Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzungsfeststellungsklage; Überlassung von Filmen
Leitsatz (NV)
1. Ein FG-Urteil, das den angefochtenen Vorauszahlungsbescheid abändert, obgleich dieser sich inzwischen durch Festsetzung der Jahressteuerschuld erledigt hat, begründet zumindest einen Rechtsschein für die Wirksamkeit des (umgestalteten) Vorauszahlungsbescheides und ist allein schon aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft i. S. der §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 126 Abs. 3 FGO.
2. Der Übergang von der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage läßt den Streitwert unberührt.
3. Ob die Überlassung von Lehrfilmen nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG 1967 steuerbegünstigt ist, hängt davon ab, ob bei Gesamtwürdigung aller Umstände das Schwergewicht des Leistungsaustauschs in einer sonstigen Leistung (Überlassung . . . zur Auswertung und Vorführung) oder in der Lieferung von Filmmaterial zu sehen ist.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 118 Abs. 1 S. 1, § 126 Abs. 3; UStG 1967 § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Verlag, der u. a. Lehrfilme herstellt; für deren Inhalt erwirbt sie von Dritten das Verwertungs- und Verbreitungsrecht und veräußert die Kopien dieser Filme an Schulen, Hochschulen, Bildstellen und andere Interessenten. Hierzu heißt es nach den Feststellungen des FG in den Lieferungs- und Zahlungsbedingungen der Klägerin:
,,Mit dem Erwerb von Filmen wird dem Endverbraucher das Vorführrecht eingeräumt, das bedeutet, das Filmwerk kann öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 19 Abs. 4 Urheberrechtsgesetz)."
Während die Klägerin in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Januar bis September 1977 die Überlassung der Lehrfilme als Übertragung von Urheberrechten wertete und die Entgelte hierfür mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG 1967 versteuerte, stellte sich der Beklagte und Revisionskläger (das FA) auf den Standpunkt, dem wirtschaftlichen Gehalt nach handele es sich bei der Überlassung der Lehrfilme um Lieferungen körperlich einwandfrei beschaffener Filmkopien. Eine öffentliche Vorführung der Filme sei von den Erwerbern nicht beabsichtigt, die Übertragung von Urheberrechten in diesem Zusammenhang daher nicht erforderlich, so daß der volle Steuersatz geschuldet werde.
Das FG gab der Klage statt. Es ging davon aus, daß Vereinbarungen der hier in Frage stehenden Art sowohl Lieferungs- als auch Leistungselemente enthielten, nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG 1967 aber nur Leistungen i. S. des § 3 Abs. 8 UStG 1967 begünstigt seien und die Entscheidung des Streitfalls demnach davon abhänge, welches der beiden Elemente nach dem Willen der Vertragspartner das Übergewicht habe (Urteil des BFH vom 19. Februar 1976 V R 92/74, BFHE 118, 255, BStBl II 1976, 515). Das FG kam unter Berufung auf die zuvor zitierte Vertragsklausel zu dem Ergebnis, die Klägerin habe den Erwerbern des Filmmaterials Vorführrechte i. S. des § 19 Abs. 4 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) übertragen und für die damit verbundenen Umsätze den Vergünstigungstatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG 1967 erfüllt.
Mit der Revision machte das FA zunächst Verletzung der §§ 3 und 12 UStG 1967 geltend. Das angefochtene Urteil lasse die gebotene Abwägung von Leistungs- und Gegenleistungselementen vermissen bzw. habe zu Unrecht ein Überwiegen der Leistungselemente angenommen. Demgegenüber liege das wirtschaftliche Schwergewicht hier - ähnlich wie bei Schallplatten und Kassetten - im Erwerb möglichst einwandfreien Materials.
Nachdem sich im Revisionsverfahren herausgestellt hatte, daß die Jahressteuererklärung der Klägerin für 1977 schon am 27. Juli 1979, also vor Erlaß des FG-Urteils, beim FA eingegangen war und das FA (zunächst) nicht zum Erlaß eines Steuerbescheids veranlaßt hatte (§ 168 Satz 1 AO 1977), erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich des ursprünglichen Klagebegehrens in der Hauptsache für erledigt.
Das FA hält an seinem Aufhebungsbegehren fest. Die Klägerin geht zur Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) über und beantragt nunmehr festzustellen, daß die zunächst angefochtenen Vorauszahlungsbescheide rechtswidrig gewesen sind.
Das rechtliche Interesse an einer solchen Feststellung begründet die Klägerin zum einen damit, daß im Hinblick auf die Aussetzung der angefochtenen Bescheide die Erhebung von Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) zu besorgen sei, zum anderen damit, daß eine gerichtliche Entscheidung der Streitfrage für das anschließende Verfahren über die Umsatzsteuerjahresschuld von Bedeutung (steuerliche Auswirkung der streitigen Steuererhöhung: 36 424 DM) und dadurch aus prozeßökonomischen Gründen nützlich sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§§ 118 Abs. 1 Satz 1, 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), das darüber zu befinden haben wird, ob die angefochtenen Vorauszahlungsbescheide rechtmäßig waren oder nicht.
1. Die Revision ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, daß sich der Rechtsstreit über das ursprüngliche, auf Aufhebung der angefochtenen Vorauszahlungsbescheide gerichtete Klagebegehren durch entsprechende Prozeßerklärungen der Verfahrensbeteiligten in der Hauptsache erledigt hat.
Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO spricht das Gericht, wenn sich ein angefochtener Verwaltungsakt vor Beendigung des wegen seiner Rechtmäßigkeit geführten Rechtsstreits durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
Die formellen Voraussetzungen für den Übergang zu einer solchen Fortsetzungsfeststellungsklage sind hier erfüllt: Mit dem Wirksamwerden der Jahressteuerfestsetzung (d. h. der Abgabe der Jahressteuererklärung, die zunächst keine Änderungen für die Ermittlung der Jahressteuerschuld ergab) am 27. Juli 1979 (Eingang beim FA - § 168 Satz 1 AO 1977 -), wurde den Vorauszahlungsbescheiden für den gleichen Zeitraum, d. h. auch den mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakten, ihre Wirkung genommen (BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370). Das FG-Urteil hätte also nicht mehr ergehen dürfen. Da es die tatsächlich bedeutungslos gewordenen, in ihrem Regelungsgehalt erschöpften Verwaltungsakte (BFH-Urteil vom 16. April 1986 I R 32/84, BFHE 147, 14, BStBl II 1986, 736, 737) gleichwohl abänderte, hat es zumindest einen Rechtsschein geschaffen. Darin liegt ein Beschwer im Sinne des Revisionsrechts, auch wenn die Entscheidung des Senats sich im Vorauszahlungsverfahren unmittelbar nicht mehr auswirken kann (BFH-Urteil vom 13. Januar 1987 IX R 90/83, BFH / NV 1987, 445).
Die Zulässigkeit der Revision ist auch nicht etwa dadurch in Frage gestellt, daß die Streitwertgrenzen des Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861) in der bis zum 17. Juli 1985 (durch das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985, BGBl I 1985, 1274 modifizierten) Fassung berührt werden. Die danach maßgebliche Streitwertgrenze von 10 000 DM bemißt sich nach dem Interesse des FA, das sich in dem ursprünglichen, auf Klageabweisung und Bestätigung der angefochtenen Vorauszahlungsbescheide gerichteten Revisionsbegehren konkretisierte (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 115 FGO, Tz. 25 f., m. w. N.). Der Wert des Streitgegenstandes betrug also 36 424 DM. Hieran hat sich durch den Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage nichts geändert, einmal, weil spätere Ereignisse den Streitwert im Sinne des Revisionsrechts grundsätzlich unberührt lassen (Tipke / Kruse, a.a.O., Tz. 26; J. Frank, Anspruchsmehrheiten im Streitwertrecht, Köln / München 1986, S. 111 ff. - jeweils m. w. N.), zum anderen, weil unabhängig davon der Übergang von einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO keine Streitwertänderung bedeutet (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1985 VII R 48/85, BFH / NV 1985, 109, 110). Dies gilt auch dann, wenn es um Steuervorauszahlungen geht (BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1970 IV B 87/70, BFHE 101, 41, BStBl II 1971, 206, und vom 13. März 1980 IV E 2/80, BFHE 130, 363, BStBl II 1980, 520, 521).
Daß das Rechtsmittel vom FA eingelegt wurde, das als beklagte Behörde nicht antragsbefugt i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist, steht dem Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage im Revisionsverfahren ebenfalls nicht entgegen (BFH-Urteil vom 23. März 1976 VII R 106/73, BFHE 118, 503, BStBl II 1976, 459, 460).
Zu bejahen ist auch ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein solches Interesse im Verhältnis Vorauszahlungsverfahren / Veranlagungsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie (vgl. die BFH-Urteile vom 29. Mai 1979 VI R 21/77, BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650, 651 f., und vom 18. Dezember 1986 V R 127/80, BFHE 148, 226, BStBl II 1987, 222, 223) auch dann zu bejahen ist, wenn es - wie im Streitfall (siehe unter 2.) - wegen mangelnder Sachaufklärung zu einer Zurückverweisung kommt, denn hier ist ein besonderes Feststellungsinteresse der Klägerin jedenfalls im Hinblick auf die zu erwartende Erhebung von Aussetzungszinsen (§ 237 AO 1977) gegeben (Urteil in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370, 371).
2. Die Revision ist begründet. Das Urteil widerspricht schon deshalb geltendem Recht, weil es - wie zuvor dargelegt - über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten befindet und deren Regelungsgehalt (durch die Abänderung der jeweiligen Vorauszahlungsschuld) inhaltlich gestaltet, die ihre Wirkung inzwischen verloren haben. Eine materiell- rechtliche Entscheidung über die Fortsetzungsfeststellungsklage allerdings ist dem Senat verwehrt, weil er selbst nicht entscheiden kann, ob die seinerzeit mit der Anfechtungsklage angegriffenen Vorauszahlungsbescheide rechtswidrig waren. Hierzu reichen die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus.
Zutreffend hat das FG bei der Beantwortung der Frage, ob die Überlassung der Lehrfilme der Steuerbegünstigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG 1967 in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung unterfällt, darauf abgestellt, ob es sich um die Überlassung von Rechten an Filmen zu deren Auswertung und Vorführung (d. h. um sonstige Leistungen) oder aber um die Lieferung von Filmmaterial handelt (BFH-Urteile vom 7. November 1968 V 46/65, BFHE 94, 416, BStBl II 1969, 211; in BFHE 118, 255, BStBl II 1976, 515, und vom 29. November 1984 V R 96/84, BFHE 142, 319, BStBl II 1985, 271, 272, m. w. N.). Die Maßgeblichkeit dieser Fragestellung ergibt sich aus dem Gesetzeszusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (Urteil in BFHE 142, 319, BStBl II 1985, 271, und die dortigen Nachweise; vgl. insbesondere auch S. 4 den Bericht des Finanzausschusses zu dieser Vergünstigungsvorschrift - § 12 Abs. 2 Nr. 6 c des Entwurfes -, zu BTDrucks V/1581 und dazu Strickstrock, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1968, 631, 632).
Beizupflichten ist der Vorinstanz auch darin, daß diese Frage im Rahmen einer einheitlichen Betrachtungsweise des zugrunde liegenden Leistungsaustauschs danach zu beantworten ist, worin dem nach außen hin bekundeten und tatsächlich vollzogenen Willen der Vertragspartner zufolge der Schwerpunkt des umsatzsteuerbaren Vorgangs zu sehen ist (BFH-Urteil vom 14. Februar 1974 V R 129/70, BFHE 111, 379, BStBl II 1974, 261, 262; vgl. auch Winnefeld, Umsatzsteuer- Rundschau - UR - 1973, 103).
Eine solche schwerpunktmäßige Zuordnung erfordert jedoch eine vollständige, umfassende Würdigung der dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden Vereinbarungen sowie der tatsächlichen Umstände, unter denen sie verwirklicht wurden. Daran fehlt es hier. Das FG stützt seine Würdigung auf eine einzige Passage der Lieferungs- und Zahlungsbedingungen der Klägerin. Darin liegt keine Gesamtwürdigung in der zuvor beschriebenen Art. Diese aus dem Zusammenhang des Vertragswerks herausgelöste Klausel trägt weder die angefochtene Entscheidung noch erlaubt sie dem Senat eine eigene Würdigung der Leistungsaustauschverhältnisse.
Das FG wird seine Feststellungen zu den maßgeblichen Rechtsbeziehungen sowie deren Beurteilung nunmehr zu vervollständigen haben. Es wird dabei, um den wirtschaftlichen Gehalt der getroffenen Vereinbarungen zu erfassen, auch zu konkretisieren haben, welches im einzelnen die ,,anderen Interessenten" waren, an welche die Klägerin außer an Schulen, Hochschulen und Bildstellen im hier interessierenden Zeitraum Lehrfilme veräußerte.
Fundstellen