Entscheidungsstichwort (Thema)

Möglichkeit einer Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO in Zollsachen

 

Leitsatz (amtlich)

Die in § 40 ZG, § 80 AZO geschaffene Möglichkeit, die Eingangsabgaben für Waren, die unter zollamtlicher Überwachung wiederausgeführt wurden, zu erlassen oder zu erstatten, schließt, sofern die zollamtliche Überwachung unterblieben ist, eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 AO nicht aus.

Voraussetzung für eine solche ist jedoch, daß der Zollbeteiligte alles getan hat, um die von den zollrechtlichen Bestimmungen geforderte Gestellung und Anmeldung bei der Wiederausfuhr zu bewirken, d. h. daß die zollamtliche Überwachung der Wiederausfuhr aus Gründen unterblieben sein muß, die er nicht zu vertreten hat.

 

Normenkette

AO § 131; ZG § 40; AZO § 80

 

Streitjahr(e)

1962

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte - im folgenden Steuerpflichtige (Stpfl.) - ließ am 11. September 1962 eine Warensendung aus dem Ausland zum freien Verkehr abfertigen. Der Abgabenbescheid ist unanfechtbar, die Abgaben sind entrichtet. Nach der Verzollung stellte die Stpfl. fest, daß die Ausführung der Waren schlecht war, und sandte daraufhin die gesamte Sendung am 25. September 1962 per Bahnfracht an die Lieferfirma zurück. Daß sie dorthin zurückgelangte, ist unbestritten.

Nach den Angaben der Stpfl. hat sie die Sendung am 24. September 1962 der Zollzweigstelle P. zur Prüfung des Antrags auf Erstattung des Zolles und zur Sicherung der Nämlichkeit vorweg gestellt. In der Aufzählung der Beilagen zum Frachtbrief vergaß sie jedoch den Vordruck A 170 (Antrag auf Erlaß oder Erstattung von Zoll bei Wiederausfuhr) aufzuführen. Der Vordruck soll jedoch nach ihren Angaben dem Frachtbrief beigeheftet gewesen sein. Da der Vordruck weder an das Zollamt noch an die Stpfl. zurückkam und ihre Nachforschung nach dem Verblieben ergebnislos blieb, beantragte die Stpfl. im April 1963 Erstattung der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen, weil der Antrag auf Erlaß oder Erstattung von Zoll ohne ihr Verschulden verloren gegangen sei.

Der Erstattungsantrag wurde vom Hauptzollamt (HZA) abgelehnt.

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Berufung führte zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung der Sache an die Oberfinanzdirektion (OFD), damit diese über die Höhe eines Teilerlasses befinden möge, da die Grundsätze von Recht und Billigkeit in diesem Falle eine teilweise Erstattung der bereits entrichteten Abgaben verlangten.

Mit der nunmehr als Revision anzusehenden Rb. rügt die Revisionsklägerin - im folgenden OFD - unrichtige Anwendung bestehenden Rechts und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Berufung der Stpfl. als unbegründet zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, daß aus dem Vorbringen der Stpfl. nichts ersichtlich sei, was ihr Versehen, durch das die zollamtliche Überwachung der Ausfuhr der Ware unterblieben sei, entschuldbar erscheinen ließe. Der auf andere Weise erbrachte Nachweis der Ausfuhr könne das Versehen der Stpfl. weder mildern noch teilweise entschuldigen.

Die Stpfl. beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen. Sie ist der Auffassung, daß ein Billigkeitserlaß gerade dort gerechtfertigt sei, wo zwar förmliche Vorschriften einer Niederschlagung entgegenstünden, die Sache sebst jedoch einen Erlaß rechtfertige.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Nach § 40 ZG 1961 kann der Zoll für Waren, die bei der Einfuhr ins Zollgebiet verzollt und die wieder ausgeführt worden sind, erlassen oder erstattet werden, wenn nach § 80 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) die Waren vor der Ausfuhr der nach § 10 AZO zuständigen Zollstelle gestellt und nach vorgeschriebenem Muster (Vordruck A 170) mit dem Antrag auf zollamtliche Überwachung der Ausfuhr und auf Erlaß oder Erstattung des Zolles angemeldet worden sind. Diese gesetzliche Regelung, die keinen Rechtsanspruch gibt, sieht eine Vergünstigung vor, deren Gewährung sie aus gutem Grunde von der zollamtlichen Überwachung der Ausfuhr abhängig macht, nämlich um sicherzustellen, daß die Nämlichkeit der ausgeführten mit der eingeführten Ware einwandfrei festgelegt wird.

Da im Streitfall die zollamtliche Überwachung der Ausfuhr durch die letzte vor der Ausfuhr berührte Eisenbahnzollstelle (§ 10 Ziff. 4 AZO) unterblieben ist, hat das Finanzgericht (FG) zutreffend entschieden, daß es nicht möglich ist, der Stpfl. den bei der Einfuhr bezahlten Zoll im Rahmen des nach § 40 ZG, § 80 AZO vorgeschriebenen Verfahrens zu erstatten, und daß demnach eine Erstattung nur in Betracht kommen könnte, wenn die Voraussetzungen der allgemeinen Erlaßbestimmungen der AO erfüllt seien. Die OFD hat gerade diese Frage geprüft und eine Erstattung nach § 131 AO abgelehnt. Bei ihrer Beschwerdeentscheidung handelt es sich sonach um eine Ermessensentscheidung, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Nachprüfung durch die Gerichte nur daraufhin unterliegt, ob die für die Ermessensausübung durch das Gesetz festgelegten Grenzen eingehalten wurden und auch kein Fehlgebrauch des Ermessens vorlag. Im Rahmen dieser Nachprüfung ist das FG zu der Auffassung gelangt, daß die Entscheidung der OFD nicht den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entspreche, daß diese vielmehr teilweise Erstattung der entrichteten Abgaben verlangten. Es ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß feststehe, daß die Ware an den ausländischen Lieferanten zurückgesandt worden sei, und daß auch kein begründeter Zweifel daran bestehe, daß die Ware vor der Ausfuhr bei der Zollzweigstelle vorweg gestellt worden und der Erstattungsantrag dem Frachtbrief beigeheftet gewesen sei. Der Stpfl. sei zu ihren Ungunsten anzurechnen, daß sie es unterlassen habe, auf dem Frachtbrief zu vermerken, daß diesem u. a. der Antrag auf Erlaß oder Erstattung von Zoll bei Wiederausfuhr beigegeben sei, und daß anzunehmen sei, daß dadurch die zollamtliche Überwachung der Ausfuhr beim Grenzzollamt unterbleiben sei. Denn die Stpfl. habe nicht darauf vertrauen können, daß bei dem großen Güterumschlag bei der Bundesbahn diese trotz des fehlenden Vermerks auf dem Frachtbrief die erforderliche Bestellung veranlassen werde. Das FG meint aber, daß dieses Versehen der Stpfl., nachdem feststehe, daß die Ware "ordnungsgemäß" wiederausgeführt worden ist, nicht so schwerbewertet werden könne, daß es einen Billigkeitserlaß in vollem Umfang ausschließen müßte.

Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Er hält zwar mit der OFD und auch dem FG die Auffassung für vertretbar, daß ein Billigkeitserlaß im Streitfall dann in Betracht kommen könnte, wenn die Nichtgestellung bei der Ausfuhr entschuldbar ist, d. h. aus Gründen unterbeliben ist, die die Stpfl. nicht zu vertreten hat. Die Auffassung der FG aber, daß deshalb, weil die Ware "ordnungsgemäß" wiederausgeführt worden ist, das für die Nichtgestellung bei der Ausfuhr ursächliche Versehen der Stpfl. nicht so schwer bewertet werden könne, geht fehl. Denn daß die Ware zwar tatsächlich, wenn auch nicht unter Beachtung der Vorschriften, also nicht "ordnungsgemäß, wiederausgeführt worden ist, ist die Voraussetzung dafür, daß überhaupt eine Erstattung des Zolles in Betracht kommen kann, hat aber nichts mit der Bewertung des Versehens der Stpfl. zu tun.

Wie oben bereits gesagt, gewährt das Gesetz in dem § 40 ZG eine Vergünstigung. Wer eine solche Vergünstigung in Anspruch nehmen will, hat mit äußerster Gewissenhaftigkeit alles zu tun, was das Gesetz von ihm verlangt. Es verlangt vom Stpfl., daß er die Ware beim Grenzzollamt gestellt und mit dem Muster A 170 anmeldet. Überläßt der Stpfl. die Erfüllung dieser Verpflichtung einem Dritten, z. B. wie hier der Bundesbahn, dann muß er zur Abwendung des damit verbundenen Risikos einer Nichtgestellung alles tun, um sicherzustellen, daß die Bundesbahn dieser Verpflichtung auch nachkommt. Nur wenn er alles getan hat, was von ihm verlangt werden kann, wird man billigerweise eine gleichwohl unterbliebene Gestellung ihm nicht anlasten können (vgl. Hierzu auch Urteil des BFH VII 74/59 vom 27. Juli 1960, abgedruckt in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961 S. 215 Nr. 220).

Im Streitfall hat das FG aber selbst erkannt, daß die Srpfl. nicht darauf vertrauen durfte, daß trotz des fehlenden Vermerks auf dem Frachtbrief die Bundesbahn die erforderliche Gestellung veranlassen werde. Die Stpfl. hat daher auch nach Auffassung des FG nicht alles getan, was sie hätte tun müssen, um die Gestellung durch die Bundesbahn sicherzustellen.

Die Entscheidung der Verwaltung, daß unter diesen Umständen für eine Erstattung der gezahlten Eingangsabgaben kein Raum sei, ist daher jedenfalls sachlich vertretbar, also nicht ermessens- und damit auch nicht rechtswidrig. Es ist der Verwaltung zuzugeben, daß, wie sie vorgetragen hat, eine Abweichung von den oben dargelegten Grundsätzen zu einer Aushöhlung des vom Gesetzgeber geforderten amtlichen Ausfuhrnachweises führen würde.

Da das FG die Rechtslage verkannt hat, war seine Entscheidung aufzuheben und in der spruchreifen Sache die nunmehr als Klage anzusehende Berufung der Stpfl. gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425838

BFHE 1966, 287

BFHE 86, 287

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?