Leitsatz (amtlich)
Der Bundesfinanzhof hält an seiner im Urteil V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (BStBl 1959 III S. 441, Slg. Bd. 69 S. 486) vertretenen Auffassung fest, daß die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft mangels einer gültigen gesetzlichen Ermächtigung nichtig sind.
Normenkette
UStG 1934 § 8; UStG 1951 § 18; UStDB 1951 §§ 59-62
Tatbestand
Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist nur noch streitig, ob die Steuerpflichtige (Stpfl.) für den Veranlagungszeitraum 1952 zur Spinnweberzusatzsteuer nach § 59 UStDB 1951 herangezogen werden kann, wie es das Finanzamt getan hat.
In der Berufung hatte die Stpfl. Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Der Bundesfinanzhof hat in einem Grundsatzurteil V 226/57 S vom 22. Oktober 1959 (BStBl 1959 III S. 441, Slg. Bd. 69 S. 486) die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 mangels einer gültigen gesetzlichen Ermächtigung für nichtig erklärt. Er hat in einem weiteren Grundsatzurteil V 231/54 S vom 7. April 1960 (BStBl 1960 III S. 339) zum Ausdruck gebracht, daß er an dieser Auffassung festhalte. Auf die Begründung dieser Entscheidungen wird in vollem Umfange Bezug genommen. Auch gegenüber dem Vorbringen der Rb. hält der Senat an den genannten Urteilen fest.
Der Senat hält es insbesondere nicht für möglich, sich bei der Prüfung der Frage, ob in nachkonstitutionellen Veranlagungszeiträumen die Spinnweberzusatzsteuer noch erhoben werden darf, auf eine Nachprüfung des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 zu beschränken, wie es die Bundesregierung in ihrem Antrag auf Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit § 13 Nr. 6 und § 76 Nr. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) an das Bundesverfassungsgericht getan hat. Maßgebliche und mit der Geschichte der Textilzusatzsteuer vertraute Autoren (vgl. Hartmann-Metzenmacher, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl., Einleitung S. 77/78 und § 8 A S. 611 ff.; Hübschmann in Hübschmann - Grabower - Beck - v. Wallis, Umsatzsteuergesetz, Einleitung S. 21 ff.; Herting in "Aktuelle Umsatzsteuer-Fragen", München 1951 S. 30) haben die auf Grund des § 8 UStG getroffenen Maßnahmen stets als eine Verbindung der verschiedenen denkbaren Ausgleichsmaßnahmen, als ein in sich geschlossenes System aufgefaßt, nach dem die Mehrbelastung der Spinnweber genau der Entlastung der Lohnveredlungsauftraggeber und der Eigenveredler entsprach. Eine isolierte Betrachtung des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 würde den inneren Zusammenhang der verschiedenen, einheitlich zu beurteilenden Maßnahmen zerreißen und bei Aufrechterhaltung allein des § 59 Abs. 1 a. a. O. dieser Vorschrift eine einseitig fiskalische Bedeutung geben, die sie nach dem Willen der seinerzeit an dem Zustandekommen dieser Vorschrift Beteiligten nie gehabt hat (vgl. Hillebrecht, Der Betriebs-Berater 1960 S. 1032 ff. 1033 linke Spalte). Man kann auch nicht sagen, daß zwischen der Spinnweberzusatzsteuer und den verschiedenen Entlastungsmaßnahmen auf dem Veredlungsgebiet nur ein gewisser haushaltsmäßiger Zusammenhang bestehe; denn das Ausmaß der Belastung war abgestimmt auf die in Betracht kommenden Entlastungen und von diesen abhängig; die Höhe der Belastung -- es mußte dies nicht gerade der normale Steuersatz sein -- und damit der materielle Inhalt des § 59 Abs. 1 a. a. O. hängt also nicht allein von der Fassung dieser Vorschrift ab, sondern auch von den Vorschriften, die der Entlastung auf dem Veredlungsgebiete dienen sollten. Überhaupt verkennt die Rb., daß bei der Vorschrift, die nicht selbst den anzuwendenden Steuersatz nennt, nicht allein auf die wörtliche Übereinstimmung des alten § 54 UStDB 1938 mit dem neuen § 59 UStDB 1951 abgestellt werden kann, sondern daß sich der materielle Inhalt allein schon deshalb geändert hat, weil sich durch das UStG 1951 der allgemeine Steuersatz für steuerpflichtige Leistungen inzwischen von 2 % auf 4 % erhöht hatte. Der Verordnungsgeber hat also -- ungeachtet der gleichbleibenden Wortfassung -- zum Ausdruck gebracht, daß die Spinnweberzusatzsteuer ab dem Geltungsbereich der UStDB 1951 nach einem Satz von 4 % zu erheben sei. Eine andere Regelung wäre durchaus denkbar gewesen. Es kommt also nicht darauf an, daß die Änderung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes durch ein Gesetz herbeigeführt wurde, weil es auch danach bei der weiten Fassung der Ermächtigung immer noch der Entschließung des Verordnungsgebers überlassen blieb, diesen geänderten Steuersatz für die Textilzusatzsteuer zu übernehmen. Jedenfalls hat sich auch § 59 Abs. 1 UStDB 1951 seinem materiellen Inhalt nach geändert; er muß schon aus diesem Grunde als nachkonstitutionelles Recht angesehen werden.
Im übrigen ist unbestreitbar, daß sich auch die Spinnweberzusatzsteuer -- abgesehen von den späteren Änderungen und abgesehen von den Änderungen bei den Entlastungsmaßnahmen -- von vornherein dadurch geändert hat, daß der § 55 UStDB 1938, der den § 54 a. a. O. folgerichtig ergänzte, fortgefallen ist, weil der dort als steuerpflichtig angesehene Vorgang (Lieferungen durch den Hersteller im Einzelhandel) nunmehr dem Verordnungsgeber durch die allgemeine Herstellerzusatzsteuer (§ 58 UStDB 1951) erfaßt schien. Eine eigens für die Textilhersteller geschaffene Vorschrift war nun durch eine für alle Hersteller geschaffene Vorschrift ersetzt worden, die aber eine Änderung der materiellen Rechtslage gegenüber der vorkonstitutionellen Zeit mit sich brachte (Plückebaum-Malitzky, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 6. Aufl., Textziff. 2629). Es sind zum Beispiel im Abs. 3 des § 58 UStDB Ausnahmen eingeführt worden, die der § 55 UStDB 1938 nicht kannte. Außerdem wurde ein neuer Steuersatz von 3 % eingeführt (§ 58 Abs. 4 UStDB 1951), während im vorkonstitutionellen Zusatzsteuerrecht der Steuersatz der §§ 54 und 55 UStDB 1938 mit je 2 % übereinstimmte. Schließlich ist unmittelbar eine sachliche Änderung des § 59 Abs. 1 UStDB 1951 infolge der neuen, wenn auch nur für einige Jahre in Kraft befindlichen Ausnahmevorschrift des § 59 Abs. 2 Ziff. 1 a. a. O. eingetreten. Hieraus ergibt sich, daß auch die Spinnweberzusatzsteuer -- für sich betrachtet -- durch das neue Recht Änderungen erfahren hat. Von lediglich erstarrtem Recht, das nach Art. 123 Abs. 1 GG fortgelten könnte, kann deshalb keine Rede sein. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Urteil 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 282 ff.) die Herstellerzusatzsteuer und damit auch den § 58 UStDB 1951, der als Ersatz für den weggefallenen § 55 UStDB 1938 dienen sollte, für nichtig erklärt hat, ist im Gefüge der Textilzusatzsteuer eine Lücke entstanden. Das, was nach der Auffassung der Rb. heute noch gelten soll, ist inhaltlich nicht mehr das, was der alten Spinnweberzusatzsteuer entsprach, weder nach dem Steuersatz, noch nach den zufolge des Willens der seinerzeitigen Verordnungsgeber zu erfassenden Vorgängen. Folgte man den Darlegungen der Rb., so wären wohl die nach 1951 geänderten Vorschriften mangels gültiger gesetzlicher Ermächtigung nichtig, aber die nicht geänderten wären nach Art. 123 Abs. 1 GG in Kraft. Die Rb. übersieht auch hier, daß der dann noch bestehende Torso einer Textilausgleichsbesteuerung einen gänzlich anderen Inhalt hätte und ganz andere finanzielle Ergebnisse zeitigen würde. Auch diese Erwägungen reichen nach Auffassung des Senats aus, um darzutun, daß es sich auch bei § 59 Abs. 1 UStDB 1951 um nachkonstitutionelles Recht handeln muß.
Wollte man aber den § 59 Abs. 1 UStDB 1951 wirklich zunächst für sich allein noch gelten lassen, so erhebt sich sogleich die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt er angesichts der zahlreichen Änderungen in nachkonstitutioneller Zeit, die im § 59 UStDB und in anderen Vorschriften des nur einheitlich zu beurteilenden Textilbesteuerungsausgleichs vorgenommen worden und die durchaus nicht unwesentlich sind, noch in Kraft sein soll (vgl. die Änderungen, die im oben angeführten Urteil V 226/57 S erwähnt sind und die Zusammenstellung bei Hillebrecht, a. a. O., S. 1034 unter Ziff. 4 und S. 1037 unter Ziff. 8). Die Auffassung der Rb. würde eine derartige Rechtsunsicherheit für jeden Veranlagungszeitraum mit sich bringen, daß sich auch daraus ergibt, daß diese Auffassung nicht rechtens sein kann. Der Verordnungsgeber von 1951, der sich erkennbar auf den durch das Bundesverfassungsgericht bereits für nichtig erklärten § 8 UStG 1951 und den § 18 Abs. 1 Nr. 1 a. a. O. gestützt hat und stützen wollte, kann nun nicht einwenden, daß sein etwaiger Wille, sich auf eine nachkonstitutionelle Ermächtigung zu stützen, rechtlich irrelevant sei. Der Verordnungsgeber ist grundsätzlich genauso an das GG gebunden wie der Gesetzgeber. Dieser hat bei den Beratungen des UStG 1951 über den § 8 UStG ausdrücklich verhandelt und sich dann letzten Endes doch zur Beibehaltung dieser Ermächtigungsvorschrift entschlossen. Der Verordnungsgeber von 1951 hat von dieser Ermächtigung durch die Neueinführung der alle Unternehmer treffenden Herstellerzusatzsteuer einen weitergehenden Gebrauch gemacht als die Verordnungsgeber von 1934 und 1938. Der Verordnungsgeber von 1951 hätte die alte Spinnweberzusatzsteuer nicht -- als vorkonstitutionell -- aufrechterhalten können, wenn der Gesetzgeber von 1951 den § 8 UStDB gestrichen hätte (vgl. Staatssekretär Hartmann, der in der 87. Sitzung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 21. Juni 1951 -- Protokoll-Nr. 87 -- in der Diskussion zu § 8 UStG dem Ausschuß bereits die beabsichtigte Neuregelung durch Änderung der Durchführungsbestimmungen vorgetragen hat). Eine andere Auffassung verkennt die Wirklichkeit unseres Verfassungslebens. Der Verordnungsgeber mag seinerzeit die Auffassung gehabt haben, daß durch die Neuaufnahme der Herstellerzusatzsteuer eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) nicht vorliege. Nach dem ersatzlosen Wegfall der Herstellerzusatzsteuer erhebt sich die Frage einer Verletzung des Gleichheitssatzes von neuem. Bedenken in dieser Richtung ließen sich aus dem oben angeführten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 (a. a. O. S. 297 ff.) herleiten. Auch der erkennende Senat hat in dem oben angeführten Urteil V 231/54 S angedeutet, daß die Verhältnisse seit 1934 einen Wandel erfahren haben könnten, so daß § 59 Abs. 1 UStDB 1951 auch materiell nicht mehr den Erfordernissen des GG entspräche. Der Senat hat keinen Anlaß, dieser Frage nachzugehen, weil er die Spinnweberzusatzsteuervorschriften insgesamt mangels gesetzlicher Ermächtigung als nichtig ansieht.
Der Bundesfinanzhof hat in dem Urteil III 125/57 S vom 28. Februar 1958 (BStBl 1958 III S. 191, Slg. Bd. 66 S. 497) zum Ausdruck gebracht, daß ein formell ordnungsgemäß verabschiedetes und verkündetes Gesetz die Vermutung der Gültigkeit für sich habe. Ebenso muß sich der Staatsbürger nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes darauf verlassen können, daß ein solches Gesetz oder auch eine Verordnung der Bundesregierung aus nachkonstitutioneller Zeit dem Willen des heutigen Gesetzgebers oder Verordnungsgebers entspricht und auf seine Vereinbarkeit mit dem GG überprüft worden ist. Hat deshalb die Bundesregierung auf einem übersehbaren und zudem in sich abgeschlossenen Teil gebiete wie dem der Zusatzsteuer eine geänderte Neufassung veröffentlicht, so muß der Staatsbürger in der Regel auch sicher sein, daß es sich insoweit insgesamt um nachkonstitutionelles Recht handelt. Wird diesem Rechtsgebiet sodann durch das Bundesverfassungsgericht die Rechtsgrundlage entzogen, so hat dies die Nichtigkeit der das ganze Teilgebiet regelnden Vorschriften zur Folge, weil es der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet, nun in eine isolierte Betrachtung einzelner, zufällig wörtlich mit altem Recht übereinstimmender Vorschriften -- im Streitfalle sogar eines Absatzes einer Vorschrift -- einzutreten mit dem Ziele, diese Teilvorschrift, die gerade ein erhebliches fiskalisches Ergebnis zeitigen würde, aufrechtzuerhalten, wobei die Gültigkeit der unmittelbar damit zusammenhängenden Vorschriften wohl erst in Jahren geklärt werden könnte. Da bei der textilen Zusatzsteuer ein fest umrissener Bereich von Fragen nach bestimmten wirtschaftspolitischen Vorstellungen des Gesetzgebers von 1951 geregelt werden sollte, ist es auch schwer vorstellbar, daß die Durchführung auf verschiedenen Ermächtigungen beruhen sollte. Der Senat hält es deshalb aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht für denkbar, daß innerhalb eines in sich geschlossenen Rechtsgebiets einzelne Vorschriften und sogar Teile solcher Vorschriften unter verschiedenen verfassungsrechtlichen Maßstäben geprüft werden könnten, eine Aufgabe, die nicht nur den Staatsbürger, sondern auch die Gerichte überforderte. Der Senat hält die hier herausgestellten Gesichtspunkte für so schwerwiegend, daß ihm ein weiteres Eingehen auf die Ausführungen der Rb. entbehrlich scheint.
Der Vorsteher des Finanzamts hat beantragt, die Entscheidung über die Rb. bis zur Entscheidung über die Normenkontrollklage durch das Bundesverfassungsgericht auszusetzen. Der Senat sieht angesichts seiner ständigen Rechtsprechung keinen Anlaß, dem Aussetzungsantrage stattzugeben. Er glaubt, der widerstreitenden Interessenlage am besten dadurch Rechnung zu tragen, daß er über die anhängigen Rbn. im normalen Geschäftsgang entscheidet.
Hiernach rechtfertigt sich die Zurückweisung der Rb.
Fundstellen
BStBl III 1961, 114 |
BFHE 1961, 307 |