Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Einheitsbewertung einer Eigentumswohnung nach dem BewG 1965 kann eine Erhöhung des Vielfachen der Jahresrohmiete wegen der Größe der Grundstücksfläche in Betracht kommen, wenn der Anteil eines Wohnungseigentümers an der gemeinschaftlichen Grundstücksfläche mehr als das Fünffache seines Anteils an der bebauten Fläche beträgt.

2. Der Zuschlag wegen einer übergroßen Grundstücksfläche wird nicht durch den im Vielfachen der Jahresrohmiete enthaltenen Bodenwertanteil begrenzt.

 

Normenkette

BewG 1965 § 82 Abs. 2 Nr. 1, § 93

 

Tatbestand

Der Kläger ist Eigentümer einer 1955 bezugsfertig errichteten Eigentumswohnung in einer Gemeinde der Gemeindegrößenklasse 10 000 bis 50 000 Einwohner. Die Wohnung ist 70 qm groß. Die im gemeinschaftlichen Eigentum der insgesamt 10 Wohnungseigentümer stehende Grundstücksfläche von 2 386 qm ist auf einer Fläche von 346 qm bebaut. Der Anteil des Klägers an dem gemeinschaftlichen Eigentum beträgt 105/1000.

Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) hat den Einheitswert für das Wohnungseigentum des Klägers durch Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 auf 15 200 DM festgestellt. Diesen Wert hat es im Ertragswertverfahren nach den Vorschriften über die Bewertung von Mietwohngrundstücken ermittelt. Es hat das Vielfache der Jahresrohmiete (Vervielfältiger 9,2) wegen der das Fünffache der bebauten Fläche übersteigenden Grundstücksfläche von 656 qm auf der Grundlage eines Quadratmeterpreises von 16,50 DM erhöht; auf das Wohnungseigentum des Klägers entfiel entsprechend seinem Anteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum ein Zuschlag von 1 136 DM.

In der Einspruchsentscheidung blieb das FA auf seinem Rechtsstandpunkt wegen des Zuschlags für die Überfläche bestehen.

Das FG hat die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers rügt Verletzung des § 93 BewG 1965. Danach sei das Wohnungseigentum eine selbständige wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens. Bei der Bewertung könnten deshalb nur die zu dieser wirtschaftlichen Einheit gehörenden Teile berücksichtigt werden. Dies gelte auch für die Beurteilung, ob eine Erhöhung des Vielfachen der Jahresrohmiete nach § 82 BewG 1965 veranlaßt sei. Folglich könne, anders als bei Mietwohngrundstücken, nur die Wohnfläche der Eigentumswohnung zu der anteiligen Grundstücksfläche ins Verhältnis gesetzt werden. Bei Mietwohngrundstücken bestehe einheitliches Eigentum an dem gesamten Gebäude und der Grundstücksfläche. Deshalb könne die bebaute Fläche des Gebäudes zur Grundstücksfläche ins Verhältnis gesetzt werden. Dies sei sachlich auch gerechtfertigt, weil der Eigentümer eines Mietwohngrundstücks die volle Verfügungsgewalt über das gesamte Grundstück habe und die übergroße Grundstücksfläche entsprechend nutzen könne. Der Wohnungseigentümer sei im Gegensatz zum Eigentümer eines Mietwohngrundstücks für die Nutzung der Überfläche immer an die Zustimmung an die Miteigentümer gebunden. Deshalb sei ein Bewertungsunterschied wirtschaftlich gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einheitswert zum 1. Januar 1964 auf 14 000 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

1. Nach § 93 BewG 1965 bildet jedes Wohnungseigentum eine wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens und ist damit ein Grundstück im Sinne des Bewertungsrechts (§ 70 Abs. 1 BewG 1965). Diese wirtschaftliche Einheit besteht nach § 1 Abs. 2 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) aus dem Sondereigentum an der Wohnung und dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer, die zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen sind (vgl. § 10 WEG). Damit gehört zur wirtschaftlichen Einheit des Wohnungseigentums u. a. auch der Anteil an dem Grund und Boden, auf dem die Eigentumswohnungen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer errichtet sind.

Die Grundstücksart des Wohnungseigentums bestimmt sich auf Grund § 93 Abs. 1 BewG 1965 nach der Nutzung der wirtschaftlichen Einheit, d. h. das zu Wohnzwecken genutzte Wohnungseigentum ist in die Grundstücksart "Einfamilienhäuser" einzuordnen (vgl. § 75 Abs. 5 BewG 1965). Das ist bei der Eigentumswohnung des Klägers der Fall. Trotzdem wird ein zu mehr als 80 v. H. Wohnzwecken dienendes. Wohnungseigentum nach den Vorschriften bewertet, die für Mietwohngrundstücke maßgebend sind (§ 93 Abs. 2 BewG 1965). Der Einheitswert eines Mietwohngrundstücks und damit auch der einer Eigentumswohnung wird somit grundsätzlich im Ertragswertverfahren ermittelt (§ 76 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2 BewG 1965). Er ergibt sich in der Regel durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete (§ 78 BewG 1965). Werterhöhende Umstände, die weder in der Jahresrohmiete noch in der Höhe des Vervielfältigers zum Ausdruck kommen, werden durch eine Erhöhung des Vielfachen der Jahresrohmiete berücksichtigt (§ 82 Abs. 2 BewG 1965). Ein werterhöhender Umstand, der durch einen Zuschlag zum Vielfachen der Jahresrohmiete zu berücksichtigen ist, kann die Größe der zu der wirtschaftlichen Einheit gehörenden Grundstücksfläche sein. Ein Zuschlag wegen einer Übergröße der Grundstücksfläche unterbleibt jedoch, wenn die Grundstücksfläche bei Mietwohngrundstücken nicht mehr als das Fünffache der bebauten Fläche beträgt. Diese Vorschrift ist auch auf das Wohnungseigentum des Klägers anzuwenden, obwohl es bewertungsrechtlich in die Grundstücksart der Einfamilienhäuser einzuordnen ist. Denn für die Wertermittlung der Eigentumswohnungen sind, wie oben ausgeführt, trotz ihrer Einordnung in die Grundstücksart "Einfamilienhäuser" die Vorschriften über die Bewertung von Mietwohngrundstücken anzuwenden.

2. Der Anteil des Klägers an der im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer stehenden Grundstücksfläche beträgt nach den unangefochtenen Feststellungen des FG rechnerisch 105/1000 aus 2386 qm = rd. 251 qm. Sein Anteil an der insgesamt bebauten Fläche von 346 qm beträgt demgemäß 36,33 qm. Das Fünffache des Anteils an der bebauten Fläche ergibt rd. 181 qm. Der zur wirtschaftlichen Einheit des Wohnungseigentums des Klägers gehörende Anteil an unbebauten Flächen übersteigt damit das Fünffache der anteiligen bebauten Fläche um (251 qm ./. 181 qm =) 70 qm. Das FG hat unangefochten und für den Senat verbindlich (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß diese Überfläche einen zusätzlichen Wert darstelle; das bedeutet, daß sie weder in der Höhe der für die Einheitsbewertung angenommenen Jahresrohmiete noch in der Höhe des Vervielfältigers zum Ausdruck kommt. Damit lagen, wie das FG zutreffend entschieden hat, dem Grund nach die gesetzlichen Voraussetzungen des § 82 Abs. 2 Nr. 1 BewG 1965 für eine Erhöhung des Vielfachen der Jahresrohmiete vor.

Der Kläger unterliegt einem Rechtsirrtum, wenn er meint, bei einer Eigentumswohnung sei Voraussetzung für einen Zuschlag wegen einer übergroßen Grundstücksfläche, daß die anteilige Grundstücksfläche das Fünffache der Wohnfläche der Eigentumswohnung überschreite. Diese Auffassung steht in eindeutigem Widerspruch zum Wortlaut und Sinn des § 82 Abs. 2 Nr. 1 BewG 1965. Sie ist auch nicht damit zu begründen, daß die Eigentumswohnung des Klägers zwar der Grundstücksart nach ein Einfamilienhaus ist, das lediglich nach den Vorschriften über die Bewertung von Mietwohngrundstücken bewertet wird. Denn insoweit liegt keine Besonderheit gegenüber der großen Masse der Einfamilienhäuser vor, die ebenfalls im Ertragswertverfahren bewertet wird. Hinzu kommt, daß nach § 93 Abs. 2 BewG 1965 die Vorschriften für die Bewertung von Mietwohngrundstücken auf das Wohnungseigentum entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur "entsprechend", sondern schlechthin und ohne Einschränkung anzuwenden sind und deshalb keiner Anpassung an die Art des Wohnungseigentums bedürfen. Dies läßt sich auch, wie die obigen Ausführungen beweisen, zwanglos durchführen. Es ist auch nicht so, daß die Merkmale für den Zuschlag bei einer übergroßen Grundstücksfläche aus Umständen gewonnen worden wären, die außerhalb der wirtschaftlichen Einheit des Wohnungseigentums des Klägers lägen. Denn, wie ausgeführt, gehört zur wirtschaftlichen Einheit des Wohnungseigentums des Klägers ein Anteil an der gemeinschaftlichen Grundstücksfläche, und zwar nicht ein in der Wirklichkeit abgegrenzter (realer), sondern ein ideeller Anteil. Damit gehört zum Wohnungseigentum des Klägers zwangsläufig auch ein ideeller Anteil an der bebauten Fläche. Es mag sein, daß der Kläger zu seiner Rechtsauffassung dadurch gekommen ist, daß das FA und ihm folgend das FG für die Berechnung des Zuschlags nach § 82 Abs. 2 BewG 1965 von der gesamten gemeinschaftlichen Grundstücksfläche und von der insgesamt bebauten Fläche ausgegangen sind. Diese Berechnung führt jedoch, wie im folgenden noch gezeigt wird, von einigen Abrundungsungenauigkeiten abgesehen, zu demselben Ergebnis. Sie verletzt damit nicht geltendes Recht.

Der vom Kläger herangezogene Vergleich zwischen der Nutzungsmöglichkeit der Grundstücksfläche eines Mietwohngrundstücks und einer Grundstücksfläche, auf der Wohnungseigentum errichtet wurde, kann, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, zu keinem anderen Ergebnis führen. Ein Mietwohngrundstück ist nicht dazu bestimmt, durch den Eigentümer allein bewohnt, sondern zu Wohnzwecken vermietet zu werden. Damit muß sich der Eigentümer, selbst wenn er in seinem eigenen Mietwohngrundstück wohnt, in der Nutzung der zur wirtschaftlichen Einheit gehörenden Grundstücksfläche im Verhältnis zu seinen Mietern beschränken und die Nutzung innerhalb der Mieter entsprechend der Mieterleistung gleichmäßig regeln. Die Sondernutzung einer bestimmten realen Grundstücksfläche durch einzelne Mieter bedarf ebenso der Vereinbarung wie die Sondernutzung im Falle des Wohnungseigentums durch einen einzelnen Wohnungseigentümer. Die Freiheit des Eigentümers eines Mietwohngrundstücks in der Nutzung der Grundstücksfläche ist damit nicht wesentlich größer als die der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Entscheidend ist aber, daß sich aus dem Gesetz keinerlei Anhaltspunkte für die vom Kläger geforderte Differenzierung ergeben. Denn danach sind die Vorschriften über die Bewertung von Mietwohngrundstücken ohne Einschränkung auf das Wohnungseigentum anzuwenden. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber die vom Kläger vorgetragenen Gründe nicht als Merkmal für eine unterschiedliche bewertungsrechtliche Behandlung betrachtet hat.

3. Auf Grund der unangefochtenen Feststellungen des FG errechnet sich zur Ermittlung des Einheitswerts für das Wohnungseigentum des Klägers ein Zuschlag von 70 (qm) x 16,50 DM = 1 155 DM, um den das Vielfache der Jahresrohmiete zu erhöhen ist. Den Feststellungen des FG kann nicht entnommen werden, daß die im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer stehende Grundstücksfläche wegen ihrer Größe für die Bewertung in Zonen mit unterschiedlichen gemeinen Werten aufgeteilt werden müßte; damit bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der angenommene Quadratmeterpreis von 16,50 DM ermäßigt werden müßte. Das FG hat zudem einen niedrigeren Zuschlag (1 136 DM) angenommen. Dies beruht, wie schon ausgeführt, auf Ungenauigkeiten, die durch die Abrundung entstanden sind. Diese Ungenauigkeiten wirken sich zugunsten des Klägers aus; sie gehen im übrigen in der Abrundung des Einheitswerts unter.

4. In der Literatur (vgl. Gürsching-Stenger, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 1. bis 5. Aufl., § 82 BewG 1965 Anm. 15) werden gegen die vorstehende Art der Zuschlagsberechnung allerdings Bedenken erhoben. Sie gründen sich darauf, daß der in dem Vielfachen der Jahresrohmiete enthaltene Bodenwert (vgl. § 78 BewG 1965) ungeachtet des tatsächlichen Wertes des Grund und Bodens mit einem pauschalen Wert enthalten sei. Bei dem Wohnungseigentum des Klägers beträgt der Bodenwertanteil (vgl. Abschn. 20 BewRGr, insbesondere Abs. 6) rd. 10 v. H. des Vielfachen der Jahresrohmiete von 14 086 DM = rd. 1 400 DM. Wenn man davon ausgeht, daß durch das Vielfache der Jahresrohmiete, wie oben dargestellt, eine Grundstücksfläche von 181 qm wertmäßig abgegolten ist, so ist der Bodenwert mit einem Quadratmeterpreis von etwas weniger als 8 DM enthalten. Hieraus wird die Folgerung gezogen, daß auch der Zuschlag wegen einer Überfläche nicht mit dem gemeinen Wert, sondern nur mit dem Quadratmeterpreis je Quadratmeter Überfläche angesetzt werden darf, mit dem der Bodenwert im Vielfachen der Jahresrohmiete enthalten ist.

Der Senat räumt ein, daß dadurch die Grundgedanken des pauschalierten Ertragswertverfahrens auch auf die Zuschlagsberechnung nach § 82 BewG 1965 uneingeschränkt übertragen würden. Er ist jedoch der Auffassung, daß dies weder durch den Wortlaut des § 82 Abs. 2 Nr. 1 BewG 1965 noch durch den Sinn dieser Vorschrift gedeckt wird. Dies folgt nach Auffassung des Senats daraus, daß der allgemeine Bewertungsmaßstab des BewG der gemeine Wert ist (§ 9 Abs. 1 BewG 1965). Aus den besonderen Bewertungsvorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens (§§ 68 ff. BewG 1965) ergibt sich nichts Abweichendes, so daß auch für das Grundvermögen der Grundsatz der Bewertung mit dem gemeinen Wert gilt (vgl. auch § 90 Abs. 1 BewG 1965). Der gemeine Wert eines bebauten Grundstücks kann möglicherweise im Einzelfall unmittelbar aus den Merkmalen abgeleitet werden, die nach § 9 Abs. 2 BewG 1965 zu beachten sind; bei einer Massenbewertung, wie der Einheitsbewertung des Grundvermögens, ist dies nicht möglich. Deshalb hat das BewG 1965 mit dem Ertragswertverfahren und dem Sachwertverfahren verbindlich zwei Bewertungsmethoden vorgeschrieben, nach denen der gemeine Wert bebauter Grundstücke zu ermitteln ist (§ 76 Abs. 1 und 2 BewG 1965). Das Ertragswertverfahren ist ein Bewertungsverfahren, durch das der Einheitswert eines bebauten Grundstücks auf der Grundlage des Reinertrags ermittelt wird (vgl. Entscheidung des BFH III R 105/70 vom 2. Juni 1971, BFH 102, 563, BStBl II 1971, 675). Bei der gesetzlichen Gestaltung dieses Verfahrens mußte, wenn es praktikabel sein sollte, zwangsläufig von pauschalierten Bodenertragsanteilen und pauschalierten Bewirtschaftungskosten ausgegangen werden (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1488 vom 1. Oktober 1963, S. 32 und S. 56 ff.). Dies führt dazu, daß die nach dem Ertragswertverfahren ermittelten Grundstückswerte mehr oder weniger hinter dem gemeinen Wert zurückbleiben. Die Regelung des § 82 BewG 1965 über die Ermäßigung und Erhöhung des Vielfachen der Jahresrohmiete liegt außerhalb der Reinertragsüberlegungen, auf denen das Ertragswertverfahren im übrigen beruht. Deshalb ist der Senat der Auffassung, daß der in dem Vielfachen der Jahresrohmiete enthaltene pauschalierte Bodenwertanteil kein Maßstab für eine Begrenzung des Zuschlags nach § 82 Abs. 2 Nr. 1 BewG 1965 wegen einer Überfläche ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413180

BStBl II 1972, 522

BFHE 1972, 397

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