Entscheidungsstichwort (Thema)
Progressionsvorbehalt bei Doppelansässigkeit
Leitsatz (NV)
Für die Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 EStG 1997 in Deutschland als Ansässigkeitsstaat kommt es auf eine abkommensrechtliche Freistellung der ausländischen Einkünfte nicht an. Bei einer so genannten Doppelansässigkeit sind daher die der deutschen Besteuerung nicht unterliegenden ausländischen Einkünfte bei der Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen, wenn das DBA die Anwendung des Progressionsvorbehalts nicht ausdrücklich ausschließt.
Normenkette
EStG 1997 § 32b Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Streitig ist die Anwendung des Progressionsvorbehalts.
Die im Streitjahr 1998 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind amerikanische Staatsbürger. Der Kläger, der als Geschäftsführer bei der amerikanischen X-Inc. USA (Muttergesellschaft) angestellt war, wurde in 1998 von seiner Arbeitgeberin vorübergehend zur X-GmbH (einer inländischen Tochtergesellschaft) entsandt. Die Kläger wohnten für die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland in einer Mietwohnung; sie behielten ihr Haus in den USA, in das sie nach ihrer Rückkehr 2001/2002 auch wieder einzogen. Der Kläger erhielt von seiner Arbeitgeberin im Streitjahr ein Grundgehalt ausgezahlt, darüber hinaus einen Bonus für 1997, einen Gewinn aus Aktienoptionen, Beiträge zur Lebensversicherung sowie sonstige Bezüge. Die Arbeitgeberin belastete 75 v.H. des Grundgehaltes und der Beiträge zur Lebensversicherung ihrer inländischen Tochtergesellschaft weiter. Von der Tochtergesellschaft erhielt der Kläger im Streitjahr Arbeitslohn in Höhe von … DM (erstattete Kosten für Hotel, Wohnungs- und Parkplatzmiete, für Heimflüge, Zahlung einer Auslandszulage und Gestellung eines Firmenwagens).
In ihrer Einkommensteuererklärung erfassten die Kläger den Arbeitslohn und den der deutschen Tochtergesellschaft weiterbelasteten Gehaltsanteil als Einnahmen aus inländischer nichtselbständiger Tätigkeit. Die übrigen Bezüge deklarierten sie unter Hinweis auf eine weiter gehende Tätigkeit für die Muttergesellschaft als aktuelle bzw. nachträglich erhaltene ausländische Einkünfte. Die Kläger waren auch in den USA steuerpflichtig.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bezog die ausländischen Einkünfte gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes 1997 (EStG 1997) in die Berechnung des Steuersatzes mit ein. Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf wies die Klage durch Urteil vom 31. Januar 2006 3 K 846/03 E (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 970) ab.
Die Kläger rügen mit der Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Festsetzung der Einkommensteuer in der Weise abzuändern, dass ein Progressionsvorbehalt außer Ansatz bleibt.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat dem Antrag der Kläger, die festgesetzte Einkommensteuer zu vermindern, zu Recht nicht entsprochen.
1. Nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 ist auf das zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer steuerfrei sind, bezogen hat. Der besondere Steuersatz nach Abs. 1 ist dabei der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das zu versteuernde Einkommen vermehrt wird um die in Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten steuerfreien Einkünfte, ausgenommen die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte.
2. Die Kläger waren im Streitjahr unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 1997), da sie im Inland einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung) innehatten. Dass die Kläger nach der gemeinschaftlichen Einschätzung der Beteiligten und den Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, in den USA einen Wohnsitz beibehalten hatten, hindert die Möglichkeit der Zuordnung eines weiteren inländischen Wohnsitzes nicht (z.B. Senatsurteile vom 19. März 2002 I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411; vom 28. Januar 2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917). Ebenfalls stellt es kein Hindernis dar, dass die Kläger nach der gemeinschaftlichen Einschätzung der Beteiligten und den Feststellungen des FG nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 2 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 --DBA-USA 1989-- (BGBl II 1991, 355, BStBl I 1991, 95) wegen eines dortigen Mittelpunkts der Lebensinteressen als in den USA ansässig galten. Denn der doppelbesteuerungsrechtliche Begriff der Ansässigkeit ist allein auf die Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) beschränkt (Senatsurteil vom 4. Juni 1975 I R 250/73, BFHE 116, 150, BStBl II 1975, 708; s. auch Senatsurteile vom 31. Oktober 1990 I R 24/89, BFHE 163, 411, BStBl II 1991, 562, und in BFH/NV 2004, 917).
3. Die Einkünfte des Klägers sind damit nach Maßgabe der bestehenden unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland der Einkommensteuer zu unterwerfen. Der Umfang der sachlichen Steuerpflicht ist, soweit es um die von der X-GmbH gezahlten sowie die ihr von der X-Inc. USA belasteten Bezüge des Klägers geht, nicht durch Art. 15 DBA-USA 1989 eingeschränkt. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-USA 1989 dürfen Gehälter, Löhne oder ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Das hiernach bestehende deutsche Besteuerungsrecht wird nicht durch Art. 15 Abs. 2 DBA-USA 1989 ausgeschlossen, da die streitige Vergütung zum Teil von einem und zum anderen Teil für einen in Deutschland ansässigen Arbeitgeber (die X-GmbH) gezahlt wurde (s. dazu Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-USA 1989). Über den Umfang der im Tätigkeitsstaat Deutschland erzielten Vergütungen besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
4. Das FG hat bei der Ermittlung des Steuersatzes ohne Rechtsfehler den Progressionsvorbehalt des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 angewendet.
a) Der Progressionsvorbehalt bezieht sich u.a. auf "Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung … unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer steuerfrei sind". Der Wortlaut der Regelung kann zwar nahelegen, den Progressionsvorbehalt nur auf Einkünfte zu beziehen, die kraft einer besonderen DBA-Regelung in Deutschland als Ansässigkeitsstaat steuerfrei sind. Im Senatsurteil vom 19. Dezember 2001 I R 63/00 (BFHE 197, 495, BStBl II 2003, 302) ist jedoch ausgeführt, dass die Anwendung eines Progressionsvorbehalts nur dann gehindert ist, wenn das jeweils einschlägige DBA einen solchen Vorbehalt verbietet (a.a.O., zu II.5.c aa der Gründe). Denn in einem DBA wird der Progressionsvorbehalt nicht konstitutiv bestimmt. Wenn das DBA die Besteuerung der Einkünfte gestattet und keine anderweitige Regelung enthält, ist für die Anwendung des Progressionsvorbehalts allein das innerstaatliche Steuerrecht entscheidend (s. insoweit auch Senatsurteile vom 15. Mai 2002 I R 40/01, BFHE 199, 224, BStBl II 2002, 660; vom 19. November 2003 I R 19/03, BFHE 204, 155, BStBl II 2004, 549; vom 17. Dezember 2003 I R 14/02, BFHE 204, 263, BStBl II 2004, 260; vom 20. September 2006 I R 59/05, BFH/NV 2007, 346, 348 - zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; Senatsbeschluss vom 25. April 2006 I B 146/05, BFH/NV 2006, 2045; s. auch Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 23A MA Rz 123; Mössner, Recht der Internationalen Wirtschaft 2003, 294, 295 f.; a.A. z.B. Vogel in Vogel/ Lehner, DBA, 4. Aufl., Art. 23 Rz 213). Um insoweit eine gleichheitsgerechte und verfassungskonforme steuerliche Behandlung ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtiger einerseits und zeitweilig unbeschränkt Steuerpflichtiger andererseits zu erreichen, bei denen nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG 1997 ein Progressionsvorbehalt anzuwenden ist, wenn ausländische Einkünfte nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegen, ist der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 in der Weise zu reduzieren, dass es auf eine abkommensrechtliche Freistellung nicht ankommt (s. auch Senatsurteile in BFHE 204, 155, BStBl II 2004, 549, zu II.3. der Gründe; in BFH/NV 2007, 346, 348). Damit ist § 32b Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 EStG 1997 auch in Fällen sog. Doppelansässigkeit anwendbar (Wassermeyer, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2002, 289, 290; Probst in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 32b EStG Rz 88; Heinicke in Schmidt, EStG, 25. Aufl., § 32b Rz 18; wohl auch Lambrecht in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 32b Rz 21; ablehnend: Achter, IStR 2003, 203; Puls, Deutsche Steuer-Zeitung 2003, 755; Frotscher, EStG, § 32b Rz 44; Wied in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 32b EStG Rz 16; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32b EStG Rz 112a). Die Verwaltung hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (Oberfinanzdirektion --OFD-- Nürnberg, Verfügung vom 26. August 2002, Steuererlasse in Karteiform --StEK-- Einkommensteuergesetz § 32b Nr. 84; OFD Koblenz, Verfügung vom 21. Januar 2003, StEK Einkommensteuergesetz § 32b Nr. 87). Auch der Gesetzgeber hat dieser Ansicht durch eine Änderung des Wortlauts des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG (Streichung der Wörter "unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer") im Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28) Rechnung getragen (s. dazu BTDrucks 16/2712, S. 53; BRDrucks 622/06, S. 18).
b) Im Streitfall ist ein Verbot der Anwendung des Progressionsvorbehalts aus Art. 23 DBA-USA 1989 nicht abzuleiten. § 32b Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 EStG 1997 ist damit bei den Klägern anwendbar, weil die Kläger im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und das DBA-USA 1989 dem Quellenstaat Deutschland die Anwendung des Progressionsvorbehalts nicht verbietet.
5. Der Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auszusprechen (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig; zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges als Kostenfestsetzungsgericht, da dieser Beschluss sachlich dem Kostenfestsetzungsverfahren zuzuordnen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 3. April 2003 V R 63/01, BFHE 202, 79, BStBl II 2004, 434; s. auch Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 139 FGO Rz 132, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1778472 |
BFH/NV 2007, 1638 |
HFR 2007, 1117 |