Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbschaftsteuer. Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Bescheid nur hinsichtlich eines einzelnen Punktes vorläufig, so greift § 234 AO nur hinsichtlich dieses Punktes ein.
2. Zur Bindungswirkung für Finanzamt und Finanzgericht an ein rechtskräftigen FG-Urteil über einen vorläufigen Steuerbescheid bei Ergehen und Anfechtung eines endgültigen Steuerbescheids.
3. Ein Erbschaftsteuerbescheid kann nach § 36 ErbStG 1951 wegen Nichtberücksichtigung abzugsfähiger Verbindlichkeiten nur dann berichtigt werden, wenn die Verbindlichkeiten dem Steuerpflichtigen in tatsächlicher Hinsicht unbekannt waren; eine Unkenntnis der Rechtslage genügt nicht.
Orientierungssatz
Anfechtbarkeit eines endgültigen Steuerbescheids, der einen rechtskräftigen, teilweise vorläufigen ändert; Bindung an rechtskräftiges FG-Urteil; Berichtigung nach § 36 ErbStG
Normenkette
AO 1931 § 234; ErbStG 1951 §§ 23, 36
Tatbestand
Der am 28. Dezember 1949 verstorbene Bauer A B (Erblasser) ist von seiner Ehefrau und seiner am 9. November 1938 geborenen Tochter C B in gesetzlicher Erbfolge beerbt worden. Zum Nachlaß gehört ein Hof i.S. der Höfeordnung für die britische Zone (HO); Hoferbin ist die Tochter des Erblassers. Das FA hat durch den an die Witwe des Erblassers gerichteten endgültigen Steuerbescheid vom 4. Juli 1957 die Tochter des Erblassers nach einem Erwerb von 54.551,70 DM unter Ansatz eines Freibetrages von 20 000 DM zu einer Erbst von 2.418,50 DM herangezogen; die Witwe des Erblassers ist von der ErbSt freigestellt worden. Gegen diesen Bescheid hat die Witwe des Erblassers Einspruch eingelegt, der jedoch erfolglos geblieben ist. Das FG hat die Berufung der Witwe des Erblassers gegen die Einspruchsentscheidung des FA ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde wird wie im Verfahren über die Berufung Freistellung von der durch den endgültigen Steuerbescheid nachgeforderten ErbSt begehrt.
Verfahrensrechtlich ist vorweg folgendes zu bemerken: Der Angriff gegen den endgültigen Steuerbescheid bezieht sich ausschließlich auf die Steuerfestsetzung für den Erwerb der Tochter des Erblassers. Auch wenn dieser Steuerbescheid gemäß § 15 Abs. 1, 3 ErbStDV der Witwe des Erblassers bekanntgegeben worden ist, war sie zu dessen Anfechtung, soweit die Steuerfestsetzung für den Erwerb ihrer minderjährigen Tochter in Betracht kam, nicht kraft eigenen Rechts befugt, konnte ihn vielmehr nur als gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter angreifen (§ 102 AO). Es ist deshalb ungenau, wenn das FA und das FG, allerdings in Übereinstimmung mit den Rechtsmittelschriften, von Rechtsmitteln der Witwe des Erblassers sprechen. In Wirklichkeit handelte es sich um Rechtsmittel der zunächst durch die Witwe des Erblassers gesetzlich vertretenen, erst im Laufe des Rb.-Verfahrens volljährig gewordenen Tochter des Erblassers, demzufolge auch um eine Rb. der letzteren.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Dem endgültigen Steuerbescheid ist der vorläufige Steuerbescheid vom 11. Dezember 1951 voraufgegangen. Die Berufung gegen diesen vorläufigen Bescheid ist nach Zurückweisung des Einspruchs seitens des FA durch Urteil des FG vom 29. Mai 1952 zurückgewiesen worden; dieses Urteil hat Rechtskraft erlangt. Der Bescheid vom 11. Dezember 1951 ist laut dem in ihn aufgenommenen Zusatz nur hinsichtlich des Lastenausgleichs vorläufig gewesen. Der endgültige Steuerbescheid vom 4. Juli 1957 weicht von dem vorläufigen Bescheid vom 11. Dezember 1951 lediglich insoweit ab, als die Lastenausgleichsabgaben statt mit bisher 54.072 DM (Soforthilfeabgabe) nunmehr mit 34.090,78 DM (Vermögensabgabe 22.585,78 DM + Soforthilfeabgabe 11.505 DM) als Nachlaßverbindlichkeiten berücksichtigt sind. Das FG hat bei dieser Sachlage mit Recht das Begehren der Bfin. abgelehnt, den Wert des der Witwe des Erblassers (Mutter der Bfin.) nach § 14 HO zustehenden Verwaltungs- und Nutznießungsrechts als Nachlaßverbindlichkeit zum Abzug zuzulassen. Ist ein Bescheid nicht in vollem Umfang, sondern nur hinsichtlich eines einzelnen Punktes vorläufig erlassen, so greift § 234 AO nur bezüglich des Punktes ein, der den Gegenstand des Vorbehaltes bildet. Es ergibt sich dies aus dem Wesen eines teilweisen Vorbehaltes, der den ihn enthaltenden Steuerbescheid nur insoweit zum vorläufigen, im übrigen aber zum endgültigen macht (vgl. das Urteil des RFH VI A 831/34 vom 4. September 1935, RStBl 1935 S. 1299 – a.a.O. rechte Spalte – und für den ähnlich liegenden Fall des gesetzlichen Vorbehalts nach § 18 Abs. 3 RBewG – jetzt § 16 Abs. 3 BewG – das Urteil des RFH III e A 68/35 vom 17. Oktober 1935, RStBl 1935 S. 1417 – a.a.O. rechte Spalte –). Diese Auffassung wird auch vom Schrifttum geteilt … Den Ausführungen des FG ist demnach beizutreten.
Es kommt … hinzu, daß das FG bereits in seinem das Berufungsverfahren über den vorläufigen Bescheid vom 11. Dezember 1951 abschließenden rechtskräftigen Urteil einen Abzug wegen des der Witwe des Erblassers zustehenden Verwaltungs- und Nutznießungsrechts abgelehnt hat. Auch aus diesem Grunde hätte das FA daher einen entsprechenden Abzug nicht zubilligen können, ebenso wie auch das FG an seine Entscheidung gebunden ist (materielle Rechtskraft). Für die Bindung an rechtskräftige Berufungsentscheidungen vgl. das Urteil des erkennenden Senats II 97/55 U vom 18. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 208, Slg. Bd. 61 S. 27–31 –, und das weitere Urteil des BFH III 157/54 U vom 30. Juni 1956, BStBl 1956 III S. 216, Slg. Bd. 63 S. 53–55 –.
Zu Unrecht beruft sich die Bfin. schließlich auf § 36 ErbStG 1951. Wenn der Stpfl. nach dieser Vorschrift Berichtigung des ErbSt-Bescheides beantragen kann, falls bei Erteilung des Steuerbescheids abzugsfähige Verbindlichkeiten nicht berücksichtigt worden sind, weil sie dem Stpfl. unbekannt waren, so bezieht sich das entsprechend dem Wortlaut dieser Vorschrift nur auf Unkenntnis in tatsächlicher, nicht aber in rechtlicher Hinsicht (vgl. Urteil des RFH I e A 119/31 vom 24. März 1931, RStBl 1931 S. 358 – S. 359 linke Spalte unten –). Die Bfin. macht aber vorliegendenfalls gerade eine solche Unkenntnis in rechtlicher Hinsicht geltend (– nachträgliche Klarstellung der Rechtslage erst durch das Urteil des BFH III 98/56 S vom 6. Juli 1956, BStBl 1956 III S. 271, Slg. Bd. 63 S. 192 –) …
Fundstellen