 284 Abs. 5 AO 1977 in der bis zu seiner Änderung durch das Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310) geltenden Fassung unzutreffend ausgelegt.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung hinsichtlich des Ausspruchs zu seinem Ersuchen um Haftanordnung vom 7. Oktober 1992 aufzuheben und -- sinngemäß -- auch die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt im Rahmen des Antrags des FA zur Aufhebung der Vorentscheidung und, weil die Sache nicht spruchreif ist, zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß das Ersuchen des FA um Anordnung der Erzwingungshaft vom 7. Oktober 1992 allein durch Einlegung der Beschwerde der Klägerin vom 12. Oktober 1992 unzulässig geworden sei.
Nach § 284 Abs. 7 AO 1977 kann das FA als Vollstreckungsbehörde die Anordnung der Erzwingungshaft beantragen, wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung zu dem anberaumten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht erschienen ist oder er die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ohne Grund verweigert. Die Einlegung der Beschwerde nach dem angeordneten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung rechtfertigt die Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht. Zwar darf die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 erst gefordert werden, nachdem die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unanfechtbar geworden ist. Der Senat hat jedoch auf der Grundlage der auch im Streitfall noch maßgebenden Fassung des § 284 Abs. 5 AO 1977 entschieden, daß diese aufschiebende Wirkung nur solche Einwendungen haben, die der Vollstreckungsschuldner im (ersten) Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemacht hat, zu dem er ordnungsgemäß geladen worden ist, es sei denn, er kann sein Nichterscheinen zu diesem Termin ausreichend entschuldigen (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH vom 10. Oktober 1989 VII R 44/89, BFHE 159, 1, BStBl II 1990, 146, und vom 10. Oktober 1989 VII R 45/89, BFH/NV 1990, 277). Ohne ausreichende Entschuldigung erst nach diesem Termin erhobene Einwendungen können danach die Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung zu dem festgesetzten Termin nicht rechtfertigen und machen deshalb auch das Ersuchen des FA auf Anordnung der Erzwingungshaft nicht unzulässig.
Der Senat hält diese Auslegung des § 284 Abs. 5 Satz 2 und 3 AO 1977 in der vor ihrer Änderung durch das StMBG -- bis zum 31. Dezember 1993 -- geltenden Fassung auch im Lichte der Begründung zum Entwurf des StMBG für zutreffend und bezieht sich im einzelnen auf die Gründe seiner oben bereits erwähnten Urteile. Der Umstand, daß die Vorschriften zur Klarstellung (vgl. Begründung zu Art. 20 Nr. 33 Buchst. a) des StMBG in BRDrucks 612/93 Seite 105) neu gefaßt wurden, besagt nicht, daß diese Klarstellung nur deklaratorische Bedeutung hat. Die Neufassung der Vorschriften hat vielmehr konstitutiven Charakter. Das ergibt sich daraus, daß die Vorschriften aufgrund ihres Wortlauts und der Auslegung des § 900 Abs. 5 und § 901 der Zivilprozeßordnung, nach deren Vorbild sie konzipiert wurden, nur in dem vom Senat dargelegten Sinn verstanden werden konnten. Es war deshalb erforderlich, daß der Gesetzgeber den Wortlaut der Vorschrift änderte, wenn er erreichen wollte, daß die Einwendungen gegen die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Ver sicherung nicht als ein verfahrensspezifischer Rechtsbehelf, sondern als Rechtsbehelf im Sinne der allgemeinen Regelungen der AO 1977 über Rechtsbehelfe behandelt werden.
Da das FG § 284 Abs. 5 AO 1977 anders ausgelegt hat und seine Entscheidung darauf beruht, ist die Entscheidung hinsichtlich ihres Ausspruchs zum Ersuchen des FA auf Anordnung der Erzwingungshaft aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif, weil das FG -- von seinem Standpunkt aus zu Recht -- keine Feststellung darüber getroffen hat, ob das Nichterscheinen des Geschäftsführers der Klägerin zum Termin für die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und die Nichterhebung der Einwendungen bis zu diesem Termin ausreichend entschuldigt gewesen ist. Nur wenn dies nach den noch zu treffenden Feststellungen des FG der Fall gewesen sein sollte, hätte zunächst über diese Einwendungen unanfechtbar entschieden werden müssen, bevor das Ersuchen um Anordnung der Erzwingungshaft nach § 284 Abs. 7 AO 1977 an das Amtsgericht gerichtet werden durfte.
Fundstellen
Haufe-Index 420609 |
BFH/NV 1995, 1034 |