Kein weiträumiges Tätigkeitsgebiet bei Tätigkeit innerhalb einer ortsfesten Einrichtung
Hintergrund: Tätigkeit in verschiedenen Hafenbetrieben
Streitig war die Berücksichtigung von Fahrtkosten zum Hamburger Hafen.
X war bei der A KG als Hafenarbeiter beschäftigt. Im Streitjahr 2015 wurde er von seinem Arbeitgeber im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an 4 verschiedenen Orten innerhalb des Hafengebiets eingesetzt.
X machte für seine Fahrten zwischen Wohnung und Hafenzufahrt mit dem eigenen Pkw die tatsächlichen Kosten (0,30 EUR je gefahrenem km = rund 5.000 EUR) geltend. Das FA berücksichtigte lediglich die Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungs-km = rund 2.500 EUR).
Die hiergegen erhobene Klage wies das FG als unbegründet ab. Denn X habe "typischerweise arbeitstäglich" das Gebiet des Hamburger Hafens und damit "dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet" aufsuchen müssen, sodass Fahrten zwischen Wohnung und Hafenzugang – trotz Fehlens einer ersten Tätigkeitsstätte – nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden könnten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a EStG).
Entscheidung: Abzug der Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen
Der BFH teilt nicht die Auffassung des FG. Er hob das FG-Urteil auf und gab der Klage statt. Die Fahrten des X zwischen Wohnung und Hafenzugang sind mit den tatsächlichen Kosten zu berücksichtigen.
Fahrtkosten bei Tätigkeit in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet
Hat der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen, gilt die Entfernungspauschale für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort oder zum nächstgelegenen Zugang zum Tätigkeitsgebiet (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG). Für die Fahrten innerhalb des weiträumigen Tätigkeitsgebiets können die tatsächlichen Kosten (bzw. die pauschalen Kilometersätze nach dem Reisekostenrecht) angesetzt werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 4 EStG).
Kein weiträumiges Tätigkeitsgebiet bei Tätigkeit in einer ortsfesten Einrichtung
Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers (bzw. eines verbundenen Unternehmens oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten) auszuüben hat (ebenso BMF v. 25.11.2020 – IV C 5-S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020 S. 1228, Rz. 42 und 46, sowie das Schrifttum, z.B. Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 9 Rz. 216). Arbeitnehmer, die ihrer eigentlichen Tätigkeit in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung nachgehen, werden folglich von der Vorschrift nicht erfasst, auch wenn ihnen ein bestimmtes Tätigkeitsgebiet zugewiesen ist und sie dort in verschiedenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen tätig werden (BMF in BStBl I 2020 S. 1228, Rz. 42).
Im Streitfall liegt daher keine weiträumige Tätigkeit vor
Hiervon ausgehend fehlt es an einer weiträumigen Tätigkeit des X. Nach den Feststellungen des FG wurde er nicht auf einer festgelegten Fläche, sondern aufgrund (tagesaktueller) Weisungen in ortsfesten betrieblichen Einrichtungen von (vier) Kunden seines Arbeitgebers tätig. Darauf, dass sich alle Einsatzorte auf dem Gebiet des Hamburger Hafens befanden, kommt es insoweit nicht an.
Hinweis: Fahrtkosten bei auswärtiger Tätigkeit
X war an verschiedenen Orten innerhalb des Hafengebiets eingesetzt. Mangels dauerhafter Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers (eines verbundenen Unternehmens oder eines Dritten) hatte er keine erste Tätigkeitsstätte i.S.v. § 9 Abs. 4 EStG. Da er seine Tätigkeit nicht auf einer festgelegten Fläche, sondern innerhalb ortsfester Einrichtungen ausgeübt hat, liegt auch kein weitreichendes Tätigkeitsgebiet i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG vor. Bei den Fahrtaufwendungen des X handelt es sich daher um "normale" Fahrtkosten bei beruflicher Auswärtstätigkeit, die unbeschränkt nach Reisekostengrundsätzen in tatsächlicher Höhe (bzw. mit den Pauschalen nach dem Bundesreisekostengesetz) abziehbar sind (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 2 EStG, BMF in BStBl I 2020 S. 1228 Rz. 36 ff.).
Da der BFH ein weitreichendes Tätigkeitsgebiet bereits aufgrund der Tätigkeit des X in ortsfesten Einrichtungen abgelehnt hat, konnte im Streitfall die vom FG aufgeworfene Frage offenbleiben, ob der Hafen wegen seiner Größe von 7.200 ha noch als weitreichendes Tätigkeitsgebiet eingeordnet werden kann.
BFH Urteil vom 15.02.2023 - VI R 4/21 (veröffentlicht am 01.06.2023)
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