Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerberichtigung aufgrund geänderter rechtlicher Beurteilung eines Zwischenmietverhältnisses
Leitsatz (NV)
1. Zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs des sog. Abzugsjahres aufgrund geänderter rechtlicher Beurteilung eines Zwischenmietverhältnisses in einem sog. Folgejahr (entspricht insoweit BFH-Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95, BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589).
2. Ein wirksamer Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung von Vermietungsumsätzen eines sog. Folgejahres führt dazu, daß die Verwendungsverhältnisse für das Folgejahr anders zu beurteilen sind (steuerfreier Umsatz, der zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug führt, §15 Abs. 2 UStG 1980) als die, die der Steuerfestsetzung im Abzugsjahr nach Maßgabe der erstmaligen Verwendung zugrunde gelegt wurden (voller Vorsteuerabzug aufgrund steuerpflichtiger Vermietung). Für das Folgejahr ist eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß §15 a UStG 1980 vorzunehmen.
Normenkette
UStG 1980 §§ 15, 15a
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) errichtete 1980 und 1981 in A sechs Eigentumswohnungen. Mit Vertrag vom 24. April 1981 vermietete er die Wohnungen an eine Zwischenmietgesellschaft (X). Diese vermietete die Wohnungen an private Endmieter.
1982 und 1983 errichtete der Kläger in B zwei Mietshäuser und vermietete sie 1983 an die X. Diese vermietete wieder an private Endmieter.
Der Kläger verzichtete auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze und machte die Vorsteuerbeträge aus der Errichtung der Objekte geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte die Zwischenmietverhältnisse zunächst an.
Ende 1984 fiel die X in Konkurs. Der Kläger schloß mit einer anderen Gesellschaft (Y) neue Zwischenmietverträge mit Wirkung ab 1. Januar 1985.
Das FA erkannte die Zwischenmietverhältnisse mit der Y über die Wohnungen in A nicht an und berichtigte für die Jahre ab 1985 den Abzug der auf die Anschaffungs kosten dieser Wohnungen entfallenden Vorsteuerbeträge gemäß §15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980). Nach Auffassung des FA hatten sich durch die Vermietung an einen neuen Zwischenmieter die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse geändert.
In der Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1989 behandelte der Kläger die Vermietung der beiden Häuser in B als umsatzsteuerpflichtig. Insoweit folgte das FA der Erklärung, führte aber für die Wohnungen in A die Berichtigung des Vorsteuerabzugs fort.
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger gegen die Umsatzsteuerfestsetzung für 1989 Klage mit dem Antrag, die Umsatzsteuer auf 0 DM herabzusetzen.
Zum einen wandte er sich gegen die Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß §15 a UStG 1980 für die Wohnungen in A mit folgender Begründung: Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hätten bereits die ursprünglichen Zwischenmietverhältnisse mit der X nicht anerkannt werden dürfen. Die Umsatzsteuerbescheide für 1980 und 1981 hätten nach den allgemeinen Änderungsvorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden müssen. Über die Berichtigungsvorschrift des §15 a UStG 1980 könne die inzwischen eingetretene Festsetzungsverjährung dieser Bescheide nicht unterlaufen werden.
Zum anderen machte der Kläger geltend, die Umsätze aus der Vermietung der beiden Häuser in B seien steuerfrei. Er habe zwar auf die Steuerfreiheit gemäß §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 verzichtet. Dieser Verzicht gehe aber ins Leere, weil das Zwischenmietverhältnis mit der Y nach der BFH-Rechtsprechung nicht anerkannt werden dürfe.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Die Vermietungsumsätze hinsichtlich der beiden Häuser in B beurteilte es als steuerfrei gemäß §4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 mit der Begründung, der Kläger habe den Verzicht auf die Steuerfreiheit im Klageverfahren widerrufen. Der Widerruf könne, wie der Verzicht selbst, bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung erfolgen.
Ferner verneinte das FG -- unter Berufung auf seine Rechtsprechung und das BFH-Urteil vom 27. Juni 1991 V R 106/86 (BFHE 165, 304, BStBl II 1991, 860) -- das Vorliegen der Voraussetzungen für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bezüglich der Wohnungen in A. Es führte aus: Das FA hätte nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 22. Juni 1989 V R 34/87, m. N., BFHE 158, 152, BStBl II 1989, 1007) die Zwischenvermietung nicht anerkennen dürfen. Damit sei der spätere Wechsel der Zwischenmieterin keine Änderung der im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse. Der Kläger verstoße mit seinem Verhalten auch nicht gegen Treu und Glauben. Er habe bei Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ebenso wie das FA rechts irrtümlich die Steuerpflicht der Vermietung angenommen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des §15 a UStG 1980. Es beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Der Kläger tritt der Revision entgegen. Die Rechtsauffassung des BFH im Urteil vom 16. Dezember 1993 V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) -- auf das das FA verwiesen hat -- steht nach seiner Ansicht im Widerspruch zu Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), weil das rechtsstaatliche Prinzip der Rechts sicherheit nicht ausreichend berücksichtigt werde (Hinweis auf Koops, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1995, 865). Ferner verstoße diese Rechtsprechung des BFH gegen Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sei ge boten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Das FG-Urteil war aufzuheben. Es stimmt mit den inzwischen durch die BFH-Rechtsprechung fortentwickelten Grundsätzen zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs nicht mehr überein.
1. Nach §15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.
Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485), in BFH/NV 1995, 444 und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a Abs. 1 UStG 1980 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, §15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Darauf nimmt der erkennende Senat Bezug.
Die verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Einwendungen des Klägers gegen die neuere Auslegung des §15 a UStG 1980 haben keinen Erfolg.
Die vom Kläger erwähnte Verfassungs beschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/ NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).
Eine klärungsbedürftige Frage des Gemeinschaftsrechts stellt sich insoweit nicht, weil Art. 20 Richtlinie 77/388/EWG die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen also einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze gibt.
3. Der Senat kann nicht durcherkennen. Er verweist die Sache an das FG zurück.
a) Da das FG -- in bezug auf die Wohnungen in A -- (aufgrund seines Rechtsstandpunkts) keine Feststellungen zur Bestandskraft und Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres getroffen hat, liegt die abschließende Ermittlung und Entscheidung dieses Punktes beim FG.
Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach §15 a UStG 1980 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ergebnis eintritt (§175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
b) Hinsichtlich der Mietshäuser in B erkennt das FA nach den vorliegenden Feststellungen die Zwischenvermietung durch den Kläger an. Das FG ist darauf nicht eingegangen, weil es den Vortrag des Klägers im Klageverfahren, die Vermietungsumsätze seien steuerfrei, als wirksamen Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung beurteilte. Diese Beurteilung hat aber zur Folge, daß die Verwendungsverhältnisse im Streitjahr anders sind (steuerfreier Umsatz, der zum Ausschluß zum Vorsteuerabzug führt, §15 Abs. 2 UStG 1980) als die, die der Steuerfestsetzung im Abzugsjahr nach Maßgabe der erstmaligen Verwendung zugrunde gelegt wurden (voller Vorsteuer abzug aufgrund steuerpflichtiger Vermietung). Für das Streitjahr wäre danach eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß §15 a UStG 1980 vorzunehmen. Dazu enthält das angefochtene Urteil keine Ausführungen. Die gleiche Folge ergäbe sich, wenn auch die Zwischenvermietung der Mietshäuser in B nicht anzuerkennen wäre und die davon abweichende Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unanfechtbar sein sollte.
Auch dieser Frage hat das FG bei der erneuten Entscheidung des Falles nachzugehen.
Fundstellen
Haufe-Index 66427 |
BFH/NV 1998, 222 |
HFR 1998, 122 |