Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgelder als nichtabziehbare Betriebsausgaben: Billigkeitserlaß aufgrund rückwirkender Gesetzesänderung, Voraussetzungen einer Änderung von Verwaltungsakten im Billigkeitswege bei Gesetzesänderung nach Bestandskraft
Leitsatz (amtlich)
Wird die wegen Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm (hier § 4 Abs.5 Nr.8 EStG i.d.F. vom 25. Juli 1984) erhobene Klage zurückgenommen, weil der BFH zu erkennen gegeben hat, daß der Verfassungswidrigkeit im Wege einer Billigkeitsmaßnahme zu begegnen ist, so kommt eine solche Billigkeitsmaßnahme auch dann in Betracht, wenn die Verfassungswidrigkeit nach Klagerücknahme durch ein Gesetz (§ 4 Abs.5 Nr.8 Satz 4 EStG) beseitigt, die Anwendbarkeit der Gesetzesänderung jedoch auf nicht bestandskräftige Fälle beschränkt wird.
Orientierungssatz
1. Eine Korrektur bestandskräftiger Bescheide, in denen der Abschöpfungsteil einer Geldbuße nicht als Betriebsausgabe anerkannt wurde, kommt nicht in Betracht. Daher kann in solchen Fällen ein Anspruch auf Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht darauf gestützt werden, daß das Gesetz mittlerweile zugunsten der betroffenen Steuerpflichtigen geändert worden ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Nach Auffassung des FG Baden-Württemberg vom 18.11.1993 6 K 136/91 scheidet die Berücksichtigung eines Bußgeldanteils als Betriebsausgabe aus, wenn sich der Bußgeldbescheid nach seinem Inhalt und den zu seiner Auslegung erteilten Auskünften nicht eindeutig in einen Ahndungsteil und einen Abschöpfungsteil aufteilen läßt. Der Senat schließt sich dem mit der Maßgabe an, daß ein Bußgeld jedenfalls insoweit der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils dient, als es das an sich vorgesehene gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße übersteigt.
Normenkette
AO 1977 § 163; EStG § 4 Abs. 5 Nr. 8 Fassung 1984-07-25, Abs. 5 S. 1 Nr. 8 Fassung 1984-07-25; EStG 1990 § 4 Abs. 5 Nr. 8 Fassung 1992-02-25, Abs. 5 S. 1 Nr. 8 S. 4 Fassung 1992-02-25, § 52 Abs. 4 Fassung 1993-06-23, Abs. 5a Fassung 1992-02-25; OWiG § 17 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Gesamtrechtsnachfolger einer ehemaligen Kommanditistin eines Bankhauses.
Wegen ungenehmigter Wertpapiergeschäfte mit Gebietsfremden im Jahre 1973 erließen die Oberfinanzdirektionen (OFD) A und B gegen die KG am 10. Juni 1976 und am 1. Juli 1976 Bußgeldbescheide über 1 300 000 DM (zuzüglich 4 200 DM Kosten) sowie über 400 000 DM.
In beiden Bußgeldbescheiden war ausgeführt, daß Geldbußen generell gemäß § 17 Abs.4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) den durch die Ordnungswidrigkeit erlangten wirtschaftlichen Vorteil übersteigen sollten. Dem Bußgeldbescheid der OFD A vom 10. Juni 1976 lag ein von der Landeszentralbank ermittelter wirtschaftlicher Vorteil von 2 543 000 DM zugrunde. Wegen Unsicherheiten im Sachverhalt und der Bereitschaft der KG, den durch die Handlungsweise ihrer Mitarbeiter entstandenen Schaden wenigstens teilweise wieder gutzumachen, verzichtete die OFD A jedoch auf die vollständige Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils --nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf das Bilanzbild und die Kapitalausstattung der KG.
Die OFD B ging in ihrem Bußgeldbescheid vom 1. Juli 1976 von einem durch die ordnungswidrigen Geschäfte erzielten Bruttogewinn von 397 800 DM aus. Dieser Gewinn, so die OFD, sei abzuschöpfen.
Die KG behandelte die gegen sie festgesetzten Geldbußen einschließlich der Kosten in Höhe von insgesamt 1 704 200 DM als Betriebsausgaben, und zwar so, daß sich für das Streitjahr 1975 eine Gewinnminderung (Rückstellung) in Höhe von 1,6 Mio DM und für das Streitjahr 1976 eine Gewinnminderung in Höhe von 104 200 DM ergab.
Aufgrund einer im Jahre 1983 durchgeführten Betriebsprüfung erkannte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) diese Gewinnminderungen nicht mehr an und erließ entsprechende Änderungsbescheide.
Hiergegen legte die KG Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Das FA gewährte die Aussetzung der Vollziehung mit Rücksicht auf den Vorlagebeschluß des I.Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. April 1982 I R 89/77 (BFHE 135, 531, BStBl II 1982, 556) und die Entscheidung des Großen Senats vom 21. November 1983 GrS 2/82 (BFHE 140, 50, BStBl II 1984, 160) zur steuerlichen Abziehbarkeit von Geldbußen.
Am 23. November 1990 wies das FA den Einspruch unter Berufung auf §§ 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8, 52 Abs.3 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. vom 25. Juli 1984, den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. Januar 1990 1 BvL 4-7/87 (BStBl II 1990, 483) und das BFH-Urteil vom 24. Juli 1990 VIII R 194/84 (BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508) als unbegründet zurück.
Die im Anschluß hieran erhobene Klage nahmen die früheren Komplementäre der KG am 13./18. März 1991 zurück. Daraufhin beendete das FA die Aussetzung der Vollziehung und setzte gegen die Kläger Aussetzungszinsen in Höhe von 48 031 DM fest.
Am 29. April/16. Mai 1991 beantragten die Kläger, ihnen die Einkommensteuer und Zinsen für die Streitjahre, soweit sie aus der Versagung des Betriebsausgabenabzugs für Geldbußen herrührten, aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Zur Begründung führten sie aus, diese Verpflichtung lasse sich aus dem BVerfG-Beschluß in BStBl II 1990, 483 für die Fälle herleiten, in denen Geldbußen unter Berücksichtigung des erlangten Bruttovorteils festgesetzt und die Bußgeldbescheide noch vor der rückwirkenden Änderung des EStG im Jahre 1984 rechtskräftig geworden seien.
Das FA lehnte den Billigkeitserlaß mit Verwaltungsakt vom 30. Juli 1991 ab. Es vertrat die Auffassung, der Gesetzgeber habe mit der vom BVerfG als verfassungskonform bestätigten Kodifizierung der bisherigen Rechtslage in § 4 Abs.5 Satz 8 EStG i.d.F. vom 25. Juli 1984 auch die sich durch die Nichtabzugsfähigkeit des Abschöpfungsanteils von Geldbußen ergebenden Härten bewußt in Kauf genommen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies die OFD am 29. Juli 1992 aus folgenden Ermessenserwägungen als unbegründet zurück:
Nach dem Gewaltenteilungsprinzip des Art.20 Abs.3 des Grundgesetzes (GG) dürfe die Exekutive keine Entscheidung der Legislative durch Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme aushöhlen. Mit den §§ 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 Satz 4, 52 Abs.5 a EStG vom 25. Februar 1992 habe der Gesetzgeber die Neuregelung, durch die eine Doppelbelastung des Abschöpfungsteils von Geldbußen nunmehr ausgeschlossen werde, lediglich auf zu diesem Zeitpunkt noch offene Fälle zurückbezogen. Dies sei in Kenntnis der einschlägigen BVerfG- und BFH-Rechtsprechung einschließlich der dortigen Hinweise auf die Möglichkeit einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) geschehen. Die Vertreter der KG hätten den nach dem OWiG vorgesehenen Gnadenweg beschreiten oder die Gewinnfeststellungsklage weiter verfolgen sollen, wodurch die Kläger noch in den Genuß der Gesetzesänderung gekommen wären.
Die hiergegen zum Finanzgericht (FG) erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1996, 734).
Hiergegen richten sich die Revisionen der Kläger, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils, der Beschwerdeentscheidung sowie des ablehnenden Verwaltungsaktes des FA. Das FA hat von dem ihm in § 227 AO 1977 eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 102 FGO).
1. Dem Grundsatz nach ist allerdings der Auffassung des FG zuzustimmen, daß eine Korrektur bestandskräftiger Bescheide, in denen der Abschöpfungsteil einer Geldbuße nicht als Betriebsausgaben anerkannt wurde, nicht in Betracht kommt. Das folgt daraus, daß der Gesetzgeber in § 52 Abs.5 a EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1992 (jetzt § 52 Abs.4 EStG) die Anwendung des § 4 Abs.5 Nr.8 Satz 4 EStG auf nicht bestandskräftige Fälle beschränkt hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Februar 1994 III R 50/95, BFHE 173, 383, BStBl II 1994, 389). Daher kann in solchen Fällen ein Anspruch auf Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht darauf gestützt werden, daß das Gesetz mittlerweile zugunsten der betroffenen Steuerpflichtigen geändert worden ist (ebenso BFH-Beschluß vom 5. Juni 1996 I B 127/95, BFH/NV 1997, 6; Verfügung der OFD Kiel vom 13. Oktober 1992, Der Betrieb --DB-- 1992, 2320; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 15.Aufl., § 4 Rdnr.520, "Strafen/Geldbußen"; Brandenberg, DB 1991, 2103; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, §§ 4, 5 EStG Rdnr.1743).
Etwas anderes läßt sich auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 8. Oktober 1980 II R 8/76 (BFHE 131, 446, BStBl II 1981, 82) herleiten. In diesem Urteil ging es darum, daß der BFH zuvor (im Urteil vom 9. Februar 1972 II R 99/70, BFHE 105, 172, BStBl II 1972, 503) entschieden hatte, die gemäß § 9 Abs.2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) nacherhobene Grunderwerbsteuer sei unter bestimmten Voraussetzungen aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Die Finanzverwaltung hatte in einem Erlaß des Hessischen Finanzministeriums die generelle Regelung getroffen, daß die Grundsätze des Urteils in BFHE 105, 172, BStBl II 1972, 503 nur auf solche Fälle anzuwenden sei, die noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien. Eine solche generelle Anweisung hielt der BFH im Urteil in BFHE 131, 446, BStBl II 1981, 82 für ermessensfehlerhaft. Im Streitfall geht es demgegenüber um die Regelung der Rückwirkung eines Gesetzes durch den Gesetzgeber. Der maßgebliche Unterschied liegt darin, daß Gerichtsentscheidungen grundsätzlich eine Entscheidung über vergangene Sachverhalte (und damit auch über die Auslegung des damals gültigen Rechts) treffen, während Gesetze grundsätzlich in die Zukunft und nur ausnahmsweise in die Vergangenheit wirken. Aus diesem Grund liegt auch die von den Klägern gerügte Divergenz nicht vor.
2. Der Streitfall weist jedoch eine Besonderheit auf, die es --anders als vom FA angenommen-- unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit gebietet, einen teilweisen Erlaß der streitigen Steuerbeträge in Erwägung zu ziehen. Insbesondere lassen sich die Kläger nicht mit solchen Steuerpflichtigen vergleichen, die Steuerbescheide, in denen Bußgelder als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben behandelt wurden, von vornherein haben bestandskräftig werden lassen.
Die KG hatte sich vielmehr gegen eine solche Behandlung der Bußgelder unter Berufung auf das anhängige Verfahren vor dem BVerfG zur Wehr gesetzt. Im Januar 1990 erging dann der Beschluß des BVerfG in BStBl II 1990, 483, in dem das Gericht entschied, der 1984 eingeführte § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG sei zwar --ebenso wie § 17 Abs.4 OWiG-- nicht verfassungswidrig, verfassungswidrig sei es jedoch, wenn bei der Bußgeldfestsetzung die auf die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils entfallende Steuer unberücksichtigt bleibe und gleichwohl ein Abzug als Betriebsausgaben versagt werde. Dem BVerfG schwebte offenbar vor (was auch nahe lag), daß die Lösung des Problems bei der Bemessung der Höhe der Bußgelder zu suchen sei. Daher entschied dann auch der VIII.Senat des BFH im Juli 1990 in dem Fall, der zu der Vorlage an das BVerfG geführt hatte, daß nach § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG die steuerliche Abziehbarkeit der Bußgelder nicht möglich sei (Urteil in BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508). Ebenso entschied der I.Senat (Urteile vom 20. Juni 1990 I R 73/88 und I R 141/84, BFH/NV 1991, 32 und 38). In der erstgenannten Entscheidung heißt es jedoch:
"Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Bundeskartellamt bei der Festsetzung des Bußgeldes im Bescheid vom 6. Februar 1978 die sich aus § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG-StÄndG 1984 ergebende Rechtsfolge nicht berücksichtigte und eine Änderung des Bußgeldbescheides aus Rechtsgründen ausscheidet. In diesem Fall kann sich aus den Gründen des Beschlusses des BVerfG in BStBl II 1990, 483, DB 1990, 1013 ein Anspruch auf Erlaß einer Billigkeitsmaßnahme ergeben. Über einen entsprechenden Antrag ist jedoch in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden, weshalb sich für die Entscheidung im Revisionsverfahren weitere Ausführungen erübrigen."
Aufgrund dieser Entscheidungen nahmen die früheren Komplementäre der KG ihre Klage am 13./18. März 1991 zurück. Die Kläger versuchten nunmehr, ihr Ziel --wie vom I.Senat des BFH befürwortet-- auf dem Billigkeitswege zu erreichen. Die Kläger konnten nicht wissen, daß die Finanzverwaltung ganz anders auf die Urteile des I.Senats reagierte. In DB 1991, 575 (Heft vom 15. März 1991) wurde erstmalig ein Erlaß des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen abgedruckt, in dem es heißt:
"... Die genannte Rechtsprechung (gemeint sind die Urteile des I.Senats des BFH in BFH/NV 1991, 32 und 38) führt zu einem sehr aufwendigen und langwierigen Verwaltungsverfahren. Aus diesem Grund wird z.Zt. noch geprüft, ob § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG in der Weise ergänzt werden soll, daß der Abzug der Geldbuße zugelassen wird, soweit diese den durch die Ordnungswidrigkeit erlangten wirtschaftlichen Vorteil abschöpft. Auch die Rückwirkung dieser Ergänzung des EStG wird erwogen. Bis zu einer abschließenden Entscheidung können in einschlägigen Fällen Rechtsbehelfe, in denen die Abzugsfähigkeit von Geldbußen streitig ist, mit Zustimmung der Beteiligten weiterhin ruhen."
Die angekündigte Neuregelung erfolgte dann mit dem StÄndG 1992. Wenn die Kläger somit weder in den Genuß einer Billigkeitsmaßnahme noch in den der rückwirkenden Änderung des § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG kamen, so beruhte das darauf, daß die Finanzverwaltung auf das Urteil des BVerfG erst gar nicht, und dann anders reagierte, als vom BFH für richtig gehalten.
Allerdings hat das FG die Auffassung vertreten, daß den Klägern auch dann kein Anspruch auf Erlaß zugestanden hätte, wenn es nicht zu der im StÄndG 1992 getroffenen Neuregelung gekommen wäre. Dieser Hinweis muß so verstanden werden, daß das FG --anders als der I.Senat des BFH in BFH/NV 1991, 32 und 38-- die Versagung einer Billigkeitsmaßnahme auch dann für ermessensgerecht gehalten hätte, wenn es den Streitfall vor Inkrafttreten des StÄndG 1992 zu entscheiden gehabt hätte. Dem vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen. Zur Beantwortung der Frage, ob während der Zeit bis zum Inkrafttreten des StÄndG 1992 die Voraussetzungen für einen Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit vorlagen, war zu untersuchen, ob der Gesetzgeber nach seinem erklärten oder mutmaßlichen Willen die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage, hätte er sie geregelt, im Sinne der beantragten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH-Entscheidungen vom 28. Oktober 1958 VII 185/57 U, BFHE 68, 27, BStBl III 1959, 11; vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271; vom 9. Februar 1987 IV B 53/86, BFH/NV 1987, 488; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 227 AO 1977 Anm.4 a). Davon muß man hier ausgehen, da ja der Gesetzgeber später tatsächlich eine Regelung im Sinne der beantragten Billigkeitsmaßnahme getroffen hat.
Ebensowenig wie man den Klägern entgegenhalten kann, sie hätten sich nicht gegen die steuerliche Nichtberücksichtigung der Bußgelder zur Wehr gesetzt, kann man ihnen unter den besonderen Umständen des Streitfalls vorhalten, daß sie die Bußgeldbescheide nicht angefochten haben. Zum einen war der Erfolg eines solchen Rechtsbehelfs ungewiß. Das ergibt sich aus den teilweise widersprüchlichen Stellungnahmen der einzelnen Senate des Bundesgerichtshofs (BGH), wie sie im Beschluß des BVerfG in BStBl II 1990, 483 (unter A. III. 2.) wiedergegeben sind. Zum anderen war auch die Frage nach der steuerlichen Abzugsfähigkeit des Teils der Bußgelder, der der Abschöpfung ungerechtfertigter Gewinne diente (§ 17 Abs.4 Satz 1 OWiG) damals nicht eindeutig geklärt. Für die neben einer Geldbuße angeordnete Abführung des Mehrerlöses nach §§ 8, 11 des Wirtschaftsstrafgesetzes hatte der BFH die steuerliche Abzugsfähigkeit bejaht (BFH-Urteil vom 23. Juli 1965 VI 9/64 U, BFHE 83, 233, BStBl III 1965, 585; ähnliches gilt für Geldbeträge, deren Verfall im sog. objektiven Verfahren nach §§ 73 ff. des Strafgesetzbuches --StGB-- oder § 29a OWiG angeordnet werden kann, vgl. BVerfG in BStBl II 1990, 483, 487, rechte Spalte). Zwar sagt diese Entscheidung nichts zu der steuerlichen Abziehbarkeit derjenigen Gewinnabschöpfungen, die untrennbare Bestandteile der Bußgeldfestsetzung i.S. des § 17 Abs.4 Satz 1 OWiG sind. Auf der anderen Seite gab es aber auch - -soweit ersichtlich-- keine BFH-Entscheidung, die sich mit Gewinnabschöpfungen i.S. des § 17 Abs.4 Satz 1 OWiG befaßt. Vielmehr haben alle Entscheidungen des BFH Geldstrafen, Strafverfahrenskosten oder Bußgelder zum Gegenstand, bei denen eine Gewinnabschöpfung keine Rolle spielte (BFH-Urteile vom 21. Juli 1955 IV 373/54 U, BFHE 61, 361, BStBl III 1955, 338 --Kosten eines Strafverfahrens--; vom 10. September 1957 I 322/56 S, BFHE 65, 471, BStBl III 1957, 415 --Devisenvergehen--; vom 25. August 1961 VI 99/59 S, BFHE 73, 591, BStBl III 1961, 482 --Dienststrafverfahren--; vom 6. November 1968 I R 12/66, BFHE 94, 56, BStBl II 1969, 74 --kriminelle Geldstrafe--; vom 18. Mai 1972 IV R 122/68, BFHE 105, 486, BStBl II 1972, 623 --gegen einen Sachverständigen verhängtes Ordnungsgeld--; vom 18. Dezember 1975 IV R 12/72, BFHE 118, 307, BStBl II 1976, 370 --Verkehrsdelikt--). Man kann also sagen, daß die Frage bis zur gesetzlichen Regelung in § 4 Abs.5 Satz 1 Nr.8 EStG im Jahre 1984 offen war.
Allerdings wird auch im Urteil des VIII.Senats in BFHE 161, 509, BStBl II 1992, 508 die Verfassungswidrigkeit der Nichtberücksichtigung des Bußgeldes als Betriebsausgabe im Einkommensteuerbescheid mit dem Hinweis verneint, der Kläger habe sich gegen den Bußgeldbescheid zur Wehr setzen müssen. Eine Billigkeitsmaßnahme, deren Erforderlichkeit der VIII.Senat ausdrücklich offen gelassen hat, sah der I.Senat des BFH (in BFH/NV 1991, 32 und 38) gleichwohl als möglich an. Soweit der I.Senat in seinem Beschluß in BFH/NV 1997, 6 eine andere Auffassung vertreten hat, betraf das einen Fall, in dem der maßgebliche Steuerbescheid bei Ergehen des BVerfG-Beschlusses in BStBl II 1990, 483 bereits bestandskräftig war (hierzu s.o. unter 1.).
3. Der Senat kann nicht --wie von den Klägern begehrt-- das FA verpflichten, die streitigen Steuerbeträge zu erlassen. Eine solche Möglichkeit bestünde nur dann, wenn nur eine bestimmte Entscheidung richtig sein könnte ("Ermessensreduzierung auf Null", vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 102 Rdnr.2, m.w.N.). So verhält es sich im Streitfall jedoch nicht.
a) Der Erlaß aus Billigkeitsgründen kann nicht weiter gehen als die später zur Vermeidung einer verfassungswidrigen doppelten Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils getroffene gesetzliche Regelung. Diese Regelung geht dahin, daß Geldbußen nur insoweit abzugsfähig sind, als der durch den Gesetzesverstoß erlangte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft worden ist und die hierauf entfallenden Steuern vom Einkommen oder Ertrag nicht berücksichtigt worden sind (§ 4 Abs.5 Nr.8 Satz 4 EStG). Nach Auffassung des FG Baden-Württemberg (Außensenate Stuttgart, Urteil vom 18. November 1993 6 K 136/91, rkr., EFG 1994, 608) scheidet die Berücksichtigung eines Bußgeldanteils als Betriebsausgabe aus, wenn sich der Bußgeldbescheid nach seinem Inhalt und den zu seiner Auslegung erteilten Auskünften nicht eindeutig in einen Ahndungs- und einen Abschöpfungsteil aufteilen läßt (ebenso Schmidt/Heinicke, a.a.O.; Wacker in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr.290; Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr.N 77). Der Senat schließt sich dem an mit der Maßgabe, daß ein Bußgeld jedenfalls insoweit der Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils dient, als es das an sich vorgesehene gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße übersteigt. Das folgt aus § 17 Abs.4 OWiG, demzufolge das gesetzliche Höchstmaß überschritten werden kann, soweit es nicht ausreicht, um den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, abzuschöpfen.
b) Auch im Streitfall läßt sich aus den Bußgeldbescheiden als solchen ein Maßstab für die Aufteilung in einen Ahndungs- und einen Abschöpfungsteil nicht mit hinlänglicher Deutlichkeit erkennen. Besonders augenfällig ist das beim Bescheid der OFD A vom 10. Juni 1976; denn in diesem Bescheid liegt das verhängte Bußgeld (1 300 000 DM) erheblich unter dem angenommenen wirtschaftlichen Vorteil, der --wenn auch mit Unsicherheiten behaftet-- mit rd. 2,5 Mio DM angesetzt worden war. Aus dem Bescheid der OFD B vom 1. Juli 1976 läßt sich zwar erkennen, daß die Gesamtbuße (400 000 DM) den angenommenen wirtschaftlichen Vorteil (397 800 DM) übersteigt. Gleichwohl läßt sich nicht ohne weiteres sagen, daß lediglich der Betrag von 2 200 DM der Ahndung dient. Soweit ersichtlich, betreffen die in beiden Bescheiden angeführten Milderungsgründe die Gesamtfestsetzung. Möglicherweise lassen sich durch Rückfragen bei den beiden Bußgeldbehörden hierzu --insbesondere zu den, von der Vorteilsabschöpfung abgesehen "angemessenen" Geldbußen bzw. Bußgeldrahmen-- weitere Erkenntnisse gewinnen. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist zu beachten, daß das gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße für die hier in Rede stehenden Ordnungswidrigkeiten nach § 33 Abs.2 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) vom 28. April 1961 (BGBl I, 481) i.d.F. des Einführungsgesetzes zum OWiG vom 24. Mai 1968 (BGBl I, 528, Art.75) 50 000 DM betrug (§ 33 Abs.5 AWG). Soweit die festgesetzten Geldbußen jeweils diesen Betrag überstiegen, dienten sie der Abschöpfung der durch die Ordnungswidrigkeiten erzielten wirtschaftlichen Vorteile.
c) Allerdings kann das FA im Rahmen seiner Ermessensausübung berücksichtigen, daß die OFD A in ihrem Bußgeldbescheid vom 10. Juni 1976 lediglich ein Bußgeld in Höhe von 1 300 000 DM festgesetzt hat, obwohl sich der abzuschöpfende wirtschaftliche Vorteil nach den Berechnungen der Landeszentralbank auf 2 543 000 DM belief. Wie bereits (unter 3. a) ausgeführt, sind Geldbußen nur insoweit abzugsfähig, als die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallenden Steuern nicht berücksichtigt worden sind. Im Bußgeldbescheid vom 10. Juni 1976 betrug das Bußgeld nicht viel mehr als die Hälfte des angenommenen wirtschaftlichen Vorteils. Zwar hat die Bußgeldbehörde ausgeführt, daß der Betrag von 2 543 000 DM mit gewissen Unsicherheiten behaftet ist, zugleich hat sie jedoch darauf hingewiesen, daß sich diese Unsicherheiten eher zugunsten der KG auswirkten. Unter diesen Umständen wird man von einer verfassungswidrigen doppelten Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils nicht sprechen können.
4. Was den Erlaß der Aussetzungszinsen angeht, ist auf folgendes hinzuweisen: Wie im BFH-Urteil vom 25. März 1992 I R 159/90 (BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997), so kann auch im Streitfall offen bleiben, ob die Akzessorietät der Aussetzungszinsen eo ipso dazu führt, daß solche Zinsen auch dann herabzusetzen sind, wenn die Steuerschuld während oder nach Beendigung des Rechtsbehelfsverfahrens (nur) aus Billigkeitsgründen herabgesetzt wird. Die oben (unter 2.) dargestellten Besonderheiten des Falles lassen es jedoch geboten erscheinen, in dem Maße, in dem die Steuern aus Billigkeitsgründen herabgesetzt werden, aus Billigkeitsgründen auch die Aussetzungszinsen zu erlassen. Denn der Sinn der vom Senat für richtig gehaltenen Billigkeitsmaßnahme besteht darin, die Kläger im wesentlichen so zu stellen, wie wenn die KG die Klage nicht zurückgenommen hätte und der Rechtsstreit deshalb unter Anwendung der Neuregelung in § 4 Abs.5 Nr.8 Satz 4 EStG entschieden worden wäre. In diesem Fall wären die Aussetzungszinsen nach Maßgabe des Umfangs, in dem die Geldbußen als Betriebsausgaben anzuerkennen sind, herabgesetzt worden (BFH-Urteil in BFHE 168, 13, BStBl II 1992, 997).
Fundstellen
Haufe-Index 66221 |
BFH/NV 1997, 244 |
BStBl II 1997, 353 |
BFHE 182, 520 |
BFHE 1997, 520 |
BB 1997, 774 (Leitsatz) |
DB 1997, 914 (Leitsatz) |
DStRE 1997, 430-433 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 377-378 (Leitsatz) |
StE 1997, 223 (Leitsatz) |