Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verbindlichkeit einer Warenverkehrsbescheinigung bei Zweifel an deren Richtigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn die Zollbehörde des Ausfuhrlandes eine Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 nicht formell widerrufen hat, sind die Zollbehörden des Einfuhrlandes nicht daran gebunden, wenn sie Zweifel an deren Richtigkeit haben.
2. Grundsätzlich ist die Überprüfung der Warenverkehrsbescheinigung von den Zollbehörden des Ausfuhrlandes durchzuführen; nur in Ausnahmefällen, wenn das Ausfuhrland es an einer sorgfältigen Überprüfung mangeln lässt oder es dem Ausfuhrland unmöglich ist, die notwendigen Feststellungen zu treffen, sind die erforderlichen Feststellungen durch die Zollbehörden des Einfuhrlandes zu treffen.
3. Lässt sich bei der Überprüfung einer Warenverkehrsbescheinigung nicht eindeutig feststellen, dass die Warenverkehrsbescheinigung richtig ist, so ist daraus zu schließen, dass die Ware unbekannten Ursprungs und der Vorzugstarif zu Unrecht gewährt worden ist.
4. Ein aktiver Irrtum der Zollbehörde, der zu einem Absehen von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben führt, ist nicht gegeben, wenn die abfertigende Zollstelle die Warenverkehrsbescheinigung zunächst akzeptiert und auf ihrer Grundlage den Präferenzzollsatz angewendet hat.
5. Die Neufassung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Zollkodex durch die VO (EG) Nr. 2700/2000 kann erst auf Zollschulden angewandt werden, die nach dem Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens (19. Dezember 2000) entstanden sind.
6. Bei der Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens sind insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen.
Normenkette
EG Art. 234 Abs. 3; EWGV 2913/92 Art. 220 Abs. 1, 2 Buchst. b, Art. 221; FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ im Februar 1998 Butter aus der Republik Estland, die bereits 1997 von Estland in ein deutsches Zolllager gebracht worden war, zum freien Verkehr abfertigen. Auf Grund der vorgelegten beiden Warenverkehrsbescheinigungen EUR. 1 vom August 1997 wurde die Ware zum Präferenzzollsatz abgefertigt. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ―HZA―) Zweifel bekommen hatte, ob es sich bei der Butter tatsächlich um estnische Butter handelte, erhob er mit dem durch Einspruchsschreiben der Klägerin angefochtenen Steueränderungsbescheid den Differenzbetrag zum Drittlandszollsatz nach.
Das HZA stützte sich für den Steueränderungsbescheid auf ein Gutachten der TU (Gutachten). Dieses kam zu dem Ergebnis, dass jedenfalls Teile von gezogenen Proben nicht aus Estland stammen könnten. Das Ergebnis des Gutachtens sowie die angewandte Untersuchungsmethode sind zwischen den Beteiligten umstritten. Später wurde die Europäische Kommission, Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), eingeschaltet, weil der Verdacht eines so genannten Butterkarussells bestand. Die estnische Zollverwaltung widerrief u.a. die im Streitfall vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen. In einem Schreiben vom 13. Juni 2000 teilte sie mit, die 2000 durchgeführte Zollprüfung habe ergeben, dass die Firma L, von der die Butter in Estland stammen sollte, die erforderlichen ursprünglichen Dokumente, die den Ursprung der Ware nachweisen, nicht aufbewahrt habe, wie dies die Vorschriften des Protokolls Nr. 3 zum Freihandelsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Republik Estland vorschreiben, und daher der Ursprung der Butter nicht auf Grund solcher Daten bestätigt werden könne. In der Folge hob sie jedoch die formale Aufhebung der Warenverkehrsbescheinigungen wieder auf. In dem diesbezüglichen von der Klägerin eingereichten Schreiben vom September 2000 führte die estnische Zollverwaltung aus, dass die Aufhebung der Warenverkehrsbescheinigungen irrtümlich als Verwaltungsakt behandelt worden sei und die Behörden des ausländischen Staates (Einfuhrland) dafür zuständig seien, eine Entscheidung über die Warenverkehrsbescheinigungen zu treffen. In diesem Schreiben legte sie aber nochmals dar, dass die erforderlichen Unterlagen von der Firma L nicht aufbewahrt worden seien und die Firma dies auch in einem Schreiben eingeräumt habe.
Nach Erhebung der Untätigkeitsklage durch die Klägerin wies das HZA deren Einspruch zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das HZA sei auf Grund der Mitteilung der estnischen Zollbehörden, dass die Aufbewahrungsvorschriften der Unterlagen zum Nachweis der Ursprungseigenschaft der Erzeugnisse nicht eingehalten worden seien und damit der Ursprung der Butter nicht mehr überprüft werden könne, gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1, Art. 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex ―ZK―) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 302/1) berechtigt, die Zölle nachzuerheben.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin mehrfache Verstöße gegen den Verfahrensgrundsatz der Amtsermittlung (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), die Verletzung von Vorschriften über die Beweisaufnahme (§ 82 FGO i.V.m. §§ 363 und 364 der Zivilprozessordnung) und einen krassen Fehler der Beweiswürdigung. Einen weiteren schweren Beweisfehler sieht die Klägerin darin, dass das FG die Isotopenanalyse der TU (das Gutachten), wenn auch nur unterstützend zu Lasten der Klägerin verwertet habe. Außerdem beanstandet die Klägerin als Verfahrensfehler, dass das FG ihren Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung der estnischen Behörden über den estnischen Ursprung der in Rede stehenden Butter abgelehnt habe.
Als Verletzung materiellen Rechts, nämlich des Protokolls Nr. 3, sieht die Klägerin insbesondere die Auffassung des FG an, die Klägerin könne in keinem Falle im finanzgerichtlichen Prozess den Nachweis der Ursprungseigenschaft führen. Schließlich habe das FG den Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 (VO Nr. 2700/2000) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 311/17) normiert sei, rechtsirrig angewandt.
Mit ihrem Schriftsatz vom Oktober 2002 hat die Klägerin u.a. noch geltend gemacht, gegen die Ablehnung der Überprüfung der ursprünglichen Mitteilung der estnischen Behörden, dass die Butter kein Ursprungserzeugnis sei, habe der Hersteller und Lieferant der Butter in Estland verwaltungsgerichtliche Klage erhoben. Gegen die Abweisung der Klage habe er, wie sich aus dem in estnischer Sprache beigefügten Schriftsatz ergebe, Berufung (Appelation) eingelegt.
Entscheidungsgründe
II. A. Eine Aussetzung des Verfahrens ist nicht gerechtfertigt. Die Klägerin hat lediglich die angebliche Berufungsschrift in estnischer Sprache gegen das die in Estland erhobene Klage abweisende Urteil vorgelegt, aber nicht ausgeführt, inwieweit sich das Rechtsmittel auf das Revisionsverfahren im Streitfall auswirken könnte. Im Hinblick darauf, dass es nicht um die Frage geht, ob die Ursprungszeugnisse nichtig sind, sondern darum, ob sich der Ursprung abgesehen von der Gültigkeit der Ursprungszeugnisse i.S. von Art. 32 Abs. 3 Protokoll Nr. 3 durch kaufmännische Unterlagen noch nachweisen lässt und mehrfach mitgeteilt wurde, dass solche Unterlagen nicht mehr vorhanden sind, wären entsprechende Ausführungen der Klägerin notwendig gewesen.
B. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Senat teilt die Auffassung des FG, dass der Steueränderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung nicht rechtswidrig ist und die Klägerin durch ihn nicht in ihren Rechten verletzt wird. Auf den gerügten Verfahrensfehlern beruht das angefochtene Urteil entweder nicht oder sie liegen nicht vor.
1. a) Das FG hat zutreffend ausgeführt, dass das HZA auf Grund der Mitteilungen der estnischen Zollbehörden vom Juni 2000 und vom September 2000 berechtigt gewesen sei, den Differenzbetrag an Zoll, der sich aus der Anwendung des Drittlandszollsatzes an Stelle des Präferenzzollsatzes ergibt, gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1, Art. 221 Abs. 1 ZK nachzuerheben. Denn auch wenn die estländische Zollverwaltung als ausstellende Behörde die beiden Warenverkehrsbescheinigungen, die Grundlage der Abfertigung der Butter zum Präferenzzollsatz waren, nicht formell widerrufen hat, hat das HZA diese zu Recht nicht als ausreichende Rechtfertigung für die Präferenzbehandlung angesehen.
Voraussetzung für die Anwendung des Präferenzzollsatzes auf die aus Estland eingeführte Butter nach dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Estland andererseits vom 12. Juni 1995 (ABlEG 1998 Nr. L 68/3), das gemäß seinem Art. 130 Abs. 3 mit seinem In-Kraft-Treten am 1. Februar 1998 (Mitteilung in ABlEG 1998 Nr. L 68/199) das Abkommen über den Freihandel und Handelsfragen zwischen der Europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Estland andererseits vom 18. Juli 1994 (ABlEG 1994 Nr. L 373/2) ersetzt hat, ist der Nachweis der Ursprungseigenschaft des betreffenden Erzeugnisses durch Vorlage einer Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1. Die Einzelheiten über die Bestimmung des Begriffs "Erzeugnisse mit Ursprung in" oder "Ursprungserzeugnisse" und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen regelt das Protokoll Nr. 3 (Protokoll Nr. 3) in der Fassung der Änderungen durch den Beschluss Nr. 1/97 des gemischten Ausschusses zwischen den Europäischen Gemeinschaften einerseits und der Republik Estland andererseits vom 6. März 1997 (ABlEG 1997 Nr. L 111/1), die durch den Beschluss Nr. 2/98 des Assoziationsrates zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Estland andererseits vom 30. Juni 1998 (ABlEG 1998 Nr. L 208/53) angenommen worden sind. Das Protokoll Nr. 3 gilt ebenfalls ab 1. Februar 1998. Die Warenverkehrsbescheinigung wird danach von den zuständigen Stellen des Ausfuhrlandes ausgestellt (Art. 17 Abs. 1 Protokoll Nr. 3).
Die Klägerin hat zwar solche Warenverkehrsbescheinigungen für die hier in Rede stehende Butter vorgelegt. Diese sind auch gültig, weil sie von der estländischen Zollverwaltung nicht formell widerrufen worden sind. Gleichwohl hat das HZA die zunächst auf Grund der vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen gewährte Präferenzbehandlung mit Recht rückgängig gemacht und den Zoll auf der Grundlage des allgemeinen Zollsatzes nacherhoben, weil sich der die Präferenzbehandlung begründende Ursprung der Butter trotz der vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen nicht i.S. von Art. 32 Abs. 5 Protokoll Nr. 3 eindeutig hat feststellen lassen (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteil vom 14. Mai 1996 Rs. C-153/94 und C-204/94, EuGHE 1996, I-2465 Randnr. 16). Dies hat die vom HZA gemäß Art. 32 Protokoll Nr. 3 veranlasste Prüfung der Warenverkehrsbescheinigungen ergeben.
Gemäß Art. 32 Abs. 1 Protokoll Nr. 3 sind die Ursprungsnachweise nachträglich stichprobenweise oder immer dann zu prüfen, wenn die Zollbehörden des Einfuhrlandes begründete Zweifel an der Echtheit des Papiers, der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse oder der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des Protokolls Nr. 3 haben. Dazu wenden sich die Zollbehörden des Einfuhrlandes an die Zollbehörden des Ausfuhrlandes unter Angabe der Gründe, die eine Untersuchung rechtfertigen (Art. 32 Abs. 2 Protokoll Nr. 3). Die Prüfung wird von den Zollbehörden des Ausfuhrlandes durchgeführt (Art. 32 Abs. 3 Protokoll Nr. 3), die der Zollbehörde des Einfuhrlandes, die die Prüfung beantragt hat, das Ergebnis der Prüfung so bald wie möglich mitteilt (Art. 32 Abs. 5 Protokoll Nr. 3). Nach diesen Vorschriften ist auch im Streitfall verfahren worden.
Anlass für die Prüfung war der sich u.a. aus dem Gutachten ergebende Verdacht, dass die in Rede stehende Butter kein Ursprungserzeugnis Estlands sein könnte. Insoweit reichen Zweifel aus. Eine Gewissheit dafür, dass das Erzeugnis nicht aus Estland stammt, wird von Art. 32 Abs. 1 Protokoll Nr. 3 nicht verlangt. Im Gegenteil, es würde sogar ausreichen, wenn die Prüfung auf Grund einer Stichprobe durchgeführt worden wäre. Nach Mitteilung der estnischen Zollverwaltung in den genannten Schreiben ergab die Prüfung, dass sich der Ursprung der Butter nicht mehr auf Grund von Unterlagen des Herstellers feststellen ließ, weil dieser keine Unterlagen mehr zur Verfügung stellen konnte, aus denen sich der Ursprung der Butter hätte nachweisen lassen. Zu dem gleichen Ergebnis kam auch die von OLAF durchgeführte Gemeinschaftsmission.
Im Hinblick darauf, dass der Hersteller nach Art. 28 Abs. 1 Protokoll Nr. 3 verpflichtet ist, die Belege i.S. des Art. 17 Abs. 3 Protokoll Nr. 3, aus denen sich der Ursprung des betreffenden Erzeugnisses ergibt, mindestens drei Jahre lang aufzubewahren, hat das HZA aus der Tatsache, dass solche Belege der zuständigen Zollverwaltung des Ausfuhrlandes im Rahmen der nachträglichen Prüfung entgegen Art. 32 Abs. 3 Satz 2 Protokoll Nr. 3 nicht vorgelegt wurden, den zutreffenden Schluss gezogen, dass der estnische Ursprung der Butter nicht nachgewiesen ist. Denn Zweck der in Art. 28 Abs. 1 Protokoll Nr. 3 festgelegten Aufbewahrungspflicht ist es, die nachträgliche Prüfung der ausgestellten Warenverkehrsbescheinigungen gemäß Art. 32 Protokoll Nr. 3 zu ermöglichen.
Anders als die Klägerin meint, ist diese Prüfung auch nicht im Einfuhrland auf Grund von Unterlagen durchzuführen, die die Klägerin hier im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegt hat. Denn nach dem in Art. 32 Protokoll Nr. 3 geregelten System der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien bei der Sicherung des Ursprungsnachweises obliegt es grundsätzlich dem Ausfuhrland, das die Warenverkehrsbescheinigungen ausgestellt hat, eine solche Prüfung vorzunehmen, weil dessen Behörden am besten in der Lage sind, die für den Ursprung maßgebenden Tatsachen unmittelbar festzustellen (vgl. EuGH, Urteile vom 17. Juli 1997 Rs. C-97/95, EuGHE 1997, I-4209 Randnr. 32, und in EuGHE 1996, I-2465 Randnr. 19; Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 19. Oktober 1999 VII B 57/99, BFH/NV 2000, 489).
Nur ausnahmsweise sind solche Feststellungen durch die Behörden des Einfuhrlandes zu treffen. Solche Ausnahmen sind nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 7. Dezember 1993 Rs. C-12/92, EuGHE 1993, I-6381, und vom 23. Februar 1995 Rs. C-334/93, EuGHE 1995, I-319) nur dann gegeben, wenn das Ausfuhrland es an der sorgfältigen Überprüfung mangeln lässt oder es dem Ausfuhrland unmöglich ist, die notwendigen Feststellungen zu treffen, weil die dafür erforderlichen Unterlagen nicht in seinem Zuständigkeitsbereich, sondern im Zollgebiet, zu dem das Einfuhrland gehört, vorhanden sind. Solche Ausnahmefälle sind hier nicht gegeben. Da die Butter angeblich vollständig in Estland hergestellt worden ist (Art. 2 Abs. 2 Buchst. a Protokoll Nr. 3), müssten auch bei dem dortigen Hersteller alle Unterlagen zum Nachweis der Ursprungseigenschaft innerhalb der im Streitfall noch nicht abgelaufenen Mindestfrist für ihre Aufbewahrung vorhanden sein und vorgelegt werden können. Geschieht Letzteres nicht, ist der Nachweis der Ursprungseigenschaft des betreffenden Erzeugnisses trotz Vorlage der Warenverkehrsbescheinigungen für die Butter mangels ausreichender Prüfungsmöglichkeit auf Grund von Unterlagen des Herstellers nicht als geführt anzusehen. Denn die Warenverkehrsbescheinigung ist zwar eine Beweisurkunde, die Richtigkeit der in ihr beurkundeten Tatsachen kann aber, wie ausgeführt, nachträglich überprüft werden. Lässt sich bei einer solchen Überprüfung keine Bestätigung für die in der Warenverkehrsbescheinigung enthaltene Angabe über den Ursprung i.S. von Art. 32 Abs. 5 Satz 2 Protokoll Nr. 3 finden, so ist daraus jedenfalls zu schließen, dass die Ware unbekannten Ursprungs ist und der Vorzugstarif damit zu Unrecht gewährt worden ist. In diesem Fall müssen die Zollbehörden des einführenden Mitgliedstaates die zunächst nicht erhobenen Einfuhrabgaben grundsätzlich nachfordern (vgl. EuGH in EuGHE 1996, I-2465 Randnr. 16, und in EuGHE 1993, I-6381 Randnr. 17 f.).
b) Der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des Differenzbetrages gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK und der Mitteilung darüber an den Zollschuldner gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK (Nacherhebung) steht die Vorschrift des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK, die den Vertrauensschutz abschließend regelt (vgl. BFH, Urteil vom 24. April 2001 VII R 114/99, BFHE 195, 466, ständige Rechtsprechung), nicht entgegen.
Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK setzt ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung des Abgabenbetrages voraus, dass der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag auf Grund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist. Ein solcher Irrtum liegt nur vor, falls sich die Zollstelle bei der Auslegung oder Anwendung der Vorschriften über Eingangsabgaben aktiv geirrt hat, d.h. wenn der Irrtum auf das Handeln der Zollstelle zurückzuführen ist (vgl. EuGH, Beschluss vom 9. Dezember 1999 Rs. C-299/98 P, EuGHE 1999, I-8683 Randnr. 32; Urteil in EuGHE 1996, I-2465 Randnr. 93, ständige Rechtsprechung; BFH, Urteil in BFHE 195, 466, ständige Rechtsprechung). Dieser Irrtum ist nicht gegeben, wenn die abfertigende Zollstelle, wie im Streitfall, die Warenverkehrsbescheinigungen zunächst akzeptiert und auf ihrer Grundlage den Präferenzzollsatz angewendet hat.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil in EuGHE 1996, I-2465 Randnr. 95) kann aber ein Irrtum der Behörde, die die Warenverkehrsbescheinigung ausgestellt hat, ebenfalls ein im Rahmen der genannten Vorschrift erheblicher sein, der die nachträgliche buchmäßige Erfassung ausschließt. Auch von einem solchen kann jedoch im Streitfall keine Rede sein, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die estländische Zollbehörde bei Ausstellung der Warenverkehrsbescheinigungen über die Auslegung und die Anwendung der maßgebenden Vorschriften geirrt haben könnte.
Die erst durch die VO Nr. 2700/2000 in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK eingefügten weiteren Vorschriften, nach denen über den zuvor behandelten Fall hinaus von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung abzusehen ist, wenn sich im Rahmen eines Systems der administrativen Zusammenarbeit herausstellt, dass eine Warenverkehrsbescheinigung unrichtig ist, greifen, anders als die Klägerin meint, im Streitfall noch nicht. Denn diese Vorschriften sind erst am 19. Dezember 2000 in Kraft getreten (Art. 2 VO Nr. 2700/2000). Da es sich hierbei nicht um Verfahrensvorschriften, sondern um materiell-rechtliche Bestimmungen handelt, können sie, wie das FG zutreffend erkannt hat, erst auf Zollschulden angewandt werden, die nach dem Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens entstanden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 1997 Rs. C-261/96, EuGHE 1997, I-6177 Randnr. 17; BFH, Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 85/98, BFHE 189, 244). Es trifft entgegen der Darstellung der Klägerin nicht zu, dass diese Vorschriften nur etwas wiedergeben, was zuvor bereits in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt worden ist. Vielmehr sind die betreffenden Bestimmungen das Ergebnis eines nach langen Verhandlungen gefundenen Kompromisses (vgl. zur Entstehungsgeschichte Witte/Alexander, Zollkodex, 3. Aufl., Art. 220 Rz. 58, 59), der den Vertrauensschutz gegenüber der bis dahin bestehenden Rechtslage im Anschluss an das EuGH-Urteil in EuGHE 1996, I-2465 Randnr. 95 erweitert und präzisiert hat.
2. Die Verfahrensrügen der Klägerin, wonach das FG gegen den Verfahrensgrundsatz der Amtsermittlungspflicht verstoßen und die Vorschriften über die Beweisaufnahme verletzt haben sowie einen krassen Fehler in der Beweiswürdigung begangen haben soll, vermögen der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn angesichts der zuvor unter Abschnitt 1 geschilderten materiellen Rechtslage waren im Einfuhrland keine zusätzlichen Ermittlungen hinsichtlich des Ursprungs der abgefertigten Butter anzustellen. Deshalb kommt es auf die von der Klägerin dem FG vorgelegten Unterlagen und angebotenen Beweismittel, die den Ursprung der Butter in Estland nachweisen sollen, nicht an. Etwa in Bezug darauf begangene Verfahrensfehler des FG sind somit für die Entscheidung des Streitfalls unerheblich. Der Senat braucht deshalb nicht zu prüfen, ob solche tatsächlich vorliegen.
3. Schließlich stellt es auch, anders als die Klägerin meint, keinen Verfahrensfehler dar, dass das FG den Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) abgelehnt hat, mit der sie die Einräumung einer angemessenen Frist von mindestens einem halben Jahr erreichen wollte, in der eine Entscheidung der estnischen Zollverwaltung über eine Änderung ihrer Erklärung über den estnischen Ursprung der Butter herbeigeführt werden sollte. Der Senat teilt zwar nicht die Auffassung des FG, dass die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steueränderungsbescheids nicht von dieser Wissensmitteilung abhängt. Denn die Mitteilung über das Ergebnis der Überprüfung der Warenverkehrsbescheinigungen durch die estnischen Zollbehörden nach Art. 32 Protokoll Nr. 3 ist, wie bereits oben in Abschnitt 1 ausgeführt, von entscheidender Bedeutung dafür, ob die vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen die Präferenzbehandlung der Butter rechtfertigen. Dennoch bestehen keine Bedenken dagegen, dass das FG das Verfahren nicht ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ist eine Ermessensentscheidung, bei der insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind (BFH, Beschluss vom 20. Juli 2000 VII B 47/00, BFH/NV 2001, 313). Zu berücksichtigen ist dabei auch, wie und in welcher Weise die Beteiligten das nach ihrer Ansicht vorgreifliche Verfahren vorangetrieben haben. In diesem Zusammenhang hat das FG mit Recht entscheidend berücksichtigt, dass seit der letzten Mitteilung der estnischen Zollverwaltung an die deutschen Zollbehörden bereits fast ein Jahr vergangen ist und erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung ein Verwaltungsverfahren betreffend die Richtigkeit der an die deutschen Zollbehörden gerichteten Mitteilung der estnischen Zollbehörden in Gang gesetzt worden ist. Ein Ermessensfehler bei der Ablehnung des Aussetzungsantrages durch das FG ist in Anbetracht dieses zögerlichen Verhaltens der Klägerin bzw. der Firma L gegenüber den estnischen Zollbehörden nicht zu erkennen.
4. Der Senat hält es nicht für erforderlich, in dieser Sache eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABlEG Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) einzuholen, weil sich angesichts der bereits vorhandenen und vorstehend zitierten Rechtsprechung des EuGH keine vernünftige Zweifelsfrage hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Gemeinschaftsvorschriften in dem Sinne ergibt, dass mehrere Auslegungsmöglichkeiten denkbar wären (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415-3442, und Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266). Die Anwendung des insoweit eindeutigen Gemeinschaftsrechts auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht, hier dem BFH (vgl. Iglesias, Der EuGH und die Gerichte der Mitgliedstaaten - Komponenten der richterlichen Gewalt in der Europäischen Union, Neue Juristische Wochenschrift 2000, 1889, 1890).
Fundstellen
Haufe-Index 881486 |
BFH/NV 2003, 437 |
BStBl II 2003, 145 |
BFHE 2003, 444 |
BFHE 200, 444 |
BB 2003, 298 |
DB 2003, 486 |
DStRE 2003, 438 |
HFR 2003, 402 |