Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Tarifierung und Nacherhebung
Leitsatz (NV)
1. Ein ohne Zulassung revisibles Urteil in Zolltarifsachen liegt auch dann vor, wenn das FG im Rahmen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zollnacherhebung nur mittelbar über die Einreihung einer Ware in den Zolltarif entschieden hat.
2. Zu den Auswirkungen des Vorabentscheidungsurteils des EuGH vom 18. Dezember 1997 Rs. C-382/95, HFR 1998, 319 ("Tarifierung eines elektronischen Bauteils ,Vista Board`, das zur Bildverarbeitung dient und in einem Computer als Grafikkarte verwendet werden kann") auf die Entscheidung des konkreten Streitfalls.
3. Zur Korrektur eines Nacherhebungsbescheids und Festsetzung des Zollbetrags in anderer Höhe durch den BFH gemäß §100 Abs. 2 Satz 1 FGO.
Normenkette
EWGV 1697/79 Art. 2 Abs. 1; FGO § 100 Abs. 2 S. 1, § 116 Abs. 2; KN 1988 -1991 Unterpos. 8471 9190, 8473 30, 8543 8090 bzw. 8080
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat im Laufe des vorliegenden Revisionsverfahrens als Konkursverwalter über das Vermögen der T-GmbH (Einfuhrfirma) den anhängigen Rechtsstreit aufgenommen, in dem die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit eines Zollnachforderungsbescheids des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt -- HZA --) streiten.
Für die Einfuhrfirma wurden vom HZA in den Jahren 1988 bis 1991 "Vista Boards" wie angemeldet als "Teile" (für Maschinen der Position 8471) unter Einreihung in die Position 8473 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt (Zollsatz: 4 %). Nachdem das HZA bei einer Überprüfung zu der Auffassung gelangt war, daß (andere) Maschinen ... mit eigener Funktion (Bildverarbeitung) der Unterposition 8543 8080 (Zolltarif -- ZT -- 1988 bis 1990: 8543 8090) vorlägen (Zollsatz: 7 %), forderte es den Unterschiedsbetrag an Zoll in Höhe von ... DM nach. Der hiergegen von der Einfuhrfirma eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auch die daraufhin erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Waren seien zum Einsetzen in automatische Datenverarbeitungsmaschinen bestimmte, mit integrierten Schaltungen (u. a. Grafikprozessoren und Speicher) sowie aktiven und passiven Bauelementen bestückte gedruckte Schaltungen, die der Verarbeitung, nämlich der Erfassung, Behandlung und Speicherung von aus externen Videoquellen (z. B. Kamera, Recorder) stammenden Bildinformationen in Form von Fernsehnormsignalen oder der Erstellung von Grafiken dienten. Sie gehörten nicht zu Position 8471 KN -- Einheiten automatischer Datenverarbeitungsmaschinen --, da sie nicht als integrierter und untrennbarer Teil der Funktion von Datenverarbeitungsmaschinen anzusehen seien. Sie besäßen vielmehr Funktionen, die über die einer solchen Einheit hinausgingen (Bildverarbeitung). Die Bildverarbeitung, insbesondere die Verarbeitung von Bildern aus externen Quellen, sei zolltariflich eine andere Funktion als die der Datenverarbeitung. Das FG bestätigte demgemäß die Tarifauffassung des HZA und hielt die Nacherhebung für gerechtfertigt.
Mit der Revision gegen dieses Urteil wandte sich die Einfuhrfirma gegen die Tarifauffassung des FG und trug dazu im wesentlichen vor: Die eingeführten Waren unterschieden sich in ihrer Funktion nicht von sog. Input/Output-Karten, die Teile von Datenverarbeitungsanlagen seien. Es handele sich bei ihnen im Grunde um auf eine höhere Kapazität ausgelegte Grafikkarten. Sie dienten nicht ausschließlich der Bearbeitung von Bildern bzw. der Erfassung von Signalen von Videokameras. Der Umstand, daß ein Analog/Digital- Wandler zwecks Zuführung externer Analogsignale auf der Karte angebracht sei, führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Richtigerweise dürfe die zolltarifliche Einordnung nicht davon abhängen, wozu ein Erzeugnis sich auch eigne. Im übrigen stelle sich auch die mit den Waren vorgenommene Art der Verarbeitung von Bilddaten (nur "Momentaufnahmen") als Unterform der Datenverarbeitung dar.
Das HZA beharrte hingegen darauf, daß speziell ausgestattete Bildverarbeitungskarten für Videoproduktionen vorlägen, die von reinen Grafikkarten unterschieden werden müßten. Die "Boards" seien in der Lage, die von externen Videoquellen gelieferten natürlichen Bildsequenzen in Fernsehnorm zu verarbeiten und als Bewegtbilder in Echtfarbe und -zeit auf Monitoren auszugeben. Die Bildverarbeitung sei eine eigene (andere) Funktion und für den Funktionsablauf "Datenverarbeitung" nicht erforderlich. Unmaßgeblich sei, daß die Waren sowohl Daten als auch Bilder bearbeiten könnten.
Wiewohl der erkennende Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 14. Februar 1989 VII K 14/87, BFH/NV 1989, 677), der auch das FG gefolgt war, von einer auch dem ZT unterlegten Unterscheidung zwischen reiner Datenverarbeitung und Bildverarbeitung ausgegangen war und daher die Bildverarbeitung als eine "andere" (eigene) Funktion im zolltariflichen Sinne beurteilt hatte, erschien dem Senat aufgrund des Vorbringens der Einfuhrfirma diese Tarifauffassung nicht mehr eindeutig zu sein. Er legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Beschluß vom 7. November 1995 VII R 110/94 (BFH/NV 1996, 446) u. a. die folgende Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vor:
"Ist Anmerkung 5 B zu Kapitel 84 des Gemeinsamen Zolltarifs (Kombinierte Nomenklaturen 1988 bis 1991) dahin auszulegen, daß Bildverarbeitung, wie sie mit den in den Gründen näher beschriebenen ,Vista Boards` vorgenommen werden kann, als ,eigene Funktion` im Sinne der bezeichneten Vorschrift, d. h. als andere Funktion als die der Datenverarbeitung, anzusehen ist, mit der Folge, daß eine Einstufung solcher Waren in die Position 8471 ausscheidet?"
Der EuGH hat daraufhin mit Urteil vom 18. Dezember 1997 Rs. C-382/95 wie folgt entschieden:
"Bildverarbeitung, wie sie mit einer Einheit einer Datenverarbeitungsmaschine vorgenommen werden kann, die insbesondere einen Analog-Digital-Wandler, einen Grafikprozessor besserer Qualität und einen Digital-Analog-Wandler umfaßt, ist nicht als ,eigene Funktion` im Sinne der Anmerkung 5 B letzter Absatz zu Kapitel 84 der in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif enthaltenen Kombinierten Nomenklatur zum Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Anhänge der Verordnungen (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988, Nr. 2886/89 der Kommission vom 2. August 1989 und Nr. 2472/90 der Kommission vom 31. Juli 1990 geänderten Fassung anzusehen."
Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu diesem Vorabentscheidungsurteil zu äußern.
Der Kläger ist der Ansicht, nach der Entscheidung des EuGH sei der Klage stattzugeben. Der Senat deutet dies als Festhalten an dem ursprünglichen Revisionsantrag der Einfuhrfirma, nämlich die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das HZA hat erklärt, keine Stellungnahme mehr abgeben zu wollen. Auch dies versteht der Senat als Festhalten am ursprünglichen Antrag des HZA, nämlich die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist überwiegend begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abänderung des Steueränderungsbescheids des HZA i. d. F. der Einspruchsentscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO --). Der Zollnachforderungsbetrag wird unter Abweisung der Klage im übrigen auf ... DM festgesetzt (§100 Abs. 2 Satz 1 FGO).
1. Die Revision ist gemäß §116 Abs. 2 FGO zulassungsfrei statthaft, weil es sich bei der Vorentscheidung um ein Urteil in Zolltarifsachen handelt. Dabei kommt es nicht darauf an, daß das FG nicht unmittelbar über die Einreihung einer Ware in das Zolltarifschema entschieden hat, sondern nur mittelbar im Rahmen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zollnacherhebung. Nach feststehender Rechtsprechung des Senats ist der Umstand, daß die zolltarifrechtliche Frage nur als Vorfrage eine Rolle spielte, nicht geeignet, den Charakter der Vorentscheidung als Urteil in einer Zolltarifsache in Frage zu stellen (Senatsurteil vom 16. Oktober 1986 VII R 122/83, BFHE 148, 372). Es genügt, daß das Urteil des FG von einer in ihm getroffenen zolltarifrechtlichen Entscheidung abhängt (Senatsbeschluß vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5). Dies ist im Streitfall zu bejahen. Hätte sich das FG hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung der von der Einfuhrfirma eingeführten "Vista Boards" nicht der in den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen vertretenen Auffassung des HZA angeschlossen, sondern wäre es der Auffassung der Einfuhrfirma gefolgt, hätte es nicht zur Bestätigung des Steueränderungsbescheids und damit zur Klageabweisung gelangen können.
2. Die Revision ist überwiegend begründet. Die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen verletzen den Kläger insoweit in seinen Rechten (§100 Abs. 1 FGO), als darin, ausgehend von einer Einreihung der eingeführten Waren in die KN-Unterposition 8543 8080 (KN 1991) bzw. 8543 8090 (KN 1988 -- 1990) und dementsprechend von einem Zollsatz von 7 %, ein Nachforderungsbetrag angefordert bzw. für rechtens befunden worden ist, der gegenüber dem Nachforderungsbetrag, der sich bei zutreffender zolltariflicher Einreihung der Waren ergibt, überhöht ist.
Nach der vom Senat in diesem Verfahren eingeholten Vorabentscheidung des EuGH, an die der Senat gebunden ist, steht fest, daß die Bildverarbeitung, wie sie mit den streitgegenständlichen "Vista Boards" als zum Einsetzen in automatische Datenverarbeitungsmaschinen bestimmte Einheiten vorgenommen werden kann, nicht als "eigene Funktion" im Sinne der Anm. 5 B letzter Absatz zu Kapitel 84 der KN angesehen werden kann (vgl. Abs. 21 des EuGH-Urteils), diese Bildverarbeitung vielmehr als Unterform der Verarbeitung von Daten zum Begriff der Datenverarbeitung gehört (Abs. 17) und die "Vista Boards" daher keine "andere Funktion als die Datenverarbeitung" ausüben (Abs. 20).
Da mithin die Ausweisung aus Position 8471 KN nicht zum Zuge kommt, verbleiben die "Vista Boards" in dieser Position, deren Voraussetzungen nach Anm. 5 B im übrigen erfüllt sind. Da "Vista Boards" durch Einstecken unmittelbar an die Zentraleinheit angeschlossen werden können (Anm. 5 B Buchst. a) und ihrer Beschaffenheit nach als Teile für ein vollständiges System einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine bestimmt sind, weil sie die Funktion haben und in der Lage sind, externe analoge Signale umzuwandeln, damit sie in einer Form verfügbar sind, in der sie von dieser Maschine verarbeitet werden können, sowie ferner die Darstellung des Ergebnisses der von der Maschine durchgeführten Operationen auf dem Bildschirm zu ermöglichen (vgl. Anm. 5 B Buchst. b), handelt es sich, auch bei gesonderter Gestellung der Waren (Anm. 5 B zweiter Unterabsatz), um Einheiten einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine der Position 8471 KN. Sie unterliegen, da sie nicht für zivile Luftfahrzeuge bestimmt sind, unabhängig von ihrer weiteren Zuweisung zu einer bestimmten Unterposition (nahe liegt eine Zuweisung zu den digitalen Verarbeitungseinheiten der Unterposition 8471 9190) einem Zollsatz von 4,9 %.
Damit steht gleichzeitig fest, daß auch die vom Kläger begehrte Einreihung der "Vista Boards" in die "Teile-Position" 8473 KN, die den ursprünglichen Steuerbescheiden bei der Einfuhr der Waren zugrunde gelegt worden war (Zollsatz 4 %), nicht rechtens ist. Denn handelt es sich bei einer Ware um eine Einheit einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine im Sinne der Position 8471 KN, d. h. um eine Ware mit einer eigenen Funktion (hier: der Datenverarbeitung), so ist diese Einheit selbst Maschine und kann denkgesetzlich nicht "Teile und Zubehör für Maschinen der Position 8471" (vgl. Unterposition 8473 30 KN) sein (Senatsurteile vom 30. April 1987 VII K 5--6/86, BFHE 150, 104, und vom 3. November 1992 VII K 4/91, BFH/NV 1993, 451).
Für die Frage der Zollerhebung ergibt sich aus der nunmehr feststehenden Tarifierung der "Vista Boards" folgendes: Da ausweislich der ursprünglichen Steuerbescheide bei der Einfuhr der Waren die nach den gesetzlichen Vorschriften geschuldeten Eingangsabgaben teilweise nicht angefordert worden waren (statt des zutreffenden Zollsatzes von 4,9 % wurde fälschlich lediglich ein Zollsatz von 4 % zugrunde gelegt), war das HZA zur Nacherhebung des Zolls innerhalb des nicht verjährten Zeitraums gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung ... (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 197/1) berechtigt und verpflichtet. Da das HZA seinem Steueränderungsbescheid, der diese Zollnachforderung verwirklichen sollte, aufgrund seiner unzutreffenden Tarifauffassung einen Zollsatz in Höhe von 7 % und mithin statt der gebotenen Erhöhung des Zollsatzes um 0,9 % einen gegenüber den ursprünglichen Festsetzungen fälschlich um 3 % erhöhten Zollsatz zugrunde gelegt hat, ist dieser Steueränderungsbescheid hinsichtlich des Zolls, der auf dem überschießenden Zollsatz in Höhe von 2,1 % beruht, rechtswidrig. Infolgedessen war der nachgeforderte Geldbetrag gemäß §100 Abs. 2 Satz 1 FGO in anderer Höhe festzusetzen. Der Senat nimmt diese Festsetzung, die als einfacher Rechenvorgang keinen größeren Aufwand erfordert, selbst vor. Da der Kläger gegen die einzelnen, vom HZA der Nacherhebung zugrunde gelegten Berechnungen rechnerisch keine Einwendungen erhoben hat und solche auch nicht ersichtlich sind, ist davon auszugehen, daß der nachgeforderte Betrag in Höhe von ... DM einem Zollsatzunterschied von 3 % entspricht. Bei der gebotenen Erhöhung des Zollsatzes aber um lediglich 0,9 % ergibt sich folglich als zutreffender Zollnachforderungsbetrag lediglich ein Betrag in Höhe von ... DM. Auf diesen Betrag setzt der Senat den nachgeforderten Zoll fest; im übrigen war die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 67465 |
BFH/NV 1998, 1141 |