Leitsatz (amtlich)
Der Senat bleibt dabei, daß die in § 65 Abs. 2 FGO vorgesehene Frist zur Klageergänzung keine Ausschlußfrist ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. November 1972 VIII R 127/69, BFHE 108, 6, BStBl II 1973, 188).
Normenkette
FGO § 65 Abs. 2
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für die Veranlagungszeiträume 1969 bis 1972 Einkommensteuerbescheide und wies die Einsprüche als unbegründet zurück. Mit der Klage beantragte die Klägerin, "die Einkommensteuerveranlagungen entsprechend der noch zu fertigenden Begründung zu berichtigen".
Das Finanzgericht (FG) setzte der Klägerin zur Bezeichnung des Streitgegenstandes eine Frist bis zum 15. August 1976. In der Verfügung des Vorsitzenden heißt es: "Geschieht das nicht, müssen Sie damit rechnen, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird."
Die Anfrage des FG, ob noch eine Äußerung zur Verfügung des Vorsitzenden zu erwarten ist, und die Erinnerung an die Erledigung blieben unbeantwortet.
In der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 1977 stellte die Klägerin die Anträge aus dem Schriftsatz vom 2. Februar 1977, den sie dem FG in der mündlichen Verhandlung überreichte und mit dem sie ihre Klage begründete.
Das FG wies die Klage in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 437 (EFG 1977, 437) veröffentlichten Entscheidung als unzulässig ab, weil die Klägerin den Streitgegenstand i. S. von § 65 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) weder in der Klageschrift noch innerhalb der vom Vorsitzenden gesetzten Frist bezeichnet habe; es ließ die Revision zu.
Mit der Revision rügt die Klägerin, die Fristsetzung sei keine Ausschlußfrist und zumindest nicht als Ausschlußfrist erkennbar gewesen. Der Prozeßbevollmächtigte sei auch nicht in der Lage gewesen, die Frist einzuhalten. Im übrigen sei der Streitgegenstand sichtbar gewesen. Die Klage hätte vom FG der Sache nach beschieden werden müssen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und entsprechend ihren Klageanträgen zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Das FG hat § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht zutreffend ausgelegt.
Die Anfechtungsklage muß gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand sowie den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Diese Voraussetzungen haben im Streitfall vorgelegen. In der Klageschrift wurde die Klägerin mit Namen und Anschrift, das beklagte FA, gegen das sich die Klage richtete, bezeichnet und ausgeführt, daß sich die Klage gegen die Einspruchsentscheidung betreffend Einkommensteuer 1969 bis 1972 richte.
Die Klägerin hat auch in der mündlichen Verhandlung den Streitgegenstand ausreichend bezeichnet, wie aus dem von ihr in der mündlichen Verhandlung übergebenen Schriftsatz vom 2. Februar 1977 hervorgeht. Denn daraus ist zu erkennen, was sie mit ihrer Klage erreichen wollte.
Dieses Vorbringen ist dem FG allerdings erst nach Ablauf der vom Vorsitzenden des FG gemäß § 65 Abs. 2 FGO gesetzten Frist vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vorsitzende überhaupt eine Ausschlußfrist setzen wollte oder ob die Frist etwa, wie die Klägerin meint, nicht als Ausschlußfrist erkennbar war. Denn der Vorsitzende war rechtlich nicht in der Lage, eine Ausschlußfrist zu setzen. Die nach § 65 Abs. 2 FGO zu setzende "bestimmte Frist" ist keine Ausschlußfrist. Eine erst nach Ablauf der Frist bei Gericht eingegangene Klageergänzung muß daher bei der Entscheidung des Rechtsstreits berücksichtigt werden (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. April 1971 IV R 173-174/70, BFHE 104, 309, BStBl II 1972, 348; vom 12. Juli 1972 I R 206/70, BFHE 106, 483, BStBl II 1972, 957; vom 21. November 1972 VIII R 127/69, BFHE 108, 6, BStBl II 1973, 188, und die nach der Entscheidung des FG ergangenen nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH vom 22. Juni 1978 IV R 185/77; vom 29. September 1977 V R 60/73, und vom 5. April 1978 II R 22/74). Grundsätzlich ist jeder Entscheidung das gesamte bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vorliegende Ergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen.
Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFG-EntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, 446, BStBl I 1978, 174) sieht zwar vor, daß verspätetes Vorbringen zurückgewiesen werden kann; die Vorschrift darf jedoch bei der Beurteilung des Streitfalls noch nicht berücksichtigt werden. Denn diese Regelung ist erst seit dem 1. Mai 1978 in Kraft (Art. 7 des Gesetzes).
Die Klage durfte im Streitfall daher nicht wegen des Fehlens der Bezeichnung des Streitgegenstandes i. S. von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO als unzulässig abgewiesen werden.
Dem FG ist zwar zuzugeben, daß der nachhaltige Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht zu Lasten derjenigen Bürger geht, die sich als Prozeßbeteiligte nach Kräften bemühen, das Verfahren zu fördern. Es ist auch unübersehbar, daß ein Verfahrensverhalten, wie es im vorliegenden Fall zutage getreten ist, die Arbeitsweise des FG belastet und zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer auch bei denjenigen Bürgern führt, die sich nicht verfahrensverschleppend verhalten. Der Senat ist jedoch nicht befugt, den Rechtsschutz ohne gesetzliche Grundlage einzuschränken.
Fundstellen
Haufe-Index 73638 |
BStBl II 1980, 696 |
BFHE 1981, 178 |