Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzug von Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer
Leitsatz (amtlich)
Entrichtete Einfuhrumsatzsteuer darf als Vorsteuer gemäß § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 nur abgezogen werden, wenn der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer Besitz an einem auf seinen Namen lautenden zollamtlichen Zahlungsbeleg oder Ersatzbeleg erhalten hat.
Normenkette
UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 Nr. 6; UStDV 1980 § 6; EWGRL 388/77 Art. 18 Abs. 1 Buchst. b
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt den Abzug von Einfuhrumsatzsteuer mit der Behauptung, es sei im Streitjahr ein Teppich für ihr Unternehmen in das Inland eingeführt worden. Die Einfuhrumsatzsteuer hierfür habe die mit dem Transport beauftragte Spedition entrichtet. Diese habe ihr den Einfuhrumsatzsteuerbeleg nicht ausgehändigt, weil sie --die Klägerin-- deren Forderung nicht beglichen habe.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) verweigerte der Klägerin den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer und setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr (1985) entsprechend fest.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, daß die Klägerin weder den Originalbeleg noch einen Ersatzbeleg über die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer vorgelegt habe. Das FG führte weiter aus, es genüge nicht, daß ein Zollbeleg überhaupt vorhanden sei. Der Unternehmer müsse im Besitz eines entsprechenden Zahlungs- oder Ersatzbeleges nach amtlichem Vordruck sein. Diese Voraussetzung ergebe sich bei (richtlinienkonformer) Auslegung von § 15 Abs.1 Nr.2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) unter Berücksichtigung von Art.18 Abs.1 Buchst.b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980). Sie ist der Auffassung, das UStG 1980 verlange nicht zwingend die Vorlage des Einfuhrumsatzsteuerbelegs. Bei der Auslegung des § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 durch das FG unter Berufung auf Richtlinienkonformität handele es sich um einen unzulässigen, steuerverschärfenden Analogieschluß. Die zum Vorsteuerabzug zuzulassende Einfuhrumsatzsteuer sei bei Nichtvorlage des Zahlungsbelegs durch Schätzung zu ermitteln.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer 1985 um 1 642,68 DM herabzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Klägerin kein Anspruch auf Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer zusteht.
1. Nach § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 kann der Unternehmer die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen eingeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Zu den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen gehört mithin schon aufgrund des Gesetzeswortlauts, daß die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet worden ist. Die Auslegung der Vorschrift ergibt ferner, daß der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer Besitz an einem auf seinen Namen lautenden zollamtlichen Zahlungsbeleg oder Ersatzbeleg erhalten haben muß (vgl. hierzu Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Mai 1976 V B 93/75, nicht veröffentlicht --NV--, und vom 17. Februar 1987 VII R 45/83, BFHE 149, 280, BStBl II 1987, 504 unter 1.; Urteil des FG Hamburg vom 15. März 1994 V 193/91, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1994, 724; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, V Rz.433; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 5.Aufl., § 15 Bem.99, 126; Cissie in Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, 4.Aufl., § 15 Anm.41 a; a.A. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23. September 1985 5 K 92/85, EFG 1986, 147; Müller-Eiselt in Bail/Schädel/Hutter, Kommentar Zollrecht, EI/15 Rz.50).
2. Weder § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 noch die übrigen Vorschriften des UStG 1980 oder die Bestimmungen der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV 1980) stellen ausdrücklich klar, daß die Erlangung des Besitzes an einem zollamtlichen Zahlungsbeleg oder an einem Ersatzbeleg zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges aufgrund von entrichteter Einfuhrumsatzsteuer gehört. Ihr Wortlaut schließt dies allerdings auch nicht aus. Dieser Annahme steht nicht die Ausnahmebestimmung des § 57 Abs.3 Satz 3 UStDV 1980 entgegen, wonach bei der Besteuerung eines nicht im Erhebungsgebiet ansässigen Unternehmers die abziehbaren Vorsteuerbeträge ggf. durch die Vorlage der Einfuhrbelege im Original nachzuweisen sind. Diese Bestimmung befaßt sich nicht mit der Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer unter dem Blickwinkel der Zugehörigkeit zu den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines Vorsteuerabzuges, sondern mit der Einfuhr und überdies unter dem Aspekt eines entsprechenden Nachweises.
3. Die Auslegung des § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 durch den erkennenden Senat dahin, daß die Erlangung des Besitzes an einem zollamtlichen Zahlungsbeleg oder Ersatzbeleg zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges gehört, ergibt sich jedoch aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift mit § 15 Abs.1 Nr.1 und § 22 Abs.2 Nr.6 UStG 1980 sowie § 64 UStDV 1980. Sie findet eine Bestätigung durch die Heranziehung des Gedankens der Richtlinienkonformität.
a) Materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug von Umsatzsteuer, die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesen wurde (§ 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1980), ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats, daß der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Rechnung ausgehändigt erhalten hat (vgl. BFH-Urteile vom 14. September 1987 V R 50/85, unter 5., BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, und vom 24. September 1987 V R 125/86, unter 5., BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694).
Aus dem systematischen Zusammenhang der Regelung in § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 mit der in Nummer 1 der Vorschrift getroffenen Regelung ergibt sich, daß auch im Rahmen der Nummer 2 der Vorschrift die Ausgabe einer entsprechenden Urkunde (hier: zollamtlicher Zahlungsbeleg oder Ersatzbeleg) an den den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmer hinsichtlich des Abzugs von Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung ist. Ebenso wie der Unternehmer den Vorsteuerabzug aus einer Rechnung nur beanspruchen kann, wenn ihm eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis erteilt worden ist, kann er entrichtete Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nur abziehen, wenn ihm ein entsprechender Zahlungsbeleg ausgehändigt worden ist. Letzteres ist in § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 zwar nicht wie in Nummer 1 der Vorschrift ausdrücklich erwähnt. Aus dem aufgezeigten systematischen Zusammenhang der Regelungen in § 15 Abs.1 UStG 1980 folgt aber, daß der Gesetzgeber die Voraussetzung der Ausgabe einer entsprechenden Urkunde in Nummer 2 lediglich deshalb nicht erneut angeführt hat, weil das Schwergewicht der Regelung in Nummer 2 darauf liegt, daß Einfuhrumsatzsteuer --im Gegensatz zu der in Rechnungen gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer-- nur dann als Vorsteuer abgezogen werden darf, wenn sie bereits entrichtet wurde. Dieses Merkmal muß als zusätzliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug bei der Einfuhrumsatzsteuer neben den anderen Voraussetzungen gesehen werden, die sich bereits aus § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 ergeben.
b) Die Auslegung des § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 durch den erkennenden Senat findet eine gewisse Stütze in den Normen über die Aufzeichnungspflichten gemäß § 22 Abs.2 Nr.6 UStG 1980 und § 64 UStDV 1980. Nach diesen Vorschriften bzw. Bestimmungen geht der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber erkennbar davon aus, daß der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer einen zollamtlichen Beleg über die Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer erhalten hat.
c) Die Auslegung des § 15 Abs.1 Nr.2 UStG 1980 entspricht zudem der Richtlinie 77/388/EWG. Da mit dem UStG 1980 das deutsche Umsatzsteuerrecht an die Richtlinie 77/388/EWG angepaßt werden sollte (vgl. BFH-Urteil vom 5. April 1984 V R 51/82, BFHE 140, 393, BStBl II 1984, 499 unter 2. m.w.N.), ist das UStG 1980 möglichst in einer dem Wortlaut und Zweck der Richtlinie 77/388/EWG entsprechenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juli 1992 V R 95/87, BFH/NV 1993, 202 unter 2. b; in BFHE 140, 393, BStBl II 1984, 499 a.a.O.; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 8. Oktober 1987 Rs.80/86, Slg. 1987, 3969; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1988, 594). Gemäß Art.18 Abs.1 Buchst.b der Richtlinie 77/388/EWG kann der Unternehmer das Recht auf Vorsteuerabzug aus gezahlter Einfuhrumsatzsteuer nur ausüben, wenn er ein die Einfuhr bescheinigendes Dokument besitzt, das ihn als Empfänger oder Importeur ausweist und aus dem sich der geschuldete Steuerbetrag ergibt oder auf Grund dessen seine Berechnung möglich ist. Diese Voraussetzungen erfüllen am vollkommensten zollamtliche Zahlungsbelege bzw. Ersatzbelege.
3. Hat der Unternehmer --wie im vorliegenden Fall die Klägerin-- weder einen zollamtlichen Zahlungsbeleg noch einen Ersatzbeleg jemals besessen, kommt ein Abzug von Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nicht --auch nicht auf dem Wege der Schätzung-- in Betracht. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem, der dem BFH-Urteil vom 5. August 1988 X R 55/81 (BFHE 154, 477, BStBl II 1989, 120) zugrunde lag. In jenem Urteil ging es um die Art des Nachweises über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1973, wobei es dem Unternehmer nicht möglich war, die Originalrechnung vorzulegen, die ihm vom Rechnungsaussteller ausgehändigt worden war.
Wie --ggf. mittels Billigkeitsmaßnahmen-- zu verfahren wäre, wenn der Unternehmer zwar ursprünglich im Besitz des erforderlichen Zahlungsnachweises war, ihm dieser aber abhanden gekommen ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
4. Der Senat sieht sich an seiner Entscheidung nicht durch den Beschluß des XI.Senats des BFH vom 12. Oktober 1994 XI R 63/93 (BFHE 176, 466) gehindert. In dieser Vorlage an den EuGH zieht der XI.Senat nicht in Zweifel, daß Ausstellung und Übergabe einer Rechnung materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf Vorsteuerabzug sind. Die dem EuGH vorgelegten Fragen betreffen lediglich den Nachweis dieser Tatbestandsvoraussetzungen.
Fundstellen
Haufe-Index 65464 |
BFH/NV 1995, 69 |
BFHE 177, 513 |
BFHE 1996, 513 |
BB 1995, 1578 (L) |
DB 1995, 1594 (L) |
DStR 1995, 1191 (K) |
DStZ 1995, 604-605 (KT) |
HFR 1995, 598 (LT) |
StE 1995, 481 (K) |