Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung über die lohnsteuerliche Behandlung von Freitabak bei Arbeitnehmern von tabakverarbeitenden Betrieben in Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR 1950, 1952, 1954 ist eine von den Finanzgerichten zu beachtende Rechtsnorm. 2. Diese Regelung gilt nicht für die in einem Auslieferungslager eines tabakverarbeitenden Unternehmens beschäftigten Arbeitnehmer.

EStG 1951, 1952, 1953, 1955 § 19; LStDV 1950, 1952, 1954, 1955 § 2; LStR 1950, 1952, 1954, 1955

 

Normenkette

EStG § 19/1; LStDV § 2/1; LStR Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3

 

Tatbestand

Die Bfin. hat in X. eine Fabrik für Tabakerzeugnisse und unterhält in Y. ein Auslieferungslager. In den Jahren 1951 bis 1956 gab sie den in Y. beschäftigten Arbeitnehmern monatlich je 9, den Arbeitnehmerinnen je 5 Pakete Tabak neben den laufenden Geldbezügen. Diese Sachzuwendungen wurden nicht der Lohnsteuer unterworfen. Das Finanzamt war der Ansicht, daß die in Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR vorgesehene Steuerfreiheit für Freitabak, auf die sich die Bfin. berief, für die in dem Auslieferungslager in Y. beschäftigten Angestellten nicht in Betracht komme, da in Y. Tabak nicht verarbeitet werde. Es nahm deshalb die Bfin. für die nach seiner Auffassung geschuldete Lohnsteuer, Abgabe Notopfer Berlin und Kirchensteuer dieser Arbeitnehmer durch Haftungsbescheid in Anspruch. Einspruch und Berufung der Bfin. hiergegen hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, daß es sich bei Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR nicht um eine Rechtsnorm handele, die den Steuerpflichtigen einen vor den Finanzgerichten verfolgbaren Anspruch einräume; denn diese Verwaltungsanordnung sei kein fortgeltender Milderungserlaß, sondern eine zur Vereinfachung der Besteuerung geschaffene Verwaltungsregelung. Aber selbst wenn sie eine von den Finanzgerichten auslegungsfähige Rechtsnorm wäre, komme im Streitfall Steuerfreiheit nicht in Betracht, da das Auslieferungslager der Bfin. in Y. kein tabakverarbeitender Betrieb sei. Die Höhe der nachgeforderten Lohnsteuer sei nicht zu beanstanden, da das Finanzamt die Sachzuwendungen der Bfin. bei der Berechnung der Lohnsteuer zutreffend nach § 8 Abs. 2 EStG 1951, 1953, 1955 mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts zugrunde gelegt habe.

Die Bfin. rügt mit der Rb. unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Es sei branchenüblich, daß die Arbeiter und Angestellten aller Betriebstätten, also auch die der Auslieferungslager, Freitabak erhielten. Diese in der Tabakindustrie üblichen Deputate würden gegeben, um zu verhindern, daß die Arbeitnehmer versuchten, sich unrechtmäßig zu bereichern. Die in den LStR aufgestellten Bedingungen der Steuerfreiheit seien eingehalten worden. Die in § 77 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) und § 78 der Durchführungsbestimmungen zum Tabaksteuergesetz (TabStDB) vorgenommene Einengung des Begriffs "tabakverarbeitender Betrieb" sei vom Finanzamt und vom Finanzgericht zu Unrecht auf das Lohnsteuerrecht übertragen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Die Bfin. stützt ihren Antrag auf Aufhebung des Haftungsbescheids und der Vorentscheidung auf Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR in den Fassungen 1950, 1952, 1954 und 1955. Sie beruft sich also auf Verwaltungsregelungen. Verwaltungsanordnungen sind zwar grundsätzlich lediglich Weisungen vorgesetzter Dienststellen an nachgeordnete Behörden, die den Steuerpflichtigen keine Rechte gewähren, die sie im ordentlichen Rechtsmittelverfahren vor den Finanzgerichten verfolgen können. Eine andere Beurteilung ist aber bei Verwaltungsanordnungen aus der autoritären Zeit geboten, die auf Grund von § 12 und § 13 AO alter Fassung ergangen sind, wenn sie Rechtsnormcharakter haben und unverändert fortgelten (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 1/54 U vom 31. Oktober 1957, BStBl 1958 III S. 4, Slg. Bd. 66 S. 8).

Die in Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR 1950, 1952, 1954, 1955 enthaltene Anordnung, daß bei Arbeitnehmern tabakverarbeitender Betriebe der den Arbeitnehmern zugewendete Freitabak nicht zu ihrem Arbeitslohn gehört, geht zurück auf Abschn. B Ziff. 6 des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 20. September 1941 S. 2016 - 33 III und II a 13123/41 (RStBl 1941 S. 697), der auf Grund der § 12, 13 AO alter Fassung und § 160 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung erlassen wurde. Er enthält in Abschn. B für 13 Gruppen von Zuwendungen die Anordnung, daß sie nicht als Arbeitslohn anzusehen sind. Daß es sich hierbei um Vorschriften mit Rechtsnormcharakter handeln kann, hat der Senat bereits für die Steuerfreiheit von Kassenfehlbeträgen bejaht (Urteil VI 165/57 U vom 21. März 1958, BStBl 1958 III S. 265, Slg. Bd. 66 S. 692). Bei dem Freitabak handelt es sich um einen Grenzfall zwischen einer als Arbeitslohn anzusehenden Zuwendung und einer Annehmlichkeit, die Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern zukommen lassen. Für das Sozialversicherungsrecht, bei dem die gleiche Frage für die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge Bedeutung hat (ß 160 der Reichsversicherungsordnung), hat das Reichsversicherungsamt entschieden, daß Freitabak zu den Annehmlichkeiten und nicht zum Arbeitslohn zu rechnen ist (II K 124/36 BS vom 28. April 1937, Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung 1937 S. 225). Es hat seine Auffassung damit begründet, daß Arbeitnehmer, die Nichtraucher sind, wegen des bei dem Freitabak bestehenden Verkaufsverbots durch den Freitabak keinen Vorteil erlangen. Das Reichsversicherungsamt hat außerdem aus dem Verkaufsverbot die Folgerung gezogen, daß dem Freitabak dadurch im wesentlichen die Eigenschaft eines Vermögenswerts genommen wird. In dem Urteil wird schließlich darauf hingewiesen, daß der in der Tabakindustrie den Arbeitnehmern überlassene Freitabak nicht von dem Ausmaß der Arbeitsleistung abhängt, sondern davon, ob ein Arbeitnehmer durch die Art seiner Beschäftigung bei der Tabakverarbeitung mehr oder weniger der Versuchung ausgesetzt wird, sich Tabak anzueignen, und daß infolgedessen z. B. auch bei Kurzarbeit regelmäßig keine Kürzung der Freitabakmenge eintritt.

ähnliche Erwägungen haben dazu geführt, daß der den Arbeitnehmern von tabakverarbeitenden Betrieben zugewendete Freitabak auch von der Tabaksteuer befreit wurde. In der Reichstags-Drucksache 568/1928 S. 266 (abgedruckt bei Wulkow-Leimbach, Kommentar zum Tabaksteuergesetz, 6. Aufl. 1942, Bem. 4 zu § 70) wird hierzu ausgeführt: "Im Tabakgewerbe wird in den tariflichen Vereinbarungen besonders hervorgehoben, daß die herkömmlicherweise an Angestellte und Arbeiter unentgeltlich abgegebenen Erzeugnisse keine Vergütung für geleistete Arbeit darstellen. Diese Regelung ist vom Gewerbe getroffen worden, damit rechtliche Schwierigkeiten vermieden werden, die sich aus § 115 RGewO (sog. Truck-Verbot) ergeben könnten." Diese Ausführungen zeigen, daß hinsichtlich der Regelung des Freitabaks bei der Sozialversicherung und bei der Tabaksteuer mehr oder weniger Zweckmäßigkeitserwägungen für die Freistellung von der Beitragspflicht bzw. von der Tabaksteuererhebung maßgebend gewesen sind.

ähnliche überlegungen haben offenbar den Reichsminister der Finanzen veranlaßt, in dem angeführten Erlaß vom 20. September 1941 die Zuwendung von Freitabak unter bestimmten Voraussetzungen für lohnsteuerfrei zu erklären und damit die Regelung in Abschn. 19 Abs. 1 Ziff. 17 LStR 1940 (RStBl 1940 S. 137, 144) mindestens teilweise aufzugeben, nach der die Zuwendung von Tabak an Arbeitnehmer für die Lohnsteuer mit festen Pauschbeträgen zu bewerten und der Lohnsteuer zu unterwerfen war. Wie die überschrift des Erlasses vom 20. September 1941 "Einheitliche Behandlung von Lohnbezügen beim Abzug vom Arbeitslohn und bei der Sozialversicherung" zum Ausdruck bringt, sollte dadurch im Zuge der kriegsbedingten Vereinfachungsmaßnahmen eine gleichmäßige Behandlung bei der Berechnung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge herbeigeführt werden. Es dürfte sich bei der Freistellung der Tabakzuwendungen durch den Erlaß vom 20. September 1941 von der Lohnsteuer um eine Anordnung handeln, bei der vor allem verwaltungsmäßige Vereinfachungsabsichten und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte maßgebend waren. Jedenfalls konnte der Reichsminister der Finanzen auf Grund der §§ 12, 13 AO alter Fassung anordnen, daß der an Arbeitnehmer tabakverarbeitender Betriebe gegebene Freitabak nicht als Arbeitslohn im Sinne des Lohnsteuerrechts behandelt werden soll. Die Regelung im Erlaß vom 20. September 1941 ist infolgedessen als eine von den Finanzgerichten anwendbare Rechtsnorm anzusehen. Die Regelung in Abschn. B Ziff. 6 des Erlasses vom 20. September 1941 wurde wörtlich als Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 in die LStR übernommen; daher ist auch Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 in den LStR 1950, 1952 und 1954 eine für die Finanzgerichte und den Bundesfinanzhof verbindliche und auslegungsfähige Rechtsnorm.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts ist daher zu prüfen, ob im Streitfall der den Arbeitnehmern der Bfin. im Auslieferungslager Y. zugewendete Freitabak als Arbeitslohn im Sinne des Lohnsteuerrechts anzusehen ist. Das Finanzgericht hat dies in einer hilfsweisen angestellten Erwägung verneint, weil das Auslieferungslager der Bfin. von der eigentlichen Tabakverarbeitung räumlich weit entfernt ist. Der Senat tritt dieser Beurteilung in übereinstimmung mit dem für die Tabaksteuer zuständigen VII. Senat bei.

Nach dem beim Ergehen des Erlasses vom 20. September 1941 geltenden § 70 TabStG vom 12. September 1919 in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. April 1939 waren Tabakerzeugnisse, die der Hersteller an Arbeiter und Angestellte seines Herstellungsbetriebs in herkömmlicher Weise ohne Entgelt zum Eigenverbrauch abgab, von der Tabaksteuer befreit. § 102 der Verordnung zur Durchführung des Tabaksteuergesetzes vom 6. April 1939 grenzte diesen begünstigten Personenkreis dahin ab, daß dazu nur Personen gehörten, "die in mit dem Herstellungsbetrieb in Verbindung stehenden oder in ihnen angrenzenden gewerblichen Räumen des Herstellers beschäftigt sind und eine mit der Herstellung der Tabakerzeugnisse selbst im Zusammenhang stehende Tätigkeit, z. B. die kaufmännische Verwaltung oder eine Hilfstätigkeit für die Herstellung von Tabakerzeugnissen ausüben". Die Annahme liegt nahe, daß die Regelung im Erlaß vom 20. September 1941 sich an diese im Tabaksteuerrecht geltende Steuerbefreiung anschließen sollte. Hierfür spricht, daß die Vergünstigung bei beiden Steuern offenbar aus den in der Entscheidung des Reichsversicherungsamts dargelegten Erwägungen auf die Arbeitnehmer der eigentlichen Herstellerbetriebe beschränkt bleiben sollte. Auch das gegenwärtig geltende TabStG vom 6. Mai 1953 beschränkt nach § 77 TabStG in Verbindung mit § 78 TabStDB vom 5. Juni 1953 die Tabaksteuerbefreiung auf die unmittelbar mit der Herstellung von Tabakerzeugnissen beschäftigten Arbeitnehmer der tabakverarbeitenden Betriebe. Bei der Tabaksteuer wird demgemäß für Angestellte, die ausschließlich für den Vertrieb der Tabakerzeugnisse tätig sind, keine Steuerbefreiung für Tabakzuwendungen anerkannt (vgl. Schröter, Das Tabaksteuergesetz, 1956, Bem. 8 zu § 77). Da demnach die Angestellten eines vom Herstellungsbetrieb räumlich getrennten Auslieferungslagers keinen Anspruch auf tabaksteuerfreie Tabakzuwendungen haben, kann nach Auffassung des erkennenden Senats für sie auch bei der Lohnsteuer keine Steuerfreiheit nach Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 3 LStR 1950, 1952, 1954 in Betracht kommen.

Während des dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegenden Zeitraums ist die Regelung in den LStR durch Art. 1 Ziff. 3 Buchst. a der Verwaltungsanordnung über die änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Richtlinien 1954 (BStBl 1955 I S. 419) mit Wirkung vom 1. Januar 1955 durch den Zusatz ergänzt worden, daß die Steuerfreiheit nur gilt, wenn die Tabakerzeugnisse in einer solchen Menge gewährt werden, die einen Verkauf tatsächlich ausschließt. Es braucht hier nicht geprüft zu werden, ob dadurch der Rechtsnormcharakter der Anordnung berührt wurde. Selbst wenn man zugunsten der Bfin. unterstellt, daß dies nicht geschehen ist, kommt Lohnsteuerfreiheit ebensowenig wie für die Vorjahre in Betracht, da die Regelung sich nicht auf Arbeitnehmer von Auslieferungslagern bezieht.

Die Vorentscheidung, die gleichfalls die Lohnsteuerpflicht der Tabakzuwendungen im Streitfall und folgerichtig auch die Haftung der Bfin. für die angefallene Lohnsteuer bejaht hat, ist daher nicht zu beanstanden. Die Rb. kann demgemäß keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410000

BStBl III 1961, 261

BFHE 1961, 717

BFHE 72, 717

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge