Leitsatz (amtlich)
Ist ein Arbeitnehmer (hier: Bauarbeiter) an verschiedenen Einsatzsorten in einer Entfernung von seiner Wohnung tätig, wie sie auch von vielen anderen Arbeitnehmern mit einer festen Arbeitsstätte täglich zurückgelegt wird (hier: 12 km bis 25 km), so sind die Aufwendungen für Fahrten mit dem eigenen PKW von der Wohnung zu den verschiedenen Einsatzorten und zurück nur mit den Pauschsätzen des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG als Werbungskosten abziehbar (Anschluß an BFH-Urteile vom 2.November 1984 VI R 38/83, BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139, und VI R 143/83, BFHE 143, 20, BStBl II 1985, 266).
Normenkette
EStG 1979 § 9 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Ehemann (Kläger) ist in einem Straßenbaubetrieb als Steinsetzer beschäftigt. Im Streitjahr 1979 war er insgesamt auf elf Baustellen eingesetzt, und zwar von April bis Ende Juni auf sechs Baustellen und von Mitte Juli bis Ende Dezember auf fünf weiteren Baustellen. Die Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und den Baustellen betrug bei den ersten sechs Baustellen zwischen 20 km und 25 km und bei den späteren fünf Baustellen zwischen 12 km und 15 km. Die Entfernung zwischen den einzelnen Baustellen war geringer als 15 km.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erkannte die Kosten für die von April bis Ende Juni zwischen Wohnung und Baustellen durchgeführten Fahrten in Höhe von 0,64 DM je Entfernungskilometer als Werbungskosten an. Für die nachfolgende Zeit legte er dagegen nur noch die Pauschbeträge des § 9 Abs.1 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (0,36 DM je Entfernungskilometer) zugrunde. Er war der Auffassung, die Fahrten zu ständig wechselnden Einsatzstellen könnten nur innerhalb der ersten drei Monate der Tätigkeit auf der jeweiligen Einsatzstelle mit den erhöhten Kosten geltend gemacht werden. Danach seien wegen der Vergleichbarkeit der Fahrten mit den Fahrten bei Dienstreisen nur noch die Pauschbeträge des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG anzusetzen. Etwas anderes könne entsprechend Abschn.25 Abs.3 Nr.2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) nur gelten, wenn nach dem Dreimonatszeitraum der Arbeitnehmer wieder mehr als 15 km von der vorangegangenen Arbeitsstätte und zugleich mindestens 15 km vom Betrieb und von der Wohnung entfernt tätig werde.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Fahrten des Klägers seien zwar Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die vom Kläger angefahrenen Arbeitsstätten seien aber mit der in § 9 Abs.1 Nr.4 EStG bezeichneten Arbeitsstätte wirtschaftlich nicht vergleichbar. Der Arbeitnehmer mit ständig wechselnden Einsatzstellen müsse auf Weisung seines Arbeitgebers seine Arbeit an unterschiedlichsten Orten verrichten. Daher könne er seine Fahrtaufwendungen in Höhe der für Dienstreisen geltenden Kilometersätze geltend machen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 31.Oktober 1973 VI R 98/73, BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258). Sei der Arbeitnehmer länger als drei Monate auf der jeweiligen Baustelle tätig, könne er nach Ablauf der ersten drei Monate entsprechend der Regelung bei Dienstreisen die Fahrtkosten nur noch in Höhe der Pauschsätze des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG absetzen (BFH-Urteil vom 14.Juli 1978 VI R 179/76, BFHE 125, 555, BStBl II 1978, 660). Weitere Einschränkungen des Kostenabzugs für Fahrten zwischen Wohnung und ständig wechselnden Einsatzstellen seien nicht gerechtfertigt. Ohne Rechtsgrundlage sei daher die Auffassung des FA, ein Abzug der Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe setze nach dem Ablauf von drei Monaten voraus, daß die neue Einsatzstelle mehr als 15 km von der vorangegangenen Einsatzstelle und zugleich mindestens 15 km vom Betrieb des Arbeitnehmers entfernt sei.
Mit seiner Revision beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Abschn.25 Abs.3 Nr.3 LStR 1978 sei analog auf die vorliegenden Fahrten anwendbar. Dadurch werde der dienstreiseähnliche Charakter der Fahrten zwischen Wohnung und ständig wechselnden Einsatzstellen berücksichtigt. Es werde sichergestellt, daß nicht jede entfernungsmäßig geringfügige Änderung der Einsatzstelle eine neue Dreimonatsfrist anlaufen lasse. Ohne eine solche Einschränkung könnte die Regelung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG in vielen Fällen unterlaufen werden. Wirtschaftlich seien die Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und fester Arbeitsstätte und die Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und ständig wechselnden, jedoch benachbarten Einsatzstellen gleichwertig.
Die Kläger beantragen mit den Gründen der Vorentscheidung, die Revision abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Die Fahrten des Klägers zu seinen einzelnen Einsatzstellen sind als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG zu qualifizieren, bei denen die Fahrtaufwendungen nur mit 0,36 DM für jeden Entfernungskilometer als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanz und der Beteiligten liegen im Streitfall keine Fahrten zwischen Wohnung und solchen ständig wechselnden Einsatzstellen vor, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Fahrtaufwendungen abweichend von § 9 Abs.1 Nr.4 EStG in tatsächlicher Höhe zum Werbungskostenabzug zuzulassen. Daher kommt es im Streitfall auch nicht auf die von den Beteiligten und dem FG in den Vordergrund ihrer Überlegungen gestellte Frage an, ob die Regelung des Abschn.25 Abs.3 Nr.3 LStR 1978 in Fällen ständig wechselnder Einsatzstellen einschlägig ist.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 2.November 1984 VI R 38/83 (BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139) eine Übersicht über seine Rechtsprechung zu den Fahrten zwischen Wohnung und wechselnden Einsatzstellen gegeben. Er hat zusammenfassend dargestellt, unter welchen Voraussetzungen es gerechtfertigt sein kann, für derartige Fahrten die tatsächlich angefallenen Kosten oder die bei Dienstreisen anzusetzenden pauschalen Kilometersätze zum Werbungskostenabzug zuzulassen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe dieser Entscheidung verwiesen.
Dieser neuen Rechtsprechung des Senats ist zu entnehmen, daß Fahrten eines Arbeitnehmers mit seinem Kraftfahrzeug zu seinen verschiedenen Einsatzstellen dann keine Fahrten zu sog. ständig wechselnden Einsatzstellen mit der Folge der Abziehbarkeit erhöhter Fahrtaufwendungen sind, wenn die verschiedenen Einsatzstellen innerhalb eines abgegrenzten Gebietes liegen (Fall der weiträumigen Arbeitsstelle).
In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der Senat im Urteil vom 2.November 1984 VI R 143/83 (BFHE 143, 20, BStBl II 1985, 266, nur der Leitsatz ist veröffentlicht) den Abzug der tatsächlich entstandenen Fahrtkosten für den Fall abgelehnt, daß ein Arbeitnehmer in verschiedenen Zweigstellen des Unternehmens seines Arbeitgebers innerhalb eines Großstadtbereichs eingesetzt ist (Fall der verschiedenen Arbeitsstätten im Großstadt- oder Ballungsgebiet). Diesem Urteil war schon der Beschluß vom 22.Juli 1983 VI R 43/79 (ohne Angabe von Gründen gemäß Art.1 Nr.7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs) vorausgegangen, in dem der Senat den Abzug tatsächlich entstandener Kraftfahrzeugkosten eines Busfahrers abgelehnt hatte, der im Bereich einer Großstadt sein Fahrzeug an 15 verschiedenen Einsatzstellen zu übernehmen hatte.
Der Streitfall rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Senat hat im Urteil in BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139 (das gleiche gilt für das nur mit dem Leitsatz veröffentlichte Urteil in BFHE 143, 20, BStBl II 1985, 266) wesentlich darauf abgestellt, daß für eine Rechtsfortbildung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG im Wege der Lückenausfüllung dann kein Raum ist, wenn sich dadurch gegenüber Arbeitnehmern mit einer festen Arbeitsstätte ungerechtfertigte Vorteile ergeben würden. Diese Vorteile würden dann eintreten, wenn ein Arbeitnehmer mit verschiedenen Einsatzstellen erhöhte Fahrtaufwendungen geltend machen könnte, während viele andere Arbeitnehmer, die trotz einer festen Arbeitsstätte täglich ebensoweite Entfernungen zurücklegen müssen, die Fahrtkosten nur in dem durch § 9 Abs.1 Nr.4 EStG eingeschränkten Umfang absetzen können. Der Senat weist darauf hin, daß dieser Gedanke nicht nur in den Fällen von wesentlicher Bedeutung ist, in denen die verschiedenen Einsatzstellen im Großstadtbereich oder in einem Ballungsgebiet liegen, sondern daß er allgemein gilt. Denn im Interesse der steuerlichen Gerechtigkeit ist eine einheitliche Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG auf Arbeitnehmer mit einer festen Arbeitsstätte und auf Arbeitnehmer mit wechselnden Einsatzstellen geboten, solange der zu wechselnden Einsatzstellen fahrende Arbeitnehmer ähnlich belastet ist wie eine große Anzahl der zur festen Arbeitsstätte fahrenden Arbeitnehmer.
Den täglichen Fahrten des Klägers zu seinen wechselnden Einsatzstellen haftete ebenso wie den in den Urteilen in BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139 und in BFHE 143, 20, BStBl II 1985, 266 zu bewertenden Fahrten nicht das bei einer Dienstreise in der Regel gebotene Moment des Unvorhersehbaren hinsichtlich des Ortes und der Zeit der Reisetätigkeit an. Der Kläger wußte von vornherein, daß er in einem gewissen Umkreis um seine Wohnung eingesetzt werden würde. Ferner lagen im Streitfall die wechselnden Einsatzstellen des Klägers arbeitstäglich nur zunächst 20 km bis 25 km und später 12 km bis 15 km von seiner Wohnung entfernt. Der Kläger hat damit arbeitstäglich Entfernungen zwischen Wohnung und den verschiedenen Einsatzstellen zurückgelegt, wie sie auch von einer großen Zahl der zu festen Arbeitsstellen fahrenden Arbeitnehmer arbeitstäglich zurückgelegt zu werden pflegen. Diese vom Kläger zurückgelegten Entfernungen sind nicht mit den in der Entscheidung in BFHE 111, 76, BStBl II 1974, 258 zu beurteilenden Entfernungen (arbeitstäglich mehr als 40 km) vergleichbar.
Fundstellen
Haufe-Index 413973 |
BStBl II 1985, 595 |
BFHE 144, 46 |
BFHE 1986, 46 |
BB 1985, 1586-1587 (ST) |
DB 1985, 2081-2081 (ST) |
HFR 1985, 459-460 (ST) |