Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für Berichtigungsposten wegen bisher bei einer Besteuerung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht erfaßter Vorgänge im übergangsjahr zur Besteuerung nach § 4 Abs. 1 EStG ist dann keine Grundlage gegeben, wenn der Gewinn des Vorjahres griffweise geschätzt worden ist.

2. Ergibt die Eröffnungsbilanz der vom Steuerpflichtigen angelegten Buchführung, daß die Schätzung des Vorjahres nicht stimmen kann, so besteht die Möglichkeit einer Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 3; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 4 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Rechtsanwalt. Strittig ist die Einkommensteuer 1950. Es handelt sich hierbei um folgendes:

Der Bf. hat für II/1948 und 1949 weder Umsatz- noch Einkommensteuererklärungen abgegeben. Er hat auch keine Aufzeichnungen vorlegen können. Das Finanzamt hat deshalb für die beiden Veranlagungsabschnitte die Gewinne frei geschätzt und kam für II/1948 zu einem Betrag von 5000 DM und für 1949 zu einem Betrag von 10 000 DM.

Für 1950 hat der Steuerpflichtige doppelte Buchführung eingerichtet. Bei seiner Veranlagung ergab sich, daß er am 1. Januar 1950 Außenstände in Höhe von 20 925,63 DM und Schulden in Höhe von 2178,82 DM hatte. Da es sich für II/1948 und 1949 (nach Auffassung des Finanzamts) um eine Schätzung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehandelt habe, hat das Finanzamt, dem das Finanzgericht gefolgt ist, dem Gewinn 1950 mit Rücksicht auf den übergang von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG den Betrag von 18 746,81 DM hinzugerechnet.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet sich hiergegen. Die Hinzurechnung sei unzulässig, wenn das Einkommen des Vorjahres geschätzt worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Das Finanzamt hat im Ergebnis den Gewinn II/1948 und 1949 frei und damit nach § 4 Abs. 1 EStG geschätzt. Der Besteuerung nach § 4 Abs. 3 EStG ist eigentümlich, daß Schwankungen im Betriebsvermögen, die nicht wesentlich erscheinen (ausgenommen die Geldposten), nicht im einzelnen Veranlagungsabschnitt, sondern im Verlaufe einer längeren Zeit, die eine Mehrzahl von Veranlagungsabschnitten umschließt, einkommensteuerlich erfaßt werden. Eine Veranlagung nach § 4 Abs. 3 EStG setzt deshalb eine Kenntnis der Bewegung der Geldposten des einzelnen Betriebes voraus. Die Frage, inwieweit Schulden und Forderungen sich in Ausgaben und Einnahmen verwandelt haben, muß für jeden Betrieb verschieden von anderen Betrieben beantwortet werden. Eine Typisierung ist hier genau so wenig möglich, wie hinsichtlich der Zurechnungen beim übergang zur Besteuerung nach § 4 Abs. 1 EStG.

Es liegen keine Unterlagen vor, die dafür sprechen, daß das Finanzamt im Streitfalle die Einnahmen und Ausgaben feststellen konnte und lediglich ergänzende Schätzungen vorgenommen hat. Wie der Reichsfinanzhof stets (so in den Entscheidungen VI A 482/35 vom 8. Juli 1936, Grundwerk zur Steuerrechtsprechung in Karteiform II S. 59 VI 38/40 vom 6. März 1940, Reichssteuerblatt 1940 S. 423, und VI 324/41 vom 22. Oktober 1941, Reichssteuerblatt 1941 S. 924) ausgesprochen hat, ist eine Berichtigung des Gewinnes im übergangsjahr nach einer nur griffweisen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen unzulässig. Die Voraussetzungen der Entscheidung IV 146/40 vom 8. August 1940, Reichssteuerblatt 1940 S. 859, sind nicht gegeben, da, wie bereits ausgeführt, die Einnahmen und Ausgaben nicht festgestellt werden konnten.

Die Vorentscheidung muß deshalb aufgehoben werden. Das veranlagte Einkommen 1950 in Höhe von 21 475 DM mindert sich somit um die Zurechnungen in Höhe von 18 746 DM auf 2 729 DM.

Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs kann aber eine fehlerhafte Schätzung bei der Veranlagung der Steuerabschnitt II/1948 und 1949, die erst durch die Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 1950 offenbar geworden ist, gegebenenfalls durch Berichtigung der Veranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 der Reichsabgabenordnung beseitigt werden. Siehe im einzelnen Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 40/51 U vom 3. Oktober 1951, Slg. Bd. 55 S. 494, Bundessteuerblatt 1951 III S. 202. Bei einer Berichtigung der Veranlagung der Jahre II/1948 und 1949 wären hinsichtlich der Vorschüsse die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 159/53 U vom 2. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 266, Bundessteuerblatt 1954 III S. 314, zu beachten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408439

BStBl III 1956, 235

BFHE 1957, 97

BFHE 63, 97

BB 1956, 775

DB 1956, 787

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