Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorgreiflichkeit eines Feststellungsverfahrens; Verträge unter nahen Angehörigen; keine gesicherte Rechtsposition aufgrund Vermögenssorge
Leitsatz (NV)
1. Das FG muß das einen Einkommensteuerbescheid betreffende Verfahren aussetzen, bis über die Beteiligung mehrerer Steuerpflichtiger an den Einkünften im Feststellungsverfahren entschieden ist.
2. Treten minderjährige Kinder aufgrund der Übertragung eines Hausgrundstücks zivilrechtlich in die Stellung ihrer Eltern als Vermieter ein, ist dies einkommensteuerrechtlich nur zu berücksichtigen, wenn die Kinder die Vermieterstellung tatsächlich vollständig übernehmen.
3. Bewohnen Eltern eine Wohnung in einem ihren minderjährigen Kindern gehörenden Haus, beruht die Nutzung nicht bereits wegen der ihnen obliegenden Sorge für das Vermögen ihrer Kinder auf einer gesicherten Rechtsposition.
Normenkette
AO 1977 §§ 179-180; FGO § 74; EStG § 21; BGB § 571 Abs. 1, § 1626 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
Der Kläger übertrug ein ihm gehörendes Mietwohngrundstück mit notariell beurkundetem Vertrag vom 4. September 1978 mit Zustimmung der Klägerin unentgeltlich auf seine beiden durch einen Pfleger vertretenen minderjährigen Söhne zu je einem halben Miteigentumsanteil. Er behielt sich das Recht vor, die Rückübertragung der Grundstücksanteile mit den derzeitigen Belastungen zu fordern, wenn der jeweilige Eigentümer seinen Anteil ohne vorherige schriftliche Zustimmung der Kläger ganz oder teilweise veräußert oder belastet oder wenn die Voraussetzuungen für den Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks vorliegen. Die Gefahr, öffentliche und private Lasten, Gebühren, Abgaben, Steuern und die Nutzungen sollten mit Wirkung vom 1. Juli 1978 anteilig auf die Erwerber übergehen. Die im Grundbuch eingetragenen Lasten nebst den zugrunde liegenden Schuldverpflichtungen übernahmen die Söhne jedoch als Gesamtschuldner. Der Eigentumsübergang und eine Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Rückübertragung wurden im Grundbuch eingetragen. Das Vormundschaftsgericht hielt den Vertrag nicht für genehmigungsbedürftig.
Während der Streitjahre (1979 bis 1981) bewohnten die Kläger die Erdgeschoßwohnung in dem Haus wie bereits zuvor mit ihren Söhnen. Die beiden anderen Wohnungen waren vermietet.
Mit notariell beurkundeten Verträgen vom 16. Februar 1981, 4. Februar 1982 und 21. Februar 1983 räumten die durch einen Pfleger vertretenen Söhne mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts den Klägern einen auf 20 Jahre befristeten Nießbrauch an dem Grundstück sowie ein Wohnrecht an der Erdgeschoßwohnung auf Lebenszeit ein.
Die Kläger erklärten für die Streitjahre sowie für die Jahre 1982 und 1983 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Grundstück. Der erzielten Miete und dem Mietwert der selbstgenutzten Wohnung stellten sie jeweils erheblich höhere Werbungskosten gegenüber.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte für die Streitjahre sowie die Jahre 1982 und 1983 keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mehr an. Die Einsprüche blieben erfolglos.
Während des Klageverfahrens erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide für 1980 und 1981. Diese Bescheide wurden auf Antrag der Kläger Gegenstand des Verfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Kläger beantragten im finanzgerichtlichen Verfahren, das zu versteuernde Einkommen für 1979 auf ... DM, für 1980 auf ... DM und für 1981 auf ... DM herabzusetzen. Zur Begründung führten sie aus, der Kläger habe in den Jahren 1979 bis 1983 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem Grundstück erzielt. Er sei wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks geblieben. Er habe dieses unter tatsächlicher Übernahme der Grundstückslasten und der Leistungen auf die im Zeitpunkt der Übertragung bestehenden Grundpfandrechte in gleichem Maße, in gleicher Weise und - aufgrund der Rückforderungsklausel - gegen Entzug gesichert wie zuvor genutzt. Er sei nach außen hin weiterhin als Eigentümer und Vermieter im eigenen Namen und nicht als Vertreter seiner Söhne aufgetreten. Den Mietern sei die Übereignung nicht angezeigt worden; sie hätten die Miete wie bisher auf sein Konto gezahlt. In den Jahren 1979 und 1981 habe er Mietverträge im eigenen Namen geschlossen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Kläger hätten in den Streitjahren weder aus der Vermietung von Wohnungen noch aufgrund der Selbstnutzung der Erdgeschoßwohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Das zu versteuernde Einkommen in den Streitjahren werde auch nicht aufgrund eines Verlustrücktrags aus den Folgejahren gemindert.
Mit der Revision rügen die Kläger sinngemäß Verletzung des § 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Kläger habe auch während der Streitjahre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Das FG hat dadurch gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, daß es das Verfahren nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt hat, bis über die Beteiligung des Klägers an den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung aus dem Grundstück für die Jahre 1979 bis 1981 in einem Feststellungsverfahren entschieden worden ist. Dieser Verfahrensfehler ist von Amts wegen zu beachten (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239, und vom 18. Juli 1990 I R 39/89, BFH/NV 1991, 498).
Einkommensteuerpflichtige Einkünfte sind grundsätzlich u.a. dann nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 179 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gesondert und einheitlich festzustellen, wenn streitig ist, ob an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind oder welchen Personen die Einkünfte steuerrechtlich zuzurechnen sind (BFH-Urteile in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; vom 29. September 1987 IX R 83/83, BFH/NV 1988, 205; vom 28. März 1990 X R 166/87, BFH/NV 1991, 11; BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 1988 IX B 28/88, BFH/NV 1989, 87, und vom 10. Oktober 1989 IV B 135/88, BFH/NV 1990, 485). Zweck des Feststellungsverfahrens ist es, eine einheitliche Sachbehandlung durch die Finanzbehörden sicherzustellen (Senatsurteil in BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239). Dieser Zweck erfordert es, durch einen Feststellungsbescheid zu klären, welche von mehreren in Betracht kommenden Steuerpflichtigen an bestimmten Einkünften beteiligt sind und welche nicht. Das Feststellungsverfahren ist auch dann durch- zuführen, wenn das für dieses Verfahren zuständige FA gleichzeitig für die Festsetzung der Einkommensteuer aller möglicherweise an den Einkünften beteiligten Steuerpflichtigen zuständig ist. Auch in diesem Fall sind das Feststellungsverfahren und das Steuerfestsetzungsverfahren verfahrensrechtlich zu trennen (Senatsbeschluß in BFH/NV 1989, 87).
Das gegen die Einkommensteuerfestsetzung gerichtete Verfahren muß das FG auch dann bis zum Abschluß eines Feststellungsverfahrens nach § 74 FGO aussetzen, wenn der Erlaß eines sog. Negativbescheids wegen geringer Bedeutung des Falles (§ 180 Abs. 3 AO 1977) als möglich erscheint (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1989, 87). Die Aussetzung kann allenfalls unterbleiben, wenn offensichtlich ein Fall von geringer Bedeutung vorliegt. Dies trifft in der Streitsache wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und der finanziellen Bedeutung der Angelegenheit nicht zu.
2. Die Vorentscheidung, die die Vorgreiflichkeit eines Feststellungsverfahrens übersehen hat, ist aufzuheben. Die Sache geht an das FG zurück, das sein Verfahren nach § 74 FGO aussetzen und den Abschluß des Feststellungsverfahrens abwarten muß.
3. Aus prozeßökonomischen Gründen weist der Senat für das Feststellungsverfahren auf folgendes hin:
Erweist sich der Sachvortrag der Kläger als zutreffend, dürften die Söhne mit Eigentumsübergang zwar zivilrechtlich in die bestehenden Mietverträge eingetreten sein (§ 571 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Für die einkommensteuerrechtliche Beurteilung ist aber maßgebend, ob die Söhne die Vermieterstellung des Klägers tatsächlich vollständig übernommen haben (vgl. Senatsurteil vom 14. März 1989 IX R 107/85, BFH/NV 1989, 694; zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen aus minderjährigen Kindern geschenktem Sparguthaben vgl. BFH-Urteile vom 3. November 1976 VIII R 170/74, BFHE 120, 393, BStBl II 1977, 206, und vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539). Ist der Übergang der Mietverhältnisse auf die Kinder einkommensteuerrechtlich nicht zu berücksichtigen, hat der Kläger weiterhin aus der Wohnungsvermietung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt (vgl. dazu auch Senatsurteil vom 3. Dezember 1991 IX R 155/89, unter 1., BFHE 166, 460, BStBl II 1992, 459).
Unabhängig von der Frage, wer aus der Vermietung der Wohnungen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hat, wird das FA zu prüfen haben, wem der Nutzungswert der Erdgeschoßwohnung nach § 21 Abs. 2 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung zuzurechnen ist. Dabei wird zu beachten sein, daß die Kläger die Erdgeschoßwohnung nicht bereits wegen der ihnen obliegenden Sorge für das Vermögen der Kinder (§ 1626 Abs. 1 BGB) aufgrund einer gesicherten Rechtsposition nutzen konnten (Senatsurteil vom 16. Oktober 1984 IX R 71/84, BFHE 142, 443, BStBl II 1985, 154).
Fundstellen
Haufe-Index 419816 |
BFH/NV 1994, 868 |