Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsbehelf gegen die Aufteilung der im Beitrittsgebiet auf die Halbjahre 1990 entfallenden Einkommensteuer

 

Leitsatz (NV)

1. Begehrt der Steuerpflichtige mit Einwendungen gegen den Bescheid über die Steuerrate 1990 eine anderweitige Aufteilung der Einkommensteuer auf die Halbjahre mit dem Ziel einer Steuerminderung als Folge der Halbierung der auf das 1. Halbjahr 1990 entfallenden Steuer, macht er Umstände geltend, die nur im Billigkeitswege berücksichtigt werden können.

2. Hat das FA über dieses Begehren im Einspruchsverfahren statt im Beschwerdeverfahren entschieden, ist auf die Klage bzw. Revision die Einspruchsentscheidung aufzuheben, damit das Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 163, 348, 349 Abs. 1 a.F., § 357 Abs. 1 S. 4; FGO § 44

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 1990 Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit als Werkzeugmachermeister. Er ermittelte sein Betriebsergebnis durch Errechnung des Überschusses der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. In seiner Jahreserklärung für Steuern der Handwerker im Beitrittsgebiet erklärte er für das erste Halbjahr 1990 ein steuerpflichtiges Einkommen in Höhe von ... M und für das zweite Halbjahr 1990 einen Verlust in Höhe von ... DM, was nach Saldierung zu einem steuerpflichtigen Einkommen in Höhe von ... M/DM (sog. nomineller Jahresbetrag) führte. Nach Anwendung des Steuergrundtarifs A (s. § 1 Abs. 1 des Steueränderungsgesetzes der DDR -- StÄndG-DDR -- vom 6. März 1990, Gesetzesblatt DDR -- GBl DDR -- I 1990, 136) ergab sich eine Jahressteuer in Höhe von ... M/DM. Insoweit folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den Angaben des Klägers.

Als prozentuale Anteile der jeweiligen steuerpflichtigen Halbjahreseinkommen am nominellen Jahresbetrag ermittelte der Kläger für das erste Halbjahr 200 v. H. und für das zweite Halbjahr ./. 100 v. H. Entsprechend diesem Verhältnis teilte er sodann die Jahreseinkommensteuer für das Streitjahr in den Betrag von ... M für das erste Halbjahr und von ./. ... DM für das zweite Halbjahr auf.

Nach Hinzurechnung von Umsatz- und Lohnsummensteuer im ersten Halbjahr (zusammen ... M) ergab sich eine Steuerrate (zusammengefaßte Steuern) von ... M für das erste Halbjahr und eine Steuerrate von ./. ... DM für das zweite Halbjahr. Nach Verrechnung mit den im jeweiligen Halbjahr erbrachten Vorauszahlungen errechnete der Kläger eine Steuererstattung in Höhe von insgesamt ... DM.

Das FA ordnete dagegen bei der Ermittlung der Steuerrate die Einkommensteuer in M/DM in voller Höhe dem ersten Halbjahr zu. Dies hatte zur Folge, daß die Einkommensteuer für das erste Halbjahr zwar geringer ausfiel ( ... M/DM zuzüglich Umsatz- und Lohnsummensteuer -- ... M -- = ... M, statt ... M). Für das zweite Halbjahr ergab sich jedoch bei einer Steuerschuld von 0 DM nur eine Erstattung von ... DM. Diese Berechnungsweise des FA führte weiter dazu, daß sich aufgrund zu hoher Vorauszahlungen in beiden Halbjahren für das erste Halbjahr ein höherer als der beantragte Überzahlungsbetrag, für das zweite Halbjahr jedoch eine geringere Überzahlung und somit eine Erstattung von insgesamt nur ... DM ergab.

Den vom Kläger als Einspruch bezeichneten Rechtsbehelf wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 1993 als unbegründet zurück. Auch die Klage, mit der der Kläger in gleicher Weise die Zuordnung der Einkommensteuer zum ersten Halbjahr mit ... DM und zum zweiten Halbjahr mit ./. ... M begehrte, blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zu dem Ergebnis, daß es für die vom Kläger begehrte Verteilung des Einkommensteuerjahresbetrages auf die beiden Kalenderhalbjahre des Streitjahres keine gesetzliche Grundlage gebe.

Mit der -- vom FG zugelassenen -- Revision begehrt der Kläger, die einheitliche Jahressteuer des Streitjahres im Verhältnis der steuerpflichtigen Einkommen der beiden Halbjahre zum nominellen Jahresbetrag auf das erste und das zweite Halbjahr wie folgt aufzuteilen:

Einkommen

Relation

Steuerbetrag

1. Halbjahr

./. . . . M

./. 200 v.H.

./. . . . M

2. Halbjahr

./. . . . DM

./. 100 v.H.

./. . . . DM

. . . M/DM

100 v. H.

. . . M/DM

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

Das FA wie das FG haben nicht beachtet, daß der Kläger mit seinem Begehren nach Aufteilung der Jahressteuer im Verhältnis der steuerpflichtigen Einkommen der Halbjahre eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) erstrebt. Über dieses Begehren hat das FA zu Unrecht im Einspruchsverfahren entschieden.

1. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 14. September 1994 I R 136/93 (BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382) ausgeführt hat, enthält ein im Beitrittsgebiet ergangener Steuerbescheid, wie er hier vorliegt, mehrere selbständige Regelungen, die in verfahrensrechtlicher Hinsicht voneinander zu unterscheiden sind. Beschränken sich die Einwendungen des Klägers auf bestimmte Regelungsgegenstände eines derartigen Sammelbescheides, ist dies vom FA wie vom FG zu beachten. In diesem Sinne zu trennen ist auch zwischen Steuerfestsetzung einerseits und Billigkeitsmaßnahmen i. S. von § 163 AO 1977 andererseits. Der Umfang des Begehrens des Steuerpflichtigen bzw. Klägers ist ggf. im Wege der Auslegung zu bestimmen (Urteil in BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382).

Nach dem genannten Urteil (in BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382) ist bei den im Beitrittsgebiet ergangenen Steuerbescheiden dementsprechend zu trennen zwischen der Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder der Festsetzung von Steuern einerseits und der in der "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990" enthaltenen Anordnung, daß die auf das erste Halbjahr entfallende Steuerrate halbiert wird. Bei dieser Anordnung handelt es sich andererseits um eine Billigkeitsmaßnahme i. S. von § 163 AO 1977, gegen die der Beschwerdeweg nach § 349 AO 1977 eröffnet ist, während gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder die Festsetzung von Steuern der Rechtsbehelf des Einspruchs nach § 348 AO 1977 gegeben ist.

2. Mit seinem als Einspruch bezeichneten Schreiben vom 26. Oktober 1992 sowie seinem weiteren Schreiben vom 21. Mai 1993 wandte sich der Kläger ausschließlich dagegen, daß das FA in dem Steuerbescheid für das Streitjahr die von ihm begehrte Aufteilung der Einkommensteuer auf die Halbjahre nicht vorgenommen hatte. Das FA sah dieses Schreiben als Einspruch an und wies den Rechtsbehelf des Klägers in der mit der Klage angefochtenen Einspruchsentscheidung mit dem Hinweis auf die Zuordnung des Jahresbetrags zum ersten Halbjahr als unbegründet zurück.

Die Behandlung des Begehrens des Klägers als Einspruch ist indes nicht zutreffend. Die von ihm erstrebte anderweitige Steueraufteilung wirkt sich -- vom Rechtsstandpunkt des Klägers ausgehend -- nur deshalb zu seinen Gunsten aus, weil die Finanzverwaltung im Wege einer Billigkeitsmaßnahme die auf das erste Halbjahr entfallende Steuer als Steuerrate nur mit 50 v. H. ansetzt (vgl. Vordruck Jahreserklärung für Steuern der Handwerker -- AV 11/30 -- S. 7, Berechnungsbogen für natürliche Personen -- AV 9/22 -- S. 11, jeweils unter "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990"). Mit seinem Begehren um eine darüber noch hinausgehende anderweitige Steueraufteilung macht der Kläger daher Umstände geltend, die nur im Billigkeitswege Berücksichtigung finden können (s. auch BFH-Urteil in BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382).

Gemäß § 357 Abs. 1 Satz 4 AO 1977 ist die unrichtige Bezeichnung des Rechtsbehelfs allerdings unerheblich. Da der Kläger die anderweitige Steueraufteilung im Billigkeitswege und somit im Ergebnis eine abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO 1977 anstrebt, ist sein Rechtsbehelf als Beschwerde i. S. von § 349 Abs. 1 AO 1977 gegen die von ihm in der Jahreserklärung beantragte und im Steuerbescheid abgelehnte Steueraufteilung zu verstehen. Über diese Beschwerde hat das FA zu Unrecht im Einspruchsverfahren nach § 367 AO 1977 entschieden, ohne die Sache -- wie im Falle der Nichtabhilfe einer Beschwerde geboten -- gemäß § 368 Abs. 2 AO 1977 der nächsthöheren Behörde zur Entscheidung vorzulegen.

3. Hiervon ausgehend hat das FG unzutreffend eine Entscheidung zur Sache getroffen. Geht das FA -- wie hier -- irrtümlich davon aus, der angefochtene Steuerverwaltungsakt falle unter § 348 AO 1977, und entscheidet es im Einspruchsverfahren, statt eine Entscheidung der Oberfinanzdirektion im Beschwerdeverfahren herbeizuführen, so ist auf die Klage bzw. Revision die Einspruchsentscheidung aufzuheben, damit das Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann (BFH-Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402; Urteil des erkennenden Senats vom 19. Oktober 1990 III R 28/88, BFH/NV 1991, 717; s. auch Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 349 Anm. 1, sowie Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 163 AO 1977 Tz. 7 a, § 348 AO 1977 Tz. 1).

4. Die Sache ist spruchreif. Da das FG das Einspruchsverfahren als das nach § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) maßgebende Vorverfahren angesehen hat, ist die Vorentscheidung ebenso wie die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Insoweit ist die Revision begründet. Der Kläger hat -- im Rechtsbehelfsverfahren wie im Klageverfahren -- lediglich Einwendungen gegen die Zuordnung der Jahressteuer zum ersten Halbjahr erhoben und damit ausschließlich Billigkeitsgesichtspunkte im Hinblick auf die Verteilung der Steuer auf die Halbjahre geltend gemacht.

Das FA wird nunmehr über das als Beschwerde zu wertende Begehren des Klägers zu entscheiden haben. Hierzu bemerkt der Senat allerdings, daß über den vom FA bei der "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990" berücksichtigten Ansatz der Posten des ersten Halbjahres mit lediglich 50 v. H. hinaus keine Billigkeitsgesichtspunkte ersichtlich sind.

Die Revision ist nicht begründet, soweit der Kläger -- zusätzlich zu der Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung -- in dem vorliegenden Verfahren auch die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen begehrt. Mangels Durchführung des Beschwerdeverfahrens als des zutreffenden außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens fehlt es bereits an der erforderlichen Sachentscheidungsvoraussetzung nach § 44 Abs. 1 FGO.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 136 Abs. 1 Satz 1, 137 Satz 2 FGO. Die Kosten waren auch insoweit, als der Kläger unterlegen ist, dem FA nach § 137 Satz 2 FGO aufzuerlegen, da das FA durch seine fälschliche Behandlung des Begehrens des Klägers als Einspruch die zu weitgehende Antragstellung des Klägers schuldhaft herbeigeführt hat (s. auch Klein/Orlopp, a.a.O., § 349 Anm. 1). Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 25 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes n. F.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420889

BFH/NV 1996, 287

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