Leitsatz (amtlich)
Auch eine Abtretungsanzeige nach § 46 Abs. 2 und 3 AO 1977 ist der Auslegung zugänglich. Bei der Auslegung einer Anzeige über die Abtretung eines Anspruchs aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich können das Gesamtverhalten des Abtretenden (Anzeigenden) und die Nebenumstände ergeben, daß in Wirklichkeit die Abtretung eines Einkommensteuer-Erstattungsanspruchs angezeigt sein soll.
Normenkette
AO 1977 § 46 Abs. 1-3; BGB §§ 133, 398
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Steuerpflichtige G, der für das Jahr 1975 einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt hatte, jedoch zur Einkommensteuer veranlagt worden war, reichte am 27. Januar 1977 eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1976 bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) ein. Gleichzeitig legte er eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck vor, mit der er die Abtretung seines Anspruchs aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1976 an die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) anzeigte. Die Einkommensteuererklärung enthält einen Hinweis darauf, daß die dort angegebene Kontonummer von der für das Vorjahr angegebenen abweicht. Das neue Konto war mit dem auf der Abtretungsanzeige angegebenen Konto der Klägerin identisch. Die Einkommensteuererklärung trägt einen deutlich sichtbaren Stempelaufdruck "Siehe Abtretung". Im Veranlagungsverfahren wurde ihr ein Zettel mit dem Vermerk des zuständigen Sachgebietsleiters angeheftet, wonach die Abtretung nicht anzuerkennen sei. Das FA überwies den Erstattungsbetrag auf ein anderes Konto des G und lehnte den Antrag der Klägerin ab, den Erstattungsbetrag an sie auszuzahlen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage begehrte die Klägerin die Verurteilung des FA zur Zahlung des Erstattungsbetrages an sie. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 292 veröffentlichten Urteil im wesentlichen aus: G habe die Vorschrift des § 46 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) insofern beachtet, als er die Art des abgetretenen Anspruchs mit "Lohnsteuer-Jahresausgleich 1976" angezeigt habe. Hiermit sei der Einkommensteuer-Erstattungsanspruch 1976 hinreichend bestimmt angegeben worden. Denn Lohnsteuer und Einkommensteuer seien keine verschiedenen Steuerarten. Doch selbst wenn dies so wäre, sei eine Umdeutung der Abtretungsanzeige geboten.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es trägt im wesentlichen vor: Nach bürgerlichem Recht sei eine Abtretung nur wirksam, wenn sie genügend bestimmt oder bestimmbar sei. Dementsprechend müsse in der Abtretungsanzeige nach § 46 Abs. 3 AO 1977 die Art des abgetretenen Anspruchs angegeben werden. Die Klägerin habe den Einkommensteuer-Erstattungsanspruch 1976 dort nicht bezeichnet. Denn Ansprüche aus dem Veranlagungsverfahren und aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren seien unterschiedlicher Qualität. Eine Umdeutung der Abtretungsanzeige sei deswegen bedenklich, weil aufgrund des Veranlagungsverfahrens eine Abrechnung der Einkommensteuerschuld mit Vorauszahlungen, im Verfahren des Lohnsteuer-Jahresausgleichs dagegen eine Anrechnung von einbehaltener Lohnsteuer erfolge.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 46 Abs. 1 AO 1977 können Ansprüche auf Erstattung von Steuern abgetreten werden. Die Abtretung wird nach § 46 Abs. 2 AO 1977 jedoch erst wirksam, wenn sie der Gläubiger in der nach § 46 Abs. 3 AO 1977 vorgeschriebenen Form der zuständigen Finanzbehörde nach Entstehen des Anspruchs anzeigt. Nach der letztgenannten Vorschrift ist die Abtretung der Finanzbehörde unter Angabe unter anderem der Art und der Höhe des abgetretenen Anspruchs auf einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck anzuzeigen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine dem Bestimmbarkeitserfordernis (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 41. Aufl., § 398 Anm. 3d) entsprechende Abtretung; diese ist dem FA auch unter zutreffender Bezeichnung des abgetretenen Anspruchs angezeigt worden.
Denn aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls ist die Abtretungsanzeige dahin auszulegen, daß G nicht einen im Lohnsteuer-Jahresausgleich festzusetzenden Erstattungsanspruch, sondern den Einkommensteuer-Erstattungsanspruch für das Streitjahr abgetreten hat.
Nach § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Diese Vorschrift ist auch im öffentlichen Recht anzuwenden und gilt ebenso für Erklärungen des Bürgers gegenüber der Behörde (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 10. Juli 1963 VI C 91.60, BVerwGE 16, 198). Danach kommt als erklärter Wille das in Betracht, was bei objektiver Würdigung für denjenigen erkennbar geworden ist, für den die Erklärung bestimmt ist (vgl. Palandt, a. a. O., § 133 Anm. 2, 4). Dabei ist nicht nur die Erklärung selbst, sondern die objektive Erklärungsbedeutung des Gesamtverhaltens des Erklärenden einschließlich der Nebenumstände in die Auslegung einzubeziehen (Palandt, a. a. O., § 133 Anm. 4c). Diese Grundsätze gelten auch für eine Auslegung einer Abtretungsanzeige nach § 46 Abs. 2 und 3 AO 1977.
Das Gesamtverhalten des G konnte im Streitfall nur in dem Sinne ausgelegt werden, er habe seinen Einkommensteuer-Erstattungsanspruch abgetreten. Dabei ist zunächst von Bedeutung, daß G die Abtretungsanzeige gleichzeitig mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim FA eingereicht hat. Er hat auf dem Erklärungsvordruck angezeigt, daß sich die maßgebende Kontonummer gegenüber dem Vorjahr verändert habe. Die neue Kontonummer aber war mit der auf der Abtretungsanzeige angegebenen identisch. Hierbei handelte es sich um ein Konto der Klägerin. Darüber hinaus trägt die Einkommensteuererklärung des G einen deutlich sichtbaren Stempelaufdruck, mit dem auf die angezeigte Abtretung hingewiesen wird. Hierbei kann es dahinstehen, ob dieser Stempelaufdruck von oder auf Veranlassung des G oder erst nach Eingang der Erklärung beim FA von einem Bearbeiter angebracht worden ist. Denn in dem einen Falle handelt es sich um ein weiteres objektives Indiz, das auf den Willen des G hinweist, die Abtretung eines Einkommensteuer-Erstattungsanspruchs anzuzeigen. Im anderen Falle besagt der Stempelaufdruck, daß zumindest ein zuständiger Bearbeiter des FA die Erklärung und die Anzeige dem aus den vorgenannten Umständen erkennbaren Willen des G entsprechend einander in zutreffender Weise zugeordnet hatte. Eine solche Zuordnung hat zumindest der zuständige Sachgebietsleiter im Verlaufe des Veranlagungsverfahrens dadurch vorgenommen, daß er der Einkommensteuererklärung einen Zettel mit dem Vermerk angeheftet hat, nach welchem die Abtretung nicht anzuerkennen sei. Schon diese rein äußerlichen Umstände lassen erkennen, daß die Anzeige des G dahin ausgelegt werden konnte und vom FA auch zutreffend dahin ausgelegt worden ist, G habe den Einkommensteuer-Erstattungsanspruch für das Streitjahr abgetreten.
Diesem Ergebnis entspricht der materielle Inhalt des abgetretenen Anspruchs. Im Streitfall trat zu den bereits erwähnten Umständen hinzu, daß der Einkommensteuererklärung des G nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zugrunde lagen, die vom Arbeitgeber des G dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden waren. Daher konnte im Streitfall nicht, wie bei einer Einkommensteuerveranlagung, in der noch weitere Einkunftsarten zu berücksichtigen sind, die Frage entstehen, ob G die angezeigte Abtretung auf bestimmte Einkünfte und die darauf entfallenden Einkommensteuer-Erstattungsansprüche beschränkt wissen wollte. Aus der Sicht des G bestand hinsichtlich der Einbehaltung wie hinsichtlich der Erstattung dieselbe Ausgangslage wie bei einem Lohnsteuer-Jahresausgleich. Aber auch auf seiten des FA waren im Veranlagungsverfahren des Streitjahres keine anderen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen als im Lohnsteuer-Jahresausgleich, wenn man davon absieht, daß innerhalb des Lohnsteuer-Jahresausgleichs der Erstattungsbetrag festgesetzt wird, in einer Einkommensteuerveranlagung dagegen nicht (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Oktober 1981 VI R 24/79, BFHE 134, 418, BStBl II 1982, 215).
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß G für den dem Streitjahr vorangehenden Veranlagungszeitraum beim FA einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt hatte, der dann zu einer Einkommensteuerveranlagung führte. Aus seiner Sicht handelte es sich sowohl bei einem Lohnsteuer-Jahresausgleich als auch bei einer Einkommensteuerveranlagung offensichtlich jeweils um den durch Erstattung vorzunehmenden Ausgleich von zuviel einbehaltener Lohnsteuer. Die Anzeige des G ist somit auch aus materiellen Gründen so zu deuten, daß er einen Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer hat abtreten wollen, die durch Lohnsteuerabzug vom Arbeitslohn einbehalten worden ist. Da er zum Zwecke der Erstattung eine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, ist die Anzeige so auszulegen, daß er den Anspruch auf Einkommensteuer-Erstattung abgetreten hat. Nach alledem braucht der Senat nicht dazu Stellung zu nehmen, ob die Abtretung eines Anspruchs auf Erstattung von Lohnsteuer-Jahresausgleich grundsätzlich auch den möglicherweise konkurrierenden Anspruch überzahlter Einkommensteuer im Einkommensteuerveranlagungsverfahren und umgekehrt miterfaßt (vgl. zum Stand der Meinungen insoweit vor allem Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 46 AO 1977, Tz. 11, S. 32/1).
Fundstellen
Haufe-Index 74365 |
BStBl II 1982, 685 |
BFHE 1983, 46 |