Leitsatz (amtlich)
1. Die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft sind mangels einer gültigen gesetzlichen Ermächtigung nichtig.
2. Sofern Umsatzsteuerbescheide noch nicht rechtskräftig sind, gilt die folgende Regelung: Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen der §§ 60, 61, 61a und 62 UStDB 1951 in Anspruch genommen haben, sind diese Vergünstigungen bis zur Veröffentlichung dieses Urteils zu belassen. Hat ein Steuerpflichtiger, der Zusatzsteuer nach § 59 a. a. O. zu zahlen hat, auch Vergünstigungen nach §§ 60 ff. a. a. O. in Anspruch genommen, so sind ihm die Vergünstigungen nur in Höhe des Saldos zu belassen, der sich bei Gegenüberstellung der zu zahlenden Zusatzsteuer mit den in Betracht kommenden Vergünstigungen ergibt.
Normenkette
UStG 1934 § 8; UStG 1951 § 18; UStDB 1951 §§ 59-62
Tatbestand
Die Bfin. betreibt eine Spinnerei und eine mechanische Weberei; sie ist im Veranlagungszeitraum 1953 zur Zusatzsteuer gemäß § 8 UStG 1951 in Verbindung mit § 59 UStDB 1951 herangezogen worden. Sie hat im Verfahren vor den Vorinstanzen ohne Erfolg den Standpunkt vertreten, daß § 8 UStG nicht rechtsgültig sei, die §§ 59 ff. UStDB deshalb keine gesetzliche Grundlage hätten.
Auch mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Bfin. in erster Linie Freistellung von der Zusatzsteuer. Zur Begründung verweist sie im wesentlichen auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluß 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 55 ff., und Urteil 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 282 ff.), wonach der Bundesgesetzgeber § 8 UStG 1951 in seinen Willen aufgenommen habe, so daß es sich um nachkonstitutionelles Recht handele. § 8 UStG sei durch das oben angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 für nichtig erklärt worden. Die §§ 59 ff. UStDB, auf Grund deren die Bfin. zur Textilzusatzsteuer herangezogen worden sei, beruhten auf dieser gesetzlichen Ermächtigung; sie entbehrten deshalb einer dem Art. 80 des Grundgesetzes (GG) entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung und seien darum gleichfalls verfassungswidrig.
Demgegenüber vertritt der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren beigetreten ist, die Auffassung, die von der Bfin. angezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (ferner Urteil 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51 vom 20. März 1952, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 184 ff.) beziehe sich nur auf Gesetze im formellen Sinne, nicht auf Rechtsverordnungen; über die Verfassungsmäßigkeit sowohl vorkonstitutioneller wie nachkonstitutioneller Rechtsverordnungen hätten die regelmäßig zuständigen Gerichte zu entscheiden. Durch die Änderung der ermächtigenden Vorschriften - § 8 und § 18 UStG 1934 - habe sich nichts daran geändert, daß die nicht geänderten Vorschriften der UStDB weiter auf der früheren Rechtsgrundlage - § 8 und § 18 UStG 1934 - beruhten. Die Bfin. übersehe insbesondere Art. 123 Abs. 1 GG, wonach Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fortgelte, soweit es dem GG nicht widerspreche (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 488/57 vom 3. Dezember 1958, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 9 S. 3 ff., 12). Die Änderungen der UStDB lediglich redaktioneller Natur nach 1951 stützten sich nicht auf die durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten gesetzlichen Ermächtigungsvorschriften, sondern auf die nicht für nichtig erklärte Ermächtigung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1951. Der Bundesminister der Finanzen beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung des Streitfalles führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Durch das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 sind § 8 UStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1951 (BGBl I S. 791) und § 18 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes, soweit er die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nach § 8 ermächtigt, für nichtig erklärt worden, weil sie dem Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG widersprechen. Damit sind auch die Vorschriften der UStDB, soweit sie auf der 1951 neu erteilten Ermächtigung beruhen, hinfällig. Nach diesem Urteil kann demgemäß kein Unternehmer nach den §§ 58, 58a und 58b UStDB 1951 zur Herstellerzusatzsteuer herangezogen werden.
Ist festzustellen, daß auch die §§ 59 bis 62 UStDB 1951, die sich mit der textilen Zusatzsteuer befassen, auf der Ermächtigung der §§ 8, 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 beruhen, so würde auch diesen Bestimmungen eine rechtsgültige gesetzliche Grundlage fehlen und ihre Verfassungswidrigkeit außer Zweifel stehen.
Eine dem § 8 UStG 1951 entsprechende Vorschrift findet sich bereits im UStG vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 942; UStG 1934). Im § 18 UStG 1934 war der Reichsminister der Finanzen ermächtigt, "die in diesem Gesetz verwendeten Begriffe näher zu bestimmen". Zur Durchführung des § 8 UStG 1934 ergingen die §§ 54 bis 59 UStDB vom 17. Oktober 1934 (RGBl I S. 947; UStDB 1934). Die UStDB vom 23. Dezember 1938 (RGBl I S. 1935; UStDB 1938) enthielten die entsprechenden Vorschriften in den §§ 54 bis 58. Bis zum Erlaß des Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes (Änderungsgesetz) vom 28. Juni 1951 (BGBl I S. 402) blieben diese Vorschriften über die textile Zusatzsteuer unverändert.
Durch das Änderungsgesetz (§ 1 Nr. 10) erhielt unter anderem § 18 UStG folgende neue Fassung:
"Durchführung
§ 18
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnungen
1. zur Durchführung dieses Gesetzes die in § 4 Ziffern 1, 2, 4 und 14, § 5 Absatz 1 und Absatz 4 Ziffer 1, § 6 Absatz 3, § 7 Absatz 4, § 8, § 15 und § 16 vorgesehenen Bestimmungen zu erlassen, den Umfang der Steuervergütungen im Sinne des § 16 festzusetzen und die in diesem Gesetz verwendeten Begriffe näher zu bestimmen; ..."
§ 8 UStG blieb durch das Änderungsgesetz unberührt. Der Bundesminister der Finanzen machte jedoch mit der Bekanntmachung der Neufassung des Umsatzsteuergesetzes vom 1. September 1951 (BGBl I S. 791) von der ihm durch § 18 Abs. 2 Nr. 3 UStG in der Fassung des Änderungsgesetzes erteilten Ermächtigung, "den Wortlaut des Umsatzsteuergesetzes und der dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen in der jeweils geltenden Fassung mit neuem Datum, unter neuer Überschrift und in neuer Paragraphenfolge bekanntzumachen und dabei Unstimmigkeiten des Wortlauts zu beseitigen", Gebrauch. Er gab dem § 8 des Gesetzes folgende Fassung:
"Zusatzbesteuerung für mehrstufige Unternehmen
§ 8
Die Bundesregierung wird ermächtigt, Maßnahmen zum Ausgleich der verschiedenen Umsatzsteuerbelastungen der einstufigen und der mehrstufigen Unternehmen zu treffen."
Hiernach ist Ausgangspunkt für die entscheidende Frage, ob es sich auf dem Gebiete der textilen Zusatzsteuer, genauer des Textilbesteuerungsausgleichs, um vorkonstitutionelles oder um nachkonstitutionelles Recht handelt, die Tatsache, daß das Änderungsgesetz den § 18 UStG 1951 gegenüber dem § 18 UStG 1934 in mehrfacher und wesentlicher Hinsicht neu gefaßt hat und daß durch die ausdrückliche Aufnahme des § 8 UStG nunmehr eine spezielle gesetzliche Ermächtigung für die gesamte Zusatzbesteuerung für mehrstufige Unternehmen gegeben war; denn § 8 UStG 1951 ist nach seiner Überschrift und seinem klaren Wortlaut seinerseits die gesetzliche Grundlage nicht nur für Maßnahmen auf dem Gebiete der Herstellerzusatzsteuer, sondern auch auf dem der textilen Zusatzsteuer. Es spricht somit schon dieser Umstand dafür, daß die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 auf der Ermächtigung der §§ 8, 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 beruhen.
Die gegenteilige Auffassung des Bundesministers der Finanzen gründet sich vornehmlich darauf, daß die Bestimmungen der textilen Zusatzsteuer "sachlich bereits in den UStDB 1938" enthalten waren. Dies ist einmal nur bedingt richtig, zum anderen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in jedem Fall entscheidend; denn hätte es das Bundesverfassungsgericht allein auf den sachlichen Inhalt der Vorschriften abgestellt, so hätte es § 8 UStG 1951 in Anbetracht der Übereinstimmung seines Wortlautes mit § 8 UStG 1934 nicht als nach konstitutionelles Recht ansehen können.
Zunächst ist festzustellen, daß das Änderungsgesetz den Steuersatz, der für die nach § 59 UStDB 1951 als steuerpflichtig erklärten innerbetrieblichen Vorgänge (Übergang von Garnen aus der Spinnerei in die Weberei) in Betracht kommt, von 2 v. H. auf 4 v. H. erhöht hat, so daß Vorgänge, die bis dahin mit 2 v. H., seit dem 1. Januar 1946 mit 3 v. H. zu versteuern waren, nunmehr mit 4 v. H. zur Steuer heranzuziehen sind. Der § 59 in den UStDB 1951 bedarf also der Ergänzung durch den durch das Änderungsgesetz sachlich geänderten § 7 UStG 1951 (vgl. § 1 Nr. 4 des Änderungsgesetzes). Insoweit ist durch die Änderung der Steuersätze, über deren sachliche Bedeutung für ein Steuergesetz weitere Ausführungen entbehrlich sind, auch eine sachliche Änderung der Durchführungsbestimmungen eingetreten, auch wenn § 59 UStDB 1951 den Steuersatz nicht ausdrücklich nennt. Hinzu kommt, daß die UStDB 1938 im § 55 noch eine Bestimmung enthielten, wonach ein Unternehmer, der Garne, die er selbst gesponnen, oder Gewebe, die er selbst gewebt hat, im Einzelhandel liefert, diese Lieferungen zusätzlich versteuern mußte. Eine entsprechende Bestimmung fehlt in den UStDB 1951, weil nunmehr die Verbindung der Herstellung mit Einzelhandel nach § 58 UStDB 1951 der Herstellerzusatzsteuer unterlag. Auch hierin liegt eine sachliche Änderung, da in den neuen UStDB ein Vorgang, der bisher nur in dem Textilsektor der Besteuerung unterlag, nunmehr ganz allgemein der Zusatzsteuer unterworfen wurde. Da § 58 UStDB 1951 infolge des oben angeführten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 hinfällig ist, tritt zudem klar zutage, daß das System der textilen Zusatzsteuer, wie es dem Verordnungsgeber von 1934 und 1938 vorgeschwebt hat, nach dem heutigen Stande nicht mehr lückenlos durchgeführt ist (vgl. hierzu Hartmann-Metzenmacher, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl., § 8 A S. 613, wo ausgeführt ist, daß die zu treffenden Maßnahmen sich nicht auf die Textil industrie beschränken könnten ... "Ein Unternehmer, der den Einzelhandel mit der Spinnerei oder Weberei verbindet, erspart also die Umsatzsteuer, die beim einstufigen Einzelhandel auf dem Erwerb der Garne oder Gewebe liegt. Der Ausgleich ist für das Gebiet der Garne und Gewebe, und zwar in der Form der Zusatzsteuer durchgeführt worden. § 55 DB.").
Wenn demgegenüber seitens des Bundesministers der Finanzen in der mündlichen Verhandlung eingewendet worden ist, der im Streitfalle in Betracht kommende § 59 Abs. 1 UStDB, der unverändert geblieben sei, gelte als vorkonstitutionelles Recht fort und nur die geänderten Vorschriften, wie etwa der § 59 Abs. 2 oder der § 61 a. a. O. beruhten auf der durch das Änderungsgesetz erteilten neuen Ermächtigung, so ist dem folgendes entgegenzuhalten. Wie unten noch in anderem Zusammenhang auszuführen sein wird, bilden die Vorschriften über die textile Zusatzsteuer ein in sich geschlossenes System, durch das ein einheitlicher Fragenkomplex geregelt worden ist. Solchenfalls aber ist es nicht denkbar, daß bei einzelnen Vorschriften oder sogar innerhalb einzelner Vorschriften nach verschiedenen Ermächtigungen verfahren werden könnte.
Zum anderen ist schon betont, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Umstand, daß die textile Zusatzsteuer bereits vor dem Inkrafttreten des GG bestanden hat, für die hier in Rede stehende Rechtsfrage dann keine Bedeutung hat, wenn der an das GG gebundene Gesetzgeber des Bundes die fraglichen Bestimmungen in seinen Willen aufgenommen hat. Dies wird insbesondere oft dann der Fall sein, wenn ein älteres Gesetz im zeitlichen Geltungsbereich des GG mehrfach geändert worden ist.
Hierzu verweist der Bundesminister der Finanzen auf Art. 123 Abs. 1 GG, wonach solches altes Recht fortgelte, wenn es dem GG nicht widerspreche, und ferner darauf, daß nur formelle Gesetze, nicht Rechtsverordnungen gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden könnten. Auf den letzterwähnten Einwand, welches Gericht über die etwaige Verfassungswidrigkeit der textilen Zusatzsteuer zu entscheiden hat, braucht hier in diesem Zusammenhang, in dem es lediglich um die Frage geht, ob es sich um vor- oder nachkonstitutionelles Recht handelt, nicht eingegangen zu werden. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Bundesgesetzgeber die hier streitigen Bestimmungen der UStDB 1951 wegen ihres Charakters als Rechtsverordnungen, zu denen die Bundesregierung ermächtigt sei, nach ihrem sachlichen Inhalt in seinen Willen habe gar nicht aufnehmen können und daß Äußerungen aus Kreisen der Bundestagsausschüsse und des Bundestages nicht auf den Willen der Bundesregierung schließen ließen. Es geht doch nur darum, ob die §§ 59 ff. UStDB 1951 noch auf der alten oder auf der neuen Ermächtigung beruhen. Wenn der Bundesgesetzgeber, wie das Bundesverfassungsgericht (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 290) ausführt, durch die ausdrückliche Aufnahme des § 8 in den durch das Änderungsgesetz sachlich neu gefaßten § 18 Abs. 1 Nr. 1 diese Vorschrift eindeutig in seinen Willen aufgenommen hat, so daß sie als ein nach dem Inkrafttreten des GG erlassenes Gesetz zu behandeln ist, und sich aus den a. a. O. (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 299 f.) angeführten Beratungen des Bundestages ergibt, daß die Ermächtigung des § 8 aufrechterhalten werden sollte, wird man kaum annehmen dürfen, daß hinsichtlich der textilen Zusatzsteuer die Bundesregierung nach der alten Ermächtigung, hinsichtlich der Herstellerzusatzsteuer dagegen nach der neuen Ermächtigung verfahren konnte. Daß zwischen beiden Zusatzsteuern sachliche Zusammenhänge bestehen, zeigt schon der durch die Einführung der Herstellerzusatzsteuer notwendig gewordene Wegfall des § 55 UStDB 1938. Da im Bundestag das gesamte Problem der Zusatzbesteuerung eingehend erörtert worden ist, wäre auch eine Streichung des § 8 UStG denkbar gewesen. Solchenfalls hätte sich die Bundesregierung nicht auf den § 8 UStG 1934 stützen und die textile Zusatzsteuer aufrechterhalten können, ohne gegen den klaren Willen des Bundesgesetzgebers zu verstoßen. Der Bundesgesetzgeber hätte aber auch in besserer Einsicht in die grundgesetzlichen Erfordernisse an eine gesetzliche Ermächtigung nach Art. 80 GG die §§ 8 UStG und 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 anders fassen können; er hätte die zum Ausgleich der verschiedenen Umsatzsteuerbelastungen der einstufigen und der mehrstufigen Unternehmen erforderlichen Maßnahmen hinsichtlich der nach Art. 80 GG gebotenen Bestimmtheit der Begriffe der "einstufigen und der mehrstufigen Unternehmen" und der dazu erforderlichen Mittel in den Gesetzes text aufnehmen können. Hätte der Bundesgesetzgeber in dieser Weise dem Verordnungsgeber für die Durchführung des Ausgleichs den durch das GG gebotenen geringeren Spielraum gelassen, so bestände kein Zweifel, daß sich die Bundesregierung auch auf dem textilen Sektor nur auf die neue Ermächtigung hätte stützen können. Es wäre mit rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht vereinbar, nur deshalb, weil der Bundesgesetzgeber nach Erörterung des gesamten Zusatzsteuersystems und nachdem er sich ganz allgemein für die Beibehaltung der Zusatzsteuer entschlossen und dabei die bisherige Fassung des § 8 UStG für ausreichend erachtet hat, die Auffassung zu vertreten, die textile Zusatzsteuer, weil sie eben schon bestanden habe, als vorkonstitutionelles, auf der alten Ermächtigung beruhendes Verordnungsrecht anzusehen (vgl. auch v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Berlin-Frankfurt 1953, Art. 80 Anm. 2, und Holtkotten in Bonner Kommentar, Anm. II D Ziff. 2b zu Art. 129).
Abgesehen davon geht der Wille des Verordnungsgebers, also der Bundesregierung, auch aus seiner Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 29. Juni 1951 (BGBl I S. 418) hervor. In deren Präambel heißt es: "Die Bundesregierung verordnet auf Grund des § 18 Abs. 2" des genannten Änderungs gesetzes, also auf Grund eines nachkonstitutionellen Gesetzes. Daß für die textile Zusatzsteuer im einzelnen als Ermächtigungsgrundlage § 18 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht kommt, geht aus § 1 Nr. 22 der genannten Verordnung hervor, der seitens der Bundesregierung die Überschrift
"Zu § 8 des Gesetzes Zusatzsteuer"
erhalten hat. Mithin erhellt auch aus der formellen Behandlung, die bei der Prüfung nach einer förmlichen Ermächtigungsgrundlage nicht als unwesentlich beiseite geschoben werden kann, daß sich die Bundesregierung auf die neue Ermächtigung stützen wollte und gestützt hat. Demgegenüber würden die Ausführungen des Bundesministers der Finanzen dazu führen, daß die Vorschriften über die textile Zusatzsteuer erstarrtes Recht aus der Zeit vor der Geltung des GG darstellten. Ein so erstarrtes Recht hätte aber die Bundesregierung, wie durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 5. August 1953 (BGBl I S. 792) und durch die Achte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 7. Februar 1957 (BGBl I S. 6) geschehen, nachträglich nicht mehr ändern können, und zwar auch nicht auf Grund des § 18 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1951; denn auch nach der Darstellung des Bundesministers der Finanzen muß angenommen werden, daß es sich hierbei nicht nur um redaktionelle, sondern um sachliche Änderungen handelt, auch wenn sie in Anpassung an die wirtschaftliche und technische Entwicklung vorgenommen wurden. Insofern ist die Auffassung des Bundesministers der Finanzen widerspruchsvoll; insbesondere ist seiner Auffassung, bei den streitigen Vorschriften handele es sich um erstarrtes, vorkonstitutionelles Recht, das inhaltlich gesetzesgleiches, materielles Recht darstelle, entgegenzuhalten, daß solches materielle Recht nach dem Inkrafttreten des GG immer nur der Gesetzgeber, nicht aber die Bundes regierung ändern könnte. Auch hieraus erhellt, daß die nach 1951 erforderlich gewordenen Änderungen, die das Zusatzsteuersystem auch unter geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen aufrechterhalten und weiterhin praktikabel machen sollten, einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung entbehrten.
Den Ausführungen des Bundesministers der Finanzen wird dagegen insoweit beigetreten, als er ausführt, Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 seien lediglich § 8 und § 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 gewesen, nicht dagegen § 8 UStG 1934; das Bundesverfassungsgericht habe prüfen müssen, ob § 8 UStG 1951 nachkonstitutionelles Recht sei, weil es nur bei Bejahung dieser Fiage in einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 GG zur Entscheidung berufen gewesen sei. Dies ist sicherlich richtig; demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht am Ende der Entscheidungsgründe auch ausgeführt, "die Vorschriften der Umsatzsteuerdurchführungsbestimmungen, soweit sie auf der 1951 neu erteilten Ermächtigung" beruhten, seien hinfällig; "die Gültigkeit der übrigen einschlägigen Vorschriften der Umsatzsteuerdurchführungsbestimmungen 1951" würden die Gerichte in eigener Zuständigkeit zu prüfen haben. Ebenso sicher ist aber, daß das Bundesverfassungsgericht die Frage, auf welcher Ermächtigung die §§ 59 bis 62 UStDB beruhen, nicht geprüft hat; diese Vorschriften waren nicht Gegenstand des damaligen Verfahrens. Hierüber hat der Bundesfinanzhof in eigener Zuständigkeit zu entscheiden, und es ist dem Bundesminister der Finanzen auch darin beizutreten, daß die Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs von der Beantwortung dieser Frage nicht abhängt. Würde der Bundesfinanzhof zu dem Ergebnis kommen, daß die §§ 59 bis 62 UStDB vorkonstitutionelles Recht sind, so hätte er gemäß Art. 123 Abs. 1 GG in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob diese Vorschriften dem GG entsprechen. Da jedoch der erkennende Senat nach seinen obigen Ausführungen zu dem Ergebnis kommt, daß auch die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 auf der neu erteilten Ermächtigung der §§ 8, 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1951 beruhen, erübrigt sich diese Prüfung und gleichfalls eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht im konkreten Normenkontrollverfahren, weil das Bundesverfassungsgericht diese Ermächtigungsvorschriften bereits durch sein Urteil vom 5. März 1958 für ungültig erklärt hat. Hieraus ergibt sich zwangsläufig, wie eingangs bereits betont, auch die Nichtigkeit der textilen Zusatzsteuervorschriften; denn auch nachkonstitutionelles Verordnungsrecht ist an die Normen des GG, mithin auch an die des Art. 80 GG gebunden. Die Ermächtigung des § 8 UStG 1934 ist hinfällig geworden, weil sie der Bundesgesetzgeber in einem nachkonstitutionellen Gesetz erneut in seinen Willen aufgenommen hat. Der Senat betont hierbei, daß er sich der außerordentlichen wirtschaftlichen Tragweite seiner Entscheidung, worauf der Bundesminister der Finanzen in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll hingewiesen hat, wohl bewußt ist. Er hat sich jedoch für verpflichtet gehalten, dem mit Gesetzeskraft ausgestatteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das zu dem eng verwandten Fragenkomplex der Herstellerzusatzsteuer ergangen ist, schon im Interesse der Rechtssicherheit folgen zu müssen. Der Senat hat dabei keine Veranlassung gehabt, etwa gegen die Zulässigkeit einer Zusatzsteuer, z. B. aus dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes nach Art. 3 GG, Stellung zu nehmen.
Kommt der Senat hiernach zu dem Ergebnis, daß die §§ 59 bis 62 UStG 1951 bereits in ihrer ersten Fassung nichtig sind, so erübrigt sich eine weitere Begründung für die Nichtigkeit der durch die Fünfte und Achte Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz eingeführten Änderungen. Im Streitfall ist von der Steuerpflichtigen auch die Vergünstigung nach § 60 UStDB 1951 in Anspruch genommen worden. Auch die §§ 60, 61 und 61a UStDB 1951 sind jedoch mit rückwirkender Kraft von der Nichtigkeit ergriffen. Es fragt sich, ob und inwieweit die Steuerpflichtige deshalb noch diese Vergünstigungen in Anspruch nehmen kann. Der Senat nimmt hierzu wie folgt Stellung:
Wenn das Bundesverfassungsgericht ein nachkonstitutionelles Gesetz mit dem GG für nicht vereinbar hält, hat es seine Nichtigkeit in der Entscheidung festzustellen (§§ 78, 82, 95 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG -). Die Nichtigkeit einer Rechtsnorm bedeutet deren Ungültigkeit von Anfang an, mit der Folge, daß grundsätzlich die Rechtsgrundlage aller auf der für nichtig erklärten Rechtsnorm beruhenden Rechtsverhältnisse zerstört wird. Im Falle einer konkreten Normenkontrolle hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG in Verbindung mit Art. 94 Abs. 2 GG).
Im Streitfall ist zwar die Nichtigkeit der streitigen Vorschriften nicht durch das Bundesverfassungsgericht, sondern durch den Bundesfinanzhof ausgesprochen worden. Der Bundesfinanzhof ist zu dieser Entscheidung nur gekommen, weil das Bundesverfassungsgericht bereits früher im konkreten Normenkontrollverfahren die Nichtigkeit der gesetzlichen Grundlage festgestellt hat; außerdem wird man in der Regel zu einer entsprechenden Anwendung der oben für das Bundesverfassungsgericht normierten Grundsätze gelangen können, weil das Urteil eines höchsten Gerichts allgemein anerkannt wird.
Die mit Rückwirkung getroffene Feststellung der Nichtigkeit einer Rechtsnorm führt zwangsläufig zu einem Widerstreit rechtsstaatlicher Grundsätze, nämlich dem der materiellen Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dem der Rechtssicherheit. Aus § 79 BVerfGG, der allerdings nur für Straf- und Zivilurteile sowie für Verwaltungsakte Bedeutung hat, geht hervor, daß der Gesetzgeber ein Bedürfnis anerkannt hat, die Rückwirkung der Nichtigkeit auszugleichen; auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts läßt sich der Gedanke, die rückwirkende Nichtigkeit einer Rechtsnorm in ihren Wirkungen abzuschwächen, herleiten. So hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere im Urteil 2 BvF 1/57 vom 24. Juni 1958 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 8 S. 51, 71) ausgeführt: "Ob und inwieweit Steuerpflichtigen, die bis zur Verkündung dieses Urteils im Vertrauen auf die Gültigkeit der Vorschriften Spenden an politische Parteien gegeben haben, der in den für nichtig erklärten Vorschriften vorgesehene Steuervorteil gewährt werden kann, muß die Finanzverwaltung in eigener Zuständigkeit entscheiden." Hieraus geht hervor, daß das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Möglichkeit als gegeben ansieht, daß die betreffenden Steuervorteile trotz Nichtigkeitserklärung der betreffenden Vorschriften bis zur Verkündung des Urteils gewährt werden können. Der gleiche Gedanke des Vertrauensschutzes des Staatsbürgers in die Gültigkeit der positiven Rechtsordnung haben den Obersten Finanzgerichtshof und den Bundesfinanzhof in ihrer Rechtsprechung geleitet, wenn sie z. B. bei Nichtigkeitserklärung sogenannter Milderungserlasse dennoch ein dem Steuerpflichtigen günstiges Ergebnis erstrebten (vgl. Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 6/49 S vom 27. August 1949, Slg. Bd. 54 S. 376, 384, und Urteil des Bundesfinanzhofs VI 72/56 U vom 22. November 1957, BStBl 1958 III S. 44, 45 am Ende, Slg. Bd. 66 S. 111, 114 am Ende). Erst recht sollte der Staatsbürger grundsätzlich davon ausgehen können, daß die von den gesetzgebenden Körperschaften beschlossenen Gesetze und die von der Bundesregierung beschlossenen und ordnungsgemäß veröffentlichten Rechtsverordnungen rechtsgültig sind.
Aus diesen Gründen sind nach Auffassung des Senats den Steuerpflichtigen die in den §§ 60 ff. UStG 1951 normierten Vergünstigungen im Bereiche der textilen Zusatzsteuer noch bis zum Ausspruch der Verfassungswidrigkeit, d. h. bis zur Veröffentlichung dieses Urteils zu belassen, sofern der Steuerbescheid noch nicht rechtskräftig ist. Die gleiche Auffassung hat in diesem Verfahren auch der Bundesminister der Finanzen aus den gleichen Gründen vertreten.
Zweifelhaft kann die Rechtslage dann sein, wenn ein Unternehmer, wie im Streitfalle, sowohl Zusatzsteuer nach § 59 UStDB 1951 zahlen muß, als auch Vergünstigungen aus dem Bereiche der textilen Zusatzsteuer in Anspruch nehmen kann. Grundsätzlich wird man, wie auch der Bundesminister der Finanzen anerkennt, auch insoweit dem Unternehmer den Vertrauensschutz bezüglich der Gewährung der Vergünstigungen zubilligen müssen. Es fragt sich nur, ob den Steuerpflichtigen die Vergünstigungen stets in vollem Umfange zu gewähren sind, oder nur in Höhe des Saldos, der sich bei Gegenüberstellung der Zusatzsteuer mit den in Betracht kommenden Vergünstigungen ergibt. Hierbei ist zu beachten, daß bei einem Überschuß der Zusatzsteuer über die Vergünstigungen der Saldo die insgesamt festgesetzte Umsatzsteuer mindert; bei einem Überschuß der Vergünstigungen über die Zusatzsteuer verbleibt es dagegen bei der vom Finanzamt insgesamt festgesetzten Umsatzsteuer. Der Senat ist der Auffassung, daß gegebenenfalls mit einer Saldierung der vom Unternehmer zu zahlenden Zusatzsteuer (§ 59) und der von ihm in Anspruch genommenen Vergünstigungen (§§ 60 Abs. 1, 61a) dem Rechtsschutzbedürfnis Genüge getan ist; denn die verschiedenen Ausgleichsmaßnahmen hängen derart voneinander ab und bedingen einander, daß sie als ein unteilbares Ganzes anzusehen und so auch stets vom Verordnungsgeber aufgefaßt worden sind (vgl. Hübschmann in Hübschmann-Grabower-Beck-v. Wallis, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Einleitung S. 21/22). Diese Zusammenhänge, durch die verhindert wird, daß sich durch die Ausgleichsmaßnahmen auf dem Textilsektor insgesamt eine zusätzliche steuerliche Belastung ergibt, ist auch den betroffenen Wirtschaftskreisen seit langem geläufig; denn das Ziel der Verhandlungen mit der Textilindustrie war, daß einerseits Maßnahmen zur Mehrbelastung der mehrstufigen Unternehmen, anderseits Maßnahmen zur Entlastung der einstufigen Unternehmen so ineinander griffen, daß ein Ausgleich der Umsatzsteuerbelastung in der Textilwirtschaft, nicht eine Mehrbelastung eintritt (vgl. Hübschmann, a. a. O., S. 11 und 21/22).
Wenn die Bfin. demgegenüber darauf hinweist, daß der Zusammenhang der verschiedenen Ausgleichsmaß nahmen nicht so eng sei, weil sich jeder Tatbestand ohne den anderen verwirklichen lasse und §§ 60, 61a mit der Belastung nach § 59 nur dann eine zufällige Verbindung erhielten, wenn eine Spinnweberei ihre Erzeugnisse nicht selbst veredele, so mag dies für den Einzelfall zutreffen; es ändert aber nichts daran, daß die verschiedenen Ausgleichsmaßnahmen als ein in sich geschlossenes einheitliches System aufgefaßt werden müssen, und daß der Vertrauensschutz des Staatsbürgers hinsichtlich der für nichtig erklärten Rechtsnormen seine Grenze in der Erwägung finden muß, daß die Allgemeinheit die belassenen Steuervorteile aufbringen muß. Die Allgemeinheit der Steuerzahler hat darum auch ein berechtigtes Interesse, daß der zu gewährende Vertrauensschutz nicht über das gebotene Maß ausgedehnt wird.
Im Berufungsverfahren hat die Bfin. ausgeführt, ihr Rechtsmittel bezwecke, "die Erhebung der Zusatzsteuer für Spinnwebereien und in logischer Folge die Gewährung entsprechender Vergünstigungen als unzulässig festzustellen". Nach den obigen Ausführungen fällt jedoch entsprechend dem Antrage der Bfin. im Rechtsbeschwerdeverfahren die Zusatzsteuer fort und die von ihr in Anspruch genommenen Vergünstigungen verbleiben ihr in Höhe des Saldos.
Die Vorentscheidung, die die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 als rechtsgültig behandelt, war nach alledem wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.
(Anschließend folgt Steuerberechnung.)
Fundstellen
BStBl III 1959, 441 |
BFHE 1960, 486 |