Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bewertung von Freizigaretten, die als Sachbezug zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehören.

 

Normenkette

EStG § 8 Abs. 2; LStDV § 3

 

Tatbestand

Streitig ist die lohnsteuerliche Behandlung von Freizigaretten, die die Bfin. den Arbeitnehmern ihres Auslieferungslagers in X. zugewendet hat.

Anläßlich einer im Oktober 1955 erstmalig im Auslieferungslager durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung wurde festgestellt, daß die Arbeitnehmer Freizigaretten erhalten, und zwar Männer monatlich 300 Stück, Frauen monatlich 150 Stück. Das Finanzamt erblickte hierin einen lohnsteuerpflichtigen Sachbezug, bewertete die Zigaretten mit dem Ladenkleinverkaufspreis (10 bzw. 8 1/3 Pf pro Stück) und holte die für die Jahre 1949 bis 1955 mit 15 v. H., für das Jahr 1956 mit 16 v. H. pauschalierte Lohnsteuer durch Haftungsbescheid bei der Bfin. nach. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

Die Berufung sah das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1961 S. 25 veröffentlicht ist, als teilweise begründet an. Wegen der das Kalenderjahr 1949 betreffenden Steuernachforderungen habe die Bfin. mit Recht Verjährung eingewendet. Die Steuerpflicht der streitigen Sachbezüge müsse aber bejaht werden. Es handele sich um den Arbeitnehmern zugewendete geldwerte Vorteile, nicht um bloße Annehmlichkeiten oder Gelegenheitsgeschenke. Auf die in Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR enthaltene Regelung könne sich die Bfin. schon deshalb nicht berufen, weil hiernach Freizigaretten nur dann nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn zu rechnen seien, wenn sie an Arbeitnehmer in tabakverarbeitenden Betrieben gegeben würden. Die Arbeitnehmer des Auslieferungslagers seien aber nicht in einem tabakverarbeitenden Betrieb tätig. Es könne daher für den Streitfall dahingestellt bleiben, ob Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR eine gesetzesvertretende Milderungsanordnung oder eine bloße Verwaltungsanordnung sei. Gegenüber der Besteuerung der Freizigaretten könne sich die Bfin. auch nicht auf Treu und Glauben berufen. Eine abweichende steuerliche Behandlung der Freizigaretten durch Steuerbehörden anderer Länder hindere das Finanzamt nicht daran, die Freizigaretten im Streitfall zum steuerpflichtigen Arbeitslohn zu rechnen. Hinsichtlich des Wertansatzes der Freizigaretten sei von den ortsüblichen Mittelpreisen auszugehen. Diese lägen für banderolierte Tabakwaren fest. Subjektive Momente seien nicht zu berücksichtigen. Eine abweichende Festsetzung von Durchschnittswerten durch die Oberfinanzdirektionen gemäß § 3 Abs. 2 LStDV sei nicht erfolgt. Es brauche daher nicht untersucht zu werden, welche rechtliche Bedeutung einer solchen Festsetzung zukomme.

Das Finanzgericht verwies jedoch trotz Bejahung der Steuerpflicht die Sache unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung an das Finanzamt zurück, weil dieses die nachzuholende Lohnsteuer nicht entsprechend den Besteuerungsgrundlagen der einzelnen Arbeitnehmer ermittelt, sondern ohne Rechtsgrundlage pauschaliert habe.

Mit der Rb. wird im wesentlichen geltend gemacht: Die Gewährung der Freizigaretten stelle sich als bloße Annehmlichkeit und nach der Verkehrsauffassung nicht als Entgelt für die Arbeitsleistung dar. Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR enthalte daher lediglich eine Anordnung im Rahmen des Gesetzes. Auch die Arbeitnehmer des Auslieferungslagers seinen in einem tabakverarbeitenden Betrieb beschäftigt, da die räumliche Trennung vom Hauptbetrieb keine Rolle spielen könne. Das Auslieferungslager könne nicht als "Handelsbetrieb" angesehen werden. Selbst wenn Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR nicht eine zutreffende Gesetzesauslegung enthalten würde, sei die dort getroffene Regelung als Milderungserlaß zu beachten. Im übrigen lasse aber auch die geringe Menge der gewährten Freizigaretten den Sachbezug als bloße Annehmlichkeit erscheinen, insbesondere wenn man berücksichtige, daß die Zigaretten nicht mit dem Ladenpreis bewertet werden dürften. Der Wert des Sachbezugs sei für die einzelnen Arbeitnehmer ganz verschieden und nur etwa in der Höhe des Betrags zu schätzen, gegen dessen Zahlung der Arbeitnehmer auf die Gewährung des Sachbezugs vermutlich verzichten würde. Die Oberfinanzdirektionen hätten daher auch gemäß § 3 Abs. 2 LStDV die Freizigaretten erheblich unter dem Ladenpreis bewertet. Wenn auch die im Streitfall zuständige Oberfinanzdirektion solche Richtsätze nicht erlassen habe, so seien jedoch die Richtsätze anderer Oberfinanzdirektionen zur Ermittlung des üblichen Mittelpreises unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung heranzuziehen. Es fehle aber überhaupt an einer objektiven Bereicherung der Arbeitnehmer durch die Freizigaretten, da diese lediglich zum Eigenverbrauch bestimmt seien. Im übrigen verstoße die Besteuerung der Freizigaretten auch gegen Treu und Glauben, da die Bfin. seit jeher Freizigaretten steuerfrei gewährt habe, ohne daß dies von der Finanzverwaltung beanstandet worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Zutreffend hat die Vorinstanz die Freizigaretten als steuerpflichtigen Sachbezug der Arbeitnehmer des Auslieferungslagers angesehen, da es sich um eine Zuwendung in Beziehung auf das Arbeitsverhältnis handelt (§§ 8, 19 Abs. 1 EStG, § 2 Abs. 1 und 2 und § 3 LStDV), die über den Rahmen einer bloßen Annehmlichkeit hinausgeht. Der Senat hat dies in der Entscheidung VI 102/60 U vom 24. Februar 1961 (BStBl 1961 III S. 261) bejaht. Auf diese Entscheidung, an der der Senat festhält, wird verwiesen. Für den Streitfall ergibt sich somit, daß die gewährten Freizigaretten als steuerpflichtige Sachbezüge der Lohnsteuer zu unterwerfen waren.

Die vom Finanzamt vorgenommene Hinzurechnung zum Arbeitslohn widersprach nicht den Grundsätzen von Treu und Glauben; denn das Finanzamt war nicht gezwungen, entgegen seiner rechtlichen überzeugung so vorzugehen, wie andere Finanzämter bei anderen Betrieben unter Umständen vorgegangen sind. Das Finanzamt ist vielmehr nach dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gehalten, jeden Einzelfall dem Gesetz entsprechend zu behandeln. Selbst wenn bei einer früheren, einen anderen Prüfungszeitraum betreffenden Außenprüfung desselben Betriebs - im Streitfall hatte eine Außenprüfung vorher überhaupt noch nicht stattgefunden - das Finanzamt von anderen rechtlichen überlegungen ausgegangen wäre, wäre es nicht gehindert gewesen, seinen Rechtsstandpunkt zu revidieren (vgl. Urteil des Senats VI 168/56 U vom 18. Oktober 1957, BStBl 1958 III S. 16, Slg. Bd. 66 S. 40).

Der Vorinstanz ist auch grundsätzlich darin zuzustimmen, daß das Finanzamt nicht ohne weiteres die nachzuholende Lohnsteuer pauschalieren durfte, da hierfür in den streitigen Zeiträumen keine Rechtsgrundlage gegeben war. In der Regel mußte für diesen Zeitraum die nachzuholende Lohnsteuer auf Grund Einzelberechnung unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Lohnsteuerpflichtigen ermittelt werden. Es ist somit nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung die Sache an das Finanzamt zurückverwiesen hat (ß 284 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Senat weist jedoch darauf hin, daß eine Pauschalierung nicht schlechthin ausgeschlossen ist, so etwa, wenn sie sich als Ergebnis einer, zum Beispiel wegen fehlender Unterlagen notwendig gewordenen Schätzung darstellt oder wenn der in Anspruch genommene Arbeitgeber, der die Lohnsteuer übernimmt, der Pauschalierung zustimmt.

Die Vorentscheidung war jedoch aufzuheben, weil ihr in der Bewertung der streitigen Sachbezüge nicht gefolgt werden kann. Die Vorinstanz verweist zwar zutreffend auf den Grundsatz, daß der Wert eines Sachbezugs, der nach § 8 Abs. 2 EStG, § 3 Abs. 1 LStDV mit den ortsüblichen Mittelpreisen anzusetzen ist, nach objektiven Gesichtspunkten zu ermitteln ist (vgl. auch Urteil des Senats VI 229/59 vom 18. November 1960, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 29 Nr. 31). Demzufolge kann zum Beispiel ein einzelner Arbeitnehmer der Bfin. nicht einwenden, daß die Freizigaretten für ihn, da er Nichtraucher sei, keinen oder fast keinen Wert hätten. Der Ansatz der Freizigaretten mit dem Ladenverkaufspreis erscheint gleichwohl überhöht, da ganz allgemein und losgelöst vom Einzelfall den Freizigaretten, die der Arbeitnehmer nicht wählen kann, die er nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses bezieht und hinsichtlich derer er gewissen Beschränkungen unterworfen ist (Verbot der Weiterveräußerung), nicht der Wert beigemessen werden kann, der ihnen im freien Verkauf zukommt. Der Sachwert ist daher zu schätzen (ß 217 AO). Die von den Oberfinanzdirektionen gemäß § 3 Abs. 2 LStDV festgesetzten Richtsätze über die Bewertung von Sachbezügen haben zwar nicht Rechtsnormcharakter und sind für die Gerichte nicht verbindlich (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 62/54 U vom 26. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 232, Slg. Bd. 61 S. 91). Sie können aber als Erfahrungssätze einen wichtigen Anhaltspunkt für die Höhe der Schätzung bilden. Im allgemeinen wird - auch im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung - von diesen Richtsätzen ausgegangen werden können, wenn sie nicht offensichtlich zu einer unzutreffenden Schätzung führen. Nun hat zwar, wie die Vorinstanzen festgestellt haben, die im Streitfalle zuständige Oberfinanzdirektion keine Richtsätze für Freizigaretten festgesetzt. Der Senat hat jedoch keine Bedenken dagegen, daß die von anderen Oberfinanzdirektionen festgelegten Sätze als für eine Schätzung verwertbare Erfahrungssätze übernommen werden. Auch das Finanzamt hatte im Streitfalle zugestimmt, daß die Freizigaretten entsprechend den Richtsätzen der Oberfinanzdirektion B. mit 0,04 DM pro Stück bewertet werden. Da die Bewertung der Freizigaretten mit 10 bzw. 8 1/3 Pf pro Stück durch die Vorinstanz Erfahrungssätzen widerspricht, erachtet der Senat sich an diese Feststellung, mag sie auch auf tatsächlichem Gebiet liegen, für nicht gebunden. Die Sache wird unter Aufhebung auch der Einspruchsentscheidung an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410120

BStBl III 1961, 409

BFHE 1962, 394

BFHE 73, 394

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