Leitsatz (amtlich)
Der Nachforderung von Eingangsabgaben wegen zunächst falscher Tarifierung steht der Grundsatz von Treu und Glauben im Regelfall dann nicht entgegen, wenn es der Steuerpflichtige unterlassen hat, vor der Einfuhr eine verbindliche Zolltarifauskunft einzuholen (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
Treu und Glauben
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte am 13. März 1969 Kunstspeisefett aus der Schweiz ein. Sie meldete die Ware an als homogen gemischte Masse der Tarifnr. 15.13 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT), bestehend aus 10 % Rindertalg, 88 % Butterreinfett und 2 % Feuchtigkeit. Das dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA –) unterstehende Zollamt (ZA) fertigte die Ware zum freien Verkehr ab und erhob 11 859,70 DM Eingangsabgaben. Mit Nachforderungsbescheid vom 20. Juli 1970 forderte das ZA von der Klägerin 129 866,10 DM Zoll mit der Begründung nach, nach der Verordnung (EWG) Nr. 496/69 (VO Nr. 496/69) der Kommission vom 18. März 1969 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 67/7 vom 19. März 1969, Bundeszollblatt – BZBl – 1969, 499) sei die Ware der Tarifst. 22.07 F IX zuzuweisen.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage begründete die Klägerin im wesentlichen damit, daß der Nachforderungsbescheid gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße. Die Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Frage, ob der Nachforderung von Zöllen der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht, entscheidet sich bei dem damaligen (1970) Stand der Rechtsangleichung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nach innerstaatlichem Recht (Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90; vgl. EuGH-Urteile vom 5. März 1980 Rs. 265/78, EuGHE 1980, 617, und vom 27. März 1980 Rs. 66, 127 und 128/79, EuGHE 1980, 1237).
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats verstößt die Inanspruchnahme eines Steuerpflichtigen durch einen Nachforderungsbescheid gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sie im Widerspruch steht zu einem vorangegangenen nachhaltigen Verhalten oder einer nachdrücklichen Willensäußerung der Verwaltung, der Steuerpflichtige wegen dieses bisherigen Verhaltens der Verwaltung auf ein entsprechendes künftiges Verhalten vertraut hat und vertrauen durfte und daher die Nachforderung mit dem allgemeinen Rechtsempfinden unvereinbar ist (vgl. BFHE 130, 90, 95, mit weiteren Nachweisen). Die Anwendung dieses Grundsatzes führt dazu, daß im Einzelfall gesetztes Recht – hier also die Regelung des GZT – weichen muß. Außerdem entsteht ein Konflikt mit dem Gleichheitssatz, der insbesondere in Fällen, in denen wie hier wirtschaftslenkende Abgaben (Zölle) in Frage stehen, besonders augenfällig wird, weil die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu einer Wettbewerbsverschiebung zugunsten desjenigen führt, der sich auf ihn beruft. Die Anwendung dieses Grundsatzes kann daher nur in Frage kommen, wenn es sich um einen besonders gelagerten Fall handelt, in dem das Vertrauen eines Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, daß demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der gleichen Behandlung aller Steuerpflichtigen zurücktreten müssen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, 108, BStBl II 1978, 274).
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß ein solcher Ausnahmefall grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn es der Steuerpflichtige unterlassen hat, vor der Einfuhr eine vZTA einzuholen, daß es aber besondere Verhältnisse im Einzelfall rechtfertigen können, eine Ausnahme von diesem Grundsatz zu machen (Urteil des erkennenden Senats vom 1. Februar 1972 VII R 86/69, BFHE 105, 202, 207, mit weiteren Nachweisen). Ein zwingendes Schutzbedürfnis des Steuerpflichtigen, der eine vZTA nicht eingeholt hat, kommt nach dieser Rechtsprechung nur ganz ausnahmsweise in Betracht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 14. März 1972 VII R 81/69, BFHE 105, 224). Dieser Rechtsprechung liegen folgende Erwägungen zugrunde.
Unter bestimmten Voraussetzungen ist nach der Rechtsprechung des BFH die Finanzverwaltung auch an unrichtige Auskünfte der zuständigen Beamten gebunden. Dieser Grundsatz erleidet aber dort eine Einschränkung, wo das Gesetz selbst die Frage genauer regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Bindung der Verwaltung an Auskünfte eintreten soll. Das ist durch die Regelung des § 23 des Zollgesetzes (ZG) und der Durchführungsbestimmungen dazu (§§ 28 ff. der Allgemeinen Zollordnung – AZO –) für die Auskünfte der Verwaltung auf dem Gebiet des Zolltarifs (ZT) geschehen. Wegen der besonderen Schwierigkeiten, die Fragen des ZT oft aufweisen, und des wirtschaftlichen Interesses der potentiellen Einführer an einer zutreffenden Grundlage für die Kalkulation von Einfuhrgeschäften hat der Gesetzgeber ein besonders institutionalisiertes Verfahren für die Erteilung vZTA eingerichtet. Er hat damit grundsätzlich abschließend geregelt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß eine Tarifauskunft zuständiger Beamter verbindlich sein soll, und damit den Grundsatz von Treu und Glauben auf diesem Gebiet konkretisiert. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß auf andere Weise erteilte Auskünfte der Verwaltung auf dem Gebiet des ZT nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keine verbindliche Wirkung haben sollen, und zwar unabhängig davon, ob sie im Einzelfall ausdrücklich als unverbindlich bezeichnet worden sind oder nicht (vgl. das vom FG zitierte Urteil des erkennenden Senats in BFHE 72, 237, BStBl III 1961, 89). Denn ein anderes als das gesetzlich vorgesehene Verfahren für die Erteilung von Tarifauskünften bietet bei den rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten tariflicher Fragen keine genügende Gewähr für die Richtigkeit der Auskünfte und damit auch keine ausreichende Grundlage für ihre Verbindlichkeit.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß auch dann, wenn man das gesamte Vorbringen der Klägerin als wahr unterstellt, ein Ausnahmefall in oben genanntem Sinne hier nicht vorliegt Auf die mündlichen Auskünfte über die Tarifierung, die die Klägerin angeblich von Beamten in A und B erhalten hat, kann sie sich schon deshalb nicht berufen, weil diese nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers gerade nicht in Verbindlichkeit erwachsen sollten, da sie nicht in dem für eine vZTA vorgesehenen Verfahren erteilt worden sind. Es ist deshalb auch ohne Belang, ob die angeblichen Auskünfte der Beamten in Kenntnis der besonderen Interessenlage der Klägerin und der genauen Beschaffenheit der Ware erteilt worden sind, ob die Auskünfte der Tarifauffassung des BMF entsprachen und ob die Klägerin auf die Möglichkeit oder Notwendigkeit der Erteilung einer vZTA hingewiesen worden ist. Die letztere Möglichkeit ergab sich aus dem Gesetz ebenso wie der Umstand, daß nur schriftlich in besonderer Weise erteilte Tarifauskünfte verbindlich sind. Es bedurfte daher keines besonderen Hinweises durch die auskunfterteilenden Beamten. Da sich die Klägerin mit einer mündlichen Auskunft begnügte, rechtfertigt es der Grundsatz von Treu und Glauben nicht, sie von den gesetzlich vorgesehenen Abgaben freizustellen. Ein Ausnahmefall im Sinne der genannten Rechtsprechung des erkennenden Senats liegt also nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 510514 |
BFHE 1982, 561 |