Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßzinsen nur für solche Beträge, die rechtshängig waren

 

Leitsatz (NV)

Ist um die Herabsetzung der Vorauszahlungen auf die Körperschaftsteuer für das IV. Vierteljahr 1969 mit Erfolg vom Steuerpflichtigen gestritten worden, können Prozeßzinsen für die nicht rechtshängig gewordenen Vorauszahlungen für das I. bis III. Vierteljahr 1969, die später erstattet worden sind, nicht verlangt werden.

 

Normenkette

FGO § 111

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Im Streit ist, ob Prozeßzinsen zu zahlen sind.

Die Klägerin - eine GmbH - hatte in einem Rechtsstreit wegen der Herabsetzung der Körperschaftsteuervorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 insofern Erfolg, als das Finanzamt nach Zurückweisung der Sache durch den Bundesfinanzhof - BFH - (Urteil vom 21. Januar 1976 I R 21/74, BFHE 118, 169, BStBl II 1976, 389) an das Finanzgericht (FG) den streitigen Vorauszahlungsbescheid aufhob. Die Vollziehung dieses Bescheids (über 50 000 DM Körperschaftsteuer und 1 000 DM Ergänzungsabgabe) war während des gesamten - außergerichtlichen und gerichtlichen - Verfahrens ausgesetzt, so daß die Klägerin im Ergebnis keine Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 geleistet hatte.

Nach Beendigung dieses Rechtsstreits begehrte die Klägerin Erstattung von Prozeßzinsen in Höhe von 40 000 DM. Sie habe für das I. bis III. Vierteljahr 1969 Vorauszahlungen geleistet (insgesamt 170 000 DM Körperschaftsteuer und 5 000 DM Ergänzungsabgabe), die ihr im Verlauf eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens wegen der Jahresveranlagung zur Körperschaftsteuer 1969 erstattet bzw. die mit Steuerschulden ihres alleinigen Gesellschafters verrechnet worden seien. Von der Rechtshängigkeit der Klagesache wegen der Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 bis zur Erstattung (Verrechnung) seien 52 Monate verstrichen. Bei einem Zinssatz von 0,5 v.H. je Monat ergebe sich der genannte Zinsbetrag. In dem gerichtlichen Verfahren um die Herabsetzung der Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 sei es materiell-rechtlich darum gegangen, ob zwischen der Klägerin und ihrem Alleingesellschafter ein Organschaftsverhältnis mit Gewinnabführungsvertrag ab 1. Januar 1969 anerkannt werden könne. Die Entscheidung über die Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 habe daher auch die Vorauszahlungen für das I. bis III. Vierteljahr 1969 miterfaßt.

Das FA lehnte die Erstattung des geforderten Zinsbetrags ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Gegen das Urteil des FG wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt Verletzung materiellen Rechts. Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, ihr damaliges Prozeßziel - die Anerkennung des Organschaftsverhältnisses ab 1. Januar 1969 - sei über die rein formale Rechtshängigkeit des Streits über die Körperschaftsteuervorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 hinausgegangen. Gegenstand der Aufhebungsverfügung seitens des FA, durch die sich der Rechtsstreit über die Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 in der Hauptsache erledigt habe, hätte die Herabsetzung auch der Vorauszahlungen für die vorangegangenen drei Vierteljahre sein müssen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch besteht nicht. Ein solcher Anspruch müßte die Voraussetzungen des im Streitfall noch anzuwendenden § 111 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. erfüllen, der ab 1. Oktober 1975 durch § 4b des Steuersäumnisgesetzes abgelöst worden ist (Art. 3 i.V.m. Art. 11 § 6, Art. 14 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24. Juni 1975, BGBl I, 1509, BStBl I, 733). Danach ist ein zuviel entrichteter Steuerbetrag vom Tag der Rechtshängigkeit ab zu verzinsen, wenn durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen eine festgesetzte Abgabenschuld herabgesetzt wird. Ist der Steuerbetrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, beginnt die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung.

Die Steuer wird durch gerichtliche Entscheidung herabgesetzt, wenn das Gericht die Steuer selbst niedriger festsetzt. Sie wird aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung niedriger festgesetzt, wenn das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt aufhebt und das FA entsprechend der gerichtlichen Entscheidung die Steuer zugunsten der Klägerin festsetzt. Die Pflicht zur Verzinsung ist ferner gegeben, wenn die Behörde zur Erledigung des ,,vor Gericht anhängigen" Rechtsstreits den angefochtenen Verwaltungsakt ersatzlos aufhebt oder durch Änderungsbescheid die Steuer in der beantragten Höhe - niedriger - festsetzt.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß diese Vorschriften nicht erfüllt sind. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Verzinsung überzahlter Beträge - die Zahlung von Prozeßzinsen - (frühestens) ab dem Tage der Rechtshängigkeit vorgesehen. Danach muß die Rechtshängigkeit hinsichtlich des Steuerbetrags vorgelegen haben, dessen Erstattung sich als mittelbare oder unmittelbare Folge des Prozesses ergibt.

Hiernach kann Prozeßzinsen nur verlangen, wer selbst einen Prozeß geführt hat. Ausnahmen bestehen bei Bescheiden, die die Grundlage für die Besteuerung mehrerer Personen (z.B. einheitliche Gewinnfeststellungen) bilden, was im Streitfall aber nicht in Betracht kommt. Hat ein Steuerpflichtiger z.B. erreicht, daß sein Einspruchsverfahren vom FA ausgesetzt wird, bis der von einem anderen Steuerpflichtigen angestrengte Musterprozeß im finanzgerichtlichen Verfahren rechtskräftig entschieden worden ist, hat bei einem günstigen Ausgang des Musterprozesses der erstgenannte Steuerpflichtige keinen Anspruch auf Prozeßzinsen, wenn nunmehr im Wege der Stattgabe des Einspruchs seine Steuer antragsgemäß niedriger festgesetzt wird (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1974 IV R 160/69, BFHE 114, 397, BStBl II 1975, 370).

Nach der rechtskräftigen Entscheidung des Hessischen FG vom 22. August 1974 II 38/73 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1974, 532, zustimmend Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 236 AO 1977 Tz. 4) besteht kein Anspruch auf Prozeßzinsen, wenn die Steuer nach Abschluß eines Musterprozesses, der einen anderen Steuerabschnitt betraf, herabgesetzt worden ist. Dem folgt der erkennende Senat. Denn die Zahlung der Prozeßzinsen hängt, wie sich aus dem Gesetz ergibt, von der Rechtshängigkeit der Streitsache ab. Die Rechtshängigkeit wird durch Erhebung der Klage bei Gericht begründet (§ 64 Abs. 1, § 66 Abs. 1 FGO). Die Wirkungen der Rechtshängigkeit beziehen sich, wie sich aus § 66 Abs. 1 FGO ergibt, auf die dem Gericht unterbreitete Streitsache, die notwendigerweise mit dem Streitgegenstand identisch ist (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 66 Anm. 2; Tipke/Kruse, a.a.O., § 66 FGO Tz. 1).

Streitgegenstand einer Anfechtungsklage ist nicht ein einzelnes Besteuerungsmerkmal oder eine bestimmte zugrunde liegende Rechtsfrage, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts; die gerichtliche Nachprüfung hat sich - im Rahmen der gestellten Klageanträge - auf diesen Verwaltungsakt, und zwar in seinem gesamten Umfang zu erstrecken (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344).

Im Streitfall war Klage erhoben worden wegen eines Verwaltungsakts, in dem die Herabsetzung der Körperschaftsteuervorauszahlungen (Anpassung) für das IV. Vierteljahr 1969 abgelehnt worden war. Nur hinsichtlich dieser Sache ist Rechtshängigkeit eingetreten. Der für die Klägerin günstige Ausgang dieses Prozesses hat nur deshalb zu keiner Erstattung schon festgesetzter Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 geführt, weil die Klägerin infolge der Aussetzung der Vollziehung auf diesen Vorauszahlungsbescheid nichts geleistet hat. Hat aber die Klägerin die festgesetzte Steuer, um die es in dem gerichtlichen Verfahren geht, nicht gezahlt oder nicht zu zahlen brauchen, so entfällt jegliche Verzinsung.

Der Auffassung der Klägerin, der vor Gericht ausgetragene Streit habe, da es um die steuerrechtliche Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses ging, materiell-rechtlich nicht nur die Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969, sondern auch die Vorauszahlungen für die ersten drei Vierteljahre dieses Jahres erfaßt, kann daher nicht gefolgt werden. Die Festsetzungen der Vorauszahlungen für die drei ersten Vierteljahre oder die später ergangene Jahresveranlagung 1969 waren nicht rechtshängig.

Hat das FA die aufgrund dieser Festsetzungen gezahlten Steuern später erstattet, waren die Erstattungsbeträge - mangels Rechtshängigkeit - nicht zu verzinsen. Welche Überlegungen die Behörde veranlaßt haben, Änderungs- oder erstmalige Bescheide zu erlassen, die zu Erstattungen der Vorauszahlungen für die ersten drei Kalendervierteljahre führten, ist unerheblich. Insbesondere spielt es keine Rolle, daß sich das FA die Auffassung des BFH in der Vorauszahlungssache für das IV. Vierteljahr 1969 bei Beurteilung der Rechtsfrage hinsichtlich anderer Körperschaftsteuervorauszahlungen oder der Jahresveranlagung zu eigen gemacht hat. In diesem Fall ist die Herabsetzung oder Aufhebung einer Steuerfestsetzung, die bei Veranlagungsteuern hinsichtlich Art und Steuerabschnitt konkretisiert ist, nicht i.S. des § 111 FGO aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt. Die Vorschrift ist deshalb so gefaßt worden, weil die FG im Falle der Stattgabe der Klage die neuen Steuerbeträge nicht in jedem Fall selbst ausrechnen müssen. Ebensowenig ist es von Bedeutung, daß sich die Klägerin - wie sie behauptet - zum Prozeßziel gesetzt hat, mit der Erhebung der Klage wegen Ablehnung der Herabsetzung der Vorauszahlungen für das IV. Vierteljahr 1969 eine steuerrechtliche Anerkennung des Organschaftsverhältnisses nicht nur für diesen speziellen Fall, sondern darüber hinaus für das Kalenderjahr und damit den gesamten Veranlagungszeitraum 1969 und möglicherweise für weitere Veranlagungszeiträume zu erreichen.

§ 111 FGO und diese Vorschrift ersetzende spätere Vorschriften, die im wesentlichen inhaltsgleich sind, begründen keine allgemeine Verzinsungspflicht für alle Steuererstattungen. Die Rechtsprechung hat daher eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Zahlung von Prozeßzinsen auf das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren sowie die Anwendung bürgerlich-rechtlicher Zins- oder Bereicherungsvorschriften abgelehnt (vgl. Entscheidung in BFHE 114, 397, BStBl II 1975, 370).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414176

BFH/NV 1986, 343

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