Entscheidungsstichwort (Thema)
Option zur Steuerpflicht einer Grundstückslieferung durch einen insolventen Veräußerer; Vorsteuerabzug des Grundstückserwerbers
Leitsatz (NV)
Ob der Vorsteuerabzug durch einen Grundstückserwerber rechtsmißbräuchlich ist, wenn der insolvente Grundstücksveräußerer eine Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt hat, beurteilt sich nach den Verhältnissen in der Person des Grundstückserwerbers und nicht danach, ob die Option zur Steuerpflicht für den Veräußerer wirtschaftlich sinnvoll war.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, §§ 9, 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein "Wohnungsunternehmen" (Wohnungsbau, Hausverwaltung, Vermietung von Immobilien). Durch notarielle Verträge vom 27. Juli 1989 erwarb er verschiedene Grundstücke zu einem Gesamtkaufpreis von 2,3 Mio DM einschließlich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer. Der vom Kläger durch Kreditaufnahme finanzierte und in voller Höhe auf ein Notaranderkonto überwiesene Kaufpreis wurde mit Forderungen eines Gläubigers der Grundstücksveräußerer verrechnet.
Durch Umsatzsteuerbescheid 1989 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) den vom Kläger in Höhe von ... DM geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den Kaufverträgen wegen rechtsmißbräuchlicher Gestaltung (§ 42 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) ab. Das FA war der Auffassung, dem Kläger sei bei Vertragsabschluß bekannt gewesen, daß die Veräußerer aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Situation die in den Verträgen ausgewiesene Umsatzsteuer nicht hätten entrichten können.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 621 abgedruckt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung trägt es vor, der Vorsteuerabzug müsse versagt werden, weil der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstücksumsätze rechtsmißbräuchlich i. S. von § 42 AO 1977 gewesen sei. Entgegen der Auffassung des FG hätten die Veräußerer keinen wirtschaftlichen Grund für die gewählte Gestaltung gehabt. Dem FG könne auch nicht insoweit gefolgt werden, als es ein kollusives Zusammenwirken des Klägers mit den Veräußerern verneint habe. Überdies sei in Fällen der vorliegenden Art eine solches Zusammenwirken nicht Voraussetzung für die Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Dem Kläger steht der begehrte Vorsteuer abzug zu.
1. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 im Streitfall erfüllt sind. Darüber besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit.
2. Der Senat folgt dem FG auch insoweit, als es entschieden hat, § 42 AO 1977 schließe den Vorsteuerabzug nicht aus.
Nach § 42 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Verzichtet der Grundstücksveräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung (§§ 9, 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1980), ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich; vielmehr soll der Verzicht dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Juni 1991 V R 70/89, unter 4., BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom 18. Juni 1993 V R 6/91, unter II. 2. c, BFHE 172, 172, BStBl II 1993, 854, und vom 24. Februar 1994 V R 80/92, unter II. 1. b, BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1994, 420 mit Anm. ).
Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber nur für den Fall bejaht, daß der Erwerber den vereinbarten Kaufpreis einschließlich der Umsatzsteuer dem Grundstückslieferer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen notleidenden Gegenforderungen verrechnet (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 1993 V R 3/93, unter II. 1. c, Umsatzsteuer-Rundschau 1994, 191). Ein derartiger Sachverhalt ist hier jedoch nicht gegeben. Vielmehr hat der Kläger den Kaufpreis nach den Feststellungen des FG in voller Höhe (einschließlich Umsatzsteuer) gezahlt. Das FG hat hierzu ausdrücklich ausgeführt, der Kläger sei kein Gläubiger der Veräußerer gewesen, dem durch die Option ermöglicht worden wäre, einen Teil seiner Forderungen nicht bei den Veräußerern, sonden beim Fiskus zu liquidieren.
Ob -- wie das FA mit der Revision meint -- der Umsatzsteuerausweis in den Kaufverträgen für die Veräußerer wirtschaftlich nicht sinnvoll war, ist nach der Rechtsprechung des Senats unerheblich. Danach ist für die Frage, ob dem Kläger eine mißbräuchliche Gestaltung mit der sich aus § 42 Satz 2 AO 1977 ergebenen Rechtsfolge entgegengehalten werden kann, auf die Verhältnisse in der Person des Klägers abzustellen; denn § 42 AO 1977 betrifft nach Wortlaut und systematischer Stellung (im Abschnitt Steuerschuldverhältnis, §§ 37 bis 50 AO 1977) den Steueranspruch aus dem konkreten Steuerschuldverhältnis des einzelnen Steuerpflichtigen (vgl. Senats urteil in BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, unter II. 1. b).
Es kommt ferner nicht darauf an, ob Ver äußerer und Erwerber durch bewußtes und gewolltes Zusammenwirken in Kenntnis des Umstandes, daß die Veräußerer die Umsatzsteuer nicht würden entrichten können, die Grundstücksveräußerung steuerpflichtig ausgestaltet haben. Maßgebend ist im Streitfall allein, daß ein verbleibender Vorteil des Klägers weder festgestellt noch erkennbar ist, weil der Vorteil des Vorsteuerabzugs, den er durch den Verzicht der Veräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferungen erlangt hat, durch den Nachteil einer entsprechenden Erhöhung der Kaufpreisschuld ausgeglichen wird (vgl. Senatsurteil in BFHE 173, 468, BStBl II 1994, 487, unter II. 1. b).
Fundstellen