Entscheidungsstichwort (Thema)
Inhaltliche Bestimmtheit eines Schenkungsteuerbescheids bei Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle in einem Schriftstück
Leitsatz (NV)
1) Mehrere (getrennte) Steuerfälle erfordern entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder - bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück - neben der genauen Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände, -zeiträume) besteuert werden sollen, für jeden Steuerfall eine gesonderte Festsetzung der Steuer. Auf die Aufgliederung der Steuerschuld kann ausnahmsweise nur dann verzichtet werden, wenn eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfaßt werden, und auch ansonsten keine Notwendigkeit zu einer Differenzierung besteht.
2) Ein solcher Ausnahmefall kommt in Betracht, wenn das rechtliche Schicksal der verschiedenen Steueransprüche nach Anspruchsgrund bzw. dessen Wegfall, hinsichtlich möglicher Befreiungstatbestände und des Eintritts der Verjährung keinen unterschiedlichen Verlauf nehmen sowie der für den Einzelfall festgesetzten Steuer keine weitere rechtliche Bedeutung für weitere Steuerfälle (z.B. im Rahmen des § 14 ErbStG 1974) zukommen kann.
Normenkette
AO 1977 §§ 38, 119, 157; ErbStG 1974 § 7 Abs. 1 Nr. 1, § 14; BewG § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (EFG 1997, 357) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) schloß mit ihrem im Oktober 19.. verstorbenen Ehemann (M) im Juni 19.. zwei notariell beurkundete Verträge. Mit dem einen Vertrag übertrug M der Klägerin einen Miteigentumsanteil an einem Mietwohngrundstück gegen Übernahme von grundpfandrechtlich abgesicherten Darlehensverbindlichkeiten (Vertrag 1), mit dem anderen (Vertrag 2) übertrug M Betriebsvermögen auf die Klägerin gegen Übernahme einer lebenslänglichen Unterhaltsrente zugunsten des M von monatlich 3 000 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) sah in diesen beiden Verträgen gemischt freigebige Zuwendungen des M an die Klägerin und setzte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung die Schenkungsteuer für beide Vorgänge durch (einen) Bescheid vom 24. Juni 1987 auf null DM fest, weil der "Wert des Erwerbs" den anzusetzenden Freibetrag nicht überstieg.
Mit einem weiteren notariell beurkundeten Vertrag übertrug M im März 19.. einen Miteigentumsanteil an einem Mietwohngrundstück auf die Klägerin gegen Übernahme von grundpfandrechtlich abgesicherten Darlehensverbindlichkeiten (Vertrag 3). Die Klägerin verpflichtete sich in diesem Vertrag dem M gegenüber ferner zur Zahlung einer monatlichen Leibrente in Höhe von 2 000 DM sowie zu Pflegeleistungen bei Gebrechlichkeit und Krankheit.
Schließlich übertrug M durch notariell beurkundeten Vertrag aus ... März 19.. auf die Klägerin sein Erbbaurecht von 1/2 an einem Hausgrundstück gegen Übernahme von Darlehensverbindlichkeiten und Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts sowie Zahlung einer monatlichen Leibrente von 400 DM zugunsten des M (Vertrag 4).
Das FA ist bezüglich dieser Verträge davon ausgegangen, daß die Klägerin wegen des Vertrags 4 objektiv nicht bereichert war. Es hat durch Bescheid vom 24. August 1987 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung die Schenkungsteuer für den "Erwerb aus März 19.." (Vertrag 4) unter Berücksichtigung von Vorschenkungen in Höhe von 201 625 DM abzüglich des anzusetzenden Freibetrages von 250 000 DM" auf null DM festgesetzt.
Nachdem das FA vom Tode des M Kenntnis erlangt hatte, vertrat es die Auffassung, daß die von der Klägerin in den Verträgen 2, 3 und 4 übernommenen Unterhalts- und Leibrenten sowie das gewährte Wohnrecht gemäß § 14 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) nur noch mit der tatsächlichen Laufzeit anzusetzen seien. Es setzte deshalb durch Änderungsbescheid nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) vom 29. April 1988 "über den Erwerb der Klägerin aus der Schenkung des M im Juni 19.." (Vertrag 1 + 2) Schenkungsteuer gegen die Klägerin in Höhe von 741 DM fest. Bei der Berechnung des steuerpflichtigen Erwerbes ging das FA von einem "Wert des Erwerbs" in Höhe von 274 737 DM aus. In einer dem Bescheid beigefügten Anlage wird als "Wert der Grundstücksschenkung" ein Betrag von 21 899 DM sowie als "Wert der BV-Schenkung" ein Betrag von 252 118 DM und als Summe des Werts beider Schenkungen ein Betrag von 274 017 DM genannt. Die Anlage enthält weitere Wertberechnungen, die aber textlich nicht weiter erläutert sind.
In einem weiteren Änderungsbescheid gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 vom 29. April 1988 "über den Erwerb der Klägerin aus der Schenkung des M im März 19.." (Vertrag 4) setzte das FA Schenkungsteuer in Höhe von 8 130 DM gegen die Klägerin fest. Der Wert des Erwerbs wird in dem Bescheid mit 136 582 DM angegeben. In einer Anlage zum Bescheid wird als Wert der "Zuwendung vom ...3.19.." (Vertrag 3) ein Betrag von 108 345 DM und als Wert der "Zuwendung vom ...3.19.." (Vertrag 4) ein Betrag von 20 530 DM aufgeführt und als Summe beider Werte der Betrag von 128 875 DM genannt. Die Anlage enthält weitere Rechenvorgänge, die zwar zu der festgesetzten Steuer von 8 130 DM führen, jedoch keinen, bzw. keinen ausreichend klaren Aufschluß über die Zusammensetzung des zugrunde gelegten "Wert des Erwerbs" von 136 582 DM sowie die Aufteilung dieses Betrages auf die beiden Erwerbsvorgänge (Vertrag 3 und Vertrag 4) geben.
Einspruch und Klage, mit denen sich die Klägerin gegen die Anwendung des § 14 Abs. 2 BewG bei der Beurteilung gemischter Schenkungen wandte, blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 357 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG 1974) und § 14 BewG.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 23. Oktober 1996 III 414/89 und die Schenkungsteuerbescheide vom 29. April 1988 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der angefochtenen Änderungsbescheide vom 29. April 1988 und der Einspruchsentscheidungen vom 26. und 28. Juni 1989 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
1. Das FG hat bei seiner Entscheidung nicht beachtet, daß die angefochtenen Schenkungsteuerbescheide vom 29. April 1988 wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig sind. Es hat deshalb zu Unrecht diese Bescheide als rechtmäßig angesehen und die Klage abgewiesen.
a) Schriftliche Steuerbescheide müssen nach § 119 Abs. 1 AO 1977 inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Danach muß der Regelungsinhalt dem Verwaltungsakt eindeutig entnommen werden können. Hierzu gehört nicht nur, daß der Verwaltungsakt die erlassene Behörde erkennen läßt (§ 119 Abs. 3 AO 1977), sondern auch die Angabe, wer die Steuer schuldet, sowie die Bezeichnung der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Das Erfordernis, die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag zu bezeichnen, verlangt die Angabe der einzelnen, durch die Verwirklichung eines bestimmten Steuertatbestandes (vgl. § 38 AO 1977) jeweils ausgelösten Steuerschuld (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 30. Januar 1980 II R 90/75, BFHE 130, 74, BStBl II 1980, 316, und vom 15. Oktober 1980 II R 127/77, BFHE 131, 448, BStBl II 1981, 84). Dies gilt grundsätzlich auch in den Fällen, in denen -wie im Streitfall- das FA von der verfahrensrechtlichen Möglichkeit Gebrauch macht, mehrere Erwerbe (Steuerfälle) in einem Steuerbescheid zusammenzufassen (vgl. zur Möglichkeit der erbschafts- bzw. schenkungsteuerrechtlichen Zusammenfassung mehrerer Erwerbsvorgänge: BFH-Urteile vom 16. Dezember 1992 II R 114/89, BFH/NV 1993, 298, und vom 20. Februar 1980 II R 90/77, BFHE 130, 176, BStBl II 1980, 414).
Unzulässig ist es deshalb, in diesen Fällen verschiedene Steuerschulden desselben Steuerschuldners in einem Betrag unaufgegliedert zusammenzufassen (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472). Mehrere (getrennte) Steuerfälle erfordern entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder -bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück- neben der genauen Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände, -zeiträume) besteuert werden sollen, für jeden Steuerfall eine gesonderte Festsetzung der Steuer (vgl. BFH-Beschluß vom 5. Juli 1978 II B 50/77, BFHE 125, 312, BStBl II 1978, 542, sowie BFH-Urteil vom 22. November 1995 II R 26/92, BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162). Hierauf kann im Einzelfall ausnahmsweise nur dann verzichtet werden, wenn trotz unaufgegliederter Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfaßt werden, und auch ansonsten keine Notwendigkeit zu einer Differenzierung besteht (vgl. zur Grunderwerbsteuer: BFH-Urteile vom 17. September 1986 II R 62/84, BFH/NV 1987, 738, und in BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162 für den Erwerb mehrerer Grundstücke durch einen Vertrag zu einem Gesamtkaufpreis).
b) Die beiden angefochtenen Änderungsbescheide vom 29. April 1988 genügen diesen Anforderungen nicht, weil das FA hierin die Schenkungsteuer für jeweils zwei schenkungsteuerrechtlich relevante Sachverhalte (getrennt zu beurteilende Steuerfälle) unaufgegliedert zusammengefaßt hat, und kein Fall vorliegt, in dem ausnahmsweise der getrennte Steuerausweis für jeden Steuerfall entbehrlich ist.
Die notariellen Urkunden vom ... (Verträge 1-4) haben vier selbständige gegenseitige Verträge zum Gegenstand, durch die sich jeweils die Klägerin sowie M zu bestimmten Leistungen bzw. Gegenleistungen verpflichtet haben. Die Selbständigkeit der Verträge ergibt sich daraus, daß in formeller Hinsicht vier getrennt beurkundete Verträge vorliegen, durch die inhaltlich unterschiedliche, miteinander nicht verknüpfte Leistungsbeziehungen begründet wurden. Anhaltspunkte dafür, daß die Vereinbarungen in den unterschiedlichen Verträgen rechtlich oder tatsächlich voneinander abhängig sein sollten, liegen nicht vor.
Der Umstand, daß es sich materiell-rechtlich um verschiedene und daher jeweils für sich zu beurteilende -selbständige- Erwerbe handelt, erfordert -wie oben dargelegt- auch im Falle der Zusammenfassung in einem Bescheid regelmäßig die genaue Angabe der besteuerten Lebenssachverhalte sowie für jeden Steuerfall eine gesonderte Festsetzung der Steuer. Während sich aus den Steuerfestsetzungen vom 29. April 1988 unter Berücksichtigung der jeweils beigefügten Anlagen (noch) mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, welche Lebenssachverhalte jeweils erfaßt werden sollten, fehlt es in beiden Bescheiden an einer für jeden Steuerfall getrennten Festsetzung der Steuer. Das FA ist vielmehr jeweils von einem zusammengefaßten "Wert des Erwerbs" ausgegangen, der sich aus der Summe der für die Einzelvorgänge mitgeteilten Werte nicht erschließt.
Im Streitfall konnte auch nicht ausnahmsweise auf eine differenzierte Festsetzung der Schenkungsteuer für jeden der vier Erwerbsvorgänge verzichtet werden. Ein solcher Ausnahmefall liegt nur vor, wenn unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Differenzierung erforderlich ist. Dies ist der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der verschiedenen Steueransprüche nach Anspruchsgrund bzw. dessen Wegfall, hinsichtlich möglicher Befreiungstatbestände und des Eintritts der Verjährung keinen unterschiedlichen Verlauf nehmen sowie der für den Einzelfall festgesetzten Steuer keine weitere rechtliche Bedeutung für weitere Steuerfälle (z.B. im Rahmen des § 14 ErbStG 1974) zukommen kann.
Diese Voraussetzungen liegen hier deshalb nicht vor, weil die in den beiden Bescheiden zusammengefaßten Steueransprüche, auch soweit sie Erwerbsvorgänge vom selben Tage betreffen, schon vom Anspruchsgrund her eine getrennte Beurteilung erfordern. Denn bei den vier Vorgängen handelt es sich um gegenseitige Verträge, die jeweils für sich daraufhin zu untersuchen sind, ob Leistung und Gegenleistung objektiv in einem offenbaren Mißverhältnis stehen. Führte diese Prüfung im Streitfall dazu, daß die Klägerin durch einen der Verträge nicht objektiv bereichert ist und deshalb insoweit kein schenkungsteuerpflichtiger Vorgang vorliegt -woran auch der Wegfall der Rentenzahlungsverpflichtungen nichts geändert hätte, weil § 14 BewG als Steuerwertvorschrift bei der Beurteilung, ob eine objektive Bereicherung vorliegt, nicht anwendbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juni 1956 III 156/54 U, BFHE 63, 143, BStBl III 1956, 252)-, stünde nicht fest, welche Steuer auf den mit demselben Bescheid erfaßten weiteren Lebenssachverhalt entfiele.
2. Die Sache ist spruchreif.
Die angefochtenen Änderungsbescheide vom 29. April 1988 und die Einspruchsentscheidungen vom 26. und 28. Juni 1989 sind aus den unter II. 1. dargelegten Gründen inhaltlich unbestimmt. Sie leiden an einem besonders schwerwiegenden Mangel i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977, weil sie die konstitutiven Anforderungen an den Inhalt eines Steuerbescheides nicht erfüllen; sie sind nichtig und deshalb aufzuheben (vgl. hierzu Kühn/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 125 AO 1977 Anm. 1 b; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 125 AO 1977 Tz. 3 b, § 157 AO 1977 Tz. 4; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 125 Anm. 2).
Fundstellen
Haufe-Index 55701 |
BFH/NV 1999, 1091 |
HFR 1999, 697 |